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Entsprechend kann auch die persönliche Heilsgewissheit nie zu einer absoluten werden. Denn eine solche würde nach Wust geradezu „eine Verwegenheit, ja eine Vermessenheit“ bedeuten (UW 152). So findet hier „das überall für die menschliche Daseinssituation geltende ,Insecuritas‘-Gesetz seine markanteste Bestätigung“. Der Mensch „muß sich erfahren als ein Wesen, das ungesichert ist bei prinzipieller oder allgemeiner Gesichertheit, als ,insecurus in securitate‘ und als ,securus in insecuritate‘“ (UW 154). Mit Josef Pieper kann Wust darum den „Habitus der hoffenden Gelassenheit“ als „den einzig angemessenen“ der menschlichen Daseinssituation bezeichnen (UW 155).
Insecuritas humana und der Weg der Mystik
Wenn auch mit Beantwortung der drei Fragen nach der religiösen Gottesgewissheit, der Offenbarungsgewissheit und der Heilsgewissheit die oberste Ebene des „Insecuritas“-Raumes grundsätzlich durchschritten ist, so wird die Dialektik von Gottesnähe und Gottesferne Wust zufolge von dem mystischen Weg, den nur noch wenige Einzelne beschreiten, noch einmal überhöht und überschritten. Mit der bekannten Mystikerin Evelyn Underhill25 unterscheidet Wust fünf Phasen des mystischen Weges: Während der „niedere Weg“ die Phase des Erwachens der Seele zu sich selbst sowie die Phasen der Reinigung und der Erleuchtung ihres Inneren umfasst, beginnt der „höhere Weg“ mit der Phase der „Dunklen Nacht“, und er endet mit der Phase der „Einung“ (UW 159 f.).
Was Wust in diesem Zusammenhang beschreibt, scheint zu einem guten Teil der eigenen Erfahrung zu entstammen:26 Auf die Metanoia, „durch die das Steuer (...) [des] Lebensschiffes ruckhaft in die Richtung der höheren Wertdimension herumgeworfen wird“, wobei „dieser ruckhaften Umwälzung im Innern der Seele ein langer und qualvoller Zustand der Ungewißheit voraus[geht]“ (UW 160), folgt aber schon bald wieder „ein Rückschlag von anderer Art“:
„Denn das aus den Fesseln der Weltlust befreite höhere Wertbewußtsein des erwachten Selbst erkennt nun auf einmal ganz klar die ungeheure Distanz zwischen seinem bisherigen Dasein und dem noch in weiter Ferne vor ihm liegenden Ziel, dem es auf dem mystischen Weg entgegengeführt werden soll. Es erschrickt förmlich über sich selbst, sobald es sich einmal im Spiegel dieses übernatürlichen Vollkommenheitsideals erblickt. Und so verwandelt sich denn jetzt die ursprünglich als ein so großes neues Glück empfundene göttliche Nähe in eine Gottesferne, die vernichtend wirkt.“ (UW 161)
Dieser Rückschlag ist nach Wust unbedingt notwendig, kann doch erst jetzt die Phase der inneren Erleuchtung einsetzen. „Das mystische Selbst findet im Rückzug auf den Seelengrund, der die eigentliche Begegnungsstätte zwischen Gott und der Seele ist, zum ersten Male den ganz tiefen Frieden und die große Stille, die ihm alle Verluste irdischer Güter so reichlich ersetzen, daß allmählich der Kampf aufhört und eine gewisse Kontinuität des neuen Lebenswillens entsteht.“ (Ebd.)
Aber damit ist erst der „niedere Weg“ an ein Ende gekommen, und der „höhere Weg“ steht noch bevor, der mit der „Dunklen Nacht“ einsetzt, wo die Seele völlig allein mit sich selbst zu sein scheint und das „Schweigen Gottes“ erlebt – ein Gefühl „äußerster Gottverlassenheit“ (UW 163), ja „geistiger Leere und Langeweile“ (UW 164), was bis zur „Gefahr der äußersten Verzweiflung“ (UW 165) führen kann. Aber wenn die Seele schließlich „in dieser äußersten Bedrohung standgehalten hat, dann tritt plötzlich die Erlösung ein. Die abgründige Finsternis der ,Dunklen Nacht‘ beginnt zu weichen. Neues Licht strömt auf einmal von allen Seiten in ihr Inneres herein. (...) Sie hat sich jetzt der letzten Phase der Erleuchtung genähert.“ (Ebd.) Den „Höhepunkt der mystischen Entwicklung der Seele“ deutet Wust mit einem Hinweis auf die Symbolik von Albrecht Dürers „Hieronymus im Gehäus“ – die bildende Kunst scheint hier als Ausdrucksmittel angemessener zu sein als die Sprache:
„Wir sehen, wie die Zelle des Einsiedlers ganz in ein überirdisches Licht getaucht ist. Dieses Licht quillt förmlich aus den Wänden hervor und durchrieselt die winzigsten Dinge in der Umgebung des Klausners. Im Vordergrund liegt der Löwe ganz zahm und friedlich – der Dämon der Selbstsucht ist bezwungen. Der Einsiedler ist ganz in Andacht vertieft in das Heilige Wort der Schrift: seine erlöste Seele ist ganz Hingabe geworden. Die Sabbatstille des siebenten Tages erfüllt ihn selbst wie den ganzen Raum um ihn her. Alles atmet hier jenen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Der ,sopor mysticus‘, der mystische Schlaf der ,Einung‘, hat die Seele ganz umfangen. Nicht sie selbst wirkt jetzt mehr, sondern Gott ist es, der noch allein in ihr wirkt.“ (UW 166)
Wagnis der Weisheit und menschliche Größe
Die Lebhaftigkeit und der Bilderreichtum, mit denen Wust hier diesen Weg des mystischen Lebens beschreibt, lassen vermuten, dass er diesen Weg bis zu einem gewissen Grade auch selbst durchschritten hat. Bis zu welcher Stufe er vorgedrungen ist, wissen wir allerdings nicht. Verschiedene Ausführungen lassen aber vermuten, dass er sicherlich den „niederen Weg“ durchlaufen hat. In diese Richtung deutet auch das letzte Kapitel von „Ungewißheit und Wagnis“, das den Titel trägt „Die Geborgenheit des Menschen in seiner Ungeborgenheit“. Hier ermutigt Wust den Leser, das „Wagnis der Weisheit“ einzugehen, das die Aufgabe des Eigenwillens und seiner Selbstsucht zur Voraussetzung hat und letztlich „zu der tiefen inneren Stille des Herzens [führt], in der die Stimme der Liebe vernehmbar wird“ (UW 189). Mit dem Mystiker Franz von Sales fasst Wust dieses Ziel dann so zusammen: „Ni désirer, ni refuser.“ (UW 189)27 Dieses Wort aufgreifend, wird Wust nur wenige Wochen vor seinem Tod an seine Tochter Else vom Krankenbett aus schreiben: „Alles wie Gott es will. Man muß so weit in der Gelassenheit kommen, daß man, wie der hl. Franz von Sales, der berühmte Bischof von Genf, es formuliert, weder etwas Angenehmes wünscht, noch etwas Unangenehmes abweist.“ (GW VIII, 118)
Philosophie und Mystik schließen sich nicht grundsätzlich aus – ganz im Gegenteil; viele große Mystiker, wie beispielsweise der pagane Denker Plotin aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert oder Meister Eckhart aus der Zeit der Hochscholastik, waren auch große Philosophen. So hat auch Wust auf seine Weise versucht, Einsichten der Existenzphilosophie mit christlich-mystischen Motiven zu verbinden, und das nicht nur denkerisch, sondern auch existenziell.
In der Einleitung zu seinem Werk „Die großen Philosophen“ schreibt Karl Jaspers unter der Überschrift „Von menschlicher Größe überhaupt“: „Was auch ein anderer hätte leisten können, ist nicht groß. Was sich identisch übernehmen, lernen und noch einmal tun läßt, wenn es auch einer zuerst getan haben muß, verleiht nicht Größe. Die Unersetzlichkeit allein hat Größe.“28 Man kann zwar darüber geteilter Meinung sein, ob Wust zu den „großen Philosophen“ zu zählen ist.29 Dass Wust „menschliche Größe“ in dem von Jaspers angesprochenen Sinne besitzt, scheint mir aber unzweifelhaft zu sein. Das bestätigt auch der priesterliche Freund Karl Pfleger, der kurz nach dessen Tod in einem fiktiven Brief an ihn u. a. Folgendes schreibt: „Übrigens, alles in allem genommen ist dein Lebenslauf ja auch ein Roman, ein von der göttlichen Gnade und deiner Mitwirkung gemeinsam geschriebener Roman, und man könnte ihm den Titel deines letzten Buches geben: ,Ungewißheit und Wagnis‘. Mit dem für dich kapitalen und segensreichen Unterschied, daß das Wagnis, das dort bloß denkerisch gefordert wird, hier existierend vollzogen wurde. Aus dem theoretischen Postulat wurde der erst zögernd beschlossene und dann heroisch gewagte Salto mortale in Gott hinein.“30
Schriften von Peter Wust: Gesammelte Werke. Hg. v. Wilhelm Vernekohl. 10 Bde. Münster 1963 – 1969 – John Stuart Mills Grundlegung der Geisteswissenschaften. Diss. Bonn 1914 – Die Oberrealschule und der Moderne Geist. Leipzig 1917 – Im Rahmen der „Edition Peter Wust“, der v. Herbert Hoffmann u. Werner Schüßler hg. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, sind erschienen: Ungewißheit und Wagnis. Einl. u. Anm. v. Werner Schüßler. Münster 2002 (22007) – Ein Abschiedswort. Nachw. v. Werner Schüßler. Münster 2007 (22008).
Sekundärliteratur: Ekkehard Blattmann: Peter Wust als Denker und Leser des Bösen. Frankfurt a. M. u. a. 1994 – Ders. (Hg.): Peter Wust – Aspekte seines Denkens. F. Werner Veauthier zum Gedächtnis. Münster 2004 – Alexander Lohner: Peter Wust: Gewißheit und Wagnis. Eine Gesamtdarstellung seiner Philosophie. Paderborn 21995 – Marc Röbel: Das „Andere der Vernunft“ – Staunen und Ehrfurcht bei Peter Wust. In: Trierer Theologische Zeitschrift 117 (2008), H. 3, 181 – 191 – Ders.: Staunen und Ehrfurcht. Eine werkgeschichtliche Untersuchung zum philosophischen Denken Peter Wusts. Münster 2009 – Werner Schüßler: Zur Aktualität der Philosophie Peter Wusts. In: Trierer Theologische Zeitschrift 114 (2005), H. 1, 1 – 10 – Ders.: „Die Philosophie schließt nur eine Nebenpforte auf zum Zentrum des Lebens.“ Peter Wust zum Problem „Glaube und Vernunft“. In: Wissenschaft und Weisheit 70 (2007), H. 1, 120 – 132 – Ders.: „Geborgen in der Ungeborgenheit.“ Einführung in Leben und Werk des Philosophen Peter Wust (1884 – 1940). Münster 2008 – F. Werner Veauthier: Kulturkritik als Aufgabe der Kulturphilosophie. Peter Wusts Bedeutung als Kultur- und Zivilisationskritiker. Heidelberg 1998.
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