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Urlu, der Löwenkönig räumte ein, dass man es mit der Art des Fleisches nicht so genau nehmen solle, vorausgesetzt, es handle sich nicht um Menschenfleisch, das ekelhaft süß und nur im Notfall zu verzehren sei. Im Übrigen sei aber Fleisch gleich Fleisch.
„Schwein! Reis schlicht schleich Reis fischt!“, plapperte Sabut empört. Und das hieß natürlich: „Nein! Fleisch nicht gleich Fleisch ist!“ – Was aber niemand verstand. „Brenn Reis schleich Reis schwer, Pfann Mammut Sabut messen föhnte!“, fuhr er fort. Und das bedeutete: „Wenn Fleisch gleich Fleisch wär, dann Sabut Mammut fressen könnte!“ „Haber Korn Pfann Mammut Reis schon Sabut messen!“, sagte Sabut, was bedeutete: „Aber kaum kann Sabut Fleisch von Mammut essen!“ Aber alle Anwesenden lachten nur und hielten die Worte Sabuts für sinnloses Geplapper.
Erfinder-Äffchen wandte sich gegen die Meinung des Löwenkönigs. „Ich glaube kaum, dass Fleisch gleich Fleisch ist“, sagte es. „Mammutfresser fressen nun mal Mammutfleisch! So steht’s im Lexikon! Sonst würden ja Mammutfresser nicht Mammutfresser heißen, was nur wieder logisch ist! Also ist Sabut auf das Fleisch von Mammuts angewiesen!“
„Schwein!“, rief Sabut, „Schwein! Mammut schlicht Reis schon Sabut messen!“ Aber das gelehrige Entchen unterbrach ihn sofort: „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du kein Schwein bist! Du bist ein Mammutfresser!“
„Schwein!“, rief Sabut und stieß mit den beiden Fingern seiner Rechten aufgeregt und widerspenstig in Entchens Federkleid, dass dieses laut aufschnatterte. „Mammut schlicht Sabut fern messen!“
„Was redest du nur für einen Unsinn“, sagte Entchen. „Das versteht ja weder Mensch noch Tier! Du beharrst darauf, dass du ein Schwein bist? Na bitte, dann bist du eben ein Schwein! Du benimmst dich ja auch wie eines! Man zeigt nicht mit nackten Fingern auf Leute mit Federkleid!“
„Mammut schlicht Sabut messen viel“, wiederholte Sabut. „Sabutreis Mammut Vieh decken! Mammut Rind!“ Das bedeutete natürlich: „Sabut nicht Mammut fressen will. Mammutfleisch Sabut nie schmecken, Sabut Kind!“
„Nein, Sabut, ein Mammut ist sicher kein Rind!“, belehrte ihn Entchen. „Da bringst du mal wieder alles durcheinander!“
Niemand schenkte Sabut weitere Beachtung. Sein Verhalten galt als ungehörig.
„Ich muss Äffchen Recht geben“, sagte Bär Porbulo. „Gewiss ist Mammutfleisch das einzige Nahrungsmittel, das Mammutfresser vertragen! Es wird daher nötig sein, eine Südpolreise zu unternehmen. Ich aber werde derjenige nicht sein, der sie antritt, denn es sind noch keine Sommerferien und es stehen derzeit keine Bärenfähren zur Verfügung.“
„Ich und meine Freunde werden die Reise antreten“, sagte Erfinder-Äffchen. „Wir haben schon manches Abenteuer gemeistert und, wie ihr wisst, mit Erfolg. Wir werden zum Südpol reisen. Freilich aber nicht auf gleiche Weise wie Bär Porbulo. Wir werden die Route nach Norden einschlagen.“
„Verzeihung“, sagte Kiri-Rüssel, der Elefantenhauptmann. „Höre ich richtig? Um zum Südpol zu gelangen, willst du nach Norden reisen? Das mag Affenlogik sein! Meine Logik ist es nicht! Seit wann erreicht man sein Ziel, wenn man in die entgegengesetzte Richtung läuft?“
„Hängt das damit zusammen, dass die Erde rund ist?“, fragte der kleine Idan.
„Nein, das hängt damit zusammen, dass sich an der Nordküste die Touristenstädte befinden“, erwiderte Äffchen. „Und da gibt es Flugzeuge, mit denen wir zum Südpol fliegen können.“
„Schwein!“, schrie Sabut, „Schwein! Schlicht blödig! Sabutreis Mammut Vieh decken!“
Das hieß natürlich: „Nein! Nicht nötig! Mammutfleisch Sabut nie schmecken!“
Aber alle lachten nur. „Pfui“, sagte Entchen bloß, „wie unanständig! Ein Mammut ist doch kein Rind!“
„Wenn alle Stricke reißen“, fuhr Äffchen fort, „werden wir vielleicht in den Besitz der sieben Kristalle gelangen, die auf Pessian versteckt sind. Dann haben wir das Lebenselixier gefunden und brauchen das Mammutfleisch nicht mehr. Ich bin mir sicher, dass wir in diesem Falle die erste Reise mit der zweiten verbinden können!“
„Du willst hoch hinaus“, sagte Urlu, „das nenne ich Mut!“
„Forschergeist verlangt auch Mut“, bestätigte Äffchen. „Falls unsere Südpolmission glücken und wir mit dem Mammutfleisch zurückkehren sollten, werden wir als Nächstes nach Íoland reisen und den Turm von Gorkan ausfindig machen. Mit dessen Hilfe werden wir dann nach Pessian gelangen.“
„Das stellst du dir alles so furchtbar einfach vor“, klagte der Große-Bruder-Affe. „Erfinder-Äffchen, du lebst in einer Fantasiewelt!“
„Wenn du das so siehst! Aber wenn du Recht hast und ich tatsächlich in einer Fantasiewelt lebe, dann bedeutet das, dass ich allen Grund habe, an das Gelingen unserer Mission zu glauben.“
„Das ist logisch“, sagte Kiri-Rüssel und klopfte sich mit seinem Rüssel gegen die Stirn, „denn in einer Fantasiewelt ist alles viel einfacher!“
„Nein“, sagte der Große-Bruder-Affe zu Äffchen. „Ich meinte nicht, dass du tatsächlich in einer Fantasiewelt lebst. Ich meinte, du bildest dir bloß ein, in einer Fantasiewelt zu leben.“
„Das gilt nicht und ist auch nicht logisch“, erwiderte Äffchen. „Du hast nicht gesagt, dass ich mir einbilde, in einer Fantasiewelt zu leben, du hast gesagt, ich lebe in einer Fantasiewelt. Also entweder handelt es sich bei der Welt, in der ich lebe, tatsächlich um eine Fantasiewelt, oder ich lebe in einer realen Welt und bilde mir nicht ein, in einer anderen zu leben. Denn sonst müsste ich ja um den Unterschied zwischen der Fantasiewelt, in der ich mir einbilde zu leben, und der realen Welt wissen. Ich bin mir aber nicht darüber bewusst, mir einzubilden, in einer Fantasiewelt zu leben.“
Da kratzte sich der Große-Bruder-Affe verlegen am Kopf, denn er konnte den Einwand von Erfinder-Äffchen nicht widerlegen. Urlu, der Löwenkönig, aber, der von dieser Diskussion fast nichts verstanden hatte, sagte zu Äffchen: „Dann ist die Reise zum Südpol also dein fester Entschluss?“
„So ist es!“
„Wer soll mit dir reisen?“
„Meine Kameraden. Das sind mein Bruder, die beiden Kunos und der kleine Idan.“
„Gut“, sagte Urlu. „Dann lasst uns den Reisenden durch die Anführer unserer Völker nacheinander unseren Segen aussprechen.“
Als Erster begann Bär Porbulo seine Rede, da er der eigentliche Verantwortliche für die Reise gewesen war. „Ihr lieben Kameraden“, fing er an, „wenn ich euch eine Kraft auf eure Reise mitgeben kann, dann ist es die Bärenstärke. Die Kraft eines Bären liegt in seiner Ausdauer. Wenn der Bär unter den Tieren eine außergewöhnliche Fähigkeit hat, dann ist es seine Zähigkeit.“
Nun ergriff Urlu, der Löwenkönig, das Wