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Doch – einmal trafen wir uns auf der Raststätte am Hockenheimring. Blue B. waren auf dem Weg von Osnabrück nach Würzburg und wir von Freiburg nach Bremen oder so ähnlich. Als wir vom Tanken kamen und uns in die Cafeteria schoben, kam sie gerade vom Kaffeetrinken raus.
»Du siehst müde aus«, sagte ich und hauchte ihr einen Kuss auf die weiche Stelle zwischen Kragen und Ohrläppchen.
»Guck dich mal an«, erwiderte sie mit einem schiefen Grinsen und einem sanften (sehnsüchtigen?) Leuchten ganz hinten in ihren blauen Augen und küsste die Ringe unter meinen. »Wie lange noch?«
»Noch acht Paar Stöcke. Und ihr?«
»Wenn du mich jetzt schwängern würdest, müsste ich die letzten beiden Gigs wohl absagen.«
»Wenn wir jetzt damit anfingen, würden wahrscheinlich heute Abend schon zwei ausfallen«, erwiderte ich bedauernd. »Schade, schade.«
»Ja«, sagte sie, »schön, dich gesehen zu haben.«
***
Verdrießlich starrte ich auf die Flasche Apfelkorn, die mir Werner vom Nachtschalter automatisch vor die Nase gestellt hatte. Wenn ich mich jetzt mit der anfreundete, war ich womöglich später zu blau, um Prinz Eisenherz zu spielen – wahrscheinlich würde ich nicht mal auf ein Pferd kommen. Also bestellte ich mir’n paar Wasser und warf ein Zweimarkstück in den Flipper. Die beiden Studenten davor wollten erst protestieren, aber ich drückte ihnen den Apfelkorn in die Hand, setzte sie auf die Fensterbank und empfahl ihnen, erst mal ein Trinkpäuschen einzulegen.
Es kam mir vor, als hätte ich Hunderte von Freispielen geholt und gespielt, aber frag mich keiner nach irgendwelchen Spielergebnissen. Flippern ist das Spiel zum Meditieren. Besser als Patiencen, Schach oder auf ’nem Nagelbrett liegen. Irgendwo zwischen dem bunten Geflacker und Geblitze siehst du verschwommen Die Magische Silberne Kugel herumflitzen und knallst die Mittelfinger auf die Knöpfe, um das Ding oben zu halten. Wie einer von den Glorreichen Sieben mit einem Schuss nach dem andern den Dollar in der flirrenden Luft von Texas tanzen lässt, ziehst du wieder und wieder ab, bis deine Trommel leer geschossen ist, und ganz entfernt hörst du das Klacken der Freispiele wie das beifällige Raunen der dummen Siedler vor dem Saloon. Fast so gut wie Schlagzeug spielen. Oder Vögeln.
»Probleme, Büb?« Werner stellte die unvermeidliche Flasche Apfelkorn und zwei Gläser auf die Glasplatte des Flippers und schenkte ein. Ich sah ihn an, als wäre ich gerade aus einem dieser klebrigen Mittagsschläfchen voller Ken-Russell-Träume erwacht. Sah ihn an, dann die Flasche, sah mich im Laden um. Alle Stühle standen schon auf den Tischen, und wir waren nur noch zu fünft – Werner, zwei seiner Thekenmädels und ich. Und Chet Baker, der gerade Heroin in Blues verwandelte.
»Wie spät isses denn?«
»Halb sieben«, unterdrückte Werner ein Gähnen. »Wa’s los?«
»Gehen die beiden mit?«, fragte ich ihn mit einem Kopfnicken zur Theke hin.
Er zuckte die knochigen Schultern: »Haste Lust?«
»Trinken wir erstmal einen.«
»Sowieso. Prost, Büb.« Wir tranken drei, vier Gläschen, und ich erzählte ihm, was am Abend im Schrebergarten gelaufen war.
»Nijinsky«, sagte Werner und schenkte nach, »und Brikett-Fuss. Haste schwer Schwein gehabt.«
»Hä?«
»Nijinsky, weil er so gut springen und die Füße hochkriegen kann, auch wenn man’s bei seiner Figur kaum glaubt, und Brikett-Fuss, weil der sich seit Jahren Briketts auf die rote Tolle knallt, um seine Stirn abzuhärten. Geh nie näher als auf einen Meter an den ran. Der hat schon mehr Nasenbeine auf dem Gewissen als Joe Frazier und die Müllers Aap zusammen. Und weißte, wo du jetzt mal anrufen solltest, wenn der Zak seit mehr als fünf Stunden an denen dranhängt?«
Na klar! Ich griff mir das Telefon. Es war die dritte Notaufnahme, die des Marien-Hospitals in Ehrenfeld. Ich bestellte mir ein Taxi, trank noch einen und umarmte die beiden an der Theke.
»Bestimmt ein andermal«, sagte ich. Sie nickten beide lächelnd und hielten Händchen.
»Ruf an«, sagte Werner, »wir warten.«
***
Den Werner kannte ich seit ungefähr drei Jahren, seit ich entdeckt hatte, dass man sich bei und mit ihm ganz wunderbar die Nacht um die Ohren schlagen konnte. Auch er mischte einen vorzüglichen Apfelkorn – kein Wunder, er trank kaum was anderes. Er war eins von diesen Handtüchern, wo man sich immer fragt: Wo tun die eigentlich all das hin, was sie saufen? Er war immer braungebrannt, weil er zwei-, dreimal im Jahr in Urlaub fuhr, und hatte tief eingegrabene Kerben um die Mundwinkel; vom Schnaps, vom Nachtleben, von zwölf Jahren Ehe, von den Problemen, die vier eheliche und mindestens neun uneheliche Kinder so mit sich bringen, von dem Zynismus, in den man sich dann gerne flüchtet. Und er hatte eine Macke: Ficken.
Wer den Spruch von der Nase des Mannes und seinem Johannes in die Welt gesetzt hat, war wahrscheinlich vorher mit Werner in der Sauna gewesen, denn der hatte einen wirklich riesigen, dicken Adlerzinken. Im Nachtschalter arbeiteten immer nur Blondinen, die alle paar Wochen bis Monate wechselten. Von fünfzehn bis fünfundzwanzig, von Einsfünfzig bis Zweimeter, von vierzig bis hundertvierzig Kilo, vom Typ Wenn-ich-ein-Junge-wär bis zum Typ Rauschgoldengel – Hauptsache, jung und blond. Und es arbeiteten immer so viele davon, dass es nicht geschäftsschädigend war, wenn eine mal ’ne Weile nicht da war. Alle zwei, drei Stunden kriegte Werner nämlich seinen Rappel, dann verschwand er mit einer von ihnen in der Wohnung ein Stockwerk drüber. Und dann wurde auf seinem Dreimal-drei-Meter-Bett erstmal ein Stündchen gerammelt – ein Nähmaschinchen war nix dagegen. Wir waren ein paar Mal zu viert dort oben versackt, deswegen kannte ich das aus eigener Anschauung – die Mädels stöhnten und schrieen, und er machte ihnen ächzend den Rammler. Wenn ich heute ’ne Frau »Ich kann nich’ mehr!« sagen höre, assoziiere ich immer sofort dieses Schlafzimmer.
Ich hatte mal eine gefragt, wieso sie das eigentlich mitmache.
»Ich steh auf den Werner«, war die verständnislose Antwort. Ich fragte nicht weiter nach. Ich hatte damals zwar schon ’ne Menge feministische Bücher gelesen, aber junge Frauen missionieren war deswegen noch lange nicht mein Bier. Außerdem war »Muss ja jeder selber wissen« schon lange einer meiner Leitsätze. Und ich hatte ja nix gegen Werner. Ein paar Wochen, nachdem wir uns kennen lernten, hatte ich ihm verklickert, dass Sterilisation nicht im Geringsten was zu tun hat mit Impotenz oder gar Kastration. Er hatte sich daraufhin erfolgreich einem Eingriff unterzogen und konnte jetzt nach Lust und Laune in der Gegend herumvögeln. Seitdem war ich sein Freund. Von AIDS hatte man damals noch nichts gehört.
3

Zak
Gegen halb acht traf ich im Marien-Hospital ein. In der Notaufnahme war nicht mehr viel zu tun. Oder noch nicht. Nur ein Typ in Motorradklamotten auf einer Bahre im Gang störte die Ruhe ein wenig. Er schrie wie am Spieß. Er hatte sich offensichtlich ohne Helm auf die Fresse gelegt und sah nicht sehr schön aus. Als er den blutdurchtränkten Klumpen Mull mal kurz von seinem Kopf wegnahm, sah ich, dass er sich das halbe Gesicht und das halbe linke Ohr weggescheuert hatte.
Ich fragte mich zu Zak durch und musste erstmal tief durchatmen, als ich ihn fand. Von seinem Gesicht sah man nur die geschlossenen Augen, eins davon blutunterlaufen, seine Nasenspitze und einen schmalen Schlitz, wo sein Mund sein sollte. Er schlief und stöhnte leise im Schlaf. Ich suchte den Arzt, der ihn behandelt hatte, gab mich als Zaks Bruder aus und tat aufgeregt. Der Arzt war ein junger Schnösel mit teurer Brille und noch teurerer Armbanduhr. Ich war sicher, dass sein Alter auch Mediziner war – die Uhr konnte er sich so kurz nach seinem Studium sonst sicher nicht leisten. Er war entsprechend blasiert und kurz angebunden.
»Unterkieferfraktur«, verkündete er von oben herab und als sei das nichts Besonderes, »mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Gehen Sie zur Polizei!«
»Aber da war ich doch schon; die wollen mir auch nix sagen!«, greinte ich, »was soll ich denn jetzt machen?«
Er guckte mich zwar skeptisch an – sein Chef hätte mir das bestimmt nicht abgekauft – aber er war wohl schon seit gestern Abend im Dienst, und der Motorradfahrer wartete draußen hörbar auf ihn.
»Schau’n Sie«, ließ er sich in seinem Villa-in-Hoffnungsthal-Tonfall herab, zu mir langhaarigem Proleten zu dozieren, »viel weiß ich auch nicht. Der Patient ist wohl Taxifahrer und hat sich letzte Nacht bei seiner Zentrale nicht abgemeldet. Daraufhin haben seine Kollegen nach ihm Ausschau gehalten und ihn bewusstlos in seinem Taxi auf der Oskar-Jäger-Straße gefunden, wo er einen parkenden Lastwagen gerammt hatte. Wie er sich dabei aber so den Kiefer gebrochen hat, ist mir allerdings auch in Rätsel.«
»Was meinen Sie mit ’so den Kiefer geb–’«, wollte ich nachhaken.
»Das kann ich Ihnen jetzt auch nicht detailliert erklären«, unterbrach er mich ungeduldig, »aber wenn er mit dem Kinn aufs Lenkrad geschlagen wäre, müsste der Bruch ganz anders aussehen. Mir scheint eher, dass es ihm den Unterkiefer von der Seite weggeschlagen hat. Aber Genaueres wissen wir erst morgen, wenn die Röntgenaufnahmen ausgewertet sind. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.« Drehte sich auf einem Gummiabsatz rum und quietschte Richtung Straßenfeger.
Ich überlegte einen Augenblick lang, ob ich zurück zu Werner und den beiden Mädels fahren sollte. Nein – morgen würde es einiges zu tun geben, und es wäre bestimmt nicht schlecht, dafür halbwegs ausgeschlafen zu sein. Ich rief an, berichtete und wünschte ihnen viel Spaß. Im Hintergrund sang Jack Bruce I’m So Glad.
Ich fuhr zu Vera. Sie war schon weg, und ihre Tochter war im Kindergarten. Ich ließ das Rollo in meinem Zimmer runter, um die Morgensonne auszusperren, und legte mich ins Bett. Draußen rauschte der Alltag durch die Stadt, mit Gehupe, Geknatter, Geschnatter und Gebell. Es war ein schöner, milder September, und als letztes Bild vorm Einschlafen sah ich Nijinsky, der vor Zaks Taxi stand und sagte: »Verpiss disch, sonz tredde isch dir dä Kopp weg!«
***
Nachmittags weckte mich der Duft von frisch aufgebrühtem Vanille-Tee. Er kam aus einem großen blauen Becher mit gelben Punkten, den mir Anna, Veras fünfjährige Tochter, unter die Nase hielt.
»Komm, Schnarchsack, genug geschlafen«, kicherte sie.
»Wie spät isses denn?«
»Drei Uhr, glaub ich.«
»Und wieso bist du dann schon hier, du Kröte?«
»Ich bin keine Kröte, ich bin ein Seraphim. Und deswegen hab ich auch keine Lust mehr, im Kindergarten zu gehen.« Sie kletterte zu mir aufs Bett und fing an, meine Haare zu verknoten. Sie roch noch besser als der Tee. Wahrscheinlich hatte Vera mal wieder ein neuer Duftwasser. Bedeutete normalerweise, dass es da irgendwo ’ne neue Freundin gab.
»In den Kindergarten«, verbesserte ich automatisch. »Und ich bin kein Schnarchsack. Ich übe im Traum neue Lieder, das mag sich nur von draußen ein bisschen komisch anhören. Außerdem heißt es Seraph, ohne -im, wenn’s nur einer ist. Und wenn er sechs Flügel hat. Wo sind denn deine?« Ich begann, sie auf der Suche nach ihren Flügeln im Rücken zu kitzeln, was in eine Riesenbalgerei ausartete. Kinder sind schon eine herzerwärmende Sache. Wenn man sie nicht dauernd am Hals hat; von der Verantwortung ganz abgesehen. Ich war froh, dass ich nicht Vater war, auch wenn man mit einer jauchzenden, blondgelockten Fünfjährigen mit vor Eifer geröteten Wangen schon mal auf ganz andere, wehmütige Gedanken kommt. Trautes Heim. Wenn das meine Fans in Ingolstadt wüssten …!
Ich machte uns ein paar Brote mit frischem Holländer, mildem Senf und Apfelscheiben, und wir setzten uns auf den Balkon voller duftender Tomatenpflanzen, Küchenkräuter und Blumen und hörten Louis Armstrong. Anna liebte ihn – die Scheibe mit den Greatest Hits hatte ich ihr schon zum zweiten Mal gekauft, weil sie die erste durchgenudelt hatte. Wir aßen unsere Brote und tranken den Tee. Er war viel zu dünn und noch mehr zu süß, aber ich sagte nichts dazu. Sie war offensichtlich sehr stolz, dass sie ihn ganz alleine aufgebrüht hatte.
***
»DIE FAHRT KOSTET DICH ABER ’N PAAR BIER!«, stand auf dem Blatt Papier, das Zak mir auf einem Klemmbrett entgegenhielt.
»Mindestens«, sagte ich. Und dann las ich, was er auf die Seite darunter gekrakelt hatte. Er war dem gelben Capri die Aachener Straße raus bis nach Junkersdorf gefolgt, eine der feineren Wohngegenden Kölns, wo der in einer Garageneinfahrt geparkt wurde. Die beiden Figuren hatten Britta in einen Bungalow gebracht, dessen Haustür von einer zierlichen Asiatin mit langen Haaren geöffnet worden war. »Pechschwarze Haare bis zum Arsch«, hatte Zak geschrieben, »irgendwo hab ich die schon mal geseh’n – ich meine, im Forum.«
Leider war die Einfahrt direkt hinter einer Kurve gelegen, und den Jungs musste das Taxi doch noch aufgefallen sein. Als Zak nämlich nach ein paar Minuten ausgestiegen war, um sich den Bungalow etwas näher anzusehen, hatte sich einer der beiden schon in seinen Rücken geschlichen.
»Ich hör jemanden durch die Zähne pfeifen, dreh mich um, seh den dicken Nijinsky, wie er mich angrinst und hab auch schon seinen Turnschuh in der Fresse. Bin froh, dass der keine Fußballschuhe trägt. Dann weiß ich erstmal nix mehr, bis ich merke, dass ich auf dem Beifahrersitz meiner Karre liege. Der Nijinsky fährt und hält mich mit dem rechten Arm an die Lehne gedrückt. Dann gibt’s ’nen Knall, und ich bin wieder weg. Als ich wach werde, steh’n ’n Haufen Kollegen und die Bullen um mich rum«, las ich. »Der Nijinsky wird sich bald ’ne andere Stadt für seine Streiche suchen müssen. Bis dahin wär’s nett, wenn du mir ’nen Kassettenrekorder und wat Musik besorgen könntest. Und wat machs’ du jetzt?«
»Ich besorg dir jetzt erstmal deine Musik. Dann such ich Twiggy und guck mir das Häuschen in Junkersdorf mal an.« Zak hob den rechten Daumen und schloss müde die Augen. Ich sah ihn mir noch ’n paar Sekunden an. Ja, er hatte bestimmt recht: Nijinsky würde in Köln nicht mehr viel Spaß kriegen: ’nen kölschen Taxifahrer zusammentreten …!
Ich machte mich auf die Socken.
***
Die Stadt brachte sich zunehmend in Feierabendstimmung. Auf der Goldenen Meile, den Ringen zwischen Friesen- und Barbarossaplatz, flogen mir ein paar schwarzbraun gefleckte Blattreste um die Beine. Irgendwo musste es hier doch noch den einen oder anderen Baum geben. Der Verkehr schob sich zäh in beide Richtungen. Hinter den Fenstern der Straßenbahnen klebten graue Gesichter ohne erkennbaren Ausdruck. Vielleicht waren sie tatsächlich nur aufgeklebt, aber ich fand nicht, dass sie eine gute Werbung für den Kaufhof-Schriftzug waren, der darunter prangte.
Ein Kind in einem Buggy, eingeklemmt zwischen prallen Einkaufstüten, schrie sich neben dem Zebrastreifen an der Richard-Wagner die Kehle wund. Eine höchstens neunzehnjährige Schwangere mit toupiertem Wasserstoffblond schrie ihrerseits genervt auf das Kind ein. Ich hörte mindestens sieben Wenn-du-jetz-nit-bald-still-bis’!, ohne dass sie dem Kind einmal verraten hätte, was denn dann wäre. Der italienisch aussehende Typ daneben betrachtete beide angewidert und versuchte, dabei lässig und unbeteiligt auszusehen.
Tja, Giuseppe, solltest vielleicht mal überlegen, ob es was nützt, deine Jisela mal eine Stunde durch die Stadt zu schieben, den Kopp in Auspuffhöhe festgeklemmt! Ich glaubte aber nicht, dass das viel nützen würde. Wahrscheinlicher war, dass sie einfach nur zu jung und überfordert war. Dabei war der Giuseppe sooo nett gewesen, damals auf der Deutzer Kirmes, viel süßer als die Mülheimer Halbstarken, mit denen sie sich da sonst immer rumtrieb. Die versuchten ihr nur dauernd an ihre großen Brüste zu gehen, während der hübsche Italiener ihr auf der Bank unten am Rheinufer erzählt hatte: »Dein Auge sin schöne’ dann die von Sophia Loren!« Mittlerweile schien er die Augen auf einem Paar Würfel schöner zu finden. Oder die der italienischen Schlampe hinterm Tresen des Club San Marco, den er nur noch verließ, um sich bei ihr zu Hause frisch gebügelte Klamotten abzuholen. Oder sie zum zweiten Mal zu schwängern.
4

Twiggy
Einen Haufen Tresen und Schlampen würde ich heute Abend wohl auch noch zu sehen kriegen. Twiggy hatte dienstags frei, und das hieß, er konnte in irgendeiner der achthundert Kneipen zwischen Rodenkirchen im Süden Köln und Worringen im Norden, zwischen Rösrath im Osten und Bocklemünd im Westen hängen. Ich hatte ziemliches Glück. In Kneipe Nummer fünf, dem Florchen in der Friesenstraße, fand ich seine Spur in Form seiner verheult aussehenden Dauerverlobten Roswitha.
»Dä blöden amerikanischen Hungk! Dä soll mer bloß nimmieh unger die Aure kumme! Vun wäje: ‚Dienstag frei, do maache mir uns ene schöne Oovend zesamme!’ Am Suffe un am Käue un am Zocke es dä Drecksack ald widder!«* Sie heulte sich vier Bacardi-Cola wässrig und erzählte mir zum zigsten Mal die Geschichte ihres Liebesleids mit »däm Mister Kritt-dä-Hals-nit-voll«.*
Aber nach einer knappen Stunde hatte ich raus, mit wem er denn heute unterwegs war, und wo sie angefangen hatten. Danach war’s einfach. Ich fand ihn im Silberne Saddel in Weidenpesch, nahe der Pferderennbahn. Hier verkehrten die Jockeys und die Wettgeschäftemacher, die Fans und die Zocker, Zuhälter aus der nördlichen Hemisphäre der Stadt und ihre Puppen, die aussahen wie die Frauen der dort ansäßigen Geschäftsleute, die ihrerseits aussahen wie Zuhälter. Alle palaverten lautstark und wild durcheinander, das Kölsch floss in Strömen, hauptsächlich in die Mini-Gläser, die in Köln »Stößjen« heißen. Und Abba ließen die Musikbox klirren.
Twiggy stand mit bloßem Oberkörper mitten in einem Knäuel Loddel und hielt vornüber gebeugt den Gürtel von Hämches Jupp zwischen den Zähnen. Jupps schlappe hundert Kilo schwebten einen halben Meter über dem fast schwarzen Parkettboden. Er machte einen Haufen Kies mit Imbissbuden, die für ihre gegrillten Hämchen berühmt waren. Das einzige, was er selber noch an Arbeit leistete, war zweimal die Woche morgens um fünf im Schlachthof-Restaurant mit ein paar Großhändlern Asbach-Cola zu saufen und dann eigenhändig ein paar Zentner Schweinshaxen in einen seiner Lieferwagen zu schmeißen – »domet die Arschlöcher nit meine, se künnten dä Jupp bedrieße!«*
Einer der Umstehenden begann, von einer Rolex mit einem goldenen Armband so breit wie anderer Leute Manschetten die letzten zehn Sekunden runterzuzählen. Twiggy ließ sich auf die Knie sinken und ließ seinen Gegner so sanft auf dem Boden ab, als sei er ein Tablett voll Jack Daniels. Er reichte Hämches Jupp seine rechte Schaufel und zog ihn spielerisch auf die Füße. Dann trank er drei Bier auf ex, machte die Runde und kassierte ab. Es kam ein ziemliches Bündel blauer Scheine zusammen. Nein – keine Zehner.
»Lokälrunde!«, schrie er in seinem breiten amerikanischen Akzent und grinste sein Lausbubengrinsen. Die meisten applaudierten und hieben ihm anerkennend auf die verschwitzten nackten Schultern. Ein paar – hauptsächlich die Loddel-Fraktion – guckten eher missmutig drein. Sie hätten »däm Ami« einen Dämpfer gegönnt – er war ihnen ein Dorn im Auge mit seiner unglaublichen Kraft, seinem Stehvermögen und seiner jungenhaft großen Schnauze. Und er machte keinen Hehl daraus, dass er keine Zuhälter mochte. Er prügelte sich bei jeder passenden Gelegenheit mit ihnen – und verlor nie.
***
Als er noch Sergeant beim Los Angeles Police Departement gewesen war, hatten vier schwarze Pimps seine Frau in Streifen geschnitten, weil sie einem von ihnen bei einer erzwungenen Orgie den halben Schwanz abgebissen hatte. Twiggy hatte seine Magnum mit selbst angefertigten Dumdum-Geschossen geladen, sich ein paar Tage krank gemeldet und die Kerle der Reihe nach aufgespürt.
»Not much left of them motherfuckers, when I’m thru’ with ’em, Boob. Blew one of ’em right thru’ a fuckin’ motel room wall.”* Land of the brave.
Seine Kollegen hatten zwar durchweg viel Verständnis für ihn, aber durchgehen lassen konnten sie ihm das natürlich nicht. Nicht einmal in L.A. Sie erklärten ihn für unzurechnungsfähig aufgrund von Schockwirkung und suspendierten ihn. Er reiste ’ne Weile in der Welt herum und landete dann hier in Köln als Nahkampflehrer für den Polizei-Sport-Verein. Nebenbei arbeitete er als Türsteher im Session in der Ehrenstraße. Da saß er dann oben an der Tür, trank Jack Daniels auf Eis, kaute Haschischklumpen und grinste jeden, der rein kam, freundlich an. Wenn’s unten im Laden Ärger gab, und den gab’s öfter, ertönte oben an seinem Platz ein Summer. Dann war er in zwei Sekunden unten, griff sich die Störenfriede, schlug sie mit den Köpfen aneinander, schleifte sie die Treppe hoch, manchmal an den Füßen, wobei ihre Köpfe bei jeder Stufe dieses hässliche Geräusch machten, und warf sie auf die Straße. Wenn sie sich bis oben immer noch nicht beruhigt hatten, warf er sie auch schon mal durch die Tür. Allerdings ging er nach dem ersten Mal, das ihn eine Stange gekostet hatte, immer hinterher und nahm ihnen ihr Geld ab.
»Ick kann doch nickt jedes Mal die fuckin’ Scheißdoor beßahlen, shit, man!«, kauderwelschte er fröhlich, klatschte mit einer reinigenden Geste in die Hände und ließ sich einen neuen Jackie bringen.
»Make it double, man, der Ahbeit macht Duahst!« Sie kriegten ihm nie beigebracht, Leute, die nach Ärger aussahen, gar nicht erst rein zu lassen. »Dafür braukt Ihr doch good ole Twiggy nickt, däs kann jede fuckin’ Klofrau!« Einmal waren es sechs junge Türken, was morgens um halb sieben sogar für ihn zwei zuviel waren. Sie richteten ihn und seinen Arbeitsplatz ziemlich übel zu.
»Türken, ha?«, meinte er nach zwei Tagen Erholungspause. Er fuhr in die Weidengasse, ging in die erste türkische Imbissbude und machte Kleinholz aus ihr. Dann ging er in die nächste. In der Weidengasse gibt es jede Menge davon – die Kölner nennen dieses Viertel Klein-Istanbul. In der vierten erwartete ihn der alte Metin und fragte ihn, was das sollte.
»You Turkish guys komm in mein Laden und mack trouble, Twiggy komm in dein Laden mack trouble, okay?« Metin telefonierte. Nach ’ner halben Stunde tauchten die drei der sechs Jungs auf, die nach ihrer Begegnung mit Twiggy noch laufen konnten, ließen eine Standpauke von Metin über sich ergehen und entschuldigten sich bei dem Amerikaner. Dann tranken sie ein paar Flaschen Raki zusammen, hauten sich auf die Schultern und nannten sich gegenseitig Arkadas. Es gab nie wieder Ärger mit Türken im Session.
Wir waren Freunde geworden, weil ich einer der Wenigen war, die seinen L.A.-Slang verstanden, weil er darauf stand, wie ich Schlagzeug spielte, und weil ich bei einer Session im gleichnamigen Laden einem Loddel, der vor der Bühne eine seiner Nutten verdrosch, eins meiner Becken auf den Schädel gedengelt hatte. Ich bin etwas altmodisch in manchen Dingen. Außerdem zog er gerne nach Feierabend mit mir durch die Kaschemmen, knobelnd und saufend, und wenn ein paar Loddels da waren, fing er an mir beizubringen, wie man mit einem Gegner fertig wird, der nicht allzu viel auf die goldenen Regeln der Fairness gibt. Das war mir einerseits immer ein wenig peinlich – Twiggy zog sich Jacke und Hemd aus und zeigte mir an irgendeiner Theke unter den finsteren Blicken der Jungs ein paar Tricks. Andererseits hatten wir immer eine Menge Spaß dabei – meistens gipfelte die Vorstellung darin, dass er vor mir stand und schrie: »Hit me in the face as fast an’ hard as you can! Come on, Boob!«* Ich versuchte es immer wieder, aber trotz meiner Boxerfahrung traf ich ihn nie, sondern landete regelmäßig in irgendeiner Ecke. Tae Kwon Do oder so ähnlich. Woraufhin er sich zu den Jungs rumdrehte und einen von ihnen anbellte:




