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Als sie in ihre Wohnung kommt, hat Anna bereits eine tiefgekühlte Lasagne im Backofen. Es duftet verführerisch. Sicher gibt ihr Anna etwas von der Lasagne ab, sie muss nur das Thema geschickt auf die Figur bringen, dann wird es schon klappen.
«Das war sehr gut», Olivia wischt sich mit einer Papierserviette den Mund sauber, «danke für die Einladung, nun muss ich meine Fahrradtour verlängern oder neue Kleider kaufen. Ich werde mich erst morgen entscheiden.»
«Nun, ich muss dir danken, wenn du nicht gekommen währst, hätte ich glatt die ganze Lasagne allein aufgegessen.»
«Weist du, wie man es anstellt, wenn man nach einer Person suchen will?»
«Im Internet gibt es verschiedene Möglichkeiten, willst du wirklich im Netz nach einen Mann suchen? - Das überrascht mich, das hast du doch nicht nötig.»
«Ach du, - natürlich nicht so, ich möchte das Tagebuch einem Verwandten des Schreibers zurückgeben, das ist alles.»
«Ach so, du hoffst, dass er einen Sohn im heiratsfähigen Alter hat, das wird schwierig werden, immerhin ist es schon einige Zeit her, ich stelle mir vor, dass der Gesuchte nicht mehr lebt und ob sich Verwandte noch an ihn erinnern, wage ich zu bezweifeln.»
«Ich möchte es wenigstens versuchen», meint Olivia, «sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen.»
«Ich glaube an der Universität in Essen haben sie eine entsprechende Kartei», überlegt Anna, «vielleicht solltest du es dort versuchen.»
«Noch am Abend füllt sie ein entsprechendes Formular aus, damit ist für sie die Angelegenheit erledigt.»
Noch bis tief in die Nacht liest sie im Tagebuch weiter. Sie will so schnell wie möglich damit fertig werden, erst dann kann sie sich wieder auf ihr Studium konzentrieren.
Zusammenhänge
Tim macht sich auf den Weg um Olivia zu besuchen. Auf sein Klingeln öffnet ihm Anna. Er ist zunächst etwas verwirrt.
«Ist Olivia zuhause?»
«Nein, sie ist im Labor, bitte komm doch rein, vielleicht kann ich dir helfen.»
«Dank, eigentlich brauche ich keine Hilfe, ein Kaffee würde mir sicher gut tun.»
«Kein Problem, setz dich, vielleicht kommt Olivia noch, in letzter Zeit hält sie es nicht lange im Labor aus.»
«Wie geht es mit deiner Semesterarbeit voran», fragt Tim um eine Unterhaltung in Gang zu bringen, während Anna in der Küche die Kaffeemaschine mit Wasser nachfüllt.
«Ach geht so», meint Anna, «irgendwie passt es nicht zusammen und ich habe das Gefühl, dass ich an der Fragestellung vorbei schreibe.»
«Die Erkenntnis, dass wir nur zwanzig Prozent zum decken des Grundbedarfs brauchen, ist eine entscheidend Feststellung, da kann es doch nicht so schwer sein, die restlichen achtzig Prozent sinnvoll zu nutzen.»
«Das sagst du, doch so einfach ist es nicht, in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhundert wurden in Europa noch Konsumgüter in rauen Mengen produziert, doch heute werden die aus dem fernen Osten importiert. Zur Zeit des kalten Krieges wurden die Ausgaben für das Militär immer mehr gesteigert, nur das Beste war gut genug. Das schaffte viele Arbeitsplätze. Dieser Wirtschaftsmotor verlor glücklicherweise, seit dem Ende des kalten Kriegs, an Bedeutung. Momentan versucht Trump diesen Wirtschaftszweig anzukurbeln, indem er von den Europäern höhere Ausgaben für die Verteidigung verlangt. Am liebsten wären im, sie würden amerikanische Flugzeuge und Raketen kaufen.»
«Ja Trump kommt mir vor wie ein Waffenhändler», erklärt Tim begeistert, «ähnlich wie die Frau Merkel alles für die Autoindustrie unternimmt. Jeder schaut zuerst für sich.»
«Das ist zweifellos so», gibt Anna zu bedenken, «sie haben noch nicht bemerkt, dass alles seine Zeit hat und man sich mit anderen Problemen auseinandersetzen muss.»
«Der Mensch hat sich immer wieder auf neue Situationen einstellen können, so gesehen, habe ich eigentlich keine Bedenken, es wird schon eine Lösung geben.»
«Die Sorgen der Jungend über das Klima, wären eine gute Alternative.»
«Genau», bestätigt Anna, «da liegt für den ganzen EU-Raum ein grosses Potential. Die Entwicklung und Verbesserung der erneuerbaren Energien könnte die Wirtschaft in grossen Stil ankurbeln. Firmen mit Produkten, die durch den Fortschritt überholt sind, müssten auf die neuen Technologien ausweichen und sich eine Nische erkämpfen. Auch Rüstungsbetriebe und die Autoindustrie müssen umsatteln.»
«Wurde auch endlich Zeit. Noch läuft die Produktion von Autos, doch längerfristig kann es nicht so weitergehen. Die Probleme mit dem Auto werden immer grösser. Unfälle, Smog und nervenaufreibendes Warten im Stau. So kann es wirklich nicht weiter gehen.»
«Das schon, doch wie soll man da Vollbeschäftigung erreichen?»
«Das weiss ich nicht, ich denke im Gesundheitswesen gibt es noch viel zu tun, die Bevölkerung wird immer älter.»
«Ja, nur bezahlen will die zusätzlichen Kosten keiner», wirft Anna ein.
«Das ist das gleiche mit der Umwelttechnologie, niemand will wirklich gross investieren, jeder hofft, dass der Staat subventionieren wird, doch wenn es darum geht, Steuern zu bezahlen, weichen alle aus. Die Reichen suchen mit teuren Anwälten Schlupflöcher und die weniger begüterten, wehren sich mit dem Stimmzettel, in dem sie Steuererhöhungen ablehnen. So kommt man einfach nicht weiter.»
«Ich denke da ähnlich», meint Anna, «der Staat muss die Richtung vorgeben.»
«Ich frage mich immer mehr, ob es überhaupt sinnvoll ist, dass die Wirtschaft wieder hochfährt. Können wir das unserer Umwelt antun? Jede gut florierende Firma produziert auch entsprechende Abfälle und Unmengen an Schadstoffen. Für die Erde ist der Handelskrieg zwischen USA und China ein Glücksfall, sie bekommt nochmals eine Schonfrist.»
«Jetzt schliesst du deutlich über das Ziel hinaus. Wir brauchen eine gute Wirtschaft, sonst steigen die Sozialkosten ins Unendliche.»
«Genau, immer geht alles über die Kosten», Anna ereifert sich, «doch wie berechnet man Lebensqualität, lässt sich die in Franken und Euros definieren? Natürlich kann man die Gesundheitskosten, die ja teilweise direkt mit der Umwelt zusammenhängen, als Gradmesser hinzu ziehen, doch die reagieren viel zu spät, man muss geeignete Massnahmen einleiten, bevor alle krank sind.»
«Und, was schlägst du jetzt deinem Professor vor?»
«Wenn ich das wüsste, dann wäre ich ruhiger. Vermutlich wird es auf einen Kompromiss herauslaufen. Investitionen von Staat in umweltverträgliche Infrastrukturen, wie das Eisenbahnnetz, umweltfreundlichere Autos und besser isolierte Gebäude. Dazu alternative Energiegewinnung wie Wind, Bio- und Solar- Energie. Mehr weiss ich auch nicht.»
«Das ist doch recht viel.»
«Schon, doch langfristig wird es nicht reichen, man muss sich von den alten Zöpfen befreien, noch immer will man veraltete Firmen retten, langfristig ist es aus meiner Sicht ein Fehler, man muss mit der Zeit gehen, alte Strukturen haben keine Überlebenschancen mehr. Dies Firmen brauchen neue Produkte mit neuen Technologien», stellt Anna fest.
In diesem Moment öffnet sich die Tür und Olivia kommt heim. Überrascht bemerkt sie den Besuch.
«Hallo ihr zwei, was streitet ihr euch den so emotional?»
«Ach nichts persönliches, es geht um Annas Bericht, da liegt viel Zündstoff drin.»
«Dann ist es ja gut, ich hatte schon befürchtet, ihr seid euch in die Haare geraten.»
«Nein, das war nur rein fachlich, zudem sind unsere Standpunkte gar nicht weit entfernt», erklärt Tim, «wie geht es dir? Du siehst recht fröhlich aus.»
«Ich habe eben eine kleine Überraschung erlebt.»
«Überraschung tönt gut», greift Anna den Faden auf.
«Leni konnte das durchgestrichene Wort entziffern», erklärt Olivia und macht es bewusst etwas spannend.
«Na, sag doch endlich, was haben sie gefunden?»
«Diamanten!»
Das Wort hing wie ein Zauber in der Luft. Die drei schauen sich gegenseitig an. Am meisten verwundert war Tim, mit dem hat er nun gar nicht gerechnet.
«Diamanten», wiederholt er langsam, «wie kommen Diamanten in diese Region, bis jetzt hat man dort keine Bodenschätze gefunden.»
«Es hatte auch niemand danach gesucht. Die Gegend ist so abgelegen, dass es keine Geologen dorthin verschlagen hat, das mussten schon Ethnologen für sie erledigen.»
«Du hast natürlich Recht, doch es gab wirklich keine Hinweise auf Edelsteine, schon gar nicht auf Diamanten.»
Dschungelberg
Als Olivia endlich ins Bett geht, kann sie nicht einschlafen. Das Schicksal der Männer im Boot beschäftigt sie immer noch. Aus den kurzen Sätzen im Tagebuch kann sie sich eine Geschichte zusammenreimen, ob sie stimmt, das weiss sie nicht.
Jürg und Knut bauten sich an der Mündung des Flüsschens eine kleine Hütte aus Blättern. Nachdem sie einige Wochen das Meer beobachtet hatten, ob sich ein Schiff näherte, sahen sie ein, dass sie abseits jeder Schifffahrtsroute gestrandet waren.
Als dann noch der Fluss austrocknete, beschlossen sie, das Innere der Insel zu erkunden. In den Wochen am Strand hatten sie viele Vorräte angelegt. Getrocknete Fische, Kokosnüsse und Fleisch von Tieren, die sie erlegen konnten. Danach flochten sie sich Körbe zum transportieren der Vorräte. Jürg war der geistige Führer, während Knut der Mann zum Anpacken war. So entstand ein gutes Team.
Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, gaben sie ihre Hütte auf und machten sich auf den Weg ins Landesinnere. Vielleicht war die andere Seite der Insel bewohnt. Zudem interessierte sie, wie gross die Insel eigentlich war.
Den ersten Tag folgten sie dem Flusslauf. Im ausgetrockneten Flussbett kamen sie gut voran. Gegen Abend fanden sie auch Wasserlöcher, in welchen sich kleine Mengen Trinkwasser übriggeblieben waren.
Als sie an einen ausgetrockneten Wasserfall kamen, mussten sie das Flussbett verlassen. Sie drangen in den dichten Dschungel ein. Immer auf der Hut, dass sie nicht von einem Tier oder Einheimischen überrascht wurden. Am meisten fürchteten sie die Affen. Sie mussten aufpassen, dass die ihnen nicht ihre Vorräte stahlen. Deshalb schliefen sie erst, als es bereits Dunkel war. Sobald es hell wurde, waren sie wieder auf den Beinen. Am Tag wichen ihnen die Affen aus, sie hatten anscheinend schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht und blieben auf Distanz. Jürg hatte allerdings immer das Gefühl, dass sie ihn beobachten und nur auf einen Fehler warten.
