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Fast unmittelbar nach dieser Erklärung kam der Strom der Menge vor Pavillons Hause vorbei, welches in einer der Hauptstraßen lag, von hinten jedoch mit der Maas, durch einen Garten sowohl, als durch verschiedene Lohgruben und andere zur Gerberei gehörige Einrichtungen in Verbindung stand; denn der patriotische Bürger war Gerber.
Es war natürlich, daß Pavillon Verlangen trug, dem vermeinten Gesandten Ludwigs die Ehren seines Hauses zu erweisen, und ein Anhalten vor seiner Wohnung erregte auf Seiten der Menge kein Befremden; ihm Gegentheil, sie grüßte den Herrn Pavillon mit einem lauten Vivat, als er seinen ausgezeichneten Gast hineinführte. Quentin legte eilig seine auffallende Kopfbedeckung bei Seite, setzte die Mütze eines Gärtners auf, und warf einen Mantel über seine übrige Kleidung. Pavillon versah ihn dann mit einem Losungswort, um die Thore der Stadt passiren zu können, um bei Nacht oder bei Tage, wie es ihm am passendsten sein würde, zurückkehren zu können; sodann übergab er ihn der Fürsorge seiner Tochter, einer hübschen und lächelnden Flamänderin, nebst der Weisung, wohin sie ihn geleiten solle, während er selber zu seinem Kollegen zurückeilte, um ihre Freunde auf dem Stadthause mit den besten Entschuldigungen, die sie für das Verschwinden des Gesandten König Ludwigs auffinden konnten, zu unterhalten. Wir können, wie der Diener in der Komödie sagt, uns nicht genau auf die Lüge besinnen, die der Leithammel der Heerde erzählte; aber nichts ist leichter, als eine Menge betrügen, deren Vorurtheile das Geschäft schon mehr als zur Hälfte beendigt haben, ehe der Betrüger noch ein Wort geredet hat.
Der würdige Bürger war kaum gegangen, als sein rundes Töchterchen, Trudchen, mit tiefem Erröthen und freundlichem Lächeln, welches ihren Kirschenlippen, ihren heitern blauen Augen und ihrer reinen Gesichtsfarbe recht artig stand, den hübschen Fremden durch die mancherlei Gänge des väterlichen Gartens nach dem Ufer hinab führte und dort ein Boot besteigen ließ, welches zwei tüchtige Flamänder in ihren Pomphosen, Pelzmützen und vielknöpfigen Wämmsern so eilig regierten, als ihre niederländische Natur nur immer gestattete.
Da das artige Trudchen nichts als Deutsch sprach, so konnte Quentin, – ohne seiner treuen Neigung zur Gräfin von Croye zu nahe zu treten, – seinen Dank nur durch einen Kuß auf jene Kirschenlippen aussprechen, und er ward eben so galant gegeben, als mit bescheidener Dankbarkeit angenommen; denn galante Herren mit einer Gestalt und einem Gesicht gleich dem unsers schottischen Bogenschützen kamen einem unter der Lütticher Bürgerschaft nicht alle Tage vor.
Während das Boot die trägen Gewässer der Maas aufwärts gerudert ward, und vor den Festungswerken der Stadt vorüberfuhr, hatte Quentin Zeit genug, zu überlegen, welchen Bericht er von seinem Abenteuer in Lüttich geben sollte, wenn er zu des Bischofs Palast Schönwald zurückkehrte; er verschmähte es ebenso, Jemand zu verrathen, der, obwohl aus Irrthum, Vertrauen in ihn gesetzt hatte, als er dem gastfreien Prälaten den aufrührerischen Zustand seiner Hauptstadt verbergen mochte; daher beschloß er, sich auf eine allgemeine Nachricht zu beschränken, die genügte, dem Bischof Vorsicht anzurathen, während sie gleichwohl kein Individuum seiner Rache preisgab.
