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Während die Existenz eines alexandrinischen und Koine-Textes als gesichert gelten kann, ist in der Forschung umstritten, ob es den westlichen Text und den Cäsareatext wirklich gegeben hat17.
3.4 Der gegenwärtige Stand der Textkritik
3.4.1 NESTLE-ALAND, Novum Testamentum Graece27.28 (Ausgaben 2001/2012) 18
Lektüre
NESTLE-ALAND27 S. 1*–43* oder NESTLE-ALAND28 S. 1*–45*
Stand bisher die Erforschung der Abhängigkeitsverhältnisse einzelner Handschriften, die Zusammenfassung von Handschriften zu Texttypen und die Erhellung der Textgeschichte im Mittelpunkt neutestamentlicher Textkritik, so bringt Nestle-Aland26.27 (1979/1993) einen Neuansatz: Die bisherigen Gruppensigla für den hesychianischen Text





Neben der reichen Handschriftenbezeugung, die dem Sachkenner ein eigenes Urteil erlaubt, sind seit Nestle-Aland26 besonders die Textgestaltung und die Beigaben am äußeren und inneren Rand erwähnenswert. Direkte Zitate aus dem Alten Testament sind durch Kursivdruck hervorgehoben, und die für den Leser sehr informativen Beleg- und Verweisstellen am äußeren Rand wurden völlig überarbeitet. Die von Aland vorgenommene Strukturierung hymnischer Überlieferungseinheiten ist hilfreich, wenn auch die Abgrenzungen im Einzelnen nicht immer überzeugen.
Nestle-Aland28 (2012) stellt gegenüber der 27. Auflage wiederum eine Weiterentwicklung dar21. Die Änderungen beziehen sich vor allem auf zwei Bereiche: 1) Eine grundlegende Revision und Korrektur des kritischen Apparats. So wurde die Unterscheidung von ständigen Zeugen erster und zweiter Ordnung aufgegeben. Es werden grundsätzlich alle wesentlichen Varianten als pro et contra zitiert, die für die Konstitution eines Textes wichtig sind (= ‚positiver Apparat’). Im sogenannten ‚negativen Apparat’ werden demgegenüber nur textgeschichtliche oder texterschließende Varianten contra textum angeführt. Konjekturen werden im Apparat nicht mehr zitiert; sie sollen in einem gesonderten Verzeichnis zugänglich gemacht werden. Diese Entscheidung ist zu bedauern, denn alle in den früheren Ausgaben aufgenommenen Konjekturen waren diskussionswürdig. Bei den Abkürzungen wurde auf die ungenauen und oft irreführenden pauci (pc) und alii (al) verzichtet. Drucktechnisch klarer als bisher erfolgen die Abtrennungen innerhalb der Varianten zu einem Vers (| = trennt die Varianten zu verschiedenen Stellen des Textes innerhalb eines Verses; ¦ = trennt die Varianten zu derselben Stelle eines Textes). Gründlich durchgesehen wurde der Verweisstellenapparat am äußeren Rand. 2) Die bisherigen Ergebnisse der Editio Critica Maior wurden für die katholischen Briefe übernommen, d. h. hier erfolgten Textänderungen gegenüber der 27. Auflage (Listen auf S. 6*).
Insgesamt weist bei Nestle-Aland28 der Apparat eine klarere Struktur auf, was zu begrüßen ist. Gleichzeitig setzt sich eine Tendenz zur Spezialisierung fort, die mit dem Verzicht auf Texttypen in der 26. Auflage einsetzte. Stellt die umfangreiche pro et contra-Bezeugung für den Kenner neutestamentlicher Handschriften eine willkommene Arbeitsgrundlage dar, so muss sie doch auf die Studierenden, die über die Textkritik einen Zugang zum Novum Testamentum Graece gewinnen sollen, eher verwirrend wirken. Gaben ihnen früher die – zweifellos umstrittenen – Texttypen Hilfestellung bei textkritischen Entscheidungen, so sind heute umfangreiche Handschriftenkenntnisse notwendig, um die pro et contra-Bezeugung wirklich beurteilen zu können.
