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„1. Krieg als Mittel zur Neuordnung des Verhältnisses zwischen Polen und Deutschen scheidet von vorneherein aus […] 2. Das deutsche Volk kann nach allem, was in seinem Namen geschehen ist, den Frieden nur unter sehr großen Opfern erlangen […] Beide Völker müssten völlig darauf verzichten, sich gegenseitig Untaten vorzurechnen […] 3. Für die Zukunft ist die Gemeinschaft der Völker und Staaten wichtiger als Grenzfragen.“20
Auf polnischer Seite war eine der treibenden Kräfte zur Überbrückung der Gräben zwischen Deutschen und Polen Bolesław Kominek (1903-1974). Kominek, seit Dezember 1956 bischöflicher Verwalter des Administraturbezirkes Breslau, nahm z. B. einen deutschen Vorschlag auf und regte im November 1963 in Rom an, sich gegenseitig für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse von Edith Stein (1891-1942) und Maximilian Kolbe (1894-1942) einzusetzen. Kominek gilt auch als der geistige Vater der polnischen Einladung an die deutschen Amtsbrüder, zur Millenniumsfeier 1966 Polen zu besuchen.
Das II. Vatikanische Konzil hatte jenseits aller offiziellen Termine und Beratungen auch eine einzigartige Gelegenheit geboten, weltweit persönliche Beziehungen zu Menschen zu knüpfen, denen man sonst nie begegnet wäre, Vertrauen zu Menschen aufzubauen, mit denen eine persönliche Begegnung bis dahin nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich gewesen war. Diese Erfahrung machten auch die polnischen und deutschen Konzilsväter. Ohne ihre vertrauensbildenden Kontakte und Gespräche am Rande des Konzils wäre es am 18. November / 5. Dezember 1965 sehr wahrscheinlich nicht zu dem nicht nur die Öffentlichkeit überraschenden Briefwechsel gekommen. Will man an einem Beispiel herausfinden, ob und wie sich ein damals begründetes vatikanisch-multinationales Konzilsnetzwerk mittelfristig entwickelt hat, eignen sich die deutsch-polnischen Beziehungen 1965-1987 besonders gut.
Aus deutscher Sicht umfassen diese Jahre die Amtszeit der beiden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Julius Döpfner (1965-1976) und Joseph Höffner (1976-1987). Auf polnischer Seite soll Karol Wojtyła, der Erzbischof von Krakau (1964-1978), näher betrachtet werden, der nicht nur in unserem Untersuchungszeitraum – von seinem Engagement für den Briefwechsel 1965 bis zu seinen beiden Deutschlandbesuchen als Papst Johannes Paul II. 1980 und 1987 – einer der wichtigsten Gesprächspartner für deutsche Katholiken gewesen ist und der Lage der katholischen Kirche in Deutschland außergewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet hat. Unter dem Gesichtspunkt der bilateralen Beziehungen handelt es sich einerseits um die Zeit der wichtigen ostpolitischen Veränderungen und andererseits um die entscheidende Phase der Transformation des katholischen Polen am Ende des kommunistischen Nachkriegseuropas.
4. Konflikt und Versöhnung 1965
Bei einer Generalaudienz in Rom würdigte der ehemalige Erzbischof von Krakau, in dessen Diözese das Vernichtungslager Auschwitz lag, – inzwischen Papst Johannes Paul II. – am 28. November 1990 in einem polnischen Grußwort die Bemühungen der deutschen und der polnischen Kirche um Versöhnung, als einen bedeutenden Beitrag zum Wiederaufbau einer „moralischen Einheit Europas“. Die „prophetische“ Botschaft von 1965 sei ein Pionierschritt für die Aussöhnung in Frieden und Gerechtigkeit gewesen.21
Erzbischof Józef Michalik und Karl Kardinal Lehmann zogen 2005 in einer Gemeinsamen Erklärung zum 40. Jahrestag des Briefwechsels das Fazit:
„‘Wir vergeben und bitten um Vergebung‘. In diesem Wort gipfelte 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Versöhnungsbotschaft. Dieser Satz hat höchste Wirkmächtigkeit entfaltet und sich tief in das historische Bewusstsein der Völker eingegraben. […] Dieser Briefwechsel hat Sprachlosigkeit überwunden.“22
Aus der Sicht des Jahres 1965 musste man zwangsläufig noch zu einer anderen Einschätzung kommen. Für die Zeitgenossen beherrschten Streit und Konflikt, Spannungen und Missverständnisse die Szene, die Konflikte der Vergangenheit dominierten die Tagesordnung der Gegenwart. Die Polnische Bischofskonferenz hatte 1965 zunächst zum „20. Jahrestag des Aufbaus ‚polnischen Kirchenlebens in den West- und Nordgebieten am 1. September 1965‘ an die Neuorganisierung des kirchlichen Lebens in den polnischen Westgebieten durch Kardinal Hlond erinnert und behauptet: „Diese Entscheidungen wurden von Rom approbiert.“23 Die bevorstehenden Feierlichkeiten des Millenniums „werden ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Überzeugung und eine Manifestation des Willens des polnischen Gottesvolkes – der Bischöfe, Priester und Gläubigen – sein, eine Manifestation des ungebrochenen Willens, in diesem Gebiet auszuharren, da diese Erde untrennbar mit dem polnischen Mutterland vereint ist.“24 Dies sei, so der Primas, „Standpunkt aller Kinder des polnischen Volkes, die ohne Rücksicht auf ihre politische Orientierung und Weltanschauung, im Sinne der natürlichen Gerechtigkeit die Westgebiete als untrennbar vereint mit dem polnischen Mutterland erachten.“ Papst Johannes XXIII. habe die Westgebiete als „nach Jahrhunderten wiedergewonnene Erde Polens“25 bezeichnet. In einer provozierenden Predigt im Breslauer Dom am 31. August 1965 vertrat Kardinal Wyszyński die Meinung:
„Alles, was Kardinal August Hlond tat, geschah mit der höchsten Billigung des Heiligen Stuhles. Ich bin authentischer Zeuge eben dieser Haltung des Heiligen Stuhles, des Heiligen Vaters Pius’ XII., Johannes’ XXIII. und Pauls VI., dessen segnende Haltung in Bezug auf unsere kirchliche und religiöse Arbeit in den Westgebieten unverändert treu ist, für uns sehr wertvoll, voller Verständnis und geistiger Approbation.“26
„Wenn wir auf die Heiligtümer der Piasten schauen, uns hineinfühlen in ihre Sprache, dann wissen wir: bestimmt ist das kein deutsches Erbgut, das ist polnische Seele. Daher waren sie niemals und sind kein deutsches Erbgut! Sie reden zum polnischen Volk ohne Kommentar. Wir brauchen keine Erklärungen, ihre Sprache verstehen wir gut.“27
Diese Äußerungen stimmten fast wortidentisch mit einer Predigt Wyszyńskis im Breslauer Dom vom 29. Mai 1952 überein: „Wir sind in unser Eigentum zurückgekehrt, als rechtmäßige Eigentümer; wir kamen hierher zurück aufgrund der richterlichen Entscheidung der göttlichen Gerechtigkeit.“ Und weiter:
„Wenn wir diese Gotteshäuser […] ansehen, […] dann wissen wir, es ist kein von den Deutschen hinterlassenes Erbe. Sie haben eine polnische Seele! Niemals waren sie deutsches Erbe, und sind es auch heute nicht. Das sind die Spuren des königlichen Stammes der Piasten. […] Wir verstehen ihre Sprache!“28
Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Josef Jansen, machte nach dieser erneuten Bekräftigung Ende Oktober 1965 „die chauvinistische Haltung hoher polnischer Kirchenkreise“29 zum alleinigen Thema einer Unterredung im Staatssekretariat. Kardinal Döpfner verlangte eine zufriedenstellende öffentliche Interpretation.
Auf der Pressekonferenz nach der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe zeigte Döpfner am 3. September 1965 zwar mit Nachdruck Verständnis für die schwierige Lage der Polen, die von ihrer Regierung bedrängt würden, eine endgültige Ordnung der kirchlichen Verwaltung in den deutschen Ostgebieten zu erreichen, und für die schwierige Lage des Vatikans, der ohne gültige internationale Verträge nicht bereit sei, Bistumsgrenzen zu verändern. Die Feststellung Kardinal Döpfners, es bestehe leider die Gefahr, dass der polnische Episkopat kirchliche und nationale Gesichtspunkte zu stark identifiziere, bewirkte aber ihrerseits eine erneute Verstimmung bei der Polnischen Bischofskonferenz.30 Die Bischöfe beider Länder standen in diesen August-Tagen 1965 kurz vor der Abreise zu den Abschlusssitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wie angespannt die bilateralen Beziehungen zwischen deutschen und polnischen Katholiken damals waren, lässt sich an folgender Meldung ablesen:
„Die Grußbotschaft des polnischen Episkopats, die in der Jubiläumssitzung am 1. September in Breslau von Kardinal Wyszyński und den anwesenden 60 polnischen Bischöfen gebilligt worden ist, soll erst nach Kenntnisnahme des Inhalts durch den Hl. Vater veröffentlicht werden. Die Botschaft, die nach übereinstimmenden Informationen die Bitte an den Hl. Vater enthält, die Möglichkeiten einer baldigen Eingliederung der in den deutschen Ostgebieten gelegenen Diözesen in die polnische Kirchenverwaltung zu überprüfen, war kurz nach Beendigung der Jubiläumssitzung nach Rom abgesandt worden.“31
Ein Sprecher der Erzdiözese Breslau erklärte, dass der polnische Episkopat durch eine vorläufige Nichtveröffentlichung dieser Botschaft an den Hl. Vater unter Umständen mögliche missverständliche Deutungen vermieden sehen wolle.
Kardinal Döpfner suchte in Rom unverzüglich das persönliche Gespräch mit dem polnischen Primas. Nach dem ersten Vier-Augen-Gespräch in der zweiten Oktoberhälfte 1965 – ein zweites Gespräch fand am 1. Dezember 1965 statt – meldete Die ZEIT: „Die Meinungsverschiedenheiten sind dabei, wie zuverlässig verlautet, nicht beigelegt worden.“32 Kardinal Döpfner habe sein grundsätzliches Verständnis für den polnischen Standpunkt zum Oder-Neiße-Problem bekundet, dabei jedoch unterstrichen, dass seiner Meinung nach die polnische katholische Kirche der Gefahr des Nationalismus zu erliegen drohe, wenn sie den polnischen Anspruch auf die ehemals deutschen Ostgebiete historisch begründe. Wyszyński entgegnete, es sei Sache der polnischen Kirche, zu beurteilen, was dem nationalen Selbstverständnis entspreche.
5. Die Einladung
Im November 1965 luden die polnischen Bischöfe Amtsbrüder aus 57 Ländern ein, im Mai 1966 zur Millenniumsfeier der Christianisierung nach Polen zu kommen. An die deutschen Bischöfe erging am 18. November 1965 eine besondere Einladung, die den unerwarteten Satz enthielt, der nicht nur die deutschen Bischöfe, sondern aus unterschiedlichen Gründen auch die Gläubigen auf beiden Seiten und die politische Öffentlichkeit in Bonn, sowie in Ost-Berlin und Warschau aufhorchen ließ:
„In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern.“33
Die Initiative und der Entwurf für den polnischen Versöhnungsbrief, den der Primas erst nach einigem Zögern unterschrieben hatte, stammten vom Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek. Am 4. Oktober 1965 hatte Kominek im Rahmen eines Abendessens in Rom die drei deutschen Bischöfe, mit denen er in einer Caritas-Gruppe zusammenarbeitete, Franz Hengsbach (Essen), Joseph Schröffer (Eichstätt) und Otto Spülbeck (Meißen), über den beabsichtigten Brief vorinformiert, ohne dass diese Bischöfe die Bedeutung dieser Information richtig eingeschätzt hätten. Am Namenstag der Hl. Hedwig, dem 16. Oktober, versuchte er mit einer versöhnlichen Predigt den Schaden zu begrenzen, den die August-Predigt des Primas angerichtet hatte. Noch am gleichen Tag übersandte er Kardinal Döpfner zusammen mit dem Text seiner Predigt eine Reliquie der Heiligen und ließ wissen, er habe „das heilige Messopfer in der Intention einer guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit beider Völker“34 gefeiert.
Zu den kommunikativen Schwierigkeiten dieser Tage auf der deutschen Seite gehört, dass der für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zuständige Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen aus taktischer Vorsicht erst am Vortag der Abstimmung in der Bischofskonferenz von der polnischen Einladung Kenntnis erhielt.
„Es hat mich etwas befremdet“, beschwerte sich Janssen bei Döpfner, „dass ich in keiner Weise über die Gespräche informiert wurde, die mit polnischen Bischöfen geführt wurden. Von Laien habe ich zum ersten Mal davon gehört am Tage vor unserer Konferenz im Campo Santo. Ich wäre doch sehr dankbar, wenn ich wenigstens erfahren würde, zu welcher Haltung und Diktion man sich denn einigt. Es ist doch unmöglich, dass mit Journalisten solche Dinge eher besprochen werden, als sie uns mitgeteilt sind.“35
Zu den organisatorischen Pannen gehörte schließlich auch, dass der Brief an den noch amtierenden Vorsitzenden Kardinal Frings in dessen römischem Postfach abgelegt wurde, obwohl der Kardinal zu dieser Zeit nach Köln zurückgereist war. Severin Gawlitta hat kürzlich in einer akribischen Untersuchung der Vorgänge zwischen dem 18. November 1965 und dem 5. Dezember 1965 versucht, unter Berufung auf Aufzeichnungen des Meißener Bischofs Otto Spülbeck die „Legende“ von der verspäteten Zustellung der polnischen Einladung zu widerlegen, sowie der Behauptung die Schlagkraft zu nehmen, die deutsche Antwort sei nicht auf dem gleichen hohen Niveau erfolgt, weil den deutschen Bischöfen nur wenig Zeit zur Formulierung ihres Briefes verblieb. Gawlitta nimmt an, die Bischöfe Spülbeck, Hengsbach und Schröffer seien in den Besprechungen der polnisch-deutschen Bischofskommission, die sich mit caritativen Fragen beschäftigte, „direkt an (den) vorausgegangenen Besprechungen über den Briefwechsel beteiligt gewesen“36 und hätten den Entwurf des polnischen Schreibens bereits am 27. Oktober untereinander besprochen. Erzbischof Kominek habe dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Frings dann vermutlich nicht vor dem bzw. am 23. November 1965 eine auf den 1. November datierte Vorabversion an dessen Kölner Adresse zukommen lassen, die im Erzbischöflichen Archiv in Köln aber nicht nachweisbar ist. Am 25. November habe Spülbeck Döpfner informiert, der polnische Brief sei bereits verschiedenen Pressevertretern zugänglich gemacht worden, ohne dass Döpfner selbst bis zu diesem Tag ein Exemplar in den Händen gehabt hätte. Kominek ließ Döpfner nach dessen telefonischer Rückfrage „bei den Polen“ dann aber noch am 25. November eine Kopie des auf den 1. November datierten Frings-Schreibens zukommen und wies ihn am 27. November gesondert darauf hin, dass der Vorsitzende Frings diese Version „schon vor etlichen Tagen“37 zugestellt bekommen habe.
Kardinal Frings hatte aus Krankheitsgründen Rom am 20. November verlassen und war erst am 29. November wieder zurückgekehrt. Am späten Nachmittag des 29. November erläuterte Frings in einer extra zu diesem Tagesordnungspunkt anberaumten Sitzung der deutschen Bischöfe die polnische Einladung. Am 30. November 1965 veröffentlichte der Episkopat die polnische Botschaft. Gesichert ist, dass der Berliner Erzbischof Bengsch dann am Abend des 30. November in mehrstündiger Arbeit einen Entwurf für das Antwortschreiben verfasste, den der Görlitzer Weihbischof Schaffran am nächsten Tag durch ein 8-Punkte Programm ergänzte.
Die deutschen Bischöfe waren sehr bestrebt, „Vergebung“ und „Verzeihung“ möglichst von der „Politik“ zu lösen: Die Bereitschaft zu gemeinsamem Gebet, zu caritativer Unterstützung und gegenseitigen Besuchen war 20 Jahre nach Kriegsende ohne Zweifel gewachsen.
„Wir sind Kinder des gemeinsamen himmlischen Vaters“, schrieben die deutschen Bischöfe. „Alles menschliche Unrecht ist zunächst eine Schuld vor Gott, eine Verzeihung muß zunächst von Ihm erbeten werden. An Ihn richtet sich zuerst die Vaterunserbitte ‚Vergib uns unsere Schuld!‘ Dann dürfen wir auch ehrlichen Herzens um Verzeihung bei unseren Nachbarn bitten. So bitten wir zu vergessen, ja, wir bitten, zu verzeihen […] und einen neuen Anfang zuzulassen.“38
Für die Zustimmung zu einer kirchlichen Neuordnung in den Oder-Neiße-Gebieten, die Anerkennung eines Heimatrechts der Polen dort oder eine klare Festlegung in der Grenzfrage fühlten die Bischöfe sich weder zuständig noch kompetent. Genau diese politischen Zugeständnisse, zumindest eine verlässliche Aussage in der Grenzfrage, hatten die polnischen Amtsbrüder allerdings erwartet – unausgesprochen, fast selbstverständlich. Die polnischen Bischöfe konnten davon aber weder in Rom noch nach ihrer Rückkehr aus Rom öffentlich reden.
Die Vollversammlung der deutschen Bischöfe, die letzte gesamtdeutsche Versammlung für lange Zeit, beriet und verabschiedete die deutsche Antwort am 2./3. Dezember 1965 im Campo Santo Teutonico in Rom mit der Maßgabe, dass die drei Mitglieder der erwähnten Caritas-Kommission und der Görlitzer Weihbischof Schaffran als Mit-Autor des in der Konferenz verabschiedeten deutschen Antwort-Entwurfs den endgültigen Text mit Vertretern der polnischen Bischöfe abstimmen sollten. Dass Döpfner in seinem zweiten bilateralen Gespräch mit dem Primas, das für den 1. Dezember anberaumt war, den Briefwechsel nicht zum beherrschenden Thema gemacht haben sollte, ist nicht anzunehmen. Die Veröffentlichung der deutschen Antwort erfolgte dann am 5. Dezember 1965 in beiden Sprachen und führte zunächst auf verschiedensten Seiten zu Enttäuschung und Empörung, auf der politischen Ebene bei den staatlichen Stellen in Ost-Berlin und Warschau und den beiden Bischofskonferenzen, bei den völlig unvorbereitet überraschten Katholiken in Polen, in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR.
Neben Kominek gehörte 1965 vor allem Karol Wojtyła zu den polnischen Bischöfen, die intern dafür geworben hatten, dass dieser Brief überhaupt zustande kam. Zurück in Polen hatte Wojtyła sich wie alle Unterzeichner dafür bei den staatlichen Stellen zu rechtfertigen, die eine Erklärung von ausländischem Boden aus, in der Polen Deutsche um Vergebung baten, wo es nichts zu vergeben gab, für Kompetenzanmaßung, Landesverrat und Beeinträchtigung polnischer Interessen hielten. Wojtyła wies bei seiner Vorladung am 1. Februar 1966 zunächst die Einschätzung zurück, es handle sich um ein politisches Dokument. Wojtyła bezeichnete die Botschaft aber als
„großes, erfolgbringendes Werk. […] Die deutschen Bischöfe wurden gezwungen, sich zur Schuld zu bekennen. Dies ist ein Ausdruck dessen, dass sich die Deutschen überhaupt zu den an der polnischen Nation begangenen Verbrechen bekannten. Dies hat niemand im Laufe der ganzen 20 Jahre geschafft. Wir spielten die Rolle eines Beichtvaters, so wie wir das im Beichtstuhl mit dem Sünder tun.“39
Die polnische Propaganda hatte sich damals als ein Element ihrer Kampagne einen „Offenen Brief“ der Arbeiter der Sodafabrik in Krakau ausgedacht, der am 22. Dezember 1965 in der Tageszeitung Krakowska Gazeta erschien. Die Arbeiter äußerten in diesem Schreiben ihre tiefe Enttäuschung darüber, dass die Bischöfe im Namen des polnischen Volkes Erklärungen abgegeben hätten, zu denen sie nicht befugt gewesen seien. Besonders enttäuscht seien sie über die Unterschrift von Wojtyła, der „während der Nazi-Okkupation ein Arbeiter unserer Fabrik“40 gewesen sei. In seinem Antwortschreiben, das damals nur in der Untergrundpresse zirkulierte, erklärte Wojtyła:
„Als wir während der Okkupation zusammen arbeiteten, hat uns vieles verbunden, vor allem die Achtung vor den Menschen, vor dem Gewissen, der Individualität und der sozialen Würde. Das habe ich überreichlich von den Arbeitern bei Solvay gelernt; diese grundlegenden Prinzipien aber kann ich in dem offenen Brief nicht entdecken.“ Und außerdem sei es in einer so langen und verwickelten Geschichte, wie sie Deutschland und Polen verbinde, undenkbar, dass die „Menschen nicht Grund haben, sich gegenseitig um Verzeihung zu bitten.“41
Der protestantische deutsche Außenminister Gerhard Schröder (CDU) gab 1966 dem neuen deutschen Botschafter beim Hl. Stuhl die Weisung mit:
„Ich bitte Sie, bei Ihren Gesprächen das besondere Interesse Deutschlands an einem gerechten Ausgleich mit den Völkern Osteuropas, vor allem mit dem polnischen Volk, zum Ausdruck zu bringen. Für jede Hilfe in dieser Richtung sind wir dem Hl. Stuhl dankbar.“42
Im Zentrum heftiger innenpolitischer und ökumenischer Auseinandersetzungen in Deutschland standen ab 1965/1966 die Ost-Denkschrift der EKD (1. Oktober 1965) über die „Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen Nachbarn“, die Bamberger Erklärung des 81. Deutschen Katholikentages (13.-17. Juli 1966) und das Bensberger „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen “ (März 1968).
Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum Bamberger Katholikentag kam auf Initiative von Walter Dirks, „nach dem Schneeballsystem aus einander Altbekannten zusammengerufen“, eine sehr diverse Gruppe von Katholiken im Mai 1966 in der Katholischen Akademie Bensberg zusammen. Sie trafen sich, um „Fragen, die katholischerseits vernachlässigt schienen wie der Staat Israel, die Wehrdienstverweigerung und eben das Nachbarschaftsverhältnis zum katholischen Polen – unter den Friedensinitiativen des Konzils gründlich [zu] diskutieren.“43 Nach zweijähriger Diskussion veröffentlichte dieser Kreis im März 1968 das Bensberger „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen“, das wie die Ost-Denkschrift der EKD zu der Frage der polnischen Westgrenze klar Position bezog:
„Daher wird es für uns Deutsche unausweichlich, uns mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass wir die Rückkehr dieser Gebiete in den deutschen Staatsverband nicht mehr fordern können.“44
Das Bensberger Positionspapier trug ca. 140 Unterschriften – auch von Nicht-Mitgliedern des Kreises. Prominente Mitglieder des Bensberger Kreises wie Paul Mikat oder Otto B. Roegele distanzierten sich von dieser Erklärung, während andere Prominente wie Karl Rahner, Joseph Ratzinger oder Robert Spaemann die deutsch-polnische Annäherung damals mit ihrer Unterschrift unterstützten. Die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen konnte sich diese Überraschung nur mit der Überlegung erklären, einige, „vornehmlich Hochschullehrer, Ordensleute und Theologen rankten sich bis heute an den Idealen der Jugend hoch ohne diese in der rechten Weise an der Wirklichkeit zu messen.“45 Die Hoffnungen, die das Memorandum bei vielen Unterzeichnern weckte, kleidete der damalige Tübinger Theologieprofessor Joseph Ratzinger in seiner Antwort an den Bensberger Kreis in den Satz: „Im Übrigen bin ich dankbar und glücklich, dass endlich eine solche Initiative ergriffen wird, auf die ich seit langem gewartet habe.“46 Die Zustimmung Ratzingers stand freilich unter dem Vorbehalt einer Korrektur des Entwurfs, den der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz verfasst hatte.