Er stieg eine halbe Meile vom Schlosse aus dem Boote, und lohnte seine Ruderer zu ihrer großen Zufriedenheit mit einem Gulden. Doch so kurz auch der Raum war, der ihn von Schönwald trennte, so hatte doch die Schloßglocke schon zum Mittagsmahl geläutet, und Quentin fand überdieß, daß er sich dem Schloß auf einer, dem Haupteingange entgegengesetzten Seite genähert habe, daß aber, rund herum zu gehen, seine Ankunft beträchtlich verspäten würde. Er ging daher direkt nach der Seite hin, die ihm die nächste war, und die sich ihm als eine befestigte Mauer darstellte, wahrscheinlich jene des bereits erwähnten kleinen Gartens, mit einer Hinterthür, die sich nach dem Graben öffnete; daneben lag ein Schiffchen, welches, wie er glaubte, auf seinen Anruf zur Ueberfahrt dienen konnte. Als er sich in der Hoffnung näherte, hier einpassiren zu können, öffnete sich die Hinterthür, ein Mann kam heraus, sprang in das Boot, ruderte sich zu der andern Seite des Grabens und stieß dann das Boot mit einer langen Stange nach der Stelle zurück, wo er sich eingeschifft hatte. Als er näher kam, erkannte Quentin, daß diese Person der Zigeuner war, der, ihn ohne Schwierigkeit vermeidend, einen andern Pfad gen Lüttich einschlug, und sogleich aus seinen Augen verschwand.
Hier bot sich neuer Stoff zum Nachdenken. War dieser heidnische Landstreicher die ganze Zeit über bei den Damen von Croye gewesen, und in welcher Absicht hatten sie ihm so lange die Ehre ihrer Gegenwart verstattet? Von diesen Gedanken gequält, fühlte sich Durward um so mehr bestimmt, eine Erklärung von ihnen zu verlangen, um ihnen zugleich Hayraddins Verrätherei darzustellen, und ihnen auch den gefährlichen Zustand anzuzeigen, in welchem sich jetzt ihr Beschützer, der Bischof, wegen der Meutereien seiner Stadt Lüttich befand.
Als er über diesen Entschluß in's Reine war, betrat er das Schloß durch den Haupteingang, und fand in der großen Halle das geistliche Gefolge des Bischofs, die Beamten des Haushalts, und die Fremden, die nicht zum hohen Adel gehörten, bereits bei ihrem Mittagsmahl versammelt. Ein Sitz am obern Ende der Tafel war indeß zur Seite des Hauskaplans des Bischofs aufbewahrt worden, und der letztere bewillkommnete den Fremden mit dem alten Schulscherze, Sero venientibus ossa, während er Sorge trug, seinen Teller so mit Leckerbissen zu beladen, daß er dadurch bewies, er meine es nicht ernstlich mit dem Sprichworte, welches in Durwards Vaterlande ein Scherz ohne Scherz, oder vielmehr ein unschmackhafter genannt wird.
Um sich von dem Verdachte schlechter Erziehung zu reinigen, beschrieb Quentin in der Kürze den Auflauf, welcher sich in der Stadt ereignet hatte, als man entdeckte, daß er zu den schottischen Bogenschützen von König Ludwigs Leibgarde gehörte, und er bemühte sich, der Erzählung dadurch eine scherzhafte Wendung zu geben, daß er sagte, er habe sich mit Mühe durch einen fetten Lütticher Bürger und seine artige Tochter gerettet.
Aber die Gesellschaft nahm zu sehr Theil an der Geschichte, als daß ihr der Scherz hätte munden können. Alle Operationen der Tafel pausirten, während Quentin seine Geschichte erzählte; und als er geendet hatte, herrschte eine feierliche Stille, welche bloß durch den Haushofmeister unterbrochen ward, der in leisem und traurigem Tone sagte: »ich wünsche und bitte Gott, daß wir jene hundert burgundische Lanzen sähen!«
»Warum wollt Ihr Euch die Sache zu Herzen nehmen?« sagte Quentin. – »Ihr habt viele Krieger hier, die das Waffenhandwerk verstehen; und Eure Gegner sind blos der Pöbel einer ordnungslosen Stadt, welcher fliehen wird, sobald mit wehender Fahne eine Kriegerschaar gegen ihn anrückt.«
»Ihr kennt die Männer von Lüttich nicht,« sagte der Kaplan, »von denen man sagen kann, daß sie, selbst die von Gent nicht ausgenommen, die trotzigsten und unbezähmbarsten in Europa sind. Zweimal hat sie der Herzog von Burgund gezüchtigt wegen ihrer wiederholten Aufstände gegen ihren Bischof, und zweimal hat er sie mit größerer Strenge unterdrückt, ihre Privilegien geschmälert, ihnen ihre Fahnen genommen und sich Rechte und Ansprüche über sie angeeignet, die vorher bei einer freien Reichsstadt nicht erhört waren – ja, das letzte Mal schlug er sie mit großem Blutvergießen bei St. Tron, wo Lüttich fast sechstausend Mann verlor, die theils durchs Schwert umkamen, theils auf der Flucht ertranken; und nachher, um sie zu fernerem Aufruhr unfähig zu machen, weigerte sich Herzog Karl durch irgend eines der Thore, die sie ihm übergeben hatten, einzurücken, sondern ließ vierzig Ruthen der Stadtmauer niederreißen, und zog in Lüttich als Eroberer mit geschlossenem Visir und eingelegter Lanze an der Spitze seiner Ritterschar durch die gemachte Bresche ein. Ja, es war den Lüttichern damals wohl bekannt, daß dieser Karl, damals Graf von Charolais genannt, nur auf Zureden seines Vaters, Herzog Philipp des Guten, die Stadt der Plünderung nicht preisgab. Und doch, trotz all' diesen frischen Erinnerungen, trotz dem, daß ihre Bresche nicht hergestellt und ihre Zeughäuser schlecht versehn sind, reicht der Anblick der Mütze eines Bogenschützen hin, um sie wieder aufzureizen. Mag Gott Alles zum Besten wenden! Aber ich fürchte, es wird blutigen Verkehr geben zwischen einer so trotzigen Bevölkerung und einem so hitzigen Fürsten; und ich wollte, mein trefflicher und sanfter Herr hätte eine geringere Würde und größere Sicherheit, denn seine Bischofsmütze ist mit Dornen, statt mit Hermelin gefüttert. Dieß sage ich Euch, fremder Herr, um Euch zu erinnern, daß, wenn Eure Angelegenheiten Euch nicht zu Schönwald aufhalten, dieß ein Platz ist, den jeder vernünftige Mann so schnell als möglich verlassen sollte. Ich fürchte, daß Eure Damen derselben Meinung sind; denn einer der Diener, der sie auf der Reise begleitete, ist zurück an den französischen Hof mit Briefen gesandt worden, die wahrscheinlich die Meldung enthalten, daß sie im Begriffe sind, ein sicheres Asyl zu suchen.
Zwanzigstes Kapitel.
Das Billet.
»Wohlan – du bist ein gemachter Mann
wenn du es sein willst – wo nicht, so will ich dich noch als Genossen von Dienern sehen, der nicht werth ist, Fortunens Finger anzurühren.
Zwölfte Nacht.
Als die Tafel aufgehoben war, führte der Kaplan, der besonderes Gefallen an Quentin Durward's Gesellschaft zu haben schien, oder auch vielleicht einige nähere Nachricht von seinen Morgenbegegnissen zu erlangen wünschte, ihn in ein Nebenzimmer, dessen Fenster an der einen Seite in den Garten gingen; als er sah, daß seines Gefährten Blick sich verlangend dorthin heftete, schlug er Quentin vor, hinab zu gehen und die seltnen fremden Gewächse zu betrachten, mit welchen der Bischof seine Beete geziert hatte.
Quentin entschuldigte sich, daß er sich nicht eindrängen möge, und theilte die Zurückweisung mit, die er am Morgen erfahren hatte. Der Kaplan lächelte und sagte, es bestehe allerdings ein altes Verbot in Bezug auf des Bischofs Privatgarten; »aber dieß,« fügte er mit einem Lächeln hinzu, »war nur geltend, als unser ehrwürdiger Herr ein junger fürstlicher Prälat und nicht älter als dreißig Jahre war, wo denn viele schöne Damen das Schloß des geistlichen Trostes wegen besuchten. Und da war nöthig,« sagte er mit niedergeschlagenem Blick und einem halb einfältigen, halb klugen Lächeln, »daß diese büßenden Damen, welche immer in den Gemächern wohnten, die jetzt die edle Stiftsdame inne hat, einigen Raum hatten, um frische Luft zu schöpfen, wo sie vor profanen Blicken gesichert waren. Aber in den letzten Jahren ist dies Verbot, obwohl nicht förmlich aufgehoben, doch gänzlich außer Anwendung gekommen, und es bleibt nur noch übrig wie ein Aberglaube, der in dem Hirn eines gealterten Ceremonienmeisters spukt. Gefällt es Euch also, so gehen wir sogleich hinab und wagen es darauf.«
Nichts konnte für Quentin angenehmer sein, als die Aussicht, freien Zutritt in den Garten zu erlangen, mittelst dessen, wenn der Zufall seine Leidenschaft wie bisher begünstigte, er hoffte, den Gegenstand seiner Neigung zu sprechen oder wenigstens zu sehen, etwa in einem solchen Thurm, oder Balkonfenster, oder dergleichen, wie im Gasthaus zur Lilie bei Plessis, oder wie im Dauphinthurme im Schlosse selbst. Isabelle schien immer, wo sie auch wohnen mochte, dazu bestimmt, die Dame vom Thurme zu sein.
Als Durward mit seinem neuen Freunde in den Garten hinabstieg, schien derselbe ganz wie ein irdischer Weiser einzig mit den Dingen der Erde beschäftigt; während Quentins Augen, wenn sie auch nicht den Himmel, gleich denen eines Astrologen, suchten, wenigstens an den Fenstern umherschweiften, auch an den Balkonen und vorzüglich an den Thürmen, welche an jeder Seite der innern Fronte des alten Gebäudes hervorragten, um die zu erspähen, die sein Leitstern sein sollte.
So beschäftigt hörte der junge Liebende ganz unaufmerksam zu, wenn er überhaupt zuhörte, wie sein ehrwürdiger Führer die Pflanzen, Sträucher und Kräuter herzählte; das eine war vorzüglich als Arzneimittel gut, ein anderes spendete ein seltenes Gewürz für die Küche, und ein drittes, das erlesenste von allen, hatte kein anderes Verdienst, als seine außerordentliche Seltenheit. Doch war es immer nothwendig, wenigstens scheinbar einige Aufmerksamkeit zu zeigen, und dieß fand der junge Mann so schwierig, daß er den dienstfertigen Naturkundigen sammt dem ganzen Pflanzenreiche recht herzlich zum Teufel wünschte. Endlich erlöste ihn der Schall einer Glocke, der den Kaplan zu einer Amtspflicht rief.
Der ehrwürdige Mann machte viele unnöthige Entschuldigungen, daß er seinen neuen Freund verließe, und endigte mit der angenehmen Zusicherung, daß er in dem Garten bis zum Abendessen wandeln könne, ohne Störung fürchten zu müssen.
»Es ist,« sagte er, »der Ort, wo ich stets meine Predigten studire, da ich hier am ungestörtesten von Fremden bin. Ich bin im Begriff, jetzt eine in der Kapelle zu halten, wenn es Euch belieben sollte, mich als Zuhörer zu beehren. – Man glaubte immer, ich besäße einiges Talent; aber der Ruhm sei ihm, dem er gebührt.«
Quentin entschuldigte sich für diesen Abend, indem er ein heftiges Kopfweh vorschützte, welches die freie Luft am besten heilen dürfte; und endlich ließ ihn der wohlmeinende Priester allein.
Man kann sich denken, daß bei der neugierigen Betrachtung, welcher er nun mit mehr Muße jedes Fenster und jede Oeffnung nach dem Garten zu unterwarf, auch diejenigen nicht übersehen wurden, welche sich in der unmittelbaren Nachbarschaft der kleinen Thür befanden, bei welcher er Hayraddin und Marthon gesehen hatte, als jener vorgab, nach dem Zimmer der Gräfinnen zu gehen. Aber nichts rührte oder zeigte sich, was die Rede des Zigeuners widerlegen oder bestätigen konnte, und schon fing es an, dunkel zu werden; Quentin fing an, zu fürchten, er wußte kaum warum, daß sein so langes Verweilen im Garten Gegenstand des Mißfallens oder Argwohns werden könnte.
Eben hatte er sich entschlossen, hinwegzugehen, und ging eben zum letzten Male, wie er sich zugesagt hatte, unter den Fenstern vorüber, die solche Anziehungskraft für ihn hatten, als er von oben ein leises und vorsichtiges Husten hörte, als wolle es seine Aufmerksamkeit erregen und zugleich der Beobachtung anderer entgehen. Als er in freudiger Ueberraschung aufblickte, öffnete sich ein Fenster – eine weibliche Hand ließ sich sehen, die ein Billet fallen ließ, welches auf einen Rosenbusch, der unten an der Mauer stand, herabsank. Die Vorsicht, mit welcher man dieß Briefchen hatte fallen lassen, machte eine gleiche Klugheit und Verschwiegenheit dem Leser zur Pflicht. Der Garten, der, wie wir sagten, von zwei Seiten durch die Gebäude des Schlosses umgeben ward, war natürlich auch von den Fenstern vieler Zimmer beherrscht; doch befand sich hier eine Art von Felsengrotte, die der Kaplan mit großer Selbstgefälligkeit Durward gezeigt hatte. Das Billet ergreifen, in den Busen verbergen und nach jenem Versteck eilen, war das Werk einer Minute. Hier öffnete er das kostbare Briefchen und segnete zugleich das Andenken der Mönche zu Aberbrothock, deren Unterweisung ihn fähig gemacht hatte, den Inhalt zu entziffern.
Die erste Zeile enthielt die Weisung: »lies dieß insgeheim,« – und der fernere Inhalt lautete so: »Was Eure Augen zu kühn gestanden, haben die meinen vielleicht allzurasch begriffen. Aber ungerechte Verfolgung macht ihr Opfer kühn, und es war vielleicht besser, mich der Dankbarkeit eines Einzigen zu vertrauen, als ein Gegenstand der Verfolgung Vieler zu bleiben. Fortuna hat ihren Thron auf einem Felsen; aber tapfere Männer scheuen sich nicht, ihn zu erklimmen. Wenn Ihr etwas zu thun wagt für Eine, die sich großer Gefahr aussetzt, so findet Euch nur bei Tagesanbruch in diesem Garten ein, und tragt auf Eurer Mütze eine blau und weiße Feder; aber erwartet keine weitere Mittheilung. Eure Sterne haben, wie man sagt, Euch zur Größe bestimmt und mit dankbarem Gemüth ausgestattet. – Lebt wohl – seid treu, pünktlich und entschlossen, und zweifelt an Eurem Glücke nicht.« In diesen Brief war ein Diamantring eingeschlossen, auf welchen rautenförmig das alte Wappen des Hauses von Croye eingeschnitten war.
Quentins erste Empfindung bei dieser Gelegenheit war ungemischtes Entzücken – ein Stolz und eine Freude, die ihn zu den Sternen zu heben schienen – eine Entschlossenheit, Alles zu thun, oder zu sterben, unter deren Einflusse er all' die tausend Hindernisse, die sich zwischen ihn und das Ziel seiner Wünsche stellten, nur verachtete.
In diesem Zustande des Entzückens, und unfähig, eine Unterbrechung zu dulden, die seine Seele auch nur für einen Moment von solchen seligen Betrachtungen abziehen konnte, benutzte Quentin, nachdem er in's Schloß zurückgekehrt war, das früher schon vorgeschützte Kopfweh wieder als Entschuldigung für sein Nichterscheinen bei dem gemeinsamen Abendessen, zündete sein Licht an und zog sich auf das ihm angewiesene Zimmer zurück, um zu lesen, und immer wieder zu lesen, und den Ring, der nicht minder köstlich als das Briefchen war, tausendmal zu küssen.
Aber solche hochgespannte Gefühle konnten nicht lange in derselben schwärmerischen Weise anhalten. Ein Gedanke lastete auf ihm, obwohl er ihn als undankbar, ja, als eine Lästerung zu verbannen strebte: daß nämlich ein so freies Bekenntniß von Seiten jener, die es machte, weniger Zartgefühl verrathe, als sich mit dem hochromantischen Gefühle, womit er bisher die Gräfin Isabelle verehrt hatte, verträglich schien. Kaum wollte sich dieser unedle Gedanke eindrängen, als er ihn zu ersticken eilte, wie er eine zischende, verhaßte Natter erdrückt haben würde, die sich in sein Lager geschlichen hätte. War es an ihm – an ihm, dem Begünstigsten – um dessen willen sie von ihrer hohen Sphäre niedergestiegen war, ihre herablassende Handlung zu tadeln, ohne welche er nicht hätte wagen dürfen, die Augen zu ihr zu erheben? Ueberhob sie nicht ihr hoher Rang, so wie ihre Lage im gegenwärtigen Falle der üblichen Regeln, welche der Dame Schweigen auflegen, bis zuerst der Liebende gesprochen hat? diesen Beweisgründen, die er kühn zu Vernunftschlüssen machte, fügte auch wohl seine Eitelkeit noch einen andern bei, den er selbst im Innern nicht mit derselben Dreistigkeit anzuerkennen wagte: – daß das Verdienst des Geliebten der Dame gestatten möge, etwas von den üblichen Regeln abzuweichen; und bei alledem gab es auch für diesen Fall, wie bei Malvolio, ein Beispiel in der Chronik. Der Knappe von niederem Rang, von dem er nur erst gelesen hatte, war, gleich ihm selber, ein Edelmann ohne Land und Güter, und doch erwies ihm die edle Prinzessin von Ungarn ohne Bedenken mehr wesentliche Zeichen ihrer Gunst, als das Briefchen war, welches er eben empfangen: –
»Willkommen, süßer Knappe mein,
Mein Herzallerliebster sollst du sein,«
Sprach sie: »dir geb' ich der Küsse drei
Und noch fünfhundert Pfund dabei.«
Und dann ließ die nämliche wahrhafte Geschichte den König von Ungarn selber bekennen:
»Ich kannte so manchen Pagen schon,
Der durch Heirath hatt' erlangt einen Thron.«
So daß, nach Allem diesem, sich Quentin voll Edelmuth und Großmuth mit einem Benehmen der Gräfin versöhnte, welches ihm jedenfalls hohe Vortheile gewähren mußte.
Aber diesem Bedenken folgte ein anderer Zweifel, der schwerer zu verdauen war. Der Verräther Hayraddin war in der Wohnung der Damen gewesen, und zwar, so viel Quentin wußte, vier volle Stunden lang; erwog er nun die Winke, die jener darüber gegeben hatte, daß er einen bedeutenden Einfluß auf Quentins Schicksal besitze, wer bürgt diesem dann, daß nicht Alles ein Werk des Zigeuners war? und wofern dieß richtig, war dann nicht wahrscheinlich, daß dieser Schurke dadurch einen neuen verrätherischen Plan verbergen wollte – vielleicht um Isabellen dem Schutze des würdigen Bischofs zu entführen? Dies war eine Sache, die überlegt sein wollte, denn Quentin fühlte gegen diesen Menschen einen Widerwillen, welcher eben so groß war, als die Unverschämtheit, womit jener seine Schändlichkeit eingestanden hatte, und überhaupt war nicht zu hoffen, daß irgend etwas, worein er sich mischte, einen ehrenvollen oder glücklichen Ausgang nehmen könnte.
Die verschiedenen Gedanken zogen über Quentins Seele wie trübe Wolken, um die schöne Landschaft, die seine Phantasie erst gezeichnet hatte, zu verdunkeln, und schlaflos brachte er die Nacht auf seinem Lager zu. Zur Stunde der Frühmetten, ja, noch eine Stunde zuvor, war er im Schloßgarten, wo sich seinem Eintritte oder seinem Verweilen jetzt Niemand widersetzte; er trug Federn von der bezeichneten Farbe, so gut er sie sich in solcher Eile hatte verschaffen können. Fast zwei Stunden lang ward von seinem Erscheinen keine Notiz genommen; endlich hörte er einige Lautenaccorde, und alsbald öffnete sich das Fenster gerade über der kleinen Hinterthür, zu welcher Marthon Hayraddin eingelassen hatte, und an der Oeffnung erschien Isabelle in jungfräulicher Schönheit, grüßte ihn halb freundlich, halb schüchtern, tief erröthend, als er sich, ihre Artigkeit erwidernd, ehrerbietig und bedeutungsvoll verbeugte; – da schloß sie das Fenster und verschwand.
Nicht Tageslicht noch Champagner konnten mehr entdecken! die Aechtheit des Briefchens war verbürgt – nur was folgen sollte blieb noch zu erklären, und davon hatte die schöne Schreiberin keinen Wink gegeben. Doch drohte keine unmittelbare Gefahr. – Die Gräfin war in einem festen Schlosse unter dem Schutz eines Fürsten, der sowohl geachtet durch sein weltliches, als verehrt durch sein geistliches Ansehn war. Da gab es für den freudigen Knappen weder Raum noch Gelegenheit, um für den Augenblick ein Abenteuer zu bestehen, und es war hinreichend für ihn, sich stets bereit zur Ausführung ihrer Befehle zu halten, so bald sie ihm mitgetheilt werden sollten. Aber das Schicksal wollte ihn eher zum Handeln auffordern, als er sich's vermuthete.
Es war die vierte Nacht nach seiner Ankunft auf Schönwald, als Quentin Maßregeln getroffen hatte, am folgenden Morgen den zweiten Reitknecht, der ihn auf der Reise begleitet hatte, nach Ludwigs Hofe mit Briefen an seinen Oheim und Lord Crawford zurückzusenden, worin er dem Dienste Frankreichs entsagte, was er durch Gründe der Ehre und Klugheit entschuldigte, als eine Folge der Verrätherei, welcher er durch Hayraddin's geheime Instructionen ausgesetzt worden war. Darauf legte er sich zu Bette, mit all' den rosenfarbenen Gedanken umringt, die das Lager eines Jünglings umflattern, wenn er innig liebt und seine Liebe eben so aufrichtig erwidert glaubt.
Aber Quentins Träume, die erst die Natur jener seligen Gedanken, unter denen er entschlummert war, gehabt hatten, nahmen allmählich einen furchtbaren Charakter an.
Er wandelte mit der Gräfin Isabelle zur Seite eines spiegelglatten Landsee's, ähnlich dem, welcher sein heimathliches Thal hauptsächlich charakterisirte. Er sprach mit ihr von seiner Liebe, ohne an eines der Hindernisse zu denken, welche zwischen ihnen lagen. Sie erröthete und lächelte, während sie zuhörte, – gerade wie es nach dem Inhalt des Briefchens zu erwarten war, welches, in Schlaf und Wachen, an seinem Herzen ruhte. Aber die Scene verwandelte sich plötzlich aus Sommer in Winter – aus Ruhe in Sturm; der Wind und die Wellen erhoben sich so tobend und brausend, als ob die Geister des Wassers und der Luft um ihre Herrschaft einen heftigen Wettstreit begonnen hätten. Die wogenden Fluthen schienen weder vordringen noch zurückgehen zu können – der anwachsende Sturm, welcher sie gegen einander warf, schien gleichwohl ihr Verweilen an dem Ort unmöglich zu machen, und die stürmischen Empfindungen, welche durch die scheinbare Gefahr erregt wurden, erweckten den Träumer.
Er erwachte; aber obwohl seine Traumgebilde verschwunden waren und der Wirklichkeit Raum gegeben hatten, so fuhr doch der Lärm, der sie wahrscheinlich erzeugt hatte, fort, in Quentins Ohr zu dringen.
Sein erster Antrieb war, sich im Bette aufzurichten und mit Erstaunen auf Töne zu lauschen, die, wenn sie einen Sturm verkündigt hätten, den wildesten beschämt haben würden, der je von den Grampians niederbrach; in der nächsten Minute überzeugte er sich, daß der Tumult nicht durch die Wuth der Elemente, sondern durch den Zorn der Menschen erregt wurde.
Er sprang vom Lager und schaute durch das Fenster seines Gemachs; aber es ging nach dem Garten, und von dieser Seite war Alles ruhig, obwohl das Oeffnen des Fensters, durch das Getöse, welches an sein Ohr schlug, ihn noch mehr überzeugte, daß die Außenseite des Schlosses belagert und angegriffen war, und zwar von einem zahlreichen und entschlossenen Feinde. Hastig seine Kleider und Waffen ergreifend und sie mit solcher Eile anlegend, als Dunkelheit und Ueberraschung gestattete, ward seine Aufmerksamkeit durch ein Klopfen an die Thür seines Gemachs rege gemacht. Da Quentin nicht sogleich antwortete, war die Thür, die nicht besonders fest war, von außen mit Gewalt erbrochen, und der Eindringende, den sein eigenthümlicher Dialekt als den Zigeuner Hayraddin Maugrabin bezeichnete, erschien im Gemach. Eine Phiole, die er in der Hand hielt und mit einer Lunte berührte, entzündete eine dunkelrothe Flamme, mittelst deren er eine Leuchte ansteckte, die er aus dem Busen zog.