Das Geheimnis der Fischerin vom Bodensee

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»Aber warum denn?«, will Max wissen.
»Tun Sie, was ich Ihnen sage«, knurrt der Polizist unfreundlich, »und machen Sie keinen Unsinn, Sie kämen heute Nacht nicht weit.«
Der Polizist setzt seinen Streifenwagen nach hinten, aber auf Max’ Straßenseite, sodass seine Motorhaube genau vor dessen Motorhaube steht, als befürchtete er, Max könnte doch noch weiterfahren.
Aber der steigt aus, schaut schnell zu dem Wagen hinter ihm: KN -AK 475, die Autonummer will er sich merken.
Dessen Fahrer setzt brav seinen Blinker links und gibt einfach Gas. Frech fährt der Sekel an Max vorbei. Dieser versucht, noch schnell einen Blick in die Fahrgastzelle zu erhaschen. Doch außer zwei bärtigen, dunkelhaarigen Männern im Fond und einem Blondschopf auf der Rückbank, der ihm jetzt auch noch keck zuwinkt, kann er kein Gesicht deutlich erkennen.
»Sind das Bekannte von Ihnen?«, fragt der Polizist, der schon neben ihm steht.
Max überlegt kurz, ob er seinen Verdacht äußern soll, winkt dann aber ab: »Was wollen Sie von mir?«
»Ihre Papiere!«
Martin Ellegast blickt grimmig, er sagt kein Wort. In seinem erzürnten Gesicht spiegeln sich die Flammen, die noch immer aus seinem fischverarbeitenden Betrieb züngeln. Fünf Wehren aus allen umliegenden Gemeinden hat die Feuerwehr Meersburg zusammengerufen. Fast 100 Männer und Frauen sind im Einsatz.
»Es ist das verdammte Öl«, sagt der Feuerwehrkommandant zu Ellegast, »es müssen Hunderte von Litern sein, die solche Flammen schlagen und die starke Hitze entwickeln.«
»Das ist nur Altöl aus der Fritteuse«, gibt sich Ellegast nach außen cool, »aber wer hat den Brand gelegt? Das ist die Frage.«
»Warum?«, staunt der Feuerwehrkommandant. »Wer hat denn von Brandstiftung gesprochen? Wie es aussieht, hat sich das Feuer in einer der Fritteusen entwickelt, da ist der Brandherd.«
»Was wissen denn Sie«, winkt Ellegast verärgert ab. Trotz der tiefen Nachtzeit steht Ellegast gut gekleidet, in Anzug und Krawatte, neben dem uniformierten Feuerwehrkommandanten. Seine Elvistolle hängt im lässig in sein schmales Gesicht. Seine Stirn liegt leicht in Falten. Seine Augen sind hellwach. »Wir brauchen einen Brandexperten, der die genaue Brandursache ermittelt. Haben Sie solch einen Fachmann? Sonst besorge ich ihn!«
»Die Kripo muss gleich hier sein«, weicht der Feuerwehrmann den versteckten Vorwürfen aus, »machen Sie sich keine Sorgen, bei der Schadenshöhe wird die Polizei Fachleute der Landesdirektion hinzuziehen.«
»Pah!«, blafft Ellegast. »Halten Sie den Ball flach, der Schaden ist überschaubar. Ich will nur die Täter.«
Max begutachtet am nächsten Morgen den Schaden an seinem alten Renault. Die Heckklappe des Kastenwagens lässt sich noch problemlos öffnen und schließen. Aber vielleicht sollte er doch den großen Stand-Tom-Tom und die beiden Bass Drums herausnehmen, nur wegen seinem Schlagzeug hatte er sich den alten Kastenwagen gekauft, doch als Lagerhalle sollte er nicht dienen. »Hopp«, sagt er zu sich selbst und klemmt das Becken unter seinen rechten Arm, mit der Linken packt er die beiden Hänge-Tom-Toms und will sie in sein Haus tragen.
Wie er um sein Auto geht, sieht er hinter einem der Scheibenwischer einen weißen Zettel klemmen. Aber zuerst muss er seine Hände freibekommen, also geht er weiter und stellt den ersten Teil des Schlagzeuges im Flur seines Häuschens ab. Dort haben die Hänge-Tom-Toms einen festen Platz. Da stellt er sie hin und beginnt gedankenverloren, darauf zu trommeln. Schnell findet er einen Rhythmus und spielt den Anfang der ersten Akkorde von »Freak of Natures Rescue Me«.
»Bahnt sich da was an?«, lächelt Gerdi Ellegast, sie steht plötzlich, ganz unvermittelt, vor Max und winkt mit dem kleinen weißen Zettel, den Max gerade hinter seinem Scheibenwischer bemerkt hat. Sie scheint schon auf dem See gewesen zu sein. In Wattstiefeln und in ihrer grünen wasserdichten Fischerhose, deren Latz ihr fast bis unter die Achseln reicht, liest sie ihm mit verführerisch gespielter Stimme vor: »Danke, dass du dichtgehalten hast! Wir bezahlen den Schaden – versprochen, irgendwann.«
»Weißt du, was heute Nacht passiert ist?«, platzt es aus Max heraus, »die haben die Fischhallen deines Mannes abgefackelt!«
»Keine verdammenswerte Tat, aber das wird ihn nicht aufhalten«, ändert sich schnell die Stimmung in Gerdis Gesicht vom Liebesboten zur Kampfamazone. »Ich habe es im Seefunk gehört, aber von Brandstiftung war keine Rede.«
»Ich habe es aber selbst gesehen, ich war dort, woher glaubst du, dass der Zettel ist? Die bedanken sich, dass ich sie nicht bei der Polizei verpfiffen habe.«
»Wer sind sie? Und warum hast du es nicht getan?«
»Das frag ich mich jetzt auch, ich weiß es selbst nicht.«
»Das kannst du gleich nachholen«, zeigt Gerdi Ellegast zum Fenster hinaus.
Max folgt ihrem Blick und sieht zwei uniformierte Polizeibeamte aus einem Streifenwagen steigen. Die beiden gehen zu seinem Renault, bei dem die Ladefläche noch offensteht. Interessiert gehen sie um den Wagen, Max schaut ihnen gespannt zu.
»Ich bin dann mal weg«, sagt Gerdi schnell, wirft ihm mit einem Handkuss den kleinen weißen Zettel zu und verschwindet durch den Hinterausgang.
Max lässt den Zettel schnell in der Hosentasche seiner eng geschnittenen Levis verschwinden und geht zur Vordertür, dabei läuft er einem der Polizisten geradewegs in die Arme.
»Musiker müsste man sein, da kann man morgens wenigstens ausschlafen«, begrüßt ihn der erste Polizist.
»Und bis nach Mitternacht den Bühnenclown geben«, antwortet Max, »und das meist für ein mageres Trinkgeld.«
»Und gestern?«, beendet der zweite Polizist das Geplänkel. »Was haben Sie da mitten in der Nacht im Wald bei Meersburg bei der Fischfabrik Ellegast gemacht?«
»Ich bin noch bei Dämmerung in den Wald gefahren, ich kenne da einen Platz, an dem Morcheln wachsen. Es war den ganzen Juni über heiß, dann gestern der Regen, da wollte ich mal nachsehen«, hatte sich Max schon am Morgen eine bessere Ausrede als die in der Nacht zuvor zurechtgelegt, um gerüstet zu sein, falls die Bullen kommen sollten.
»Auf dem Gelände von Ellegast waren Sie nicht?«
Verdammt, hatten ihn irgendwelche Videokameras aufgezeichnet? Oder blufft der Polizist? »Nein!«, entscheidet sich Max zur dreisten Lüge.
»Und die Insassen in dem Wagen, der Ihnen gestern folgte, als Sie aus dem Wald herausfuhren, wer waren die? Ihre Pilzberater?«
»Weiß ich nicht.« Angriff ist die beste Verteidigung denkt sich Max und legt nach: »Ihre Kollegen haben den Wagen durchgewunken, mich haben sie angehalten, da müssen Sie die fragen.«
Schnell wird Max klar, die Polizei hat nichts in der Hand, das Frage-und-Antwort-Spiel bewegt sich belanglos an der Oberfläche, deshalb will er jetzt wissen: »Gehen Sie von Brandstiftung aus, oder warum sind Sie hier?«
»Wir ermitteln«, antwortet einer der Polizisten.
»Bei mir?«
»Auch bei Ihnen.«
»Lächerlich, ich kenn den Mann kaum, warum sollte ich? Was sollte ich für ein Motiv haben?«, winkt Max ab. Dabei denkt er an die drei Gestalten in dem Wagen, der ihm in das Heck fuhr. Lässig greift er in seine Tasche und spürt den weißen Zettel. KN–AK 475, erinnert er sich, der Wagen müsste sich doch finden lassen.
»Und wo sind Ihre Morcheln?«, unterbricht einer der Polizisten seine Überlegungen.
»Felchenfilets mit Morcheln wären eine feine Sache«, antwortet Max, »aber leider gibt es zurzeit beides nicht.« Freundlich lächelt er den Polizisten ins Gesicht und weiß auch schon, wie er an die Adresse zu der Autonummer kommt.
3.
Auf der Edelstahlfläche der Seziertischplatte liegt ein totes Felchen. Der Körper ist aufgeschnitten, die Innereien davor sind fein säuberlich drapiert. Deutlich zu erkennen sind die Leber, die Nieren und das Herz. Mit einem Handgriff zieht Doktor Simon die Rundleuchte an der Decke über das Zentrum des toten Fischs auf das Wundfeld. Der fokussierbare Lichtstrahl ermöglicht ein punktuelles Ausleuchten der Leber. »Sehen Sie hier, die Leber wie auch die Nieren sind angegriffen, die inneren Organe zeigen Zeichen einer Septikämie wie Petechien, das heißt breiige Nieren und Milzschwellung.«
»Kein Mensch will die Nieren oder gar die Milz der Felchen essen«, herrscht Martin Ellegast den Tierarzt an. Er selbst hat ihn von der Universität Hohenheim abgeworben. Er benötigt einen Sachverständigen, der seinen Testlauf der Felchengehegezucht begleitet, dokumentiert und schließlich wissenschaftlich die Unbedenklichkeit der Fischzucht im Bodensee belegt. Doktor Franz-Josef Simon gilt in der Fachwelt als unbestechlich.
Fischgehegezucht ist nichts Neues, Aquakultur klingt moderner. Die Anfänge der Kescherhaltung geht auf Fischer zurück, die schon immer im Bodensee Netze oder Kescher nutzten, um Fische, die sie unter der Woche gefangen hatten, am Wochenende frisch auf dem Markt anzubieten.
Positiv für Ellegast ist die Tatsache, dass bei den Gehegen im See die Fütterung, Kontrolle und Ernte leicht zu bewerkstelligen sind und gleichzeitig ein stetiger Austausch mit dem Umgebungswasser stattfindet. »Eine kostenlose Frischwasserzufuhr«, lacht Ellegast.
Seine Gegner dagegen bemängeln den ungehinderten Stoffwechselaustausch, Futterreste und eventuell verabreichte Medikamente, die direkt in den See geleitet werden. Dabei kommt es ihrer Meinung nach zur Störung des Ökosystems. »Und das im Trinkwasser!«, monieren nicht nur ausgewiesene Umwelt- oder Tierschützer.
Die von Ellegast neu installierten Netzgehege bestehen aus einem schwimmfähigen Trägersystem und einem Netz, das die Tiere einschließt. Die einzelnen Anlagen kann er leicht in der Größe variieren. Es sind kreisförmige Plastikkonstruktionen mit Netztiefen von 10 bis 40 Metern und einem Volumen von 3.000 bis 30.000 Kubikmetern.
Ellegast hatte die Ministerien in Stuttgart überzeugt, dass die Felchengehege die Wirtschaft und den Tourismus im Ländle stärken. Selbst kritische Politiker der Grünen Partei hatte er eingefangen. Einige von ihnen hatte er kurzerhand in seinem Privatflugzeug von Friedrichshafen nach Finnland geflogen. Dort betreibt Ellegast große Fischzuchtanlagen. Vor Ort konnten die Damen und Herren auch verschiedene Felchengehege inspizieren.
Ellegast lacht noch heute: »Ich weiß nicht genau, was sie gesehen haben, aber ich weiß, dass der Fraktionsvorsitzende am nächsten Morgen einen dicken Kopf hatte.« Geschickt hatte er die Kurzvisite geplant und die kleine Gruppe der Politiker sowie eine junge Journalistin des Lokalblattes nach der Landung in Finnland direkt auf sein Gelände gelotst und dort keine Minute aus den Augen gelassen.
Wie es sich in Finnland gehört, hat Ellegast neben dem Gästehaus auf seiner Fischfarm eine finnische Rauchsauna aufgestellt. Hier servierte er gleich nach der Ankunft am frühen Abend in dem rußigen Holzhaus persönlich das erste Bier und Wodka. Danach bewies er der kleinen Abordnung mit einem Sprung in einen seiner Teiche, wie sauber das Wasser ist.
Die Krönung hatte er sich für den späteren Abend aufgehoben. Gemeinsam ging er mit den Politikern und der Journalistin an einen großen See auf seinem Gelände. Der Redakteurin hatte er zuvor eine Nikon D7500 in die Hände gedrückt: »Damit Sie scharfe Bilder machen können«, hatte er zu dem jungen Mädchen gesagt und ihr etwas zu lange die Unterarme getätschelt.
Dann mussten sie alle in ein Boot steigen, in dem mehrere Kescher mit Teleskopstielen lagen. Ellegast steuerte das Boot auf den See. Hier sahen die Gäste große runde Netzbassins schwimmen. Drei Stück hatten einen Durchmesser von mindestens 50 Metern, die Tiefe gab er ihnen mit 30 Metern an. Er selbst steuerte das Boot an den Rand eines der runden Gehege und forderte die Gäste auf, sich jeweils mit ihren Keschern einen Fisch aus dem Wasser zu holen: »Ihr Abendessen!«, lachte er. »Ihre ersten Felchen aus einem Gehege!« Er warf eine Handvoll Fischfutter in das Netzgehege, und schon wimmelte die Wasseroberfläche von tummelnden Felchen. Jeder der Gäste hatte so schnell seinen Fisch im Kescher.
Gleich danach servierte die Küche den frischen Fang. Es gab Felchen mit Pfifferlingsoße und Fischrogen, Felchen mit Wildkräutern gefüllt und Felchenfilet mit Krebsen. »So gut wie an iserem See, oder?«, fragte Ellegast und schaute in die zufriedenen Gesichter seiner kleinen Ausflugsgruppe.
Auf dem Rückflug legte er den Reisenden noch eine kleine Ökobilanz vor. »Von Helsinki bis an den Bodensee sind es über 3.500 Kilometer, eine Tonne CO2-Emission kommt so für jeden größeren Transport der Felchen schnell zusammen. Klimafreundlich ist das nicht«, diktierte er der jungen Journalistin in ihren Block, die sich nochmals für die neue Kamera bedankte, während der Grüne Politiker nachdenklich nickte und zustimmte: »Wir sollten alles unternehmen, um den klimaschädlichen Lebensmitteltourismus zu beenden«, ließ der grüne Abgeordnete sich in der Bodenseezeitung zitieren.
»Leider sieht man einigen Felchen ihre äußerlichen Verletzungen an«, reißt Doktor Simon Ellegast aus seinen Erinnerungen. »schon bei Jungfischen zeigen sich dunkle Hautflecken und Rötungen bei den Flossenansätzen.«
»So lange es keine signifikanten Häufungen sind, sollten wir die Sachlage erst einmal unter uns hier klären«, versucht Ellegast zu beschwichtigen, »wir stehen am Anfang unseres Testlaufs, das bekommen wir alles schnell in den Griff. Für die Tiere ist das auch alles neu, das heißt viel Stress für sie, und zu allem hin ist es Sommer, wir haben gerade hohe Wassertemperaturen, das spielt uns nicht in die Karten.«
»Ja,« stimmt ihm Doktor Simon zu, nervös streift er eine graue Locke von seiner Goldrandbrille, sein Gesicht ist blass, seine hellblauen Augen flackern unruhig, »wir sind eben nicht in Finnland, der Bodensee wird jährlich wärmer, es weiß kein Mensch, wie die Felchen auch in freier Wildbahn darauf in Zukunft reagieren.«
»Wir müssen die Gehege einfach tiefer fahren, jeder Meter tiefer bringt uns kältere Wassertemperaturen«, winkt Ellegast ab, »das ist der Vorteil unserer Anlage, wir können den Felchenschwarm dorthin im See steuern, wo er sich am wohlsten fühlt.«
Im Gegensatz zu Doktor Simon sprüht Ellegast vor Zuversicht. Wobei gerade im Sommer, bei erhöhten Wassertemperaturen und Sauerstoffmangel, auch die Forellenzüchter im Schwarzwald das Problem der Furunkulose kennen. Die Veränderungen auf der Fischhaut werden dem erhöhten Stress der Tiere in zu warnem Wasser zugeschrieben. Letztendlich ist es eine bakterielle Infektionskrankheit, die sich im Fischschwarm bei enger Haltung durch Kot und Urin infizierter Fische verbreitet.
»Stellen Sie sich nicht so an, Herr Doktor«, schmunzelt Martin Ellegast, »noch nie ein Furunkel am Arsch gehabt?« Er nimmt den toten Fisch und seine Innereien und wirft alles zusammen in einen Plastikeimer neben dem Seziertisch. »Wir werden uns die Mühe machen müssen und jedes Fischchen liebevoll mit einer kleinen Spritze stärken.«
»Ich werde eine bakteriologische Diagnose erstellen, nach der wir ein wirksames Antibiotikum zusammenbauen«, gibt sich Doktor Simon geschlagen und spritzt mit einem Wasserschlauch das Blut des toten Felchen von der Tischwanne. Über ein leichtes Gefälle verschwinden die letzten Spuren der verletzten Innereien im Abfluss.
Martin Ellegast hatte schon in seinem Betriebswirtschaftsstudium erkannt, dass günstige Angebote immer der Erfolg rationeller Produktion sind. Auto, Fernsehen oder Handy eroberten nur als Massenprodukt den Markt. Dies gilt für ihn auch für Lebensmittel. Fleisch und Fisch liebten die Menschen schon immer, aber nicht immer konnten sie sich die Edelprodukte leisten. Natürlich erkannte auch er die Werbewirksamkeit der Auszeichnung »Wildfisch geangelt«. Doch Insider können darüber nur lachen. Was müsste ein Fisch kosten, wenn ein Angler früh am Morgen auf dem See seine Rute auswirft und am Mittag mit nur einem oder auch zwei Felchen nach Hause kommt. Der Schlüssel zum Erfolg heißt Arbeitsteilung und in seiner Branche Massenaufzucht und Fließbandschlachtung. In seinem Gehege zählt nicht der einzelne Fisch, sondern die Tonnen an Felchen, die er täglich am Fließband zerlegt, filetiert und als Convenience an seine Großkunden liefern will.
»Wir müssen unseren Berufsstand schützen!«, ruft Gerdi Ellegast in den Saal des Nebenzimmers im Gasthaus »Grüner Baum« in Moos. »Wir Berufsfischer sterben aus!« Tatsächlich werden es jedes Jahr weniger, mit den jährlich sinkenden Fangquoten sinkt auch die Zahl der Berufsfischer. Jedes Jahr melden sie neue Minusrekorde. Immer mehr Stichlinge und Quagga-Muscheln finden sich in dem ständig wärmer werdenden Seewasser und immer weniger Felchen. Da hängt so mancher Berufsfischer genervt seine Netze an den Nagel.
Deshalb hat der Wirt Hubert Neidhart zusammen mit Gerdi Ellegast alle noch registrierten Berufsbodenseefischer eingeladen. »Es geht um unseren Beruf, unsere Zukunft und auch um iseren See!«, appelliert Gerdi. Fast alle Berufsfischer, auch aus Bayern, Vorarlberg und der Schweiz, sind gekommen. Sie wollen von den Höri-Bauern lernen, wie man ein Lebensmittel mit einem amtlichen Patent schützen kann, wie dies die Höri-Bauern mit ihrer Bülle geschafft haben.
