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»Warum lachst du, dumbshit, du glaubs, du bist schneller? Hier – zweihundert Mark, wenn du der courage hast, hey!« Und schon war wieder ’ne lustige Keilerei im Gange. Ach ja, goldene Jugendzeit …!
5

Dingdong
Jetzt standen wir an der Theke im Silberne Saddel und tranken Stößjen, während Twiggy sich in Ruhe anhörte, was ich wusste, was ich wissen wollte – und was ich vorhatte.
»Britta, hey? Fine lady. Wie spät is das?« Es war kurz vor zehn. »Freie Abend for ol’ Twiggy, hey? Shit.« Er dehnte das Wort so, dass es zwei Silben hatte. »Auto?« Ich verneinte. Wir bestellten ein Taxi, er zog seinen schwarzen Lederblouson über sein Mothers-of-Invention-T-Shirt, und wir zogen los.
Der Wind hatte sich gelegt. Es war ein wirklich freundlicher Septemberabend, an dem die Singvögel in den Parks und Gärten von Junkersdorf noch einmal ihr Bestes gaben, bevor sich der Sommer endgültig aus diesem Jahr schleichen würde. Unterwegs waren wir uns einig geworden, dass es eigentlich nur eine gute Strategie gäbe. Wir würden klingeln, nach Britta fragen und dann weitersehen. Watt Earp und Doc Holiday.
Asterix und Obelix?
***
Das mit dem Klingeln klappte noch ganz gut, aber es ließ sich niemand blicken, den wir irgendwas hätten fragen können. Das Haus blieb dunkel und mucksmäuschenstill. Bis auf das sanfte Dingdong irgendwo da drinnen, wenn ich den Klingelknopf drückte. Shit. Wir gingen um das Haus herum, an einer verschlossenen Doppelgarage vorbei, öffneten ein kleines schmiedeeisernes Törchen und fanden hinter dem Haus einen großen dunklen Wintergarten. Ich ging vier Stufen hoch und probierte die Klinke einer Glastür. Sie war nicht abgeschlossen, und ich öffnete sie vorsichtig. Dann lag ich auf dem Rücken am Fuße der vier Stufen und ließ mir von einem langhaarigen Schäferhund den vertrauten Duft von halb verfaultem Pansen ins Gesicht blasen. Das Mistvieh hing einfach über mir, vielleicht fünfzig, sechzig Kilo schwer, und grinste mich an. Er sah fast aus, als wolle er bloß ein bisschen spielen, wären da nicht die gekräuselten Lefzen gewesen und das leise Grollen tief in seiner Brust.
Und er wusste nicht, dass mein Onkel Fred, bei dem ich mehr als die Hälfte meiner Kindheit verbracht hatte, Schäferhunde gezüchtet hatte, solange ich zurückdenken konnte. Ich sammelte so viel Speichel ich konnte und spuckte ihm ins Maul. Er zuckte kurz zurück und riss den Rachen auf. Ich rammte ihm die flache rechte Hand quer hinein und presste seine Zunge fest an seinen Unterkiefer. Gleichzeitig kniff ich mit der Linken hart in seine Nase. Er winselte und versuchte, mit ruckartigen Bewegungen seine Schnauze zu befreien. Ich drehte seinen Kopf, seinen Unterkiefer als Hebel benutzend, bis er nicht mehr auf mir hing. Ich wälzte mich auf die Knie, wo ich noch mehr Kraft entwickeln konnte. Es knackte. Sein Geheul musste ganz Junkersdorf aufwecken. Ich sprang auf, riss meine Hand aus seinem Maul und trat ihm gegen den Kiefer. Er überschlug sich und kroch winselnd und mit eingekniffener Rute in den dunklen Garten. Wenn er so gut dressiert war, wie es bei seinem lautlosen Angriff den Anschein gehabt hatte, würde er in ein paar Minuten wieder böse werden, aber er würde, was meine Person anging, etwas vorsichtiger sein. Schwer atmend drehte ich mich um.
»Dein freier Abend, wie?«, knurrte ich Twiggy an, der im Türrahmen stand, Hände in den Jackentaschen, Kaugummi kauend. Oder Haschisch?
»Nickt gänz, Tarzan«, brummte er vergnügt. Jetzt erst bemerkte ich, dass zu seinen Füßen ein Mensch hockte, sich den Magen hielt und würgte.
»Wen hammer denn da?«, fragte ich.
»Modesty Blaise?«, sagte Twiggy, packte die Gestalt am Kragen und hob sie hoch, sodass ich ihr ins Gesicht sehen konnte. Er hielt sie mühelos an seinem ausgestreckten Arm, wobei ihre Füße vierzig Zentimeter über dem Erdboden schwebten. Es war Zaks Asiatin, Haare bis zum Arsch. Gut ging’s ihr nicht.
»Suzie Wong! Jetzt haust du auch schon kleine Mädchen?«
»Wenn dunkel, erst beruhigen, dann fragen«, sagte er. »Alte Regel bei de cops.«
»Na dann fragen wir sie doch mal ’n bisschen was«, meinte ich. Er drehte sich um, mit dem Mädel an der ausgestreckten Faust, und ging durch den Wintergarten ins Haus. Wir betraten ein riesiges Wohnzimmer. Ich fand einen Lichtschalter. Ein paar Sessel, zwei Sofas, ein Glastisch, der so groß war, dass ich bedauerte, keine Schlittschuhe dabei zu haben. Die meisten Möbel waren mit weißen Laken zugedeckt. Urlaubsstimmung.
Twiggy setzte Suzie Wong in einen der Sessel und drückte sie kurz hinterm Ohr. Sie verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig.
»Erst de Haus«, meinte er. Auch nicht dumm. Also nahmen wir uns erst »de Haus« vor. Vom Keller bis zum Speicher. Fast überall das gleiche Bild – mit Laken verdeckte Möbel. Kein Mensch. In einem der Schlafzimmer im ersten Stock waren zwei getrennt stehende Betten benutzt worden. An deren Fußende stand eine Campingliege, an deren Gestell ein Paar Handschellen befestigt waren. In meinem Kopf ertönte das Stahlnetz-Thema. Aber es wollte dann doch nicht so recht zu der Fototapete am Kopfende der Betten passen – ich hatte das Foto schon mal in irgendeiner Zeitschrift gesehen, aber nicht im Format drei mal fünf Meter: ein afrikanischer Sandstrand, Palmen, Fischerboote. In den Booten standen hochgewachsene, nass glänzende schwarze Männer, die sich auf lange Stäbe stützten. Die meisten von ihnen hatten Pimmel, die ihnen fast bis zum Knie reichten. Black Hammer. Wir waren wohl im Mädchenzimmer gelandet.
Wir trabten wieder runter ins Wohnzimmer. Es war leer.
»Verdammt zäh, diese Asiatinnen, wie?«
»Yeah«, knirschte Twiggy. Ich sah ihn an und ritt nicht weiter darauf herum. Nicht alles in Vietnam hatte ihm gefallen.
»Warte hier. Und denk an den Hund«, schlug ich ihm vor. »Ich guck mir noch mal das Büro an.« Er nickte bloß. Das hat man nun davon, wenn man einem nicht allzu wehtun will! konnte ich ihn förmlich denken hören.
In dem Arbeitszimmer im zweiten Stock, schräge Wände, eine Dachhälfte verglast, riss ich die Laken vom Schreibtisch und einem Wandschrank. Leer. Nichts. Nada. Nix Urlaub – weg! Ich warf noch mal einen Blick ins Bad und den einen oder anderen Schrank. Absolutely nothing. Nichts, was irgendeinen Rückschluss auf die Hausbesitzer oder Mieter zuließe. Mieter?! Ich rannte die Treppe runter zum Vordereingang. Daneben hing, in die Wand eingelassen, der Briefkasten. Werkzeug!
»Twig?« Er kam in den Flur und begriff sofort. Er trat einmal kurz mitten auf das Briefkastentürchen. Es bog sich ein schönes Stück nach innen, und die Ränder klafften auf. Er bog den unteren nach oben. Man kann sich doch immer darauf verlassen, dass die Post irgendwas verschlampt. Ich holte zwei Briefumschläge aus dem Kasten. »An alle Haushalte«. Absender der Quelle-Versand. Scheiße! Aber der hier: An Hrn. Dieter O. Meyer, Nachtigallenweg 4, 5000 Köln-Junkersdorf. Abs.: Der Polizeipräsident, Köln. Die Mahnung für ein beschissenes Zwanzig-Marks-Knöllchen wegen Falschparkens am Wallraf-Richartz-Museum! Bingo!
»Besser als nix«, grinste Twiggy. »Time for a drink, hey?«
In beiden Punkten konnte ich ihm nicht widersprechen. Wir verpissten uns.
6

Kalt und warm
»Jetz’ tu’ mir bloß dat Tier vom Hals!«, schimpfte Ela, als wir in ihren Laden in der Bismarckstraße kamen. »Dat jibt doch nur widder Ärjer!«
»Nä, nä, Ela«, beschwichtigte ich sie, »mir sin’ dienstlich unterwegs. Mach uns mal zwei Jedecke!«
»Datt ich nit laache – dienstlich! Dä Haschischfresser un’ der Appelkorn-Junkie! Dabei war dat so ’ne jemütliche Abend bis jetz’ …« Aber dabei zapfte sie schon und stellte unsere Getränke vor uns hin. Zwei Bier, ein doppelter Jack Daniels, ein doppelter Apfelkorn. Dann kam sie um die Theke rum und kniff mich in mein Pittermännchen (so heißt in Köln ein Zehn-Liter-Fässchen Kölsch. Manche – wie ich – tragen so’n Ding ständig mit sich rum. Unterm Hemd.). »Weißte eijentlich, wie lang du dich nit has’ sehen lassen, du treulose Tomat’?« Ich nahm sie in den Arm und streichelte ihren Rücken. Sie war mindestens zehn Jahre älter als ich, hatte aber die Figur einer Achtzehnjährigen. Ihr Alter sah man ihr nur an, wenn man auf die feinen Falten um ihre Augen und ihren Mund achtete. Es gab keinen Grund, darauf zu achten – sie war wunderschön.
»Du weiß’ doch, dass ich auf Tour war. Ich …«
»Jaja, dat weiß ich. Ein’ Ansichtskart’ von der Raststätte Dammer Berge, ein’ von der Raststätte Würzburg. Un’ auf beiden steht hinten drauf bloß: Büb. Müsst ihr et immer eilig haben!«
»Jaja, die Menschen sin’ schlecht, Ela, weißte doch. Un’ …«
»Un’ die, die nit schlecht sin’, sin’ doof«, ergänzte sie meine Lieblingsweisheit unisono. »Lass dir mal wat Neues einfallen, Büb! Sons guck’ ich mich emal en bisschen unter dä andere Jungens um.«
»Guck’ dich doch um«, sagte ich. Positiv verstärken, Dr. Klütsch! »Wer hätte denn ’ne Chance gegen mich?« Das brachte mir einen Tritt gegen das Schienbein ein. Scheißtyp!
»Na ja – heut’ Abend seh’ ich da auch eher schwarz. Aber sei dir nit so sicher!«
»Wat is’ schon sicher? Sicher is’, datt mir im Moment richtijen Ärjer am Hals haben. Un’ damit mein’ ich nit dat Roswitha.« Die war gerade zur Tür reingekommen und hatte Twiggy natürlich prompt entdeckt. Der konnte sich auch schlecht hinter irgendjemandem verstecken. Also Vorwärtsverteidigung.
»Darlin’!«, ging er mit weit ausgebreiteten Armen auf sie los, begrub sie an seinem mächtigen Brustkorb, küsste ihr ganzes Gesicht und flüsterte ihr eine Weile ins Ohr. Nach zwei Minuten hatte er gewonnen. Roswitha strahlte:
»Is’ dat wahr, Büb – ihr sucht mich schon seit zwei Stund’?«
»Dä fing ald an, sickig ze weede, weil mir dich nit jefunge han«, versicherte ich ihr. »Du muss och nit immer esu unjeduldig sin, Rösjen!«* Fragen sie Frau Irene!
»Wat denn für ’ne Ärjer?«, fragte Ela, nachdem Roswitha sich wieder ihrem Verlobten zugewandt hatte. Ich erzählte ihr die ganze Story, während uns ihr Barmännchen weiter mit Stoff versorge.
»Das Blöde is’, ich weiß ganz genau, dass mir der Name Dieter O. Meyer schomma untergekommen is’. Aber ich komm’ zum Verrecken nich’ drauf!«
»Mensch, Büb, wie lang’ machs’ du schon Musik in dä Stadt, hä? Oder haste dir dat bisschen Jehirn schon janz wegjesoffen? Bei dem hat doch früher dat Kathrinchen jearbeitet!« Shit! Ich schlug mir mit dem Handballen gegen die Stirn.
***
Das hätte ich nicht tun sollen. Ich saß anscheinend doch nicht so stabil auf meinem Hocker, wie ich dachte, kippte mitsamt dem Scheißding nach hinten und donnerte gegen den Nebentisch, den ich gleich mit zu Boden riss. Einer von den Jungs am Tisch wollte mich festhalten, flog aber gleich in eine andere Ecke, weil Twiggy nicht mitbekommen hatte, was passiert war, und ihn mir prophylaktisch mal vom Hals schaffen wollte. Schon machten drei Kollegen Front gegen Twig. Aber Ela schob sich schnell dazwischen.
»Wehe euch!«, klirrte sie. Da keiner so genau wusste, worum es eigentlich ging, fror die Szene erstmal ein, als warteten sie alle darauf, dass jetzt von der Regie die Zeitlupe eingespielt würde.
Ich rappelte mich hoch und trank erst mal mein Bier aus, das ich mit der Linken während der ganzen Nummer instinktiv so gehalten hatte, dass ihm nix passieren konnte. Menschen, Tiere, Sensationen.
»Alles okay!«, grinste ich. »Kein’ Hektik! Minge Fähler – kutt, ich jevv ’n Rund us!«*
»Dat is aber dann auch die letzte!«, beschied Ela und nickte ihrer Theke ihr Einverständnis zu. »Du jehs’ dann jlaub’ ich besser in et Bett, Büb!«
Na ja, danach wollte ich jetzt auch nicht mehr mit ihr streiten, nahm mein Bier entgegen, prostete der Runde zu und setzt mich ruhig in die Ecke.
***
D.O.M.! D.O.M.E.-Concerts! Da hatte wohl wirklich kurzzeitig das kranke Hirn ausgesetzt. Dieter Otto Meyer war seit drei, vier Jahren einer der erfolgreichsten Konzertveranstalter der Stadt. Ich war ihm persönlich erst einmal begegnet, als Kathrinchen mich mal auf ein Abba-Konzert in die Sporthalle geschleppt hatte. Da musste man natürlich hin – vier Nummer Einsen in diesem Jahr, davon allein sieben Wochen Fernando, das konnte hierzulande natürlich nur die George Baker Selection von der Berufsholländer-Fraktion mit ihrer fröhlichen Paloma Blanca überbieten – fröhlich wie ’ne lauwarme Flasche Fanta …
Aber dass ich mir selbst und meiner Kapelle noch ’nen Hit schuldig war, das wusste ich ja schon lange – dringender war ja wohl im Moment rauszufinden, wo die Blaue Britta war und was dieser Porsche fahrende Schnösel damit zu schaffen hatte. Für die Asche, die der jede Woche in seinen super-säuberlich gestutzten Schnäuzer investierte, könnte ich mir wahrscheinlich gut ’n Paar neue Stiefel machen lassen. Kathrinchen hatte damals auf der After-Show-Party darauf bestanden uns vorzustellen, aber ich mochte ihn nicht – Augen so lebendig wie die einer Forelle blau und ein Händedruck wie vom selben Tier, als es noch lebte. Auf seine obercoole Art machte er Kathrinchen den Hof wie blöd und versuchte so zu tun, als sei ich gar nicht mehr da. Er war wohl von mir auch nicht so begeistert.
»Wo mein Bier is?«, fragte ich sie, als ich das Spielchen leid war. Das brachte zumindest seinen Schnäuzer mal kurz zum Zucken. Als sie dann aber tatsächlich losstöckelte, um mir eins zu holen, ertappte ich ihn dabei, wie seine Wangenmuskeln wackelten. Ich drehte eine Zigarette, so dick und krumm ich konnte, und wollte sie ihm zum Trost anbieten, aber da hatte er plötzlich inmitten all der Catering-Geier Hello! Agneta! entdeckt, der er dringend den Rüschenkragen verkrumpeln musste. Vielleicht mochte sie keinen Qualm.
Der schöne Abba-Abend hatte damit geendet, dass ich nachts um drei aus der Bar vom Interconti rausflog, weil ich zwei Flaschen Apfelsaft und eine Flasche Korn bestellt und diese dann in einem Cocktail-Shaker zusammengeschüttet hatte. Leider war der Shaker für diese Menge gar nicht groß genug gewesen.
»’n biss’n Valuss is’ imma!«, versuchte ich den Barkeeper ein paar Mal zu belehren, aber der war einer von den beurkundeten Besserwissern und nach dem dritten Mal nicht mehr bereit dazuzulernen. Also Tschüs, Interconti. Und Tschüs, Kathrinchen, die nach ihrem achtzehnten Jägermeister mit Zosche unbedingt von einem Porsche nach Hause gebracht werden wollte. Ich hatte mal wieder keinen dabei.
***
»Hier, dann mach dä Rest au’ noch weg!«, stellte Ela mir eine Flasche vor die Nase. Daneben legte sie einen Schlüssel. »Un’ dann jehste rauf un’ legst dich scho’ma’ in die Heia. Du siehs’ ja aus, als würdste hier am Tisch schon wegknacken!«
Ganz Unrecht hatte sie wohl nicht. Ich trank den Schluck Apfelkorn gleich aus der Flasche. Als ich mich noch von Twiggy verabschieden wollte, stellte ich fest, dass der mit seiner Roswitha schon abgezogen war. An der Theke saß noch ein Fünfer-Clübchen und spielte Kampftrinken – ein Würfel, jeder einen Wurf; wer die niedrigste Augenzahl hat, gibt ’ne Runde Schnaps aus; wer ’ne Sechs wirft, bestellt Bier. Das konnte sich noch hinziehen. Ich war schon versucht, mich noch in die Runde einzuklinken, aber ein warnender Blick von Ela riet mir davon ab. Dann eben Nacht zusammen.
Ich ging zur Hintertür raus und arbeitete mich hoch zum ersten Stock. Die vier Runden mit dem Türschloss gewann ich klar durch technischen k.o., und drinnen schaffte ich es sogar, mich alleine und komplett auszuziehen. Ich kriegte sogar das Radio noch an, wo Elmar Gunsch gerade Hot Chocolate ankündigte: »… mit ihrem Titel Tears on The Telephone – Tränen auf dem Telefon …« Der gute, alte Elmar.
Die erste Strophe bekam ich schon nicht mehr mit.
***
Wieso hab ich so ’nen kalten Rücken? Was machen diese kalten Spinnen auf meinem Bauch? Und wieso ist mein Hintern dann so warm? Ich wühlte mich hoch aus einem Traum, in dem gelbe Ford Capris, überladen mit rothaarigen Barhockern aus blutdurchtränktem Gips, gesteuert von Asiatinnen mit langen schwarzen Haaren, die alle das Gesicht von Britta hatten, über die Hohenzollernbrücke auf einen Strand zu segelten, an dem langschwänzige Neger mit Schäferhundschnauzen Apfelkorn aus Zehn-Liter-Kanistern tranken. Sie trugen rote Trainingshosen und graninifarbene Turnschuhe und grölten Und du bist mein Sofa! Ich versuchte verzweifelt, den Dreck unter meinen Walzen loszuwerden, aber auf meinem Rücken hing ein riesiges Hundevieh, das mir das Ohr leckte. Ein geiles Gefühl …!
Und es war auch kein Hund, sondern Ela, die zu mir ins Bett gekrochen war. Vorher hatte sie sich noch ihren Kneipenmief weggeduscht, als letztes offenbar kalt, und sich nicht abgetrocknet. Sie hatte ihre Hände, ihre Füße, ihre Schenkel, ihre Zunge, ihre Zähne überall und gab leise, gurrende Töne von sich. Ihre Brustwarzen waren hart und so kalt, dass sich auf meinem Rücken eine Gänsehaut bildete, und ihr Unterleib so heiß an meinem Hintern, dass das Wasser schon verdampft sein musste. Da soll ein Mensch bei schlafen können. Aber besser als dieser blöde Traum war es allemal. Eine Stunde später waren wir beide klatschnass. Und erheblich lauter.
Als ich wieder einschlief, von ihren Armen und Beinen umschlungen, ein paar Zentimeter von mir immer noch in ihr, fühlte ich mich wohl wie ein gerade gestillter Säugling und so gut wie lange nicht mehr. Wenn sie einen Reißverschluss gehabt hätte, wäre ich ganz in sie reingekrochen.
7

Waidmanns Heil
Bin zur Metro, einkaufen. Vorsicht! In dem Apfelsaft ist kein Korn drin!, stand auf dem Zettel, der zwischen den beiden Eierbechern auf dem Küchentisch steckte. Ein Schinkenbrot, Kräuterquark, eine Tomate – alles, was man für ’nen anständigen Tagesauftakt braucht. Dazu volle Möhre Litte Feat’s Last Record Album, was will man mehr?
Aber schon als ich das zweite Ei aufschlug, fiel mir Zaks einbandagierter Schädel wieder ein. Und Britta. Und die dreckige Fresse vom Brikett-Fuss. Ende der Idylle.
Passend bei Lowell George’s I See No End To The Dead End war ich mit meinem Frühstück fertig und machte mich auf den Weg zum Marien-Hospital. Unterwegs besorgte ich noch zwei neue Kassetten, damit der arme Zak sich nicht zu Tode langweilen musste. Es ging ihm weder besser noch schlechter als am Tag vorher. An seinem Bett saßen drei seiner Taxikollegen und spielten Schieberramsch. Dabei erzählten sie, wo sie Nijinsky und Fuss schon überall vermutet, aber noch nicht aufgestöbert hatten, und was den beiden blühen würde, wenn. Einer der Jungs, der Ex-Legionär Algerien-Fred, zeigte mir »ming Lalla«. Ich kenne mich mit Waffen nicht so aus, aber das Ding sah ganz so aus, als könne man mit einer Magazinladung den Gürzenich in Schutt und Asche legen. Wie die drei redeten, klang es ganz so, als wüsste schon die ganze Stadt, dass Kölns Taxifahrer auf dem Kriegspfad seien. Wenn die beiden Schläger nicht ganz so blöd waren, wie sie aussahen, saßen sie jetzt irgendwo in Düsseldorf und mucksten sich nicht.
Ich wünschte Waidmanns Heil und zog los, um Kathrinchen zu treffen, die auf der Hohe Straße in einer dieser poppigen neuen Filialen einer großen Kette von Plattenläden als Geschäftsführerin arbeitete.