Eines Tages steht im Tagebuch, dass Knut vermutet, einen weissen Menschen erspäht zu haben. Allerdings nur kurz. Der Erspähte versteckte sich sofort wieder und verschwand. Jürg glaubt ihm nicht und meinte, dass er Gespenster sehe. Doch, was war, wenn noch einer vom Rettungsboot überlebt hatte und ebenfalls durch den Dschungel irrte? Doch, warum gab sich die Person nicht zu erkennen? War es Leutnant Sommer, der sich nicht getraute? Befürchten er, dass Jürg den Eintrag im Tagebuch gelesen hatte, in welchem er ihn als latenten Deserteur anschwärzte. Solche Notizen konnten einem in diesen Zeiten eine Reise an einen besonders gefährlichen Frontabschnitt einbringen und darauf konnte Jürg gut verzichten. Er versteckte das Tagebuch immer gut, damit es ja nicht in fremde Hände gelangt. Sogar Knut traute er in dieser Beziehung nicht, auch wenn sie sonst ein sehr gut harmonierendes Team waren.
Auch wenn Jürg nicht an den ominösen Mann glaubte, so waren sie doch wachsam. Allmählich stiegen sie immer höher den Berg hinauf. Weiter oben war der Wald weniger dicht. Sie kamen etwas schneller voran. Doch wie gross die Insel tatsächlich war, konnten sie noch nicht feststellen. Die Bäume waren so hoch, dass man nirgends über die Insel blicken konnte. Eines war inzwischen schon sicher, da sie bereits mehrere Tage bergauf gewandert waren, musste die Insel doch recht gross sein. Wenigstens fanden sie immer wieder Wasser und auch ein Wildschwein konnten sie erlegen, so hatten sie ausreichend zu essen.
Gelegentlich kamen sie auch in die Nähe von einheimischen Dörfern. Da sie genügend zu Essen hatten und nicht wussten, ob die Einheimischen freundlich waren, blieben sie vorsichtig. Die Siedlungen konnten sie schon früh am Geruch orten und umgingen sie in einem grossen Bogen. Da sie sehr vorsichtig waren, bemerkten sie auch einheimische Jäger rechtzeitig und gingen ihnen aus dem Weg. So kamen die zwei nur langsam voran, doch sie hatten es nicht eilig. Eigentlich ging es ihnen im Dschungel besser, als im Krieg. Denn eines war sicher, sollten sie von einem Soldaten, egal aus welchem Land, entdeckt werden, so hatten sie nur zwei Möglichkeiten, Gefangenschaft oder ab an die Front. Zu beiden Alternativen hatten die beiden keine Lust.
Es dauerte Wochen, bis sie einen Berggipfel erreichten, von welchem man einen Überblick über einen grossen Teil der Insel hatte. Wie sie schon vorher vermutet hatten, war die Insel sehr gross, es beruhigte sie, je grösser die Insel, umso besser konnte man sich verstecken.
In den folgenden Monaten zogen die zwei wie Nomaden über die Insel. Geschickt wichen sie den Siedlungen aus. Dank den relativ hohen Bergen gab es ausreichen frisches Wasser und dank dem riesigen Gebiet, welches sie beanspruchten, hatten die Früchte genügend Zeit, nachzuwachsen. Sie waren mit ihrem Leben zufrieden. Kein Krieg, nur die Suche nach Nahrung beherrschte ihren Tagesablauf.
Olivia fand das Leben, welches die beiden lebten, als erstrebenswert. Könnte man heute noch in eine verlassene Gegend ziehen und von dem Leben, das die Natur hergab? Wohl kaum, irgendjemand käme sicher auf die Idee, dass man die Steuern noch nicht bezahlt hat. Eigentlich schade.
Anscheinend wurde das ruhige beschauliche Leben der Beiden durch ein Ereignis gestört. Vermutlich hatten sie etwas gefunden, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Etwas, das so wichtig war, dass jemand die entsprechende Stelle im Tagebuch so dick übermalte, dass man nicht mehr entziffern konnte, was sie gefunden haben. Doch der Fund scheint ihr Leben verändert zu haben. Es war der letzte Eintrag im Tagebuch. So bleibt die weitere Geschichte der beiden Männer ein Rätsel.
Olivia war nach dem sie das Tagebuch zu Ende gelesen hat, enttäuscht. Haben die Männer das Kriegsende auf der Insel erlebt, oder habe sie nie erfahren, dass der Krieg zu Ende war? Leider wird sie es nie erfahren.
Nachdem sie sich stundenlang im Bett gewälzt hatte, war sie endlich in einen tiefen Schlaf gefallen. Tage später fand sie die Motivation und begann ihre Erlebnisse aus der Zeit im Dschungeldorf aufzuschreiben. Dabei halfen ihr die Erinnerungen, die sie letzte Nacht hatte, als ihre Gedanken die beiden Männer im Dschungel begleiteten. Das Leben im Dorf war einiges komplizierter. Auch wenn sich die Bewohner theoretisch nur um die Beschaffung von Nahrung kümmern mussten, war das Leben im Dorf stark von Regeln bestimmt.
Von Freiheit war wenig zu spüren. Vielleicht hatten die Dorfältesten, zu einem bestimmten Grad die Freiheit des Alters. Sie hatten immer Recht, keiner wagte es, ihnen zu widersprechen. Als frei würde Olivia jedoch auch die Dorfältesten nicht bezeichnen, sie standen immer unter Beobachtung. Auch wenn keiner widersprechen würde, die Alten mussten sich so benehmen, wie man es von ihnen erwartete, sonst wäre das ganze Dorf unglücklich.
Olivia erinnert sich, dass sie mit den Ritualen und Zwängen im Dorf Mühe hatte. Dabei war natürlich ihre Sonderstellung ausschlaggebend. Als Fremde passte sie nicht in die seit Jahrhunderten entwickelte Überlebensstrategie des Dorfes und ihren Bewohnern. Keiner im Dorf wusste, wie sie mit ihr umgehen müssen. War es für die Sippe gut, wenn sie ihre Geheimnisse weitergaben, oder war Vorsicht angebracht? Konnten die Erkenntnisse, die sie später aus dem Dschungel in die Zivilisation mitnahm, der Sippe schade?
Deshalb fasste sie spontan einen Entschluss, sie wird die Erlebnisse, die sie im Dorf erlebte für sich behalten. Die bereits geschriebenen Seiten löschte sie aus dem PC. Sie wird ihre wissenschaftliche Arbeit auf die Pflanzenwelt und die Ernährung der Dorfbewohner begrenzen. Wie wirken sich mangelhafte und einseitige Ernährung auf die Gesundheit aus?
Nach dem Frühstück schreibt sie an ihrer Semesterarbeit. Endlich hat sie den Einstieg gefunden. Sie weiss jetzt schon, dass ihre Arbeit nicht sehr spektakulär ausfallen wird. Wenn man bedenkt, wie gross die Kosten ihrer Reise waren, wird ihr Professor von einer Fehlinvestition sprechen. Sie selber möchte auf ihre Erfahrungen im Dorf nicht verzichten. Sie betrachtet ihr Lebensinhalt aus einer neuen Sicht.
Interessenkonflikt
Als Olivia den Briefkasten öffnet, findet sie eine Karte. Ein eingeschriebener Brief muss abholten werden. Wieso erhält sie einen eingeschrieben Brief? Sie erwartet nichts, was kann das sein?
Am nächsten Morgen holt sie den Brief ab. Mit erstaunen stellt sie fest, dass der Brief von einem Anwalt in Tallahassee stammt. Was hat sie mit einem Anwalt in Tallahassee zu tun? Ist es etwa der reiche Onkel aus Amerika, der verstorben ist? Sie weiss jedoch nichts von Verwandten in Amerika.
Sie wagt es nicht den Brief in der Post zu öffnen. Sie beeilt sich, um nach Hause zu kommen. Sie geht auf ihr Zimmer und schliesst ab, bevor sie weiss, um was es geht, will sie das Geheimnis nicht mit Anna teilen.
Endlich kann sie den Brief öffnen. Das Dokument ist sehr eindrucksvoll mit vielen Stempeln und Unterschriften. Der Anwalt teilt ihr mit, dass sie es zu unterlassen hat, nach Urs Sommer, Jürg Eicher und Knut Heglund zu suchen. Sie soll ihre Recherchen unverzüglich einstellen, sonst muss sie mit einer Klage rechnen.