Die Höri-Bülle ist eigentlich nur eine kleine Speisezwiebel, die seit der Urbanisierung durch die Reichenauer Mönche auf der Bodenseehalbinsel Höri angebaut wird. Auf der Reichenau selbst hatten die Mönche keinen Platz für Zwiebeln, da pflanzten sie lieber ihre Reben für Wein.
Heute wäre die alte Zwiebelsorte längst vom Markt verschwunden, hätten nicht ein paar Hörianer sich für die besondere, kleine rote Zwiebel eingesetzt. Dank einigen Gärtnern und Wirten wie Hubert Neidhart heißt die Zwiebel jetzt Höri-Bülle und ist mit ihrer geografischen Herkunftsbezeichnung und -angabe bei der EU registriert und dadurch amtlich geschützt.
»Genauso müssen wir es auch mit unserem Felchen machen«, fordert Gerdi Ellegast, »ein Bodenseefelchen ist ein Blaufelchen, das kreuz und quer, wild und grenzenlos durch den Bodensee schwimmt!«
Hubert Neidhart erklärt, wie man aus dem Bodenseefelchen eine Marke als Wildfisch macht. »Wir müssen schneller als der Ellegast sein«, sagt er, »wenn er die Marke Bodenseefelchen anmeldet, kommen wir mit dem Wildfelchen zu spät.« Dann lacht er und schaut süffisant zu Gerdi: »Du weißt ja, wie schnell der ist, wie schnell hatte er dich an seiner Angel gehabt.«
»So leicht hab’ ich es ihm auch nicht gemacht«, schmunzelt sie. Sein Werben war tatsächlich lange Zeit ein Thema am See. Die Bodenseehymne der »Fischerin vom Bodensee« erinnert noch heute an Ellegasts Bemühungen, die hübsche Gasselerin zu erobern. Ein Liedtexter hatte ihn gar mit einem Hecht verglichen, der gerne von der Maid gefangen genommen worden wäre, bis aber umgekehrt er sie in seinem Netz gefangen hatte.
»Aber nichts ist von Dauer,« zwinkert Gerdi keck Hubert zu, während sie unterm Tisch einen Tritt von einer blonden jungen Frau bekommt, die aussieht, wie aus ihrem Gesicht geschnitten. »Mama«, zischt diese streng, »bitte!«
»Ja, du hast ja recht, das gehört nicht hierher, aber dass jetzt der Streit durch unsere eigene Familie geht«, schaut Gerdi Ellegast bekümmert zu ihrer Tochter Lena, »und dass dein Papa es so weit kommen ließ, das trifft mich eben besonders.«
»Wir schauen jetzt, dass wir einfach möglichst schnell für das Bodensee-Wildfelchen einen Markenschutz bekommen, dann sehen wir weiter«, antwortet Lena trocken und schaut dabei ihrer Mutter prüfend in die Augen. Die beiden können ihr inniges Mutter-Tochter-Verhältnis nicht verbergen.
Lena könnte heute als die Fischerin vom Bodensee in dem damals über ihre Mutter gedrehten Fernsehfilm als Double ihre Rolle übernehmen, niemand würde einen Unterschied sehen. Sicherlich müsste sie über ihren kurzen, schelmischen Haarschnitt eine Perücke mit Zöpfen ziehen. Die blonden Haare und dunklen Augenbrauen hat sie ohne Zweifel von ihrer Mutter geerbt, die sportliche Figur vielleicht von ihrem Papa. Die weichen Züge und freundlichen Augen aber waren nun einmal typisch Mama.
»Meinst du, dann ist der Brand vergessen?«, flüstert diese ihrer Tochter leise ins Ohr.
»Was meinst du?«, stellt die sich unwissend.
»Danke, dass du dichtgehalten hast!«, lächelt Gerdi wissend. »Seit deiner Grundschulzeit verschnörkelst du das große D wie sonst niemand.«
»Ich verstehe nicht.«
»Max kennt dich nicht, und du ihn auch nicht. Aber woher wusstest du, dass er neben Opas Haus wohnt?«, insistiert sie weiter. »Ich kenne deine Schrift, also: Woher wusstest du, wo du sein Auto findest, an dem du deinen Zettel hinterlassen hast?«
»Ich habe ihn aus deinem Küchenfenster gesehen, als ich dich das letzte Mal besucht habe, und ein Freund kennt ihn von seinen Auftritten als Musiker.« Ohne Luft zu holen, fügt sie schnell hinzu. »Aber wir waren es nicht!«
»Wer ist wir, und was habt ihr dort gesucht, und wer ist dein Freund?«
Lena kann vor ihrer Mutter sowieso kein Geheimnis lange für sich behalten, also packt sie aus: »Wir wollten ein Graffiti auf die Hauswand sprühen, in diesem Moment sehe ich, wie ein kleines Feuer in einer der Fritteusen in der Küche brennt. So sagt es auch die Feuerwehr, es war keine Brandstiftung! Das Öl soll sich an einer nicht ausgeschalteten Heizung entzündet haben, und du weißt, wie groß Papas Fritteusen sind. In der Zeitung stand etwas von über 600 Litern.«
»Ich hoffe, du hast damit wirklich nichts zu tun«, atmet Gerdi Ellegast erleichtert aus, »aber was, bitte, sollte das für ein Graffiti sein, und wer ist verdammt nochmal wir?«
»Njoschi ist ein Künstler, er hätte uns ein Felchen hinter Gitterstäben auf die Hauswand am Eingang gesprüht. Aber als ich das Feuer sah, war mir sofort klar, dass wir verschwinden mussten, dabei kam uns dieser Max in die Quere. Was wollte denn der Sekel da?«
»Morcheln pflücken«, lacht Gerdi Ellegast und schiebt dann ernsthaft nach, »er wollte wohl in den Müllcontainern die Absenderadressen der Felchenlieferanten finden.«
»Uns kam er in die Quere, beinahe hätte uns die Polizei erwischt, das hätte Papa nicht lustig gefunden.«
»Du solltest solche Aktionen sowieso unterlassen, Lena«, warnt die Mutter, »kümmere dich um dein Studium. Du kannst uns mehr helfen, wenn du deinen Professor dazu bringst, öffentlich seine Befürchtungen zu wiederholen, dass die Krankheiten der Felchen aus dem Gehege sich auch auf die Wildfische im See übertragen können.«
Lenas Professor Dierke, er leitet die biologische Fakultät der Uni Konstanz, wo Lena im sechsten Semester studiert, hatte in einem kleineren Kreis der Bodenseefischer seine Befürchtung geäußert, dass Zuchtfische aus dem Gehege ihre Krankheiten an die Wildfische übertragen könnten.
»Mama!«, wird Lena etwas lauter, »der Dierke lässt sich gar nichts sagen. Da müssen wir schon selbst aktiv werden, das sagen auch Tante Hanni und Tante Nanni.«
»Oh nein«, stöhnt Gerdi und verdreht die Augen, »was haben die beiden Schreckschrauben mit unseren Felchen zu schaffen, ich denke die sind Vegetarier?«
»Eben«, schmunzelt Lena, »die sind gegen das Gehege von Papa, aber eben auch gegen deine Netze. Weißt du nicht, die beiden leiten die Regionalgruppe ›Peta‹ am See«, klärt Lena ihre Mutter auf.
»Die beiden leiten gar nichts, die beiden leiden eher an Unterbeschäftigung«, antwortet Gerdi, die von den Zwillingsschwestern und ihrem Treiben meist genervt ist.
Als sie Martin geheiratet hat, traten Hanni und Nanni lautstark und schnatternd in ihr Leben und haben sich seither, in ihren Augen, zu meckernden alten Jungfern entwickelt. »Von Beruf Erbin! Ich kann einfach mit Menschen nichts anfangen, die nicht fähig sind, ihr eigenes Geld zu verdienen, aber meinen, überall wichtig zu sein und ihren Senf beisteuern zu müssen.«
»Warte ab«, antwortet Lena kämpferisch, »die werden uns vielleicht noch nützlich sein im Kampf gegen Papas Pläne.«
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