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Das bedeutete, dass er weiterhin sein Geld von der HV bekommen würde. Aber die ersten Informationen über Projekte des SHL gingen ab jetzt gleichzeitig als Pressemitteilung an die HV und an Schranz. Ein sehr wertvoller Wissensvorsprung für ihn gegenüber anderen freien Journalisten.
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1. Februar 1985
Über die Fahrtkosten hatten sie nicht gesprochen, und es waren über 40 Kilometer von Bernau bis nach Hessental. Schranz würde einen geeigneten Moment abwarten, um Bauer danach zu fragen.
Der Abend verlief enttäuschend. Keine Neuigkeiten, viele Sätze von Bauer kannte er nun fast schon auswendig. Nur eine Sache war ihm bisher entgangen. Es gab seit letztem Jahr eine ›Schweine-Körkommission‹. Am 11. 1. 84 hatte es Bauer geschafft, mit den Tierzuchtbehörden und der Vorstandschaft des Schweinezuchtverbandes ein Vorbuch für das spätere Zuchtbuch des SHL einzurichten. Damit hatte die Zucht für das SHL sozusagen wieder offiziell begonnen. Mit fünf Sauen von Manfred Gerlacher, der Sau ›Berta‹ vom Patrone und einem Eber mit Namen ›Felsen‹ von einem Züchter Gerner.
Inzwischen war ja auch noch der Eber ›Helm‹ dazugekommen.
Bauer war noch immer mächtig stolz darauf, dass er dies erreicht hatte. Auch für die anderen Schweinezüchter war es offenbar von großer Bedeutung, denn es war der Moment des Abends gewesen, der eine Reaktion hervorgerufen hatte.
Das war die einzige Neuigkeit, die Schranz an die HV verkaufen konnte. Sonst nichts. Vielleicht 40 Zeilen und ein Archivbild mit einer Muttersau inklusive Ferkel. Er musste mit Bauer ein Gespräch wegen der künftigen Zusammenarbeit führen. Der Ertrag dieser 40 Zeilen hatte gerade einmal die Spritkosten des heutigen Abends gedeckt.
Und er hatte Gerlacher kennengelernt. Als Erstes waren ihm die abstehenden, kleinen Ohren an ihm aufgefallen. In Kindertagen hatte die Oma von Schranz dazu immer Schweinsöhrchen gesagt, das passte! Ein kantiges Kinn und schmale, deutlich strukturierende Augenbrauen umrahmten das braungebrannte Gesicht. Dazu diese starke Falte rechts und links parallel von der Nase den Mund umschließend bis an das Kinn. Ein wahrlich markanter Kopf.
Reden war nicht Gerlachers Sache, das schien hier so üblich zu sein. Aber er war geachtet, schien fast einer der Anführer zu sein. Ob es daran lag, dass er der Schwager von Bauer war? Oder eher daran, dass fünf von sechs Zuchtsauen der Gründergeneration von ihm stammten? Schranz hatte bei diesem Mann ein eigenartiges Gefühl, nichts Bestimmtes, einfach so. Komisch fand er auch, dass Heinrich Bauer so wenig über Gerlacher erzählt hatte.
Wie auch immer, es war schon eine skurrile Truppe gewesen, die sich an diesem Abend zusammengefunden hatte. Dabei war Bauer wie üblich der Boss, ihr Patrone im wahrsten Sinne des Wortes gewesen. Und so hatten ihn auch einige andere bereits angesprochen.
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2. Februar 1985
Dinge auf die lange Bank zu schieben, das lag Schranz nicht. Also rief er über die Mittagszeit beim Patrone an.
»Mahlzeit Herr Bauer!«
»Gut, dass Sie sich melden. Haben Sie mit der Berichterstattung von gestern Abend alles im Griff?«
»Danke, das passt alles. Ich muss mal schauen, wie viele Zeilen das werden. War nicht besonders ergiebig. Es war eine ähnliche Besprechung wie die Male zuvor. Nur waren mehr Leute da. Und es gibt das eindeutige Ziel, in absehbarer Zeit die Gründungsversammlung einer Züchtervereinigung abzuhalten.«
»Jede Menge Punkte.«
»Aber wir hatten das schon so ähnlich drin in der HV. Ich muss mit Martens reden, mal sehen, was sich machen lässt.«
Schranz war klar, dass da nichts möglich war.
»Ich wollte Sie noch fragen, wie wir es finanziell regeln? Sie meinten das letzte Mal, ich sei von nun an Ihr Haus- und Hofberichterstatter.«
Keine Antwort von Bauer. Dann:
»Ich will einmal anders herum anfangen. Wir alle, Sie, ich, die anderen Bauern, wir arbeiten alle an einer richtig großen, sicheren Zukunft. Jeder von uns zahlt das Porto, die Telefonkosten, das Spritgeld aus seiner eigenen Tasche. Gar nicht zu reden von den Arbeitsstunden, sowohl für die Vorbereitung unserer Aktivitäten, wie auch die Zusammenkünfte. Und ich würde Sie, lieber Herr Schranz, gerne in die Zukunft mitnehmen. Gemeinsam packen wir das!«
Bauer hatte es geschafft, ihn in diese Sache zu involvieren. Nur davon ließ sich aktuell kein Holz für den Kachelofen kaufen, der Winter war streng und die Vorräte neigten sich dem Ende zu. Er würde ein zusätzliches Buch im Lektorat des Wissenschaftsverlags annehmen müssen, alles andere war zu riskant, zumal er aufgrund der hohen Umzugskosten nach Bernau noch kein finanzielles Polster angelegt hatte.
