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»Das Horoskop Eures Schicksals,« sagte er ohne weitern Gruß nachdrücklich zu Durward, »beruht jetzt auf der Entschlossenheit einer Minute.«
»Schuft!« gab Quentin zur Antwort, »wir sind von Verrätherei umringt, und wo Verrath ist, da mußt du dein Theil daran haben.«
»Ihr seid rasend,« antwortete Maugrabin – »ich verrieth nie einen, außer um Gewinn davon zu haben – und warum sollte ich Euch verrathen, durch dessen Sicherheit ich mehr Vortheil erlangen kann, denn durch seine Zerstörung? Gebt einen Augenblick, wenn es Euch möglich ist, der Vernunft Gehör, bevor Tod und Verderben es Euch in's Ohr ruft. Die Lütticher sind im Aufstand – Wilhelm von der Mark mit seiner Bande führt sie – wären Mittel zum Widerstand da, ihre Anzahl und seine Wuth würden sie überwältigen; aber zunächst gibt es gar keine Mittel. Wenn Ihr die Gräfin und Eure Hoffnungen retten wollt, so folgt mir im Namen deren, die Euch einen Diamant mit drei eingravirten Leoparden sandte.«
»Zeige mir den Weg,« sagte Quentin hastig – »in diesem Namen wage ich jede Gefahr.«
»Ich will es so einrichten,« sagte der Zigeuner, »daß gar keine Gefahr vorhanden ist, wenn Ihr nur Eure Hand von einem Streite fern halten könnt, der Euch nichts angeht; denn was liegt Euch überhaupt daran, ob der Bischof, wie sie ihn nennen, seine Heerde schlachtet, oder ob die Heerde ihren Hirten schlachtet? Hahaha! – Folgt mir, aber mit Vorsicht und Geduld; zähmt Euren Muth und vertraut meiner Klugheit – dann wird meine Schuld der Dankbarkeit gezahlt sein und Ihr habt eine Gräfin zur Gemahlin. – Folgt mir.«
»Ich folge,« sagte Quentin, sein Schwert ziehend; »aber im Augenblick, wo ich das geringste Zeichen von Verrätherei entdecke, sind dein Kopf und Leib drei Schritt auseinander!«
Ohne weitere Worte eilte der Zigeuner, als er sah, daß Durward nun völlig gerüstet und bereit war, die Stufen vor ihm hinab, und wand sich hastig durch die vielen Seitengänge, bis sie den kleinen Garten erreichten. Kaum ein Licht war auf dieser Seite sichtbar, kaum ein Geräusch ward vernommen; aber kaum hatte Quentin den freien Raum betreten, als der Lärm von der entgegengesetzten Seite des Schlosses zehnmal betäubender zu hören war, und er vernahm die verschiedenen Losungsworte: »Lüttich! Lüttich! der Eber! der Eber!« denn so war das Geschrei der Angreifenden, während der schwächere Ruf: »Unsre Frau für den Fürstbischof!« von Seiten derjenigen bischöflichen Krieger erscholl, welche, obwohl überrascht und im Nachtheil, zur Vertheidigung der Mauern herbeigeeilt waren.
Aber der ganze Kampf war Quentin Durward, trotz seines kriegerischen Charakters, gleichgiltig im Vergleich mit dem Geschick Isabellens, welches, wie er Grund zu fürchten hatte, ein schreckliches sein mußte, wenn sie nicht aus der Gewalt des rohen und grausamen Freibeuters erlöst ward, der nun, wie es schien, die Thore des Schlosses zu sprengen im Begriff war. Er versöhnte sich mit dem Beistand des Zigeuners, wie Leute in verzweifelter Krankheit die Arzneien nicht verschmähen, die ihnen Quacksalber und Marktschreier reichen, und folgte ihm durch den Garten, in der Absicht, sich von ihm führen zu lassen, bis er Anzeichen von Verrätherei entdecken würde, und dann sein Herz zu durchstoßen oder sein Haupt vom Rumpfe zu schlagen. Hayraddin schien selber zu wissen, daß seine Sicherheit an einem Haar hänge, denn er unterließ, in dem Augenblick, wo man in's Freie trat, all' seine gewohnten Scherze und Aufschneidereien, und schien ein Gelübde gethan zu haben, sich der Bescheidenheit, des Muths und der Schnelligkeit auf einmal zu befleißigen.