Jetzt versteht sie überhaupt nichts mehr. Wieso will jemand verhindern, dass sie nach den drei Personen sucht? Das soll einer verstehen. Dabei hat sie auf ihre Anfrage noch keinerlei Hinweise erhalten. Warum droht der Anwalt? Sie hat nichts Verbotenes gemacht, das muss sie nun doch mit ihrer Freundin besprechen.
Als Olivia Anna den Brief zeigt, ist auch sie erstaunt. Das ist doch nicht normal, weshalb droht der Anwalt mit einer Klage? Aus ihrer Sicht hat sie nichts Unrechtmässiges gemacht. Das sieht der Anwalt offensichtlich anders. Steckt hinter dem Schicksal der drei Männer mehr, als sie bisher angenommen hat?
«Was willst du jetzt machen?», fragt Tim, der später noch zu Besuch kommt.
«Keine Ahnung, vermutlich muss ich meine Anfrage zurückziehen, für mich ist es ja nicht so wichtig», entgegnet Olivia.
«Sicher ist es vernünftig, sich da herauszuhalten», bestätigt Tim, «andrerseits würde es mich schon interessieren, was dahinter steckt. Der Anwalt hat mich erst recht neugierig gemacht».
«Mich auch», bestätigt Olivia, «doch ich habe Angst, uns geht die Sache doch wirklich nichts an.»
«Nun», philosophiert Tim, «was ist, wenn es etwas mit den Diamanten zu tun hat, immerhin ist dies der letzte Eintrag im Tagebuch.»
«Schon, nur wie willst du nach so langer Zeit herausfinden, was damals geschah?», meint Anna, «wurde jemand ermordet? Hat man ihn beraubt? Irgendetwas ist doch faul, sonst würden der Anwalt nicht so reagieren.»
«Nun, als Erstes werde ich einem Freund in Amerika den Brief schicken! Kannst du den Brief einscannen?»
«Natürlich ich bin gut eingerichtet, was glaubst du?», bestätigt Olivia, «das mit dem Freund in Amerika finde ich allerdings nicht gut, du weisst, wir müssen uns raushalten.»
«Mein Freund Dean wird sich sicher nicht so dämlich anstellen», meint Tim.
«Was meinst du mit dämlich! Hast du etwas gegen Frauen?»
«Entschuldigung, das war nur eine Redensart, legt doch nicht alles auf die Goldwaage.»
«Das war nicht sehr feinfühlig», meint auch Anna, «so seid ihr Männer, voll von Klischees, - zur Sache, ich denke auch, dass das Einschalten von Dean zu vertreten ist.»
«Gut, mir ist es nicht wohl bei der Sache», willigt Olivia ein, «doch wenn was schief läuft, lasst ihr mich nicht im Stich, versprochen!»
«Natürlich nicht, so einfach können sie dir keinen Prozess anhängen, oder hast du nächstens vor, nach Amerika zu reisen?»
«Nein, ich habe im Moment genug vom Reisen.»
Damit war man sich einig. Tim scannte den Brief ein und schrieb das Mail an seinen Freund Dean Richards in Florida. Er ist Rechtsanwalt und ist mit dem amerikanischen Rechtssystem vertraut. Tim kennt ihn von einer Studienreise vor fünf Jahren. Dean wollte damals noch Ökologie studieren, da ihm die Anwaltskanzlei zum Halse heraus hing, deshalb beteiligte er sich an einem Trip zum Mount Sankt Hellen.
«Hoffentlich stellt er keine Honorarforderung», meint Olivia, die über die Stundensätze von amerikanischen Anwälten schon schlimmes gehört hat.
«So, das Mail ist unterwegs», meint Tim, nachdem er das Iken senden gedrückt hat, «jetzt gibt es kein Zurück mehr.»
Damit war das Thema Brief erledigt. Die drei wenden sich wieder ihren Alltagsproblemen zu. Die Ablenkung hatte allen gut getan. Nun können sie sich wieder an ihre Arbeit machen. Während Olivia noch mit grosse Motivationsproblemen kämpft, hat Anna bereits hunderte von Varianten entwickelt, am Ende scheitert alles an der Frage, wer soll es bezahlen. Auch Tim dreht sich im Kreis, das Einlagern von CO2 ist nicht so einfach. Das Zeug dringt durch alle Gesteine hindurch.
Vor dem Einschlafen liest Olivia nochmals die Stelle im Tagebuch: «wir haben heute “durchgestrichen“ gefunden.»
Ursprünglich hat es also geheissen, «wir haben heute Diamanten gefunden!»
Was lassen sich daraus für Erkenntnisse herleiten? Als Erstes ist deutlich, dass es sich um mehrere Diamanten handelte, denn der Schreiber verwendet die Mehrzahl. Als nächstes geht daraus hervor, dass der Fund beiden Männern bekannt war. “Wir“ bedeutet, dass sie die Diamanten gemeinsam entdeckt hatten. Rätselhaft bleibt, warum danach das Tagebuch nicht weiter geschrieben wurde. Platz wäre noch vorhanden gewesen, vielleicht ist die Tinte ausgegangen, doch das merkt man vorher und hätte es entsprechend vermerkt.
Interessant wäre zu wissen, ob Diamanten sofort, oder erst später, eventuell durch eine andere Person durchgestrichen wurde.
Leider bringen Olivia diese Überlegungen nicht weiter. Sie legt das Tagebuch weg. Sie muss es vergessen.
Vor dem Einschlafen stellt sie sich vor, was die Männer erlebt hatten. Am Fusse der Felswand hatten sie sich eine Hütte gebaut. So waren sie vor dem Regen geschützt. Ihre Vorräte konnten sie so vor Tieren schützen. Die Hütte war nicht besonders gemütlich. Sicher waren die Männer mehr draussen unterwegs. Erstens um Nahrungsmittel zu beschaffen und zweitens suchten sie nach einem Ausweg, die Insel zu verlassen. Doch da beginnen die ersten Rätsel. Warum baut jemand die Hütte am Fuss einer Felswand, wenn sie die Insel verlassen wollen? Haben sie in der Nähe der Hütte die Diamanten gefunden und sie deshalb an dieser Stelle gebaut? Stand die Hütte dort, weil sie eine strategisch günstige Stelle war, die man immer wieder finden konnte. Auch das wäre möglich, die Felswand ist sehr markant und man konnte sie aus grosser Entfernung sehen.
Wie lange haben die beiden Männer in der Hütte gelebt? Im Tagebuch wird sie nicht erwähnt. Sie versucht sich zu erinnern, wie die Hütte innen ausgesehen hatte. Es gab zwei Schlafstellen, also haben Jürg und Knut gemeinsam dort geschlafen. Die Männer haben noch zusammen hier gewohnt. Doch wo sind sie geblieben? Es gab keine Leiche in der Hütte. Zu dumm, dass sie die Umgebung der Hütte nicht besser abgesucht hatte, vielleicht hätte es in der Umgebung ein Grab gegeben. Das war nun zu spät.
Wie haben die Männer den Fund der Diamanten verkraftet. Diamanten sind schön und wertvoll, doch im Dschungel haben sie keinen Wert. Eine Wasserquelle oder ein Baum mit nahrhaften reifen Früchten, wären wertvoller gewesen. Die Diamanten wurden erst dann wertvoll, wenn sie damit die Zivilisation erreichten. Da das Tagebuch im Dschungel blieb, gibt es darüber nicht den geringsten Anhaltspunkt. Wann verliessen sie die Insel? Waren sie noch zusammen, oder haben sie sich getrennt. Natürlich darf sie auch den Leutnant Sommer nicht ausser Acht lassen. Hat er die beiden aufgespürt und sie beobachtet? War er die Person die sie einmal kurz gesehen hatten? Wie reagierte dieser, als er von den Diamanten erfuhr. Schon viele Menschen wurden für Diamanten umgebracht.