»Und noch was.«
Wieder machte er eine seiner Kunstpausen.
»Auf dem Nachbarhof von Kollege Neumann, Sie kennen ihn ja, unseren Fritz, gibt es Probleme. Da sind vorgestern zwei Schweine gestorben, gestern fünf, alle einfach umgekippt. Wenn ich dort nachhake, ist das zu auffällig. Machen Sie das doch.«
Daraus konnte sich eventuell eine neue Geschichte entwickeln. Und diese könnte Schranz vielleicht den benötigten finanziellen Umsatz bringen. Es widerstrebte ihm, so profitorientiert zu denken, aber er musste schließlich für weitere kalte Wochen Vorsorge treffen.
»Hallo Herr Neumann. Entschuldigen Sie den späten Anruf!«
Schranz hatte erst nach dem Essen bei Neumann angerufen. Ab 20 Uhr waren die Landwirte im Winter normalerweise nicht mehr im Stall.
»Kein Problem. Sind Sie nicht dieser Schreiberling?«
Schranz hatte keine allzu freundliche Begrüßung erwartet.
»Von der HV. Darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja.«
»Was passiert gerade bei Ihrem Nachbarn?«
Ein langes Schweigen folgte.
»Ich weiß nicht!«
Wieder sekundenlanges Schweigen.
»Wissen Sie, ich will morgen nicht in der Zeitung stehen.«
»Das tun Sie auch nicht.«
»Wer weiß!«
»Sie kennen mich jetzt schon von ein paar Bauernversammlungen. Ich habe mich immer an die Vereinbarungen gehalten. Auch zum Patrone habe ich, wie Sie wissen, ein sehr offenes, vertrauensvolles Verhältnis.«
Hoffentlich zog das auch in diesem Fall.
»Ja, ich weiß.«
Er schien seine Gedanken zu ordnen.
»Dort ist etwas Komisches passiert. Ich kann es aber noch nicht genau einschätzen. Wenn Sie mich fragen, dann könnte es die Aujetzki-Krankheit sein. So sah das vor über 10 Jahren auch schon einmal bei uns im Stall aus. Ich war gestern noch drüben, da war nichts. Alles sieht gut aus. Und am nächsten Tag sind die Schweine tot.«
Diese Krankheit kannte Schranz nur dem Namen nach, etwas Genaues wusste er nicht.
Aber es musste furchtbar sein. Ganze Bestände wurden gesperrt und dann getötet, wenn dieser Erreger nachgewiesen wurde. Neumann hoffte sehr, dass es eine andere Krankheit war. Sonst würde womöglich auch er mit seinem Betrieb unter die Quarantänevorschriften fallen, schließlich lag sein Hof nur rund 200 Meter vom Krankheitsherd entfernt.
Es war alles sehr besorgniserregend. Schranz vereinbarte mit ihm, dass sie sich am nächsten Vormittag auf Neumanns Hof treffen würden, um die Lage zu besprechen. Der Journalist war beunruhigt, auch weil aus Neumanns Stimme hörbare Angst geklungen hatte. Und dieser Gemütszustand kam bei den sturen, willensstarken Hohenloher Bauern nur sehr selten vor.
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3. Februar 1985
Eine sehr unruhige Nacht lag hinter Schranz.
Wieder einmal hatte er die Holzfüllung für den Kachelofen nicht richtig bemessen gehabt, der Ofen strahlte morgens nur noch eine lauwarme Wärme ab. So war es mit 12 Grad in der Küche deutlich zu kalt.
Die morgendliche Winterlandschaft entschädigte Schranz für die kalten Hände und Füße. Wie überzuckert standen die Bäume im schrägen, milchigen Sonnenlicht. Die Sonne versuchte, den Nebel zu verdrängen.
Es war wenig los auf den Straßen, alles war gut gestreut, und so erreichte er bereits nach 20 Minuten den Hof von Neumann.
Da der Boden steinhart gefroren war, knirschte die Kiesauffahrt nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, aber Neumann kam sogleich aus dem Haus gelaufen, nur mit einem Hemd bekleidet, und bat ihn herein in die Küche.
Neumanns Stimme klang noch aufgeregter als gestern, sein Händedruck war schlaff und feucht.
Was war passiert?
»Kommen Sie schnell herein. Es ist zu gefährlich hier draußen.«
Obwohl Neumann viel kleiner war als Schranz, hatte dieser Mühe ihm zu folgen und rechtzeitig vor dem Schließen der Haustüre im Haus zu sein.
»Es muss etwas Schlimmes sein. Die Polizei und das Veterinäramt haben Angermanns Hof gesperrt.«
»Angermann?«
»Ja, warum sind Sie jetzt erstaunt?«
»Ich dachte, es sei ein anderer Hof.«
»Ach, Sie meinen Scholpp? Dort ist eine Sau gestorben, das stimmt. Aber bei den anderen Schweinen scheint alles in Ordnung zu sein. Die Tierärztin hat den Hof nicht gesperrt.«
»Und bei Angermann?«
»Fällt ein Schwein nach dem anderen tot um. So eine Tragik! Gerade jetzt!«
»Warum gerade jetzt?«
»Er war auf unserer Seite und hat mir versprochen, all die Ferkel vom SHL abzunehmen, die ich nicht selber für die Zucht brauche. Zum selben Preis wie die normalen Ferkel. Wir hatten uns so abgesprochen, nachdem diese Aktion damals mit den DDR-Ferkeln echt daneben gegangen war.«
Schau an, diese Geschichte hatte die Bauern noch dichter zusammenrücken lassen. Schranz realisierte dies erst jetzt in seinem ganzen Ausmaß. Neumann sagte das überzeugend, klar und deutlich, und es war hundertprozentig glaubhaft.
»Und was passiert nun?«
Schranz hatte aus seiner Studienzeit noch eine Vorlesung in Erinnerung: Bei bestimmten Krankheiten konnte es dazu kommen, dass Sperrzonen eingerichtet und die Schweine notgeschlachtet wurden. Das Image der Betriebe in dieser Region litt jahrelang unter diesen Aktionen.
»Das Ärgerliche ist doch, dass der Großteil der Tiere gar nicht krank ist. Nur in ihrem Blut finden sich Antikörper, die Krankheit bricht folglich gar nicht aus. Aber diese elende Wirtschaftsmafia, da hast du keine Chance. Die Vorschriften sind so, Antikörper heißt krank, heißt keulen und fort vom Hof.«
Von Neumanns Hof konnte man sogar die Gebäude des betroffenen Betriebes sehen.
Erst jetzt bemerkte er Neumanns Ehefrau, die in der Küche stand und irgendwelche Sachen sortierte. Sie wirkte sehr in sich gekehrt, die Bedrohung greifbar nahe und fast körperlich spürbar.
»Und wissen Sie, was ich glaube? Diese Viren wurden bewusst auf den Hof von Angermann angesetzt. Die hat er sich nicht zufällig eingeschleust. Da gehe ich jede Wette ein.«
War Patrones Einfluss so groß? Schranz konnte sich das kaum vorstellen.
»Wie wird denn die Krankheit übertragen?«
Neumann strahlte Angst und Entschlossenheit gleichzeitig aus. Er hatte jetzt einen Strickpulli an, den er komischerweise nicht einmal in der warmen Küche auszog. Die hellblaue Hose war geeignet, um sie sowohl zum Arbeiten als auch in der Freizeit zu tragen. Und der Seitenscheitel seiner mittelbraunen Haare ließ erahnen, dass er mit erstem Haarausfall kämpfte und dies mehr oder weniger geschickt mit einer entsprechenden Frisur kaschierte.
Seine Augen funkelten Schranz an.
»Schauen Sie sich die Abwehrmaßnahmen an: vor den Eingangstüren der Ställe Matten und ein Desinfektionsbad für die Füße. Im Stall peinlichste Hygiene, damit sich nirgendwo etwas entwickeln kann. Futter nur von kontrollierten Betrieben und keine Schlachtabfälle. Oberste Sauberkeit bei der Schlachtung, falls die Tiere nicht eh im Schlachthof verarbeitet werden.«
»Es gibt also viele Möglichkeiten.«
»Nein, ich kenne doch den Hof. Da gibt es gar nichts, der ist vorbildlich. Es kann nur etwas von außen reingekommen sein.«
»Wo ist Aujetzki bisher schon ausgebrochen? Irgendwo hier in der Nähe?«
»Nein, seit mehr als 10 Jahren ist die Krankheit hier im gesamten Umkreis nicht mehr aufgetaucht. Das ist es ja gerade.«
Schranz beschloss, mit Angermann Kontakt aufzunehmen. Heute war es bestimmt ungeschickt, aber morgen wollte er mit ihm telefonieren. Eigenartig war es schon.
Auf der Rückfahrt hörte Schranz, dass aus Amerika die ersten Mobiltelefone nach Europa gekommen seien. So groß wie eine Wasserflasche und sogar schwerer als eine solche. Empfang dafür gab es gerade einmal um die Hauptstadt Bonn herum und dann noch ein paar Punkte in Frankfurt. Der Reporter erzählte stolz, dass er damit auch schon telefoniert hätte. Es sei großartig, überall auf der Welt könne man telefonieren. Falls das Funknetz ausgebaut werden würde. Kosten sollte dieses Telefon ungefähr 3.500 DM.
Schranz schüttelte den Kopf. So teuer und dann noch überall erreichbar sein? Es würde sich nicht durchsetzen, da war er sich sicher.
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