3.4.2 Huck-Greeven, Synopse der drei ersten Evangelien
Lektüre
HUCK-GREEVEN S. V–XXXVII
Wie unter 2.1.2 bereits erwähnt, hat H. Greeven die 13. Auflage der Synopse von A. Huck völlig neu bearbeitet und eine eigene Rezension des Evangelientextes vorgenommen. Der von ihm erstellte Text unterscheidet sich von Nestle-Aland26–28 durchschnittlich 9mal pro Kapitel, so dass nun zumindest für die synoptischen Evangelien ein kritischer Vergleich möglich ist. Die handschriftliche Bezeugung ist bei Huck-Greeven nicht ganz so umfangreich wie bei Nestle-Aland26–28, aber es sind alle wichtigen Textzeugen berücksichtigt worden. In einem größeren Umfang als Aland benutzt Greeven Summensigel, die auch bei ihm nicht einen Texttyp bezeichnen, sondern eine Vielzahl an Einzelangaben zusammenfassen. Dennoch setzt Greeven bei seiner Abgrenzung der Gruppen die Ergebnisse der textkritischen Stemmaforschung voraus. An dem neu erstellten kritischen Apparat von Huck-Greeven ist positiv hervorzuheben, dass alle Varianten angeführt sind, die von anderen Textkritikern als Urtext angesehen werden, und dass die bei den synoptischen Evangelien zu beobachtende Harmonisierungstendenz (besonders auf Mt hin) kritisch berücksichtigt wurde. Andererseits machen es die von Nestle-Aland26–28 gänzlich abweichenden textkritischen Zeichen dem Studierenden schwer, sich in die Synopse einzuarbeiten.
3.5 Textkritische Grundkenntnisse
3.5.1 Die Bezeichnung der neutestamentlichen Textzeugen
Eine systematische Erfassung und Bezeichnung der neutestamentlichen Textzeugen führte als erster 1751/52 JOHANN JAKOB WETTSTEIN durch. Er unterschied Majuskeln (Bezeichnung mit großen Buchstaben: A = Codex Alexandrinus, B = Codex Vaticanus), Minuskeln (Zählung mit arabischen Ziffern) und Lektionare (Zählung wie bei den Minuskeln). Das bis heute gültige System der Zählung und Bezeichnung neutestamentlicher Handschriften führte 1908 der Tischendorf-Schüler C. R. GREGORY ein. Danach werden Papyri durch ein vorgesetztes P gekennzeichnet, Majuskeln durch eine vorgesetzte 0, Minuskeln und Lektionare werden durchgezählt, wobei ein l vor die Ziffer der Lektionare gesetzt wird.
3.5.2 Die Gliederung der neutestamentlichen Textzeugen
Die neutestamentlichen Handschriften können nach ihrem Inhalt, ihrer Schriftform oder ihrem Beschreibstoff gegliedert werden. Am gebräuchlichsten ist eine kombinierte Untergliederung in Papyri, Majuskeln, Minuskeln und Lektionare, wobei beachtet werden muss, dass sowohl Papyri als auch Pergamenthandschriften Majuskeln sind und sich unter den Lektionaren auch Papyri befinden.
Die ältesten neutestamentlichen Handschriften sind Papyri. Der Papyrus ist eine vornehmlich im Nildelta wachsende Sumpfpflanze, die schon seit dem 3. Jahrtausend v.Chr. als Schriftträger verwendet wurde. Die Papyri (Stand 2012: 127 Papyri) sind für die neutestamentliche Textkritik nicht nur wegen ihres hohen Alters, sondern vor allem aufgrund ihrer guten Textqualität von großer Bedeutung. Besonders wertvoll und wichtig sind die Chester-Beatty-Papyri P45 P46 P47 und die Bodmer Papyri P66 P72 P74 P75. Eine der ältesten neutestamentlichen Handschriften P52 enthält Joh 18,31–33.37–38 und ist in das 2. Jh. zu datieren.
Bereits auf Pergament geschrieben sind die großen Bibelhandschriften des 4. und 5. Jh. (Majuskeln). Das aus den Häuten von Kleinoder Jungtieren (Ziege, Schaf, Esel) bestehende Pergament (gr. περγαμηνή) hat seinen Namen von König Eumenes von Pergamon, der 197–159 v.Chr. regierte und für seine Bibliothek dieses neue Schreibmaterial entwickelt haben soll. Das sehr beständige Pergament trat schon im 2. Jh. v.Chr. in Konkurrenz zum Papyrus und hielt sich als Schreibmaterial bis ins Mittelalter.
Die Majuskeln bestimmten die Textkritik bis weit ins 20. Jh. Von den bis heute verzeichneten 303 Majuskeln sind fünf besonders wichtig:
1.

Dieser im Katharinenkloster am Sinai von C. v. Tischendorf entdeckte Kodex (1854 und 1859) enthält das gesamte Neue Testament und große Teile des Alten Testaments. Er wurde im 4. Jh. auf Pergament (Antilope) geschrieben und später teilweise mit Änderungen und Korrekturen versehen. Der Sinaiticus gehört im Wesentlichen zum alexandrinischen Texttyp und ist eine der wichtigsten neutestamentlichen Majuskeln, obwohl Tischendorf seine Bedeutung überschätzt hat.
Faksimileausgabe: D. Parker, Codex Sinaiticus: Facsimile Edition, Peabody 2011.
2. A 02 Codex Alexandrinus
Aus dem 5. Jh. stammt dieser Kodex, der das Alte Testament und den größten Teil des Neuen Testaments (es fehlen Mt 1,1–25,6; Joh 6,50–8,52; 2Kor 4,13–12,6) enthält. Die Handschrift ist seit dem 11. Jh. in der Bibliothek des Patriarchen von Aleaxandria nachweisbar und wurde 1627 dem englischen König geschenkt. Der Wert des Textes schwankt; ist er für die Evangelien gering zu bewerten, so ist für die Apk der Codex Alexandrinus die wichtigste Handschrift.
Faksimileausgabe: F. G. Kenyon, The Codex Alexandrinus, London 1909.
3. B 03 Codex Vaticanus
Die älteste erhaltene Pergamenthandschrift wurde um 350 n.Chr. geschrieben und ist seit 1475 in der Bibliothek des Vatikans nachgewiesen. Sie enthält fast das gesamte Alte Testament und das Neue Testament bis Hebr. 9, 14a (es fehlen die Pastoralbriefe, Phlm, Apk). Der Codex Vaticanus ist die bedeutendste Majuskel, vor allem wegen der Verwandtschaft mit P75, die nahezulegen scheint, dass es im 4. Jh. keine durchgehenden Rezensionen des neutestamentlichen Textes gab, wie man bisher annahm.
Faksimileausgabe: Novum Testamentum e Codice Vaticano Graeco 1209 (Codex B), tertia vice phototypice expressum: Codices e Vaticanis Selecti etc. Vol. XXX, 1968.
4. C 04 Codex Ephraemi (rescriptus)
Diese im 5. Jh. entstandene neutestamentliche Handschrift wurde im 12. Jahrhundert abgeschabt und mit dem Text von Abhandlungen des Kirchenvaters Ephraem erneut beschrieben (= Palimpsest). Mit Hilfe chemischer Substanzen konnte der frühere Text durch Tischendorf wiedergewonnen werden. Der Kodex umfasst geringe Teile des Alten Testaments, aber mehr als die Hälfte des Neuen Testaments; nur vom 2Thess und 2Joh ist nichts erhalten.
Faksimilierter Typendruck durch C. v. Tischendorf, 1843.
5. D 05 Codex Bezae Cantabrigiensis
Dieser zweisprachige Kodex (griechischer Text links) wurde 1581 vom Nachfolger Calvins THEODOR BEZA (1519–1605) der Universität Cambridge geschenkt. Er enthält den größten Teil der Evangelien, die Apostelgeschichte und ein Bruchstück des 3Joh. Datiert wird die Handschrift ins 5. oder 6. Jahrhundert, ihr Entstehungsort ist umstritten (Südgallien oder Nordafrika). Wo D 05 mit der alten Überlieferung geht, ist er ein wichtiger Zeuge, abweichende Lesarten bedürfen einer genauen Prüfung.
Faksimileausgabe: Codex Bezae Cantabrigiensis quattuor Evangelia et Actus Apostolorum complectens Graece et Latine, 1899.
Die Masse der neutestamentlichen Handschriften sind Minuskeln, deren älteste datierbare (461) im 9. Jh. entstand (vgl. Nestle-Aland27, S. 703–711/Nestle-Aland28, S. 810–814). Die Minuskeln sind für die neutestamentliche Textkritik noch nicht voll ausgewertet; wegen ihrer teilweise hohen Textqualität gewinnen sie zunehmend an Bedeutung. Textkritisch bedeutsam sind die nach K. LAKE benannte Minuskelfamilie f1 und die nach W. H. FERRAR22 bezeichnete Familie f13.
Eine eigene Gattung biblischer Handschriften stellen die Lektionare dar. Sie enthalten den biblischen Text aufgegliedert nach gottesdienstlichen Bedürfnissen und bieten vornehmlich den Koinetext23.
3.5.3 Die alten Übersetzungen
Um 180 n.Chr. erfolgten die ersten Übersetzungen des neutestamentlichen Textes ins Lateinische, Syrische und Koptische.
1. Die lateinischen Übersetzungen
Die altlateinischen Übersetzungen des Neuen Testaments (Vetus Latina oder Itala) repräsentieren ein weites Spektrum sehr unterschiedlicher Handschriften (vgl. das Verzeichnis bei Nestle-Aland27, S. 714–718/Nestle-Aland28, S. 815–819). Die ältesten Handschriften stammen zwar erst aus dem 4./5. Jh., lassen aber teilweise deutliche Vorformen erkennen. Exakt nachweisbar ist die Benutzung lateinischer Handschriften beim Kirchenvater Cyprian um 250. So ist zu vermuten, dass zuerst in Nordafrika gegen Ende des 2. Jh. ein lateinisches Neues Testament existierte.
Die seit dem 7. Jh. in der abendländischen Kirche allgemein verbreitete (= vulgata) Form des lateinischen Textes heißt Vulgata. Sie erlangte im 16. Jh. in der katholischen Kirche amtliche Gültigkeit. Zumeist gilt die Vulgata als Werk des Hieronymus (340/350–420), was allerdings nur für das Alte Testament und die Evangelien zutrifft (Abschluss der Revision im Jahr 383).
2. Die syrischen Übersetzungen
Am Anfang der Übersetzungen des Neuen Testaments ins Syrische steht die zu Beginn des letzten Drittels des 2. Jh. verfasste Evangelienharmonie des Apologeten Tatian, genannt Diatessaron (διὰ τεσσάρων = durch die vier Evangelien). Umstritten ist, ob das Diatessaron ursprünglich auf Griechisch oder auf Syrisch abgefasst wurde, da lediglich aus der Benutzung und Kommentierung des Diatessarons durch Ephraem Syrus (ca. 306–373) Rückschlüsse möglich sind.
Die ältesten syrischen Übersetzungen des Neuen Testaments (Vetus Syra) liegen in zwei Handschriften vor, dem Cureton-Syrer (syc) und dem Sinai-Syrer (sys), wobei allerdings jeweils nur die Evangelien erhalten sind. Da beide Handschriften aus dem 5. Jh. stammen, dürften die Vorlagen im 4. Jh. entstanden sein.
In der Mitte des 5. Jh. entstand die Peschitta (= die ‚Einfache‘), eine syrische Übersetzung des Neuen Testaments, die eine weite Verbreitung fand. Nicht mehr erhalten ist die im Jahr 507/508 geschriebene syrische Übersetzung des Neuen Testaments im Auftrag des Bischofs Philoxenus von Mabbug, die Philoxeniana. Im Jahr 616 unterzog der Mönch Thomas von Harkel die Philoxeniana einer gründlichen Neubearbeitung und schuf eine durch besondere Anlehnung ans Griechische gekennzeichnete syrische Übersetzung, die Harklensis.
3. Die koptischen Übersetzungen
Die ägyptische Kirche war zunächst eine griechisch sprechende Kirche. Im 3. Jh. erforderte die Missionstätigkeit eine umfangreiche Übersetzung des Neuen Testaments ins Koptische. ‚Koptisch‘ ist ein Sammelbegriff für ägyptische Dialekte (Achmimisch, Subachmimisch, Bohairisch, Mittelägyptisch, Mittelägyptisch-Faijumisch, Protobohairisch, Sahidisch), die erst in christlicher Zeit Schriftform erlangten. Die ältesten koptischen Handschriften sind ins 4. Jh. zu datieren, das gesamte Neue Testament wurde nur ins Sahidische und Bohairische übersetzt.
Erfolgten die Übersetzungen ins Lateinische, Syrische und Koptische direkt aus dem Griechischen, so trifft dies für andere Übersetzungen nicht zu (Armenisch, Georgisch, Äthiopisch), so dass der textkritische Wert dieser Übersetzungen gering ist.
3.5.4 Fehlerquellen der neutestamentlichen Textüberlieferung
Für die richtige Bewertung von Lesarten ist es wichtig, die möglichen Fehlerquellen der Textüberlieferung zu kennen.
1. Lese-, Schreib- und Hörfehler
– Verwechslung ähnlich aussehender Buchstaben (vgl. Röm 12,11: κυρίῳ – καιρῷ)
– Verwechslung ähnlich klingender Buchstaben beim Diktat (vgl. Röm 5,1: ἔχομεν – ἔχωμεν)
– Itazismus: In der Koine wurden die Vokale η, ι und υ, die Diphthonge ει, οι und υι sowie ῃ häufig als langes ι gesprochen, so dass es insbesondere bei den Personalpronomina (ἡμεῖς / ὑμεῖς; ἡ;μᾶς / ύμᾶς) zu Verwechslungen kam.
– Haplographie: Einfachschreibung von zwei gleichen oder ähnlichen Buchstaben, Buchstabengruppen oder Wörtern, die unmittelbar aufeinander folgen.
– Dittographie: versehentliche Doppelschreibung eines Buchstabens, Wortes oder einer Wortgruppe (Im Codex Vaticanus steht der Schrei der Volksmenge in Apg 19,34 μεγάλη ἡ ’Άρτεμις Έφεσίων zweimal).
– Ausfall durch Homoioteleuton (»gleiches Ende«) oder Homoioarkton (»gleicher Anfang«): Abirren des Blickes durch graphisch ähnliche bzw. mit dem gleichen Buchstaben endende oder beginnende Wörter (Im Codex Sinaiticus fehlt Lk 10,32, weil dieser Vers mit dem gleichen Verbum endet, wie der vorausgehende V.31: ἀντιπαρῆλθεν).
– Fehlerhafte Wortverbindung oder Worttrennung (vor allem wegen der scriptio continua).
– Missverstandene Abkürzungen.
– Einfügen von sekundären Randnotizen (Marginalien) in den Text.
2. Absichtliche Änderungen
– Änderungen in der Orthographie und Grammatik (Änderung des Nominativ nach ἀπό in Apk 1,4).
– Ersetzen altertümlicher oder ungewöhnlicher Wörter.
– Harmonisierung und Angleichung an Parallelstellen (bei den Synoptikern besonders an das Matthäusevangelium; vgl. die Zusätze am Ende des Vaterunsers in Lk 11,4).
– Berichtigung historischer und geographischer Unstimmigkeiten (vgl. Mk 1,2: Ersetzung der teilweise falschen Angabe τῷ Ήσαΐᾳ τῷ προφήτῃ durch τοῖς προφήταις).
– Anfügung von erklärenden und ergänzenden Erweiterungen (= Glossen). So ist z. B. Röm 7,25b als zusammenfassende Folgerung aus 7,1–23 und aufgrund seiner schwierigen Stellung im unmittelbaren Kontext als Glosse anzusehen.
– Änderung aus dogmatischen Erwägungen. So wurde in Joh 7,8 das οὐκ in οὔπω verwandelt, da Jesus in Joh 7,10 doch zum Fest nach Jerusalem hinaufgeht. In Lk 1,3 ergänzen einige altlateinische Handschriften ‚et spiritui sancto‘ zu κἀμοί, um so die ausdrückliche göttliche Billigung der Evangelienabfassung hervorzuheben.
3.5.5 Termini technici der Textkritik
Bilingue=zweisprachige HandschriftGlosse=Interpolation – sekundärer EinschubKodex=Handschrift in BuchformKonjektur=Änderung der modernen Herausgeber trotz einheitlicher Überlieferung bzw. ohne direkten Anhalt an der ÜberlieferungMajuskel=Unziale – mit großen (griech.) Buchstaben geschriebene HandschriftMinuskel=mit kleinen (griech.) Buchstaben geschriebene HandschriftPalimpsest=Pergament-Handschrift, deren Beschriftung getilgt und die dann neu beschrieben wurde (z.B. Cod. Ephraemi)Polyglotte=mehrsprachige BibelausgabeRevision=Überprüfung eines Textes anhand anderer HandschriftenVariante=,varia lectio‘ (vl) – abweichende Lesart3.6 Der Vollzug der Textkritik
Die Textkritik vollzieht sich in einem analytischen und einem interpretativen Schritt:
a) Die Feststellung der äußeren Bezeugung der einzelnen Lesarten (analytischer Schritt)
Dazu müssen zuerst die textkritischen Angaben des Apparates dechiffriert werden. Es gilt festzustellen, welche Handschriften welche Lesart bezeugen und wie diese Bezeugung qualitativ (Alter und Güte der Handschrift) und quantitativ (Umfang der Bezeugung) zu beurteilen ist. Grundsätzlich gilt die Regel: Die bestbezeugte Lesart ist die ursprünglichere.
Um den analytischen Schritt sachgemäß durchführen zu können, sind gute Kenntnisse vom Wert einzelner Handschriften notwendig. Erfahrungsgemäß haben die Studierenden hier Schwierigkeiten, weil sie oft nicht wissen, wo sie sich diese Kenntnisse aneignen können. Über das unter 3.5.2. Gesagte hinaus ist deshalb folgende Lektüre zum äußeren Wert einzelner Handschriften unerlässlich: K. u. B. ALAND, Der Text des Neuen Testaments, 167–171. 342–348; B. M. METZGER, Der Text des Neuen Testaments, 36–66 und A. WIKENHAUSER – J. SCHMID, Einleitung, 79–161.
b) Die Diskussion der inneren Wahrscheinlichkeit einer Lesart (interpretativer Schritt)
Bei diesem Schritt geht es um die Frage, welche Lesart aufgrund innerer Kriterien die ursprünglichere ist. Es muss dabei geklärt werden, wie sich die einzelnen Lesarten in ihrer Entstehung zueinander verhalten, welche sachlichen Gründe für die eine oder andere Lesart sprechen und wie die divergierenden Textfassungen aus der als ursprünglich postulierten Lesart entstehen konnten. Als Grundsatz hat dabei zu gelten, dass die Lesart die ursprünglichere ist, die die Entstehung der anderen Lesarten am besten erklärt.
Für diesen Schritt der Textkritik gibt es zwei bewährte Regeln:
1. Diejenige Lesart ist die ältere, von der sich die übrigen ableiten lassen.
Es ist dann die Lesart aufzuspüren, die den höheren Schwierigkeitsgrad bietet, denn es ist wahrscheinlicher, dass eine schwierige Lesart geglättet und verständlicher gemacht wurde als umgekehrt. Es gilt also die Regel: lectio difficilior probabilior (vgl. J. A. Bengel: ‚Proclivi scriptioni praestat ardua‘). Diese Regel ist natürlich nicht anwendbar, wenn eine Lesart völlig unsinnig ist.
2. Diejenige Lesart ist gewichtiger, die kürzer ist als die anderen; denn es besteht beim Abschreiben eher die Tendenz, eine Textstelle mit Ergänzungen zu versehen als sie zu kürzen. Es gilt also die Regel: lectio brevior potior. Auch hier gibt es Ausnahmen; denn es kommt vor, dass versehentlich Wörter ausgelassen werden.
Die Diskussion der inneren Wahrscheinlichkeit von Lesarten setzt oft ein hohes Maß an exegetischer und theologiegeschichtlicher Kenntnis voraus. Sprachgebrauch und theologische Tendenz des Autors wollen bedacht sein, und häufig muss die theologische Diskussion einer bestimmten Epoche der Kirchengeschichte bekannt sein, um Glättungen und Ergänzungen als solche erkennen zu können.
3.7 Übung
Textkritische Analyse von Mk 7,24 (nach Nestle-Aland28)
1. Variante
Äußere Bezeugung: ’Eκεῖθεν δέ ἀναστάς lesen die Majuskeln

Kommt den zuletzt genannten Lesarten schon wegen ihrer geringen äußeren Bezeugung nicht als ursprünglicher Text in Frage, so sind die beiden anderen Lesarten von der äußeren Bezeugung her etwa gleichwertig. Für die textkritische Entscheidung müssen somit innere Kriterien hinzugezogen werden.
Innere Bezeugung: Das καί der zweiten Lesart anstelle des bei Mk seltenen δέ könnte man als Paralleleinfluss von Mt 15,21 erklären. Wahrscheinlicher ist aber ein Einfluss von Mk 10,1, wo der Versanfang lautet: καὶ ἐκεῖθεν ἀναστάς. Dies ist um so wahrscheinlicher, als Mk 10,1 über den Anfang des Verses hinaus Parallelen zu 7,24 bietet.