***
Auf dem Weg dorthin stieg ich am Friesenplatz aus, um kurz nach Twiggy zu sehen. Er wohnte am Kaiser-Wilhelm-Ring, sechs Stockwerke über Dr. Müllers Sex-Shop, in einem Raum, der wohl früher mal der Trockenspeicher gewesen war. Das Ding war ungefähr so groß wie das Foyer vom Agrippa-Bad und, von den schrägen Dachwänden abgesehen, ähnlich gemütlich. Twig hatte, um Bad, Kochnische und Schlafecke ein wenig abzuteilen, ein paar mannshohe, rot-weiße »Wände« aus leeren Beck’s-Bier-Büchsen gestapelt. Neben der Kochnische stand eine runde, gläserne Duschkabine, die bis obenhin mit vollen Büchsen zugebaut war. Aus der Dusche lief Tag und Nacht kaltes Wasser darüber. Ich holte mir zwei raus und ging dem Gesang nach – bzw. dem, was Twiggy dafür hielt. Ray Charles war wahrscheinlich erblindet, als und weil er diese Version von Take These Chains From My Heart mal gehört hatte.
Der Interpret lag in der Badewanne und badete Jackie O., die ihren drei Meter langen, armdicken, gold-braun-schwarz gefleckten Leib genüsslich um seine Beine gleiten ließ. Ihr Gesicht schien wohlig zu grinsen – aber so sah sie auch aus, wenn sie die lebendigen Karnickel verschlang, die ihr Herrchen ihr in dem Grüngürtel aus Parks und Schrebergärten, der sich um Köln herumzog, mit einer Art Luftpistole mit kleinen Betäubungspfeilen jagte. Die Tigerpython fraß auch die Reste der Calamares, die Twiggy bei Stephanidis pfundweise zu verdrücken pflegte. Und sie liebte Beck’s Bier. Nach zwei Büchsen davon rollte sie sich auf dem Bett zusammen und schlief vier bis fünf Tage lang ihren Rausch aus. Und wehe, es war kein Karnickel da, wenn sie wieder wach wurde – dann war Twiggy der einzige, der sie davon abhalten konnte, ein paar Rippen zu knacken.
»Hi, Jackie«, begrüßte ich sie höflich und reichte Twig eine der Büchsen. Sie gab keine Antwort. Sie mochte mich nicht besonders, seit ich eines Nachts mal besoffen in ihr Terrarium gekotzt hatte. Das Steak, das ich ihr am nächsten Tag als Versöhnungsgabe mitgebracht hatte, blieb zwei Wochen unbeachtet liegen, bis sie sich herabließ, den stinkenden Brocken zu verschlingen.
»Any news, Boob?« Ich erzählte ihm, was ich bisher wusste. Was schnell passiert war – es war ja nicht viel.
»So what’s next?«
»Jetzt geh ich erst mal Kathrinchen interviewen, und danach werd ich wohl mal das D.O.M.E.-Büro beehren. Vielleicht gibt es da ja irgendwen, der mich was schlauer machen kann.«
»Want me to come?«
»Nö, ich denke doch, dass mir in dem Büro nix passieren wird. Oder?« Ein Schulterzucken. »Zur Not schmeiß ich ’n paar Schreibtische aus’m Fenster. Morgen und übermorgen bin ich übrigens mit Penner’s Radio on the road.«
»Da’s good – ick wollt’ an Wockenend’ kleine trip nach Belfast mäcken. Have a litte fun.« Ach du Scheiße! »A little fun in Belfast« hieß bei Twiggy, mit einer geliehenen Cessna selbst hinfliegen, mit seinen Kumpels von der I.R.A. tagsüber in den finstersten Untergrundkaschemmen ein paar Flaschen Whiskey leer machen, diese abends mit Benzin füllen, mit einem Lappen verschließen und nachts als Molotow-Cocktails auf die »Fuckin’ British Army« schmeißen. Jackie O. kriegte dann freitags ihr Bier und pennte bis mindestens Dienstag.
»Ich hoffe, du lebst noch, wenn ich Montag wiederkomme. Und ich hoffe, die Britta auch.«
Noch ein Schulterzucken und ein beruhigendes Kopfschütteln.
»They wanna snuff her, they done it right away at the Schreber joint. Shouldn’t worry ’bout that. Yet.«* Wie tröstlich. Ich trank mein Bier aus, platzierte die Büchse vorsichtig auf einer der Blechwände und ließ die beiden weiterplanschen.