Aus der entgegengesetzten Thür, die zu den Gemächern der Damen führte, erschienen auf ein vorsichtiges Zeichen Hayraddins zwei Frauen, gehüllt in die dunkeln Seidenschleier, welche damals wie jetzt, von den Niederländerinnen getragen wurden. Quentin bot der einen von ihnen seinen Arm, den sie mit zitternder Hast umklammerte, und sie hing in der That so sehr an ihm, daß sie ihrer Flucht hinderlich gewesen sein würde, wäre ihre Last größer gewesen. Der Zigeuner, welcher die andere weibliche Gestalt führte, trat den Weg nach der Hinterthür sogleich an, welche durch die Gartenmauer nach dem Graben führte, wo der kleine Nachen lag, mittelst dessen, wie Quentin beobachtet hatte, Hayraddin sich schon früher aus dem Schlosse entfernt hatte.
Als sie überfuhren, verkündigte das Jubelgeschrei der Stürmenden, daß man bereits im Begriff sein müsse, das Schloß einzunehmen; und dieser Schall war für Quentins Ohr so widrig, daß er nicht umhin konnte, laut zu schwören: »Wäre mein Blut nicht unwiderruflich der Erfüllung meiner gegenwärtigen Pflicht geweiht, ich würde zur Mauer zurückgehen, treulich des gastfreundlichen Bischofs Partei nehmen und einige dieser Schufte zum Schweigen bringen, deren Kehlen voll Aufruhr und Meuterei sind.«
Die Dame, deren Arm noch in dem seinigen festruhte, drückte diesen sanft, als er so sprach, als wolle sie ihm zu verstehen geben, daß ein näherer Anspruch auf seine Ritterlichkeit vorhanden sei, als die Vertheidigung des Schlosses Schönwald; der Zigeuner aber rief, laut genug, um gehört zu werden: »Nun, das nenn' ich doch gehörige christliche Narrheit, zum Gefecht umkehren zu wollen, während Liebe und Glück beide die Flucht verlangen. – Auf, auf – mit all' der Eile, die Euch möglich ist – Pferde erwarten uns an jenem Weidendickicht.«
»Dort sind nur zwei Pferde,« sagte Quentin, der sie im Mondlicht erblickte.
»Alles, was ich auftreiben konnte, ohne Verdacht zu erregen, – und überhaupt genug,« erwiderte der Zigeuner. »Ihr müßt nach Tongres reiten, ehe der Weg unsicher wird – Marthon wird bei den Weibern unsrer Horde bleiben, mit denen sie von sonsther bekannt ist. Wißt, sie ist eine Tochter unsers Stammes, und wohnte blos unter euch, um uns gelegentlich Dienste zu leisten.«
»Marthon?« rief die Gräfin, mit einem Schrei des Erstaunens auf das verschleierte Weib blickend; »ist dies nicht meine Verwandte?«
»Blos Marthon,« sagte Hayraddin. – »Verzeiht mir diesen kleinen Betrug. Ich wagte nicht, beide Damen von Croye dem wilden Eber der Ardennen zu entführen.«
»Elender!« rief Quentin zornig – »aber noch ist es nicht – es darf nicht zu spät sein – ich will zurück und die Dame Hameline befreien.«
»Hameline,« flüsterte die Dame, in verwirrtem Tone, »hängt an deinem Arm, um dir für ihre Befreiung zu danken.«
»Ha! wie! – Wie ist das?« sagte Quentin, sich von ihr losreißend, und zwar mit weniger Artigkeit, als zu andrer Zeit der Fall gewesen sein würde, gegen eine Frau jenes Standes – »Ist Dame Isabelle zurückgeblieben?«
Als er sich umwandte, um zum Schloß zurück zu eilen, hielt ihn Hayraddin zurück – »Nein, hört doch, hört – Ihr rennt in Euren Tod! Welcher Satan hieß Euch die Farben der Alten tragen? – nie wieder will ich blau und weißer Seide trauen. Aber sie hat fast eine eben so reiche Mitgift – hat Juwelen und Gold – hat sogar Ansprüche auf die Grafschaft.«
Während der Zigeuner in abgebrochenen Redensarten so sprach, und sich eifrigst bemühte, Quentin zurückzuhalten, legte dieser endlich seine Hand an den Dolch, um sich zu befreien.
»Nein, wenn die Sache so steht,« sagte Hayraddin, ihn loslassend, »so geht, und der Teufel, wenn's einen gibt, geh mit Euch!« und kaum sah sich der Schotte frei, als er mit Windesschnelle zum Schloß eilte.
Hayraddin wendete sich darauf zur Gräfin Hameline, welche vor Scham, Furcht und Täuschung zu Boden gesunken war.
»Hier war ein Irrthum,« sagte er; »auf, Dame, und kommt mit mir – ich besorge Euch, eh' der Morgen kommt, einen galantern Mann, als diesen rothbäckigen Jungen; und ist Euch einer nicht genug, so sollt Ihr zwanzig haben.«
Dame Hameline war so heftig in ihren Leidenschaften, als sie eitel und schwach am Verstande war. Wie viele andre Personen erfüllte sie erträglich gut die gewöhnlichen Pflichten des Lebens; aber in einem Falle, wie dem gegenwärtigen, war sie ganz unfähig, irgend etwas andres zu thun, als unnütze Klagen hören zu lassen, und dabei schalt sie Hayraddin »einen Dieb, einen elenden Sklaven, einen Betrüger und Mörder.«
»Nennt mich Zigeuner,« erwiderte er gelassen, »und Ihr sagt das Alles auf einmal.«
»Ungeheuer! Ihr sagtet, die Sterne hätten unsern Bund beschlossen, und veranlaßtet mich zu schreiben – o, wie elend bin ich!« rief die unglückliche Dame.
»Und sie hatten Euren Bund beschlossen,« sagte Hayraddin, »wären beide Theile einig gewesen – aber meint Ihr, die gepriesenen Gestirne zwingen einen wider Willen zu heirathen? – Ich ward irre geführt durch Eure verwünschten christlichen Galanterien, durch Eure Albernheiten mit Bändern und Artigkeiten – nun zieht der junge Mann das Kalb dem Rinde vor, dünkt mich – das ist die ganze Sache. – Auf und folgt mir; und das merkt Euch, ich dulde weder Weinen noch Ohnmacht.«
»Ich rühre keinen Fuß,« sagte die Gräfin hartnäckig.
»Bei dem hellen Firmament, Ihr sollt doch!« rief Hayraddin. »Ich schwör' Euch, bei Allem, was jemals Narren glaubten, daß Ihr es mit Einem zu thun habt, dem es ein Kleines ist, Euch nackend auszuziehn, an einen Baum zu binden und Eurem Schicksal zu überlassen.«
»Nein,« fiel Marthon ein, »mit Eurer Gunst, sie soll nicht gemißhandelt werden. Ich trage ein Messer so gut als Ihr, und weiß es zu brauchen. Sie ist ein gutes Weib, wiewohl eine Närrin. – Und Ihr, Madame, steht auf und folgt uns. – Hier ist ein Irrthum vorgegangen; aber es ist schon etwas, Leib und Leben gerettet zu haben. Es sind Viele in jenem Schloß, die den Reichthum der ganzen Welt darum gäben, zu stehen, wo wir jetzt stehn.«
Während Marthon sprach, schallte von Schloß Schönwald herüber ein Getöse, in welchem sich der Siegesjubel mit dem Geschrei des Schreckens und der Verzweiflung mischte.
»Hört Ihr, Dame!« sagte Hayraddin, »seid dankbar, daß Ihr Eure Stimme nicht mit in jenem Concert hören lassen müßt. Glaubt mir, ich will ehrlich für Euch sorgen, und die Sterne werden ihr Wort halten und Euch einen guten Gemahl finden lassen.«
Gleich einem wilden Thier, erschöpft und gezähmt durch Schrecken und Ermüdung, überließ sich die Gräfin Hameline der Leitung ihrer Führer, und ließ sich widerstandslos führen, wohin jene wollten. Ja, so sehr war ihr Gemüth in Verwirrung und ihre Kraft erschöpft, daß das würdige Paar, welches sie halb trug, halb führte, seine Unterhaltung in ihrer Gegenwart fortsetzte, ohne daß sie etwas davon verstand.
»Ich dachte immer, daß Euer Plan thöricht sei,« sagte Marthon. »Hättet Ihr die jungen Leute zusammenbringen können, so hätten wir sicherlich eine Stütze an ihrer Dankbarkeit gefunden und ein Plätzchen in ihrem Schlosse. Aber wird ein so hübscher junger Mann solch eine alte Närrin heirathen?«
»Rizpah,« sagte Hayraddin, »du hast den Namen einer Christin geführt und in den Zelten dieses bethörten Volks gewohnt, bis du eine Theilnehmerin ihrer Thorheiten geworden bist. Wie konnte ich träumen, daß ihm ein paar Jahre jünger oder älter Bedenklichkeiten machen würde, da die Vortheile der Heirath so augenscheinlich waren? Und du weißt, daß sich schwerlich jenes junge Weib hätte bewegen lassen, so frei zu handeln, wie diese lüsterne Gräfin hier, die uns centnerschwer auf den Armen hängt wie ein Wollsack. Ich liebte den Burschen auch, und hätt' ihm gern einen Gefallen gethan: und ihn mit diesem alten Weibe verheirathen, hieß sein Glück machen – ihn mit Isabellen verbinden, hätt' ihm aber den von der Mark, Burgund, Frankreich und Alle auf den Hals gebracht, die Anspruch machen, über ihre Hand zu verfügen. Und dieses einfältigen Weibes Reichthum besteht in Gold und Juwelen, wovon wir unser Theil bekommen hätten. Aber die Bogensehne ist gerissen, und der Pfeil ging fehl. Fort mit ihr – wir wollen sie zu Wilhelm mit dem Bart bringen. Unterdessen wird er sich, wie gewöhnlich, betrunken haben, er wird eine alte Gräfin von einer jungen nicht zu unterscheiden wissen. Fort, Rizpah – sei gutes Muths! der klare Aldebaran hat immer noch Einfluß auf das Geschick der Kinder der Wüste!«
Einundzwanzigstes Kapitel.
Verwüstung und Plünderung.
Die Gnadenpforten sind verschlossen alle,
Der wilde Krieger, rauh und harten Sinn's,
Wird frei die blut'ge Hand nun walten lassen,
Denn höllenweit ist sein Gewissen.
Heinrich V.
Die überrumpelte und erschreckte Besatzung des Schlosses Schönwald hatte trotzdem eine Zeit lang ihr Bestes gethan, um den Platz gegen die Angreifer zu vertheidigen; aber die ungeheuren Schaaren, die, von der Stadt Lüttich hervordringend, zum Angriffe gleich Bienenschwärmen strömten, theilten ihre Aufmerksamkeit und erschütterten ihren Muth.
Desgleichen entstand endlich Ueberdruß, wo nicht Verrath, unter den Vertheidigern; denn manche riefen, man solle sich ergeben, und andere verließen ihren Posten und versuchten vom Schlosse zu entfliehen. Viele stürzten sich selbst von den Mauern in den Graben, und die nicht ertranken, warfen ihre Abzeichen von sich und retteten sich dadurch, daß sie sich unter den bunten Haufen der Angreifenden mengten. Einige wenige sammelten sich, aus Anhänglichkeit an des Bischofs Person, um denselben, und fuhren fort, die große Warte zu vertheidigen, wohin er sich geflüchtet hatte; und andere, die keinen Pardon erwarteten oder von einem verzweifelten Muthe angetrieben, vertheidigten sich auf andern abgesonderten Bollwerken oder Thürmen des ausgedehnten Gebäudes. Aber die Angreifenden hatten von den Höfen und untern Theilen des Schlosses Besitz genommen, verfolgten eifrig die Besiegten und suchten nach Beute, während ein Einzelner, als ob er den Tod suchte, vor dem alle andern flohen, sich bemühte, einen Weg durch die Scene des Tumults und des Schreckens zu erzwingen, unter Besorgnissen, die seiner Einbildungskraft weit schrecklicher waren, denn die Wirklichkeit, die sich ringsum seinem Blicke bot. Wer Quentin Durward in jener unheilvollen Nacht gesehen hätte, ohne zu wissen, was er beabsichtigte, hätte ihn für einen Rasenden gehalten; wer seine Beweggründe gewürdigt hätte, der würde ihn den romantischen Heroen beigezählt haben.
Da er sich Schönwald von derselben Seite näherte, von der er es verlassen hatte, so traf der Jüngling verschiedene Flüchtlinge, die nach dem Walde strebten und ihm natürlich als einem Feinde auswichen, weil er in einer ihrem Wege entgegengesetzten Richtung kam. Als er näher kam, hörte er und sah zum Theil auch Männer, die von der Gartenmauer in den Schloßgraben sprangen, und andre, die durch die Angreifenden von den Festungswerken gestürzt zu sein schienen. Sein Muth wankte auch keinen Augenblick. Es war keine Zeit, sich erst nach dem Boote umzusehn, wenn es auch anwendbar gewesen wäre, und vergebens war es, sich der Hinterthür des Gartens zu nähern, die von Flüchtigen verstopft war, die dann und wann, je nachdem sie von den Nachkommenden gedrängt wurden, in den Graben fielen, den sie aus Mangel an Mitteln nicht passiren konnten.
Diese Stelle vermied Quentin, und stürzte sich in den Graben in der Nähe des sogenannten kleinen Schloßthors, wo sich eine, jetzt aber aufgezogne, Zugbrücke befand. Mit Schwierigkeiten vermied er den unheimlichen Griff so manches untersinkenden armen Teufels, und, nach der Zugbrücke schwimmend, erfaßte er eine der Ketten, die herabhingen, und schwang sich mit eben so viel Geschick als Kraftaufwand aus dem Wasser empor, indem er die Plattform erfaßte, an welcher die Brücke befestigt war. Als er mit Händen und Knieen kämpfte, um festen Fuß zu gewinnen, trat ein Lanzknecht, mit dem blutigen Schwert in der Hand, herzu, und erhob seine Waffe zu einem Streiche, welcher tödtlich hätte werden müssen.
»Wie, Kerl!« sagte Quentin in gebieterischem Tone – »ist das die Weise, nach welcher du einem Kameraden beistehst? – Reich' mir deine Hand.«
Schweigend und zögernd reichte ihm der Krieger seinen Arm und half ihm hinauf, wo der Schotte, ohne jenem Zeit zum Nachdenken zu lassen, in demselben befehlenden Tone fortfuhr: »Zu dem westlichen Thurme, wenn du reich werden willst – des Priesters Schatz ist im westlichen Thurme.«
Diese Worte fanden überall Wiederhall: »Zum westlichen Thurme – der Schatz ist im westlichen Thurme!« und alle Plünderer, zu denen der Ruf drang, schlugen, gleich einer Heerde rasender Wölfe, diese Richtung ein, welche jener entgegengesetzt war, die Quentin auf Tod und Leben zu verfolgen entschlossen war.
Indem er sie betrog, als gehöre er zu den Siegern, nicht zu den Besiegten, gelangte er in den kleinen Garten und eilte hindurch, mit weit weniger Hindernissen, als er erwartet hatte; denn der Ruf: »Zum westlichen Thurme«, hatte einen Theil der Angreifer hinweggezogen, und ein andrer ward mittelst Wehrgeschrei und Trompetenschall zusammengerufen, um einen verzweifelten Ausfall zurücktreiben zu helfen, den die Vertheidiger der Warte versuchten, welche gehofft hatten, einen Weg aus dem Schlosse zu gewinnen und den Bischof mit sich hinwegzuführen. Quentin durchschritt daher den Garten mit hastigem Schritt und bebendem Herzen, indem er sich den himmlischen Mächten empfahl, die ihn in zahllosen Lebensgefahren beschirmt hatten, und so ermuthigte ihn sein kühner Entschluß, dies verzweifelte Unternehmen wohl zu vollbringen, oder zu sterben. Eh' er den Garten noch erreicht hatte, stürzten ihm drei Männer mit eingelegten Lanzen entgegen und mit dem Rufe: »Lüttich, Lüttich!«
Er setzte sich in Vertheidigungsstand, jedoch ohne einen Streich zu führen, und erwiderte: »Frankreich, Frankreich, Lüttichs Freund!«
»Vivat Frankreich!« riefen die Lütticher Bürger und zogen vorbei. Dasselbe Wort erwies sich als ein Talisman, um die Waffen von vier oder fünf Söldnern Wilhelms von der Mark abzuwenden, die er umherstreifend im Garten fand, und die mit dem Ruf: »Eber!« auf ihn eindrangen.
Kurz, Quentin begann zu hoffen, daß sein Charakter als Abgeordneter Ludwigs, des geheimen Anreizers der Lütticher Insurgenten und des geheimen Unterstützers Wilhelms von der Mark, ihn vielleicht sicher durch die Schrecken dieser Nacht bringen würde.
Als er das Thürmchen erreichte, schauderte er, da er die kleine Seitenthür, durch welche Marthon und die Gräfin Hameline noch kürzlich zu ihm gekommen waren, jetzt von mehr als einem todten Körper belagert fand.
Zwei von ihnen schleppte er eilig bei Seite und wollte eben über den dritten schreiten, um durch die Thür zu treten, als der vermeintliche Todte seinen Mantel faßte und ihn bat, zu bleiben und ihm aufstehn zu helfen. Quentin wollte eben rauhere Mittel anwenden, um sich von diesem unzeitigen Aufenthalt zu befreien, als der gefallne Mann fortfuhr zu rufen: »Ich bin hier erstickt in meiner eignen Rüstung! – Ich bin der Syndicus Pavillon von Lüttich! Wenn Ihr für uns seid, will ich Euch reich machen – wenn Ihr von der Gegenpartei seid, will ich Euch schützen; aber laßt nur – laßt mich nur nicht den Tod eines erstickten Schweins sterben!«
Mitten in dieser Scene von Blut und Verwirrung, sagte Quentin seine Geistesgegenwart, daß dieser Würdenträger Mittel haben dürfte, ihre Flucht zu decken. Er richtete ihn auf und fragte ihn, ob er verwundet sei.
»Nicht verwundet – wenigstens glaub' ich's nicht« – antwortete der Bürger; »aber ganz ohne Athem.«
»Setzt Euch denn auf diesen Stein, und kommt wieder zu Athem,« sagte Quentin, »ich werde sogleich zurückkehren.«
»Für wen seid Ihr denn?« sagte der Bürger, ihn noch immer zurückhaltend.
»Für Frankreich – für Frankreich!« antwortete Quentin, der sich hinwegzukommen mühte.
»Wie, mein muntrer junger Bogenschütz?« sagte der würdige Syndicus. »Nein, wenn es mein Schicksal sein soll, einen Freund in dieser schrecklichen Nacht zu finden, so will ich ihn nicht verlassen, das versprech' ich Euch. Geht wohin Ihr wollt, ich folge; und, könnte ich einige von den handfesten Burschen meiner Zunft zusammenbringen, so würd' ich im Stande sein, Euch wieder zu helfen: aber sie sind alle zerstreut wie eben so viele Erbsen. – O, es ist eine furchtbare Nacht!«
Währenddem schleppte er sich hinter Quentin her, welcher, einsehend, wie wichtig es sei, sich der Huld einer so einflußreichen Person zu versichern, seinen Schritt zügelte, um jenem beizustehn, obwohl er im Herzen die hemmende Last verwünschte.
Oben am Ende der Treppe war ein Vorzimmer, wo Kisten und Truhen standen, welche die Merkmale der Plünderung trugen, da einiges vom Inhalte am Boden lag. Eine Lampe am Kamin, die zu erlöschen drohte, goß einen matten Schein über einen todten oder ohnmächtigen Mann, welcher vor dem Herde lag.
Sich von Pavillon losreißend, wie ein Windhund von der Leine seines Jägers, und mit einer solchen Anstrengung, daß er jenen fast zu Boden warf, eilte Quentin durch ein zweites und drittes Gemach, wovon das letztere das Schlafzimmer der Damen von Croye schien. Kein lebendes Wesen war in beiden zu sehn. Er rief den Namen der Gräfin Isabelle, erst leise, dann lauter, und dann mit dem Tone der Verzweiflung; aber keine Antwort erfolgte. Er rang die Hände, raufte sein Haar, und stampfte verzweiflungsvoll den Boden. Endlich zeigte ein matter Lichtschimmer, der durch eine Spalte im Getäfel eines dunkeln Winkels des Schlafgemachs schien, daß hinter der Tapete noch irgend ein Versteck sein müsse. Quentin eilte, dies zu untersuchen. Er fand allerdings eine verborgne Thür, aber sie widerstand seinen hastigen Anstrengungen, sie zu öffnen. Unbesorgt um die ihm vielleicht drohende Gefahr, stürzte er sich mit der ganzen Kraft und Last seines Körpers gegen die Thür, und diese zwischen Hoffnung und Verzweiflung unternommene Kraftanstrengung war von der Art, daß sie weit stärkere Thüren gesprengt haben würde.
So erzwang er sich den Eingang in ein kleines Bettgemach, wo eine weibliche Gestalt, die in Todesangst knieend vor dem heiligen Bilde gebetet hatte, jetzt auf den Boden hingesunken war, überwältigt von dem durch das nahende Getöse aufs Neue erregten Schrecken. Er eilte, sie aufzurichten, und, Freude über Freude! sie war es, die er retten wollte, Gräfin Isabelle. Er drückte sie an sein Herz – er beschwor sie, zu sich zu kommen – er flehte sie, getrosten Muthes zu sein – denn sie stehe jetzt unter dem Schutz eines Mannes, dessen Herz und Hand ausreiche, um sie gegen Armeen zu vertheidigen.
»Durward!« sagte sie, als sie sich endlich sammelte, »bist du es in der That? – dann ist noch Hoffnung übrig. Ich dachte, all' meine Freunde hätten mich meinem Schicksal überlassen – Verlaßt Ihr mich nicht wieder!«
»Nie – nie!« sagte Durward. »Was auch geschieht – welche Gefahr auch naht, ich will die Wohlthaten dieses heiligen Kreuzes verwirkt haben, wenn ich nicht Euer Geschick theile, bis es wieder ein glückliches ist.«
»Sehr pathetisch und rührend, wahrhaftig,« sagte eine rauhe, abgebrochne und kurzathmige Stimme hinter ihnen – »Eine Liebesaffaire, wie ich sehe; und meiner Seel, das zarte Geschöpf dauert mich, als ob es mein eignes Trudchen wär'.«
»Ihr müßt mehr thun, als uns bedauern,« sagte Quentin, sich zu dem Sprechenden wendend: »Ihr müßt uns schützen helfen, Herr Pavillon. Seid versichert, diese Dame war unter meinen besondern Schutz gestellt durch euren Verbündeten, den König von Frankreich; und wofern Ihr sie mir nicht vor jedmöglicher Beleidigung und Gewaltthat schützen helft, so wird eure Stadt der Gunst Ludwigs von Valois verlustig gehen. Vor Allem muß die Dame vor Wilhelm von der Mark beschirmt werden.«
»Das wird schwer halten,« sagte Pavillon, »denn diese Schelme von Lanzknechten sind wahre Teufel, wenn es gilt, Weibsbilder auszuspüren; doch will ich mein Bestes thun – Wir wollen in's andre Zimmer gehn, und dort will ich überlegen – der Treppeneingang ist nur eng und Ihr könnt die Thür mit einer Pike verteidigen, während ich aus dem Fenster sehe und einige meiner flinken Bursche von der Lütticher Gerberzunft zusammen rufe, die sind so treu, wie die Messer, die sie im Gürtel tragen. – Aber erst befreit mich von diesen Schnallen – denn ich habe diesen Harnisch seit der Schlacht von St. Tron nicht getragen, und seitdem bin ich drei Stein schwerer geworden, wenn nämlich holländisch Gewicht nicht trügt.«
Die Oeffnung der Eisenrüstung gab dem ehrlichen Manne große Erleichterung, der, als er sie anlegte, mehr seinen Eifer für die Sache Lüttichs, als seine Fähigkeit, Waffen zu tragen, erwogen hatte. Es erwies sich in der Folge, daß diese Magistratsperson, da sie unwillkürlich vorwärts gedrängt und von ihrer Compagnie beim Angriff über die Mauer gehoben worden war, hierhin und dorthin, je nachdem die Woge des Angriffs und der Vertheidigung ebbte und fluthete, getragen wurde, ohne endlich auch nur ein Wort sagen zu können; so war er endlich, wie die See ein Stück Treibholz in der ersten Bucht an den Strand wirft, am Eingange zu den Gemächern der Damen von Croye niedergeworfen worden, wo die Last seiner eigenen Rüstung, so wie das drückende Gewicht zweier am Eingang erschlagener Männer, die auf ihn gefallen, ihn lange genug niedergehalten haben würde, hätte ihn Durward nicht erlöset.