Das mit über 1300 Zeitungsmeldungen im Frühjahr 1968 außerordentlich stark diskutierte Memorandum wurde zu einem herausragenden politischen Ereignis. Nun wurden die ausgestreckte Hand der polnischen Bischöfe und die jedenfalls für die polnische Seite enttäuschende Antwort der deutschen Bischöfe erneut diskutiert. Die Deutsche Bischofskonferenz gab eine kritische Stellungnahme zum Bensberger Memorandum ab, für den Primas aus Polen war es – „nicht so sehr vom politischen als vielmehr vom sozial-religiösen Standpunkt“ – eine Freude, „Ihnen danken zu dürfen für Ihren christlichen Mut, ehrlichsten guten Willen und Ihren internationalen Weitblick.“47
Die Clubs katholischer Intelligenz und die politische Gruppe des ZNAK mit Stomma und Mazowiecki begrüßten das lange erwartete Signal. Mazowiecki stellte das Memorandum im Mai 1968 ausführlich in der Monatszeitschrift Więź vor, auch wenn er es „hauptsächlich für den innerdeutschen Gebrauch bestimmt“ hielt. Drei Gründe waren für ihn dabei ausschlaggebend: Der Text sei von einer hohen moralischen Sensibilität gegenüber den Fragen geprägt, die das deutsch-polnische Verhältnis so schwierig machten, das Memorandum versuche, den Deutschen manche polnische Reaktionen verständlich zu machen, und ziehe schließlich aus der richtigen Analyse klare politische Konsequenzen. Stomma würdigte die Prominenz der vielen Unterzeichner und war sich sicher: „Die Tatsache, dass sich eine solche Gruppe von Laien abzeichnete, änderte die Lage. Wir hatten jetzt unseren eigentlichen Partner gefunden. Der leere Platz war nun ausgefüllt.“48
6. Ostpolitisches Störfeuer 1965-1976
Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz hatte Döpfner nicht nur mit der Aufarbeitung der historischen Belastungen zu kämpfen, sondern auch mit den aktuellen Irritationen, die von der neuen vatikanischen Ostpolitik ausgingen, wie sie Papst Paul VI. und sein Außenminister Agostino Casaroli für richtig hielten.
Zwischen der Deutschen Frage und den deutsch-polnischen Konfliktfeldern bestand dabei selbst dann ein unmittelbarer Zusammenhang, wenn man versuchte, die politischen Angelegenheiten und die Fragen der Seelsorge voneinander zu trennen. Der Vatikan stand in diesem Zusammenhang bei den meisten Problemen vor der dreidimensionalen Schwierigkeit, die ihm von Polen und Deutschland vorgetragenen gegensätzlichen Wünsche, die möglichen Auswirkungen vatikanischer Entscheidungen auf deren gegenseitige Beziehungen und die Folgen für deren jeweiliges bilaterales Verhältnis zum Vatikan zu berücksichtigen. Nur manchmal konnten beide Seiten gleichzeitig berücksichtigt werden. Im Oktober 1966 erfuhr z. B. der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Erzbischof Bengsch von Berlin könne beim nächsten Konsistorium zum Kardinal ernannt werden, wenn „gleichzeitig ein Pole den Roten Hut erhält. […] Erzbischof Kominek steht wohl nicht mehr auf der Kandidatenliste, wohl der Erzbischof von Krakau.“49 Tatsächlich wurden Karol Wojtyła und Alfred Bengsch am 26. Juni 1967 dann gemeinsam in das Kardinalskollegium aufgenommen. Alfred Bengsch hatte bereits im Frühjahr 1967 auf ein politisches Junktim aufmerksam gemacht, das sich wenige Jahre später tatsächlich – wenn auch in umgekehrter Richtung – in einem Dominoeffekt auswirken sollte: