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Die Schwärzung dieser Fotoplatte läutete das Atomzeitalter ein. In der unteren Hälfte die vagen Umrisse des Kupferkreuzes, oben eine handschriftliche Notiz des Entdeckers
Daß diese Zufallsentdeckung eine neue Epoche der Menschheit einleiten würde, nämlich das Atomzeitalter, das konnte Becquerel nicht ahnen. Ihm war noch nicht einmal der Begriff »Radioaktivität« bekannt. Das von ihm beobachtete Phänomen betrachtete er als eine Art »langlebige Fluoreszenz«, eine Strahlung, die kurioserweise von einem Metallsalz ausging. Die Wissenschaft kannte ja schon mehrere Strahlenarten, die Radiowellen beispielsweise und das Sonnenlicht, das Leuchten der Glühwürmchen und das Phosphoreszieren verfaulenden Holzes. Warum sollte es nicht auch eine Art »Salzlicht« geben? Am 2. März 1896 berichtete Becquerel vor der Académie des Sciences über die Entdeckung einer natürlichen Strahlung des Elements Uran, welche ebenso wie die X-Strahlen des Herrn Kollegen Röntgen feste Körper durchdringen konnte. In mehreren Aufsätzen legte er weitere Beobachtungen über die »Becquerelstrahlen« vor. Als ein Echo ausblieb, verlor er das Interesse und wandte sich wieder seiner Fluoreszenzforschung zu.
Woher kommt die Energie?
Vielleicht wäre seine Entdeckung in Vergessenheit geraten, hätten sich die aus Polen stammende Marya Sklodowska (1867–1934) und der französische Physiker Pierre Curie (1859–1906), ihr Kollege und späterer Ehemann, nicht gefragt, woher denn die zwar geringen, aber deutlich meßbaren Energiemengen stammen, die vom Uran und seinen Verbindungen unablässig ausgestrahlt werden. Sie arbeiteten ungeheure Mengen uranhaltiger Pechblende auf in der Hoffnung, die unbekannte Energiequelle zu finden. Nach zwei Jahren konnten die beiden Forscher in den Comptes Rendus verkünden, daß sie aus 8000 kg Pechblende ein knappes Gramm eines neues Elementes isoliert hatten, von dem eine extrem starke Strahlung ausging. Das Element solle den Namen »Radium« – das Strahlende – erhalten.

Der Brief an die französische Akademie, in dem Becquerel seine Entdeckung beschreibt
Die Entdeckung des Radiums brachte das hergebrachte Weltbild der Wissenschaft ins Wanken. Der Beweis war erbracht, daß die Atome eben nicht »atomos«, d. h. unteilbar, sind. Sie mußten aus noch kleineren Partikeln aufgebaut sein. Nun war Becquerels Interesse an den Uransalzen wieder geweckt. Er fand heraus, daß die radioaktiven Strahlen imstande waren, Gase zu ionisieren und elektrisch leitend zu machen. Das war insofern eine wichtige Entdeckung, als man nun diese Strahlen auch messen konnte, nämlich mit einem ganz einfachen Goldplättchen-Elektroskop.
Das vergessene Glasröhrchen
Für die Entdeckung der Radioaktivität erhielt Henri Becquerel im Jahr 1903 den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit dem Ehepaar Curie. Eigentlich hätten diese drei Forscher auch den Nobelpreis für Medizin verdient gehabt: Unabhängig voneinander entdeckten sie die physiologischen Wirkungen der radioaktiven Strahlen auf das lebende Gewebe, und zwar am eigenen Körper. Von Marie Curie persönlich hatte Becquerel anläßlich eines Besuches einige Milligramm Radium erhalten. Das achtlos in die Westentasche gesteckte Glasröhrchen hatte er bereits vergessen, als sich nach einigen Tagen an seinem Körper schwere Verbrennungen zeigten. Marie Curie, der er von seiner Vergeßlichkeit und ihren schmerzhaften Folgen erzählte, gestand, daß auch sie Verbrennungen an den Händen erlitten habe, als sie ungeschützt mit Radiumpräparaten gearbeitet hatte. Ihr Ehemann Pierre Curie griff dieses bis dahin unbekannte Phänomen auf und bestätigte durch einen Selbstversuch die zerstörende Wirkung der radioaktiven Strahlen auf biologisches Gewebe. Die gemeinsame Veröffentlichung der drei Forscher hatte zur Folge, daß sich drei Jahrzehnte später die Strahlentherapie des Krebses allgemein durchsetzen konnte.
In seinen letzten Lebensjahren wurde Becquerel mit zahlreichen Preisen und Medaillen geehrt. Ausländische Akademien ernannten ihn zu ihrem Mitglied. Die Académie des Sciences wählte ihn 1908 zum Präsidenten und Sekretär auf Lebenszeit. Doch schon sechs Wochen später, am 25. August 1908, starb Becquerel im Alter von 56 Jahren auf seinem Landsitz Le Croisic in der Bretagne an den Folgen der Strahlenschäden, die er sich bei der Arbeit mit den radioaktiven Uransalzen zugezogen hatte.
Dunkle Vorahnung
War sich Henri Becquerel über die Folgen seiner epochalen Entdeckung im klaren? Daß er sie zumindest geahnt hat, geht aus einer Äußerung hervor, die er gegen Ende seines Lebens machte: »Ob die Wissenschaft schließlich so weit fortschreiten wird, daß sie die praktische Verwendung des ungeheuren Energievorrats zu nutzen vermag, dies ist eine Frage, auf die nur die Zukunft antworten kann. Man möge aber daran denken, daß die Elektrizität in den Anfängen der Forschung auch nur als reine Spielerei angesehen wurde, zu nichts nütze, als Kinder zu unterhalten, indem sie mit einer geriebenen Siegellackstange Papierschnitzel anzuziehen versuchen.«
Siedendheiß und bitterkalt
Die Temperaturskala des Anders Celsius (1701–1744)

Anders Celsius, schwedischer Astronom * 27. November 1701 in Uppsala † 25. April 1744 in Uppsala
»Nachts Frost bis minus fünf Grad, Temperaturen tagsüber ansteigend auf Werte zwischen vier und acht Grad.« Täglich hören wir solche Informationen im Wetterbericht, und jeder weiß sofort Bescheid: Es handelt sich um Celsius-Grade.
In den USA hätte diese Ansage eine ganz andere Bedeutung, denn dort werden die Temperaturen bekanntlich nicht in »Grad Celsius« (°C), sondern in »Grad Fahrenheit« (°F) gemessen.
Nochmals anders müßte der Wetterbericht im wissenschaftlichen Sprachgebrauch lauten: »Nächtliche Tiefsttemperaturen bis 268,13 Kelvin ...«. Die international festgelegte Maßeinheit der »thermodynamischen« Temperatur ist nämlich das »Kelvin«.
Man sieht: Die Bezeichnung »Grad« ist ohne Zusatz keineswegs eindeutig. Es gibt ohnehin ja noch zahlreiche andere Gradeinteilungen: Die geographische Länge und Breite, der Winkel, das Mostgewicht, die Härte der Edelsteine – alles wird in Graden gemessen.
Nach diesem Exkurs in die ähnlich klingenden, aber total verschiedenartigen Fachgebiete Meteorologie (Wetterkunde) und Metrologie (Maß- und Gewichtskunde) kehren wir zurück zum Namen Celsius. So vertraut uns das Temperaturmaß »Grad Celsius« auch ist, so wenig bekannt dürfte für die meisten das Leben des Mannes sein, der dieser häufig benutzten Maßeinheit seinen Namen gab.
Erbliches Interesse für Mond und Sterne
Anders Celsius, 1701 in Uppsala geboren, wuchs mit den Gestirnen auf. Schon als Zehnjähriger kannte er die Namen der Sternbilder, mit dem Fernrohr seines Vaters betrachtete er die Mondkrater und wartete in den Augustnächten auf Sternschnuppen. Dieses bei Kindern seines Alters eher ungewöhnliche Interesse hatte er geerbt: Sowohl der Vater, Nils Celsius, als auch die beiden Großväter waren Professoren der Astronomie an der ältesten schwedischen Universität in Uppsala, einer Kleinstadt von (damals) 3000 Einwohnern.
Als Anders Celsius die Schule verließ, war er schon fast ein perfekter Sternenkundler. Daß er später Astronomie studieren würde, war für ihn selbstverständlich. Der Vater, der keine allzu guten Erfahrungen mit den Universitäten gemacht hatte, wollte jedoch, daß der Junge im Staatsdienst Karriere machte. Dafür war ein Jurastudium das beste Sprungbrett.
Widerwillig gehorchte der Sohn, doch seine Vorliebe für Mathematik und Naturwissenschaften war stärker als das väterliche Machtwort. Zusammen mit einem Freund vergnügte er sich in der Freizeit an physikalischen, arithmetischen und meteorologischen Aufgabenstellungen. Am liebsten frönte er seinem Hobby, der Sternbeobachtung. Schwankend zwischen der Juristerei und seinen Liebhabereien, zog sich sein Studium fast zehn Jahre dahin. Als Celsius seine Promotionsschrift vorlegte, handelte diese nicht von Paragraphen, sondern von der Drehbewegung des Mondes. Im Alter von 28 Jahren wurde Anders Celsius zum Professor der Astronomie ernannt. Seine Vorlesungen über die »astronomische Beobachtungskunst« waren sehr beliebt und stets überfüllt.
Zwei Jahre auf großer Tour
Um seinen Studenten nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis der Sternbeobachtung vermitteln zu können, stellte Celsius den Antrag, an der Universität Uppsala ein mit den modernsten Instrumenten ausgestattetes Observatorium zu bauen. Nur so könne Schweden künftig mitreden, wenn es um die »Sternenkunst« gehe. Nach langen Verhandlungen genehmigte der König den Antrag und dazu das Geld für eine Auslandsreise. Zwei Jahre lang sollte sich Professor Celsius an den bedeutendsten europäischen Sternwarten über den neuesten Stand der Astronomie und der astronomischen Instrumente informieren.
Für Celsius, damals 29 Jahre alt, war die grand tour die Chance seines Lebens. Seine erste Station war Berlin; hier blieb er fast ein Jahr. Dabei hatte er das Glück, eine partielle Sonnenfinsternis beobachten und dokumentieren zu können. Am Observatorium in Nürnberg bestimmte er die geographische Breite der Stadt. Dann reiste er weiter an die damals berühmte Gelehrtenuniversität Altdorf in Franken und nützte dort die Zeit, um eine Abhandlung über »316 Beobachtungen des Nordlichts« zu schreiben. Es war eine erste zusammenfassende Beschreibung der eigentümlichen Lichterscheinungen in der Polarregion (»aurora borealis«). Sein weiterer Weg führte ihn nach Venedig und Padua, dann für sieben Monate nach Bologna, wo er Messungen zur Bestimmung der Ekliptik der Erde durchführte. In der Sommerresidenz des Papstes in Rom, dem Quirinalspalast, machte er Messungen über die Intensität des Mondlichts. So verbreiterte er systematisch sein Wissen auf den verschiedensten Gebieten der Geographie und Astronomie.
Die Einheit Celsius
Nach dem Gesetz über die Einheiten im Meßwesen (siehe DIN 1301) ist die SI-Basis-Einheit der »Thermodynamischen Temperatur« das Kelvin (K). Als »besonderer Name« für die SI-Temperatureinheit (genauer als Differenz zwischen zwei thermodynamischen Temperaturgraden) ist auch die Angabe in »Grad Celsius« (°C) zugelassen.

In Paris, der letzten Station seiner Reise, wollte sich Celsius mit den neuesten Sternbeobachtungen vertraut machen. Doch die französischen Gelehrten hatten keine Zeit für ihn, es herrschte große Aufregung. Bei einer Gedächtnisveranstaltung für den verstorbenen englischen Physiker Isaac Newton (1643–1727) hatte sich eine heiße Diskussion an dessen Hypothese entzündet, die Erde habe keine ideale Kugelgestalt. Infolge der Zentrifugalkräfte müsse die Erdkugel am Äquator ausgebuchtet sein, also ein »abgeplattetes Rotationsellipsoid« darstellen. Warum diese These auf so großen Widerstand stieß, wird verständlich vor dem Hintergrund, daß kurz zuvor französische Wissenschaftler bekanntgegeben hatten, die Erde habe die Form einer Melone, mit Ausbuchtungen an den Polen. Da das Verhältnis zwischen den (zu dieser Zeit überlegenen) englischen Universitäten und den aufstrebenden französischen Gelehrtenschulen nicht gerade das beste war, prallten die Meinungen hart aufeinander. In Paris wollte man nicht wahrhaben, daß die Engländer in Isaac Newton den alles überragenden Physiker besaßen.

Expedition zum Polarkreis
Wer wollte Newtons Theorie der »äquatorialen Ausbuchtung« beweisen, wer widerlegen? Wenn die Erde an den Polen abgeplattet ist, müßte der »waagrechte« Erddurchmesser auf Höhe des Äquators etwas größer sein als der »senkrechte« von einem Pol zum anderen. Die einzige Möglichkeit, Klarheit zu schaffen, bestand darin, den Abstand zwischen zwei Breitenkreisen genau zu vermessen, einmal in der Nähe des Äquators und zum Vergleich einen anderen Meridianabschnitt möglichst weit im Norden. Die französische Akademie der Wissenschaften rüstete zwei wissenschaftliche Expeditionen aus. Die eine sollte nach Peru reisen, die andere in ein Land nördlich des Polarkreises. Celsius schlug vor, diese Expedition nach Lappland zu entsenden. Er erklärte sich bereit, an dem Unternehmen selbst teilzunehmen, was gerne akzeptiert wurde, da er sich inzwischen einen guten Ruf als Astronom erworben hatte und außerdem die Landessprache beherrschte.
Nach einjähriger Vorbereitungszeit wurde im Mai 1736 das kühne Vorhaben gestartet. Von Dünkirchen aus stach das Segelschiff »Prudent« in See, mit dem Ziel Tornio am Bottnischen Meerbusen. Unter Führung des französischen Physikers Pierre de Maupertuis (1698–1759) – er wurde später wissenschaftlicher Berater Friedrichs des Großen – hatten sich an Bord führende Mathematiker, Geographen und Vermessungsspezialisten versammelt, unter ihnen auch der Astronom Anders Celsius.
Unzuverlässige Thermometer
Die exakte Vermessung des etwa 100 km langen Meridianbogens nördlich der Hafenstadt Tornio stellte die Expeditionsteilnehmer vor unerwartet große Schwierigkeiten. Das unwegsame, fast unbewohnte Gelände, die Überwindung hoher, schneebedeckter Berge und reißender Flüsse, die bittere Kälte im Winter und die Schnakenplage im Sommer, die lokalen Kompaßstörungen und vor allem die schlechten Lichtverhältnisse während der Polarnacht brachten Anders Celsius und seine Begleiter mehr als einmal an den Rand der Verzweiflung. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis die Expedition zu ihrem Schiff nach Tornio zurückkehren konnte. Ein wichtiges Kapitel der Erdvermessung war abgeschlossen und der Beweis erbracht: Newton hatte recht, die Erde ist keine Kugel, sondern an den Polen abgeplattet. Die Fachwelt feierte die Lapplandexpedition als großen Erfolg der Wissenschaft.
Nur Celsius selbst war unzufrieden. Die unter seiner Leitung durchgeführten Pendelversuche, die über die Gravitationskräfte und damit über die Entfernung zum Erdmittelpunkt Aufschluß geben sollten, hatten keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. Er wußte auch warum: Die von der Expedition mitgeführten Thermometer des französischen Physikers Réaumur waren nicht nur sehr schwer und unhandlich, sondern auch völlig unzuverlässig, vor allem bei winterlichen Temperaturen. Ein Expeditionsmitglied schrieb dazu:
»Unsere Thermometer taugen ganz und gar nichts. Sie sind von Weingeiste, haben keinen beständigen Punct, die Gradirung davon anzufangen, und stimmen nicht miteinander überein, welches ich selbst genugsam an zween dergleichen gesehen, die sich in Upsal befinden.«
Genaue Temperaturmessungen wären jedoch nötig gewesen, um die Pendeluhr richtig zu justieren. Celsius nahm sich vor, diesen Mangel abzustellen.
Wohin mit dem Nullpunkt?
An die Universität Uppsala zurückgekehrt, beschäftigte sich Celsius zunächst mit der Aufgabe, das im Bau befindliche Observatorium mit den modernsten Instrumenten auszurüsten. Daneben widmete er sich der Konstruktion eines zuverlässigen Thermometers. Exakte Temperaturmessungen wurden nicht nur im wissenschaftlichen Bereich benötigt, sondern auch im Handwerk, z. B. bei den Bierbrauern, Seifensiedern, Branntweinbrennern und den Färbern. Celsius hoffte, daß ein allgemein verwendbares Meßinstrument guten Absatz finden und ihm einen schönen Nebenverdienst garantieren würde. Neben der Wahl der richtigen Glassorte – mit möglichst geringem Ausdehnungskoeffizienten – war das Problem zu lösen, welche Thermometerflüssigkeit am besten geeignet war. Celsius entschied sich – wie schon verschiedene seiner Vorgänger, z. B. Fahrenheit – für Quecksilber, das allerdings sehr rein sein mußte. Am wichtigsten für ihn war jedoch die Frage der Gradeinteilung. Welche Bezugspunkte für die Skala sollte er wählen, wo war der »beste« Nullpunkt?

Eichung eines Thermometers nach der Celsius-Skala. Kupferstich (1764)
1742 stellte Celsius die Konstruktion eines deutlich verbesserten Quecksilberthermometers vor. Das Instrument war mit einer parallel angebrachten Dezimalskala ausgestattet. Celsius kennzeichnete den Siedepunkt des Wassers mit der Zahl 0, den Gefrierpunkt des Wassers mit 100. In einem Schreiben an die Schwedische Akademie über die »Beobachtung von zween beständigen Graden auf einem Thermometer« heißt es: »Ich für mein Theil finde keine bequemere und sichere Art, die Grade auf einem Thermometer abzutheilen, als einige Puncte von der Höhe des Quecksilbers zu bestimmen. Wenn das Wasser kocht und zu frieren anfängt, und darnach die übrigen Grade zu verzeichnen …«
Damit war die dezimale Celsius-Skala geboren, die heute in den meisten Ländern der Erde (mit Ausnahme der USA und Englands) verwendet wird. Auch zur Eichung des Thermometers machte Celsius genaue Angaben:
»Der Punct des gefrierenden Wasser läßt sich am genauesten bestimmen, wenn man das Thermometer im klebrichten Schnee eine halbe Stunde stehen läßt …«
Der Wärmemesser des Anders Celsius fand als »Schwedisches Thermometer« bald Eingang bei den meisten europäischen Universitäten. Die Abkürzung »°C« bedeutete damals »Centigrad«, erst später wurde daraus die heutige Bezeichnung »Grad Celsius«. Der berühmte Naturforscher Carl von Linné (1707–1778), dem wir die Systematik und Nomenklatur der Pflanzennamen verdanken, machte später den Vorschlag, die Skala umzudrehen: Es wäre doch besser, mit der Zahl 0 den am unteren Ende der Skala liegenden Eispunkt zu markieren, mit der Zahl 100 den Siedepunkt des Wassers. Darauf einigten sich die Fachleute, das heute gebräuchliche Thermometer war erfunden.
Anders Celsius war in Schweden ein hochgeachteter Gelehrter, der weitsichtig und energisch seine Pläne verfolgte. Seine Studenten gingen für ihn durchs Feuer. Für seine Verdienste bei der Lapplandexpedition erhielt er vom französischen König eine lebenslängliche Pension von 1000 Livres. Sehr lange konnte er sich dieser Wertschätzung jedoch nicht erfreuen. Von der Lapplandexpedition hatte er einen hartnäckigen Husten mitgebracht, der sich nicht bessern wollte. Als sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlechterte, stellten die Ärzte fest: Celsius litt an der (damals unheilbaren) Volkskrankheit Schwindsucht (Lungentuberkulose).
Anders Celsius starb am 25. April 1744 – unverheiratet – im Alter von 42 Jahren. Seine Verdienste auf dem Gebiet der Astronomie werden heute kaum noch erwähnt, seine Arbeiten über das Magnetfeld der Erde und dessen Auswirkungen auf das Nordlicht sind durch neuere Forschungen überholt. Dennoch, der Name Celsius ist unvergessen. Auf der Rückseite aller Fieberthermometer ist jenes »C« eingraviert, das jedermann mühelos als Abkürzung für den Namen Celsius erkennt.
Der hartnäckig geführte und bis heute noch nicht beendete Streit, welche Temperaturskala gelten sollte, die nach Celsius, jene des französischen Gelehrten Graf de Réaumur (1683–1757) oder die von dem deutschen Instrumentenmacher Daniel Gabriel Fahrenheit (1686–1736) propagierte Skala, hat auch Eingang in die Lyrik gefunden:
Die Abtrünnigen
– »Ich bin der Graf von Réaumur
und haß’ euch wie die Schande!
Dient nur dem Celsio für und für,
Ihr Apostatenbande!«1
Im Winkel König Fahrenheit
hat still sein Mus gegessen.
– »Ach Gott, sie war doch schön, die Zeit,
da man nach mir gemessen!«
Christian Morgenstern, Galgenlieder
1Apostaten sind Abtrünnige einer Partei oder Religion

René-Antoine Réaumur (1683–1757), französischer Physiker. Porträt, Stahlstich
Forschung am seidenen Faden
Charles Augustin de Coulomb (1736–1806) und das Grundgesetz der Elektrostatik

Charles Augustin de Coulomb, französischer Ingenieur * 14. Juni 1736 in Angoulême † 23. August 1806 in Paris
Seit undenklichen Zeiten benutzen die Menschen für das Abwiegen von Gegenständen zwei Schalen, die an einem gemeinsamen Angelpunkt befestigt sind. In der einen Schale liegt die Ware, die gewogen werden soll, in die andere Schale kommen soviel geeichte Gewichte, bis beide Schalen im Gleichgewicht sind.
Für den Handel ist diese einfache Methode ausreichend genau. Was aber, wenn es darum geht, etwa das Gewicht eines menschlichenHaares zu bestimmen? Oder die Schwere eines Mehlstäubchens?
Es war ein französischer Offizier, der 1784 eine geniale Methode erfand, mit der geringste Anziehungs- und Abstoßungskräfte, ja sogar die Änderung des Magnetfeldes gemessen werden konnten. Sein Name wird heute als Maßeinheit für die Elektrizitätsmenge verwendet.
Charles Augustin de Coulomb, geboren 1736 in Angoulême (Südfrankreich), war das einzige Kind eines hohen Regierungsbeamten in Paris. Die Ehe der Eltern war nicht gerade glücklich. Nach der Trennung von seiner Frau gab der Vater sein Amt als Inspekteur der Königlichen Domänen auf und zog sich auf den Familiensitz in Südfrankreich zurück, während die Mutter mit dem Sohn allein in Paris blieb.
Am Collège des Quatre-Nations zeigte der Junge gute Leistungen, vor allem in Mathematik. Die Mutter wollte, daß Charles Medizin studiert. Doch er widersetzte sich und bestand darauf, Ingenieur zu werden. Es kam zum Streit, zur Strafe für seinen Eigensinn entzog ihm die Mutter die Unterstützung. Charles mußte sein Studium am Collège Royal vorzeitig beenden, er zog zum Vater nach Montpellier. 1764 trat Coulomb dem Königlichen Ingenieurskorps der Armee bei und ließ sich in die Kronkolonie Martinique versetzen. Dort wurde er mit der Bauleitung von Befestigungsanlagen betraut.
Für seine Erfindung zum Ritter geschlagen
Nach acht Jahren Dienst im ungesunden Tropenklima der Antilleninsel erkrankte Kapitän Coulomb schwer und mußte in die Heimat zurückkehren. Kaum genesen, beteiligte er sich an einem Wettbewerb, den die Französische Akademie ausgeschrieben hatte. Die Aufgabe bestand darin, ein Instrument zu konstruieren, das den Schiffen auf hoher See eine genauere Kursbestimmung ermöglichte. Mit seinem in der Praxis geschulten, scharfen und kritischen Verstand und einem ausgeprägten Sinn für wissenschaftliche Methoden untersuchte Coulomb das Schwingungsverhalten von Kompaßnadeln. Mit der Konstruktion eines verbesserten Schiffskompasses gewann Coulomb den ersten Preis. Der neue Kompaß bewährte sich in der Praxis glänzend, der Erfinder wurde zum Ritter des Saint-Louis-Ordens geschlagen. Dieser Erfolg gab dem noch immer im Militärdienst stehenden, inzwischen zum Oberstleutnant beförderten Coulomb entscheidenden Auftrieb. In den folgenden Jahren veröffentlichte er zahlreiche weitere Abhandlungen über die Ergebnisse seiner Freizeitforschungen. Sie zeigten eine erstaunliche Bandbreite: Arbeiten über den Bau von Windmühlen, über die Bodenmechanik bis zur Theorie einfacher Maschinen. Er unterschied als erster zwischen gleitender und rollender Reibung. Mit Untersuchungen über die Belastbarkeit von Gewölben und Balken, besonders aber mit seiner noch heute gültigen Theorie des Erddrucks gegen Mauern legte er den Grundstein zur wissenschaftlichen Baustatik. Dank seiner Theorie wurde es möglich, Brücken mit gußeisernen Rundbögen und Spannweiten bis zu 30 m zu konstruieren. Coulomb gehörte schon bald zu den berühmtesten Brückenbauern der Welt.

Das Fort Royal auf der Insel Martinique. Hier arbeitete Coulomb als Bauleiter
Die SI-Einheit Coulomb
Die Maßeinheit Coulomb ist die Einheit der elektrischen Ladung und der Elektrizitätsmenge.