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„Erwürgt! Das Opfer ist eindeutig durch Erwürgen ums Leben gekommen. Das Sperma, das auf dem Hintern platziert war, ist wohl mit Absicht dort, ähm, abgelegt worden. Ein Analverkehr fand zwar statt, jedoch mindestens vierundzwanzig Stunden vor Eintritt des Todes. Das Sperma war noch nicht ganz getrocknet. Ich bin gespannt, ob es die gleiche dna aufweist wie die des Toten. Das dürfte für Sie ein interessanter Ermittlungsansatz werden. Aber ich sehe schon, wie ihre Gedanken kreisen. Die Todesursache, meine Dame, meine Herren, ist eindeutig Ersticken. Es gab am Tatort und kurz davor mit Sicherheit keinen Analverkehr. Der Körper zeigt keine typischen Kampfspuren. Keine Hämatome oder Risswunden. Das Zungenbein ist gebrochen, der Kehlkopf weist Bruchstellen auf. Die Würgemale am Hals haben Sie ja selbst dokumentiert. Ich werde Ihnen schnellstmöglich einen Bericht zukommen lassen. Viel Glück, Frau Rust. Meine Herren. Kaffee?“
Ohne die Antwort abzuwarten, goss Professor Schwacke vier Becher ein, während sich drei Ermittler verdutzt anblickten.
Im Büro, das sie sich mit Roland teilte, hatte sie über der Tür einen Spruch angebracht: Lupus pilum mutat, non mentem (Ein Wolf ändert sein Haar, aber nicht seine Absicht).
René, der bei der Spurensicherung, im Fotolabor, seinen Platz hatte, erhielt den Auftrag, in die Wohnung Langners zu fahren.
Das Zweizimmerappartement war bieder eingerichtet und penibel sauber. Offensichtlich war Langner Einzelgänger. Zudem hatten Nachforschungen ergeben, dass er keine Schulden hatte. Die Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. Die Anwohner sagten, der Vater hätte die Andersartigkeit seines Sohnes nicht ausgehalten.
Im Schlafzimmer fanden sie ein paar Schwulenpornos. Nichts deutete auf ein extravagantes Leben des Toten hin. Er lebte als Single und hielt wenig Kontakt zu seinen Nachbarn.
Die Kollegen der Bereitschaftspolizei verhielten sich ihnen gegenüber reserviert. Ja, man hatte gemunkelt, dass Herr Langner homosexuell sein könnte. Na und! Er war beliebt und kollegial. Was einer in seiner Freizeit machte, ging niemanden etwas an. Als sie zum Auto zurückkehrten, stolperte Rebecca über einen Stein, der vom Aushub für das neue Sportzentrum auf die Straße gerollt war. Die Luft flirrte über dem Asphalt.
„Ich wette, wenn wir hier draußen sind, zerreißen sie sich die Mäuler. Und dann wussten sie schon immer, dass Langner mal so enden würde. Diese Scheinheiligen!“ René kommentierte mal wieder unaufgefordert.
Roland bog Büroklammern zurecht, um sich die Fingernägel zu putzen. Rebecca hasste das, vermied aber, ihn darauf anzusprechen. Sie holte zwei Becher Kaffee. Fluchte, da die Maschine nebenan schon wieder defekt war und sie in den obersten Stock gehen musste.
„ICH, was glaubst du, René? Hast du eine Ahnung, was es bedeuten soll?“
René hob die Schultern an und legte den Kopf zur Seite.
„ICH bin das Opfer oder ICH bin der Täter. Allmachtsfantasien eines Psychopathen, wenn du mich fragst. Vielleicht auch: ICH bin schwul?“
René stutzte. Rebecca lächelte nicht.
„Vielleicht auch nur ein unvollständiges Gebilde. Da kommt noch was auf uns zu. Da bin ich mir sicher.“
„Die Buchstaben sind am Computer geschrieben. Akkurat und ohne Satzendzeichen.“
„Es ist noch viel zu früh, uns auf irgendwas festzulegen. Es wäre reine Spekulation. Warten wir doch mal die Laborproben ab.“
„Wir haben bis dato auf den Bildern vom Tatort nichts Verdächtiges gefunden. Die Nummern an den Wänden sind abtelefoniert. Meistens waren die Angerufenen verblüfft und erstaunt, dass sie nicht nur im Telefonbuch, sondern auch im Schwulenklo auftauchen. Ich lasse es mir nicht nehmen. Der Mörder kann nur in der Szene zu finden sein. Überleg doch mal. Schwulenklo. Opfer: schwul. Sperma auf dem Hintern. Was wollen wir denn noch? Ich denke, wir müssten die Jungs in der Szene mal gehörig aufmischen!“
So war René. Geradeheraus. Direkt. Aber manchmal, das musste Rebecca sich eingestehen, blieb nur die Wahl, seinen einfachen Gedanken zu folgen. Unter anderem deshalb war er auch in ihrem Team.
Eine Woche später war die Analyse da: Das Sperma, das der Täter auf dem Anus von Langner platziert hatte, wies eine differente dna auf. Demnach war es das erste wirkliche Beweismittel, das sie hatten. Ein Abgleich in den Datenbanken des bka verlief allerdings ohne greifbares Ergebnis. Die Laune sank wieder. Rebecca sah sich gezwungen, Renés Vorschlag zu folgen und die Schwulenszene zu überprüfen.
Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Als junge Beamtin musste sie im Rahmen ihrer Ausbildung unter Gauweilers Innenministerherrschaft Homosexuelle an Szenetreffs aufspüren, ihre Namen notieren, um sie aktenkundig zu machen. Die AIDS-Hysterie hatte die Gesellschaft erfasst und ließ manchen Politiker zu überzogenen Handlungen hinreißen. Halbwahrheiten und Lügen vermischten sich zu einem unseligen Gebräu.
Auch wenn sie mit Bauchschmerzen das Gespräch mit Rufer bestritt, war der auf ihrer Seite. Sie einigten sich auf so wenig Unterstützungsbeamte wie notwendig und beschränkten sich auf den Bahnhofsbereich, die öffentlichen Toiletten und den Ringpark.
Rebecca forderte in der Einsatzbesprechung Fingerspitzengefühl bei Menschen, denen sie nun, nur aufgrund von deren Veranlagung, auf die Pelle rücken mussten. Selbst im Jahr 2003 mussten sie sich verstecken, um einer Veranlagung nachzugehen, für die sie nichts können. Sie würden die Leute aufscheuchen, aus ihrer Anonymität holen, da führte kein Weg daran vorbei. Der Mord an Langner war ein zu hoher Preis.
Rebecca und René schritten auf das Kriegerdenkmal im Ringpark zu und überlegten gerade, die Aktion erfolglos abzubrechen, als ein junger Mann aus dem Buschwerk sprang. Er erstarrte vor Schreck, als er die Ermittler erblickte.
„Ihr Scheiß-Bullen! Macht mal hier nicht so ’nen Rabatz! Haut endlich ab! Scheiß Faschistenpack!“
Bevor er Fersengeld geben konnte, war René schon bei ihm und packte ihn am T-Shirt. Doch der Junge war geschmeidig. Riss sich los und rannte weg. René war aufgrund seines Alters schnell aus der Puste. Rebecca versuchte, den Weg abzuschneiden. Doch dann stolperte der Flüchtende über eine Baumwurzel und schlug brutal zu Boden. René war über ihm und schlug die Faust in seine rechte Niere, worauf der Junge laut aufschrie. Vor dem zweiten Schlag hielt Rebecca Renés Arm und schüttelte energisch den Kopf.
„Du verstehst, dass wir dich jetzt mitnehmen, Junge!“
Rebecca und Ronny Koslowski saßen sich gegenüber. Der Junge zitterte und blickte zu Boden. Das Blut im Gesicht begann zu verkrusten. Mit zitternden Händen trank er einen Schluck Wasser. In seinem Rücken stand Roland und passte auf, dass er nicht überreagierte. René war duschen und musste sich von dem Ereignis erst einmal erholen.
„Um was geht es hier eigentlich genau? Ist es in Würzburg etwa verboten, schwul zu sein, oder was?“
„Hier gehen die Uhren seit ewigen Zeiten anders. Mach dir doch nichts vor.“
„Und ihr lasst jetzt meine Uhr ablaufen, ja? Ich bin Berliner. Ostberliner, um genau zu sein. Darauf bin ich auch stolz. Bin von zu Hause abgehauen. War siebzehn. Wollte weit weg. Wir wurden verraten im Osten. Weißte? Von wegen blühende Landschaften und so ’n Scheiß. Keine Arbeit. Die Alte nur besoffen, und immer ein anderer Typ zu Hause. Mir hat’s einfach gelangt. Klaro?!“
„Kennst du Christian Langner?“
„Wer soll denn das sein? Ein Schauspieler?“ Ronny grinste.
„Lieber Ronny. Uns ist das ernst hier. Wir verfolgen euch Schwuchteln nicht so zum Spaß. Uns ist es völlig gleichgültig, wer welche Neigungen hat. Verstehst du? Du bist hier bei der Kripo. Wir ermitteln in einem Mordfall. Und du könntest uns vielleicht wertvolle Hinweise geben. Denk mal nach. Du kannst das Befragen hier abkürzen, wenn du kooperierst. Uns tut auch leid, dass dein Leben nicht zu deiner Zufriedenheit verlaufen ist. Aber wir können da auch nichts für. Klaro?!“
„Ich kenne keine Typen, die Lager oder Langner heißen! Mord, was? Scheiße, Leute, damit habe ich wirklich nichts zu tun. Das könnt ihr mir aber glauben. Ich bin froh, wenn ich mein Leben habe. Ihr wisst ja nicht, was sich da rumtreibt. Neulich hatte ich einen hohen Beamten aus der Regierung. Weiß ich, weil er seine Visitenkarte verloren hatte, der Typ. Geilheit macht unvorsichtig, müsst ihr euch merken. Ich habe die Karte aber weggeworfen.“
Rebecca bohrte ihren Blick in die Augen des Jungen, gerade mal zwanzig Jahre alt, röntgte sein Innerstes und versuchte seine Gedanken zu filetieren.
„Wir suchen gerade in deiner Wohnung nach eventuellen Beweismitteln. Der Richter hat das abgesegnet.“
„Außer Dreck findet ihr da gar nichts! Finde ich ja echt krass. Mal was anderes, Frau Kommissar. Finden Sie nicht, dass mit dieser Gesellschaft was nicht stimmt? Ihr nehmt euch da ganz schön was raus. Wenn ich Geld hätte, würde ich euch verklagen. Aber ich bin ja nur ein Niemand. Mit mir könnt ihr das ja machen. Macht, was ihr wollt, und lasst mich gehen. Ich will nur meine Ruhe. Ich weiß von keinem Mord. An niemandem. Schöner Mist, das alles.“
Zur Verblüffung aller fing der Junge an zu weinen. Das Telefon klingelte. Die Durchsuchung war negativ gewesen.
Als Rebecca den Jungen an der Wache verabschiedete und sich bei ihm entschuldigen wollte, fragte sie ihn noch:
„Kannst du mir Namen von Personen nennen, die euch auf den Tod hassen? Gibt es jemanden in den Chatrooms, der über Todesfantasien schreibt?“
Ronny lächelte abschätzig.
„Frau Kommissar! Ich kenne die Menschen. Aber ich kenne keine Killer.“
Er blickte Rebecca lange in die Augen.
„Ich sehe aber in Ihnen ein Geheimnis lauern, das Sie auffrisst.“
Er ging. Ohne sich noch einmal umzudrehen, streckte er seinen rechten Mittelfinger in die Höhe.
2
Der Mann griff zur Schatulle. Öffnete sie. Entnahm die Briefe. Schloss die Augen. In seinem Traum drohten ihn dunkle Wände zu erdrücken. Sein Vater, der Gefallene, der Verratene. Es ist Krieg. Ein Schützengraben. Der Feind verwundet den Vater. Flehend recken sich blutige Hände nach ihm. Er sehnt sich nach einer harmonischen Kindheit. Die der Krieg einem jeden nimmt. Wacht auf im Höllenschlund.
Trotz allem, Bilder der Mutter an den Wänden. Er legte eine CD ein. Setzte sich an den Schreibtisch. Schloss die Augen. Schubert:
Vorüber! Ach vorüber! Geh wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh Lieber! Und rühre mich nicht an! Gib deine Hand, du schön und zart Gebild! Bin Freund und komme nicht zu strafen. Sei guten Mutes! Ich bin nicht wild! Sollst sanft in meinen Armen schlafen.
Er entspannte sich. Lächelte. Schrieb.
Geliebter Vater! Ich habe getötet! Ich werde töten!
Ich spiele ein Spiel!
Muss mich reinwaschen, von Mutters Sünde!
Auf ewig Dein!
Sie werden sein Spiel nicht verstehen. Und wenn sie kapiert haben, dass sie gegen ihn von Anfang an keine Chance hatten, würden sie frustriert die Aktendeckel schließen müssen. Sein erstes Opfer bereitete ihm diebische Freude. Die Arglosigkeit des Polizisten und seine Überraschung, die sich in den Augen widerspiegelte, als er seine Hände um seinen Hals legte. Als die Augen erstarrten, entließ die Lunge des Mörders einen tiefen Seufzer. Es werden weitere Tote folgen. Sie werden nur Mittel zum Zweck sein.
3
Rebecca lief durch die Stadt. Sie brauchte Ablenkung. Sie ging über die Alte Mainbrücke. Die Steinheiligen schauten ungläubig auf die Schweißlachen vor ihren Sockeln. Unterhalb der Festung angekommen, genoss sie den Blick auf die Stadt. Dem Fluss in seiner Fließrichtung zu folgen, hatte etwas Meditatives. Außer ein paar japanischen Touristen störte niemand den Spaziergang ihrer Gedanken.
Zurück im Treiben der Straßen, ging sie in den einzigen Plattenladen der Stadt, wo sie sich ab und an gebrauchte cds kaufte. Sie mochte den Laden wegen der Authentizität und der Gewissheit, dass es zwischen dem zurechtgebogenen Mainstream noch etwas anderes gab. Alte Vinylplatten verkümmerten am Boden in Obstkisten.
Da passte es ins Bild, dass sie an einer Edelboutique vorbeigehen musste, in der ein T-Shirt den Kopf von Jim Morrison zeigte. 59 Euro. Rock ’n’ Roll is dead!
4
Die Ermittler saßen bei beängstigender Abendhitze im Straßencafé. Ließen sich das Weizenbier schmecken. Rebecca wollte, dass sie sich nach der anstrengenden Büroarbeit eine Auszeit gönnten. Das Bier entfaltete bei den hohen Temperaturen Wirkung.
„Wir sollten die Welt um uns herum nicht ganz vergessen. Das, was da gerade im Irak passiert, ist sehr gefährlich und ich bin froh, dass sich die Bundesregierung da raushält. Ich habe echt Angst, dass sich der Krieg zu einem Flächenbrand entwickelt. Die Kollegen vom Staatsschutz sind schon sehr besorgt“, äußerte sich Roland mit einem Stirnrunzeln.
Die beiden anderen zuckten mit den Schultern.
„Wir können daran eh nichts ändern. Wir sollten den Fokus weiterhin auf unseren Fall richten!“, erwiderte Rebecca mit bestimmtem Unterton in der Stimme. Ihr Blick folgte der vorbeifahrenden Straßenbahn.
René atmete hörbar ein. Ein Schweißtropfen landete neben seinem Bierglas. „Die Amis holen halt wie immer die Kastanien aus dem Feuer, wenn die Europäer vor Angst unter dem Tisch kauern. Wie damals im Kosovo. Aber wie gesagt: Wir können eh nichts ändern und haben selbst genug Probleme. Prost!“
Die Gläser knallten aneinander. Sie bestellten noch eine Runde.
„Was mir aber wirklich Sorgen macht, Jungs, ist die Tatsache, dass wir in unserem Mordfall an Langner keinen Millimeter vorwärtskommen. Die Spurensuche ums Toilettenhäuschen herum, das Tauchen der Wasserschutzpolizei im Main. Alles umsonst. Das Schweigen im Milieu. Wahnsinn! Irgendwas muss es geben, das wir übersehen haben. Die einzige Spur ist das Spermasekret und dieser blöde Zettel. Die Abgleiche in den Datenbanken gingen ins Leere. Bin mal gespannt, wann ich das erste gröbere Gespräch beim Chef habe.“
„Hast du mal daran gedacht, dass der Mörder auch ein Kollege sein könnte? Ich weiß, es ist weit hergeholt. Aber wir sollten in alle Richtungen denken. Ihr wisst schon, so ein Typ, der sich ungerecht behandelt fühlt. Gäbe ja bei der Polizei Gründe genug, findet ihr nicht?“
„Glaube ich nicht. Dafür gibt es kein einziges Indiz. Das ist mir zu weit hergeholt. Entschuldige, René. Ich halte das zum jetzigen Zeitpunkt für ausgeschlossen. Wir haben die Familienverhältnisse sondiert. Negativ. Die Kollegen bei der Bereitschaftspolizei sagten, Langner hatte keine Streitereien und keinen Neid von Kollegen zu befürchten. Bei den jungen Auszubildenden war er sehr beliebt. Nein! Vergiss es!“
„Die Diskussion bringt uns auch nicht wirklich weiter. Lasst uns noch ein Bierchen trinken. Ich gebe eine Runde aus.“
„Na, das ist doch ein Wort. Genau, lasst uns mal den Kopf freibekommen. Alkohol, ein guter Freund! Wir stehen eh da wie Die drei ???. Ist euch eigentlich aufgefallen, dass wir alle in unseren Vornamen den gleichen Anfangsbuchstaben haben?“
„Die ahnungslosen dRei. Stimmt!“
„Ich stelle mir gerade vor, ich bin in der Karibik. Weißer Sand. Das Meer umspült meine Füße und …“
Alle lachten. „René, halt die Klappe! Prost!“
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