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»Das funktioniert doch niemals!«, ereiferte ich mich. »Was ist, wenn es Trittbrettfahrer sind?«
»Das ist so gut wie ausgeschlossen. Letzte Gewissheit bekommen wir nachher. In dem Erpresserschreiben wird die genaue Mischung des Sprengstoffs beschrieben. Reste davon haben die Entenbobbys inzwischen bergen können.«
Ich kannte den Spaßausdruck für die Wasserschutzpolizei und wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufgerissen wurde. So zornig hatte ich KPD selten erlebt. Polternd setzte er sich zu uns an den Tisch.
»Denen hab ich’s aber gegeben!«, begann er ohne Begrüßung zu schelten. »Das Landeskriminalamt wird immer dreister. Nur weil wir hier einen kleinen Deichbruch haben, wollen die den Fall an sich reißen. Lächerlich, was die sich alles einbilden! Ich habe denen kräftig die Meinung gegeigt. Hier in meiner Dienststelle bewerte ich die Lage immer noch selbst. Solange ich ein guter Chef bin, können wir das allein regeln. Mit meinem Organisationsgeschick dürfte das eine leichte Übung sein.«
Fassungslos glotzten wir ihn an. Bevor einer von uns auch nur den Hauch einer Chance hatte, etwas zu sagen, fuhr er fort: »Selbstverständlich kommt kein Geld in die Kiste. Mit meiner Erfahrung schnappen wir die Spinner bei der Geldübergabe. Meine Herren –«, damit wandte er sich Gerhard und mir zu, »auf Sie warten die Kollegen von der Wasserschutzpolizei. Ich habe den Termin für Sie vereinbart. Die Beamten zeigen Ihnen die Deichbruchstellen von der Rheinseite aus. Anschließend wartet der Hubschrauber. Da wir bei uns im Hof wegen der Bäume keinen geeigneten Platz haben, wird er vor dem Gebäude der Wasserschutzpolizei landen. An diesem Ort wird auch die Metallkiste befestigt, geeignete Spezialisten sind unterwegs. Sie sehen, ich habe alles bestens organisiert. Sie brauchen fast nichts mehr selbst zu tun. Frau Wagner wird heute Abend während der Geldübergabe den Funkverkehr abhören und die Kollegen von der Schutzpolizei zum Abwurfort lotsen. Ich selbst habe leider keine Zeit. Wegen der ausgefallenen Weihnachtsfeier muss ich zu jedem Bürgermeister fahren und mich entschuldigen. Frau Wagner, Herr Steinbeißer, Herr Palzki – ich verlasse mich auf Sie!«
Mit diesen Worten war er wieder verschwunden.
»Das ist typisch KPD«, fasste Jutta zusammen. »Zuerst das Landeskriminalamt zusammenstauchen, das viel bessere Möglichkeiten hätte als wir, und danach die Fliege machen. So wie es aussieht, Reiner, bist du nun der Verantwortliche.«
Mein Rachen brannte fürchterlich, als ich die verbliebene halbe Tasse Sekundentod auf Ex hinabstürzte. »Dann wollen wir mal. Lasst uns diese Gauner schnappen, dann haben wir wenigstens einen freien Sonntag.«
»Siehst du das nicht vielleicht ein bisschen zu naiv?«, wandte Gerhard ein.
»Vielleicht. Aber zu Hause sitzt Stefanie und wartet auf mich. Los, lass uns fahren.« Als wir fast zur Tür draußen waren, fiel mir ein: »Jutta, was machst du jetzt eigentlich? Wer löst dich ab?«
»Machst du Witze? Selbstverständlich bleibe ich im Dienst. Die ganze Aktion muss koordiniert und überwacht werden. Wer sollte das übernehmen? Ich schau, dass ich da oben –«, sie zeigte mit der Hand in Richtung Sozialraum, der einen Stock höher lag, »nicht mehr gebraucht werde. Das dürften die Kollegen allein gebacken bekommen. Macht ihr euren Ausflug auf dem Rhein, bis heute Nachmittag wird der Hubschrauber startklar sein.«
Hubschrauber. Warum musste sie das nochmals erwähnen. Ich war bisher ein einziges Mal in so einem Ding gesessen und habe gekotzt wie bei meiner ersten Obduktion mit Dr. Hingstenberg. Ich versuchte, die Erinnerung daran zu verdrängen.
»Los, Gerhard, heute fahre ich.«
»Das geht auch nicht anders«, antwortete er. »Mein Wagen sieht aus wie nach der Rallye Paris–Dakar. Wenn wir damit bei der Entenpolizei auftauchen würden –«
Wir fuhren nach Ludwigshafen. Die Dienststelle der Wasserschutzpolizei befand sich seit noch nicht allzu langer Zeit in der Hafenstraße auf der Parkinsel. Die frühere Dienststelle musste der neu gebauten Rhein-Galerie weichen, einem riesigen und kontrovers diskutierten Einkaufszentrum direkt am Rhein, mit dem Ludwigshafen versuchte, die nach Mannheim flüchtende Kaufkraft in der pfälzischen Metropole zu halten. Die Dienststelle war nicht leicht zu finden. Nur ein Hinweisschild an der breiten Einfahrt eines Unternehmens zeigte uns, dass wir richtig waren. Im hinteren Bereich eines fußballfeldgroßen Parkplatz fanden wir einen freien Platz. In einer Ecke versteckte sich ein dreistöckiges Gebäude. Die Eingangstür stand offen. Anhand der Klingelschilder erkannten wir, dass neben der Dienststelle weitere Unternehmen in dem Gebäude ansässig waren. Im Treppenhaus konnten Gerhard und ich keine Hinweise auf unsere Kollegen finden. Also gingen wir nach dem Ausschlussverfahren vor. Alle vom Treppenhaus abführende Türen waren mit Firmenschildern bestückt. Die Sache war klar: Wir mussten einen Stock höher. Dort das gleiche Spiel. Als wir die Hälfte der Treppe zum dritten Stock nach oben gegangen waren, erkannten wir am Ende des Treppenaufgangs eine einzelne Tür, die wie ein Speicherzugang aussah. Verwundert blieben wir stehen.
»Haben wir etwas übersehen, Gerhard? Warst du schon einmal hier?«
Mein Kollege verneinte. »Von einem Keller habe ich auch nichts bemerkt.«
Ich schmunzelte. »Vielleicht arbeiten die Kollegen komplett auf dem Wasser? Ich habe sowieso nie ganz verstanden, was die so machen.«
Zu unserer Rettung wurde in diesem Moment die Speichertür geöffnet und ein uniformierter Kollege schaute heraus. »Wollen Sie zu uns?«, fragte er höflich.
»Wenn ich Sie so anschaue, stimmt die Richtung. Wir kommen von der Kripo Schifferstadt.«
»Ah, die Landratten. Wir warten schon eine Weile auf Sie. Kommen Sie hoch.«
Hinter der Speichertür erwartete uns eine ganz normale Dienststelle, die sich über das gesamte Stockwerk zog. Ein Mann mit mehreren Streifen auf seiner Uniform kam auf uns zu.
»Herr Palzki, Herr Steinbeißer, herzlich willkommen bei uns. Mein Name ist Heinz Strommeier. Ich bin der Dienststellenleiter der Wasserschutzpolizei Ludwigshafen. Kommen Sie bitte mit in mein Büro.«
Während wir ihm folgten, fuhr er fort: »Ich habe zwar gerade Besuch, aber das soll Sie nicht stören.«
Erstaunt blickten wir in das knabenhafte Gesicht von Dietmar Becker, dem Archäologiestudenten. Dieser Grobmotoriker mit seinem ausgeprägten Gewissen, das ihn bei der kleinsten Lüge rot werden ließ, tauchte seit Monaten stets unverhofft während meiner Ermittlungsarbeiten auf. Anfangs schien es noch zufällig zu sein, bis ich erfuhr, dass er nicht nur nebenbei als freier Journalist für Zeitungen arbeitete, sondern als Schriftsteller regionale Kriminalgeschichten schrieb. Die Verbrechen schienen ihn magisch anzuziehen. Trotzdem mochte ich ihn wegen seiner ehrlichen und offenen Art.
»Was machen Sie hier, Herr Becker? Ich habe schon fast Sehnsucht nach Ihnen bekommen.«
Herr Strommeier stand da, unfähig, etwas zu sagen.
»Hallo, Herr Palzki«, grinste mich der Student an. »Ich habe selbst erst vor ein paar Minuten erfahren, dass Sie einen Termin mit Herrn Strommeier haben.« Er schaute mich fragend an: »Hat es mit dem Deichbruch zu tun, von dem ich im Radio hörte?«
Der Chef der Wasserschutzpolizei fand seine Sprache wieder. »Oh, ich wusste nicht, dass Sie sich kennen. Herr Becker ist nur zufällig hier. Er will einen Artikel über unsere Polizeiarbeit schreiben. Viele Menschen wissen überhaupt nicht, was wir so den ganzen Tag treiben, daher habe ich ihm selbstverständlich Unterstützung zugesagt. Da wir samstags meist wenig Betrieb haben, habe ich ihn zu einer kleinen Fahrt auf dem Rhein eingeladen, um ihm unsere Aufgabengebiete plastisch vorzuführen. Dummerweise habe ich in der Hektik vergessen, den Termin zu verlegen.«
»Lassen Sie mal gut sein, Herr Strommeier. Becker und ich kennen uns ganz gut.«
Ein weiterer Beamter kam zur Tür herein.
»Darf ich vorstellen? Das ist Kollege Bernd Schliefensang, Polizeioberkommissar. Vor zwei oder drei Monaten wurde er von der Mosel an den Rhein nach Ludwigshafen versetzt.«
Wir schüttelten ihm nacheinander die Hand.
»Auf eigenen Wunsch«, ergänzte der langhaarige Schliefensang. »Ich wollte schon immer in der Stadt wohnen.«
Irgendwie sah er eigenwillig aus. Er trug Ohrringe. Gut, heutzutage musste man toleranter sein als früher. Dennoch machte er nicht gerade einen sympathischen Eindruck auf mich. Er hatte etwas Kinskimäßiges an sich.
»Chef, das Fax mit der Analyse ist da.« Er übergab Herrn Strommeier ein Blatt Papier.
»Sie wissen bestimmt Bescheid«, wandte er sich uns zu. »Letzte Nacht haben wir Reste des Sprengstoffs bergen können, eine Stange hatte nicht gezündet. Darum geht es in dieser Analyse. Ihre Kollegin, Frau Wagner, sagte mir vorhin am Telefon, dass sie mir das Ergebnis durchfaxen würde, sobald es vorliegt.« Er las den Text. »Aha, wie Herr Schliefensang nach dem Fund vermutet hatte. Es handelt sich um einen gelatinösen Sprengstoff. Gut gemacht, Herr Kollege.« Er nickte ihm anerkennend zu. »Als Sprengöl wurde Ethylenglykoldinitrat verwendet und als aromatische Nitroverbindung Trinitrotoluol und Ammoniumnitrat im Verhältnis 60:40. Das Gemisch war mit sieben Prozent Kollodiumwolle gelatiniert. Das LKA teilt ferner mit, dass dies mit den Angaben im Erpresserbrief übereinstimmt und die Herstellung keine Amateurarbeit war.«
Im Augenwinkel bekam ich mit, wie Dietmar Becker eifrig mitschrieb. »Herr Becker! Unterstehen Sie sich, die Zusammensetzung des Sprengstoffs irgendwo zu veröffentlichen. Oder wollen Sie in Ihren Romanen Anleitungen für einen Bombenbau geben?«
Der Student lief rot an. »Nein, natürlich nicht. Ist es wirklich wahr, dass der Deich absichtlich gesprengt wurde?«
Herrn Strommeier war die Situation sichtlich peinlich. »Ich glaube, wir sollten unsere Fahrt auf ein anderes Mal vertagen, Herr Becker. Sie sind leider in eine polizeiliche Ermittlung reingeraten, eine gefährliche dazu. Tut mir leid, bei der Polizei lässt sich leider der Tagesablauf nicht immer vorhersagen.«
Bei KPD schon, wollte ich antworten. Stattdessen sagte ich: »Lassen Sie mal, Herr Strommeier. Wir können den Studenten gerne auf unsere Fahrt mitnehmen. Das ist zwar auch bei der Kripo nicht üblich, doch irgendwie hat er in der Vergangenheit in manchen Dingen ein glückliches Händchen gehabt.«
Becker strahlte über beide Ohren und der Chef der Wasserschutzpolizei antwortete mit einem: »Wie Sie meinen, Herr Palzki.«
Schliefensang stand nach wie vor neben seinem Chef. »Das Boot steht bereit, Heinz.«
»Danke, Bernd. Dann wollen wir mal, meine Herren. Kollege Schliefensang wird Ihnen gleich eine Rettungsweste geben. Ohne Weste darf niemand an Bord mitfahren. Auch auf dem Wasser hat die Berufsgenossenschaft das Sagen.«
Zu fünft gingen wir nach unten. Auf der schmalen Seite des Gebäudes befand sich der künstlich angelegte Luitpoldhafen. Durch seinen Bau wurde die Parkinsel vor rund 100 Jahren zur Insel. Das knapp 20 Meter lange Polizeiboot mit dem blauen Rumpf und dem weißen Aufbau lag direkt neben der Kaimauer. WSP 17 stand am Bug.
Herr Schliefensang war kurz in der Kajüte verschwunden und hatte, als er zurückkam, drei Schwimmwesten in der Hand. Das Anlegen ging recht fix, der Tragekomfort ließ zu wünschen übrig. Verglichen mit dem einer Krawatte konnte ich aber nicht meckern. Der Motor des Bootes sorgte für eine ziemliche Geräuschkulisse. Der Schiffsführer drückte ordentlich aufs Gas.
»Die 850 PS unter der Haube machen sich deutlich bemerkbar«, meinte Herr Strommeier stolz. »Mit den beiden Turbodieselmotoren erreichen wir in der Spitze über 50 Stundenkilometer. Ich weiß, die Geschwindigkeit ist nichts im Vergleich zu Ihrem Dienstwagen, doch versuchen Sie mal mit ihm, auf dem Rhein zu fahren.«
Die Uferlinie des Luitpoldhafens zog in rasantem Tempo an uns vorbei. Die kalte Luft in der Kajüte ließ mich frieren. Strommeier entschuldigte sich, dass im Moment leider die Heizung ausgefallen sei. Dietmar Becker schien etwas grün im Gesicht zu werden. Im Nu hatten wir den Rhein erreicht und fuhren stromaufwärts. Auf Steuerbord, oder wie ich an Land sagen würde, rechter Hand, lag der überflutete Stadtpark der Parkinsel. Ganze Baumreihen standen mitten im Wasser.
»Schauen Sie sich jetzt diesen Gegensatz an«, rief mir Herr Strommeier zu. »Auf der Mannheimer Seite sehen Sie das Naturschutzgebiet der Reißinsel. Einmalig für diese dicht bebaute Region. Und wenn Sie jetzt Ihren Blick auf das Ludwigshafener Ufer lenken würden –«, er deutete mit seinem Arm nach rechts, »sehen Sie den größten europäischen Binnenumschlaghafen für Gefahrgüter. Denken Sie nicht nur an die Raffinerie, hier gibt es eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen, die mit chemischen Gefahrgütern jeglicher Couleur handeln. Ich glaube, dass die Arbeiter nicht immer wissen, mit welchen gefährlichen Stoffen sie umgehen.«
Der Kontrast konnte nicht deutlicher sein. Eine Rheinbreite trennte ein Naturparadies von einem potenziellen Chemiegau.
Gerhard und ich fanden die Fahrt spektakulär. Aus dieser Perspektive wirkte der Rhein, zumal er Hochwasser hatte, gefährlich und unberechenbar. Nach kurzer Zeit kamen wir auch schon zu der Stelle, von wo aus normalerweise die Altriper Rheinfähre nach Mannheim ablegte. Bei dem momentanen Pegelstand musste sie aber eine Zwangspause einlegen und war am Ufer verankert.
»Jetzt passen Sie mal auf«, ertönte Strommeiers Stimme. »Auf der rechten Seite sehen Sie in wenigen Sekunden den offenen Durchgang zum Otterstadter Altrhein. Beachten Sie die starke Strömung und die Strudel, die aufgrund des Deichbruchs noch ausgeprägter sind als sonst.«
Im gleichen Moment wurde das Boot auch schon heftig durchgeschüttelt. Der Schiffsführer bog in einer Rechtskurve in den Altrheinarm ab. Mit offenem Mund betrachteten wir die Misere. Das Restaurant Rheinblick, dort, wo Gerhard und ich letzte Nacht geparkt hatten, war das einzige sichtbare markante Bauwerk. Der Rheindeich zum Marx’schen Weiher wirkte wie ein verlorenes und lang gezogenes Häufchen Erde. Deutlich konnten wir die Ausmaße der drei Deichbrüche erkennen. Jeder Durchgang war mindestens 20 Meter breit und noch immer strömte Wasser in rasantem Tempo nach. Von dem Bagger, den wir vor ein paar Stunden halb versunken gesehen hatten, war nur noch die in die Luft gestreckte Baggerschaufel zu erkennen. Weitere technische Geräte waren nicht mehr vor Ort. Zwei oder drei Beobachter der Berufsfeuerwehr Ludwigshafen konnten wir auf den Resten des Deichs ausmachen.
Bernd Schliefensang hatte sich zu uns gesellt. »So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Gut, an der Mosel hatten wir auch andere Verhältnisse. Aber trotzdem: Hier kann man deutlich sehen, wie mächtig Wasser ist. Es kann Monate dauern, bis das Hinterland wieder benutzbar sein wird.«
»Da kann ich gut verstehen, dass immer mehr Camper ihre Mietverträge kündigen«, waren die ersten Worte des blassen Studenten, seit wir auf dem Boot waren. »Die Kreisverwaltung als Eigentümer des Naherholungsgebietes prüft seit geraumer Zeit, ob sich das Gebiet noch wirtschaftlich genug betreiben lässt. Und jetzt, wo der Polder kommt, wird die Angst vor dem Wasser in den Köpfen der Leute nicht geringer.«
»Woher wissen Sie so genau Bescheid, Herr Becker?«, fragte ich ihn leicht verwundert.
»Sie lesen zu wenig Zeitung, Herr Kommissar. Ich habe über das Naherholungsgebiet Rheinauen eine Artikelserie in der Tageszeitung platzieren können. Ist noch nicht so lange her. Übrigens, der Betrieb und die Verwaltung der Campinggebiete obliegen seit den 60er-Jahren dem Verein ›Erholungsgebiet in den Rheinauen e. V.‹.«
»Mit dem Betrieb wird’s wohl so schnell nichts mehr werden«, lästerte Gerhard, den der Anblick ebenso wie mich schwer beeindruckte.
»Es ist ja nicht nur die Campinganlage«, plauderte der Student weiter. »Auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen in der ganzen Umgebung sind betroffen. Denken Sie nur an den Polder. Ich weiß aus sicherer Hand, dass sich die Grundstückspreise in der Altriper Gegend im freien Fall befinden. Es gibt zurzeit ein wesentlich höheres Angebot als Nachfrage. Die Bauern können froh sein, überhaupt noch etwas für ihr potenzielles Seegrundstück zu bekommen. Wenn der Polder kommt, vermutet man eine weitere Steigung des Grundwassers. Irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, die Felder landwirtschaftlich zu nutzen. Für die Kreisverwaltung des Rhein-Pfalz-Kreises könnte es eine Alternative sein, die ganze Campingplatzanlage an einen Investor zu verkaufen, der dann das alleinige Risiko trägt. Das sind aber noch interne Überlegungen, da auch die kreisfreien Städte Ludwigshafen, Speyer und Mannheim Mitglieder des Vereins sind. Aber intern ist es so, dass für strategische Entscheidungen der Landkreis das alleinige Sagen hat. Schließlich liegt das Gelände auf seinem Hoheitsgebiet.«
4. Eine perfekte Geldübergabe
Herr Strommeier hatte die ganze Zeit fotografiert. Er zeigte uns noch ein paar Details, bevor wir zurückfuhren.
Als wir wieder an Land waren, stand der angeforderte Hubschrauber bereits auf dem Parkplatz vor dem Gebäude der Wasserschutzpolizei. Anhand der Kennung ›D-HAYI‹ wusste ich, dass er zur rheinland-pfälzischen Hubschrauberstaffel ›Sperber‹ gehörte, die in Winningen bei Koblenz an der Mosel stationiert war. Ich war jedes Mal von seiner Größe fasziniert, wenn ich vor einem Hubschrauber stand.
Während Strommeier und Schliefensang sich verabschiedeten und ins Gebäude gingen, kam ein Beamter auf mich zu.
»Guten Tag, Sie müssen Reiner Palzki und Gerhard Steinbeißer sein. Mein Name ist Conrad Bienenfels, ich bin der Pilot. Die Funkanlage wird gerade eingestellt, in einer halben Stunde wird die Metallkiste gebracht. Wenn alles montiert ist, werden wir auf dem Parkplatz einen kleinen Test machen. Nicht, dass im Einsatz etwas schiefgeht.«
Ich dankte ihm für die Informationen und ließ ihn weiterarbeiten.
Dietmar Becker stand etwas abseits, bekam aber trotzdem alles mit.
»So, und was machen Sie den Rest des Tages?«, begann ich meinen Rauswerferdialog.
Er stotterte vor sich hin, ohne einen verständlichen Satz hervorzubringen.
»Sie haben doch sicher Verständnis dafür, dass wir Sie bei unserem Einsatz nicht mitfliegen lassen dürfen?«
»Ja, ja«, kam es endlich aus seinem Mund. »Die Frequenzen dürfen Sie mir nicht sagen, oder?«
»Herr Becker, ich bin froh, dass ich halbwegs weiß, was eine Frequenz ist. Erstens habe ich keine Ahnung, welche Frequenz benutzt wird, dafür haben wir schließlich Fachleute, zum Zweiten dürfte ich Ihnen diese nicht geben. Sie werden es im Radio hören, wenn wir die Gauner geschnappt haben. Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, über die Geschichte einen Krimi schreiben zu wollen. Das funktioniert nämlich nicht, weil wir keinen Toten haben. Einen Krimi ohne Leiche wird kein Verlag drucken wollen.«
Nach einem kurzen Zögern verließ uns der Student.
Mir fiel im gleichen Moment etwas existenziell Wichtiges ein. »Du, Gerhard, ich müsste dringend Stefanie anrufen und Hunger habe ich auch.«
Gerhard schaute mich an, als wäre ich ein kleines Kind. »Dann ruf sie doch an. Wo liegt da das Problem?«
Ohne ihm zu antworten, ging ich zu meinem Wagen. Nach kurzer Suche fand ich das Handy in meinem Handschuhfach. Ich schaltete es ein, und – oh Wunder – es besaß noch genügend Restenergie, um eine Verbindung zustande zu bringen. Leider nahm Stefanie nicht ab. Wo sie wohl sein mochte? Ich musste sie dringend dazu überreden, sich endlich einmal ein Handy zuzulegen. Solch eine segensreiche Erfindung sollte heutzutage eigentlich jeder bei sich haben. »Was ist mit dir, Gerhard? Willst du deine Alexandra anrufen?« Ich hielt ihm stolz mein Handy hin.
»Katharina. Sie heißt Katharina. Ne, du, die ist um die Zeit arbeiten.«
»Deine Freundin arbeitet am Samstag? Wo ist sie denn beschäftigt?«
Gerhard zuckte mit den Schultern. »So genau habe ich sie das noch nicht gefragt. Was ist, wollen wir schnell etwas essen gehen? Als wir herfuhren, habe ich ein paar Meter weiter vorne an der Straße einen Imbiss gesehen.«
Dort, wo die Hafenstraße und die Parkstraße in einem spitzen Winkel aufeinandertrafen, befand sich ein einstöckiges Gebäude, das aus der Vogelperspektive wie ein niedergelegter Torbogen aussah. Das Halbrund bestand aus den für einen Kiosk typischen Fensterscheiben. Ich bestellte mir eine Currywurst, einen Cheeseburger, eine große Portion Pommes mit Mayo sowie eine Flasche Cola Light zur gesundheitlichen Abrundung meines in letzter Zeit etwas herausgewachsenen Profils. Gerhard beließ es bei kleineren Portionen. Während wir uns schmatzend unterhielten, bremste ein Wagen. KPD stieg aus und kam auf uns zu.
»Hier finde ich Sie also, meine Herren!«, begrüßte er uns vorwurfsvoll. »Wir haben in der Vorderpfalz die vielleicht größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und Sie stehen friedlich vor diesem Etablissement und essen.«
»Ohne Mampf kein Kampf«, entgegnete ich ihm mit nicht ganz leerem Mund und dabei segelten ein paar Brocken Fleisch an ihm vorbei.
»Der Helikopter wird gerade präpariert und dabei stören wir bloß«, versuchte Gerhard, eine plausible Lösung anzubieten.
Unser Chef schaute auf die Uhr. »Da fällt mir ein, dass ich heute auch noch nicht zu Mittag gegessen habe. Frau Wagner ist zu beschäftigt, um sich um meine Lachsschnittchen zu kümmern.« Er drehte sich zu der muskulösen Dame um, die im Kiosk stand. »Würden Sie mir bitte die Speisekarte bringen?«
»Hä?«, kam es aus dem Innern des Häuschens. »Guck uff die Dafel do unne, do steht alles druff.« Sie zeigte unwirsch auf eine Tafel, die vor dem Kiosk auf dem Boden stand.
Unser Vorgesetzter registrierte höchstwahrscheinlich nur die Handbewegung, die Sprache dürfte ihm fremd gewesen sein. Er blickte auf das Speisenangebot.
»Ah ja«, meinte er nach kurzer Überlegung, »haben Sie das Rindersteak auch als Entrecôte Chauteau in very rare?«
Der Dame schienen die Augäpfel aus dem Schädel zu springen. »Die Fleschbrocke liegen seit heit morsche uff’m Grill. Was willscht dezu? Pommes un ä Bier?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sich die Dame um und knallte mit einer Plastikgabel ein Steak auf einen Pappteller. Als sie KPD das fertige Menü und die offene Flasche Bier hinstellte, wusste er nicht, dass er gemeint war.
»Was ist das?«, fragte unser Chef vorsichtig.
»Na, dei Esse«, antwortete die resolute Kioskbesitzerin und steckte sich eine Gauloises in den Mund.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie sich Gerhard vor zurückgehaltenem Lachen fast einnässte. Auch mir erging es nicht viel besser. »Das haben Sie eben bestellt, Herr Diefenbach«, erklärte ich ihm möglichst steif. »Probieren Sie mal die knusprigen Pommes, die schmecken exzellent. Und das Bier ist immerhin Pilsner Brauart, ein Exportbier würde ich an Ihrer Stelle nicht anrühren.«
Pikiert wandte sich KPD von dem Pappteller ab. Nachdem er sichtbar mit seiner Fassung gerungen hatte, wurde er sachlich. »Ich habe heute Morgen mit dem Landrat konferiert. Er überlässt alles Weitere mir.« Stolz drückte er seine Brust heraus. »Der Landrat weiß halt um meine Fähigkeiten als Katastrophenmanager.«
Bisher hatte er immer nur seine eigenen Katastrophen gemanagt, dachte ich.
»Ich habe alles geplant. Während sich die anderen Hilfsdienste um den Deichbruch und die Camper kümmern, schnappen wir uns die Erpresser. Ich rechne mit einer deutschlandweiten Presse. Frau Wagner ist gerade dabei, diverse Fernsehanstalten und Presseagenturen anzurufen.«
Gerhard konnte das Gesülze nicht mehr ertragen. »Und wie sieht Ihr Plan nun aus, Herr Diefenbach?«
»Ach so, ja, der Plan. Herr Palzki wird nachher mit im Hubschrauber sitzen. Über die geforderte Frequenz wird ständig automatisch die per GPS gemessene Position des Hubschraubers durchgegeben. Sobald die Erpresser sich melden, wird Herr Palzki die Anordnungen auf einer anderen Frequenz an Sie und Ihre Kollegin Wagner weitergegeben, Herr Steinbeißer. Sie koordinieren dann den Einsatz unserer Fänger. Wir werden 20 Streifenwagen und 15 Zivilfahrzeuge in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zur Verfügung haben. Herr Palzki wird auch alle anderen Besonderheiten, die eventuell während des Fluges auftauchen, per Funk an Sie, Herr Steinbeißer, durchgeben. Wir können uns keine Zeitverzögerung leisten. Egal, an welchem Punkt die Kiste abgeworfen wird, das Zielgebiet muss eine Minute später unter Kontrolle sein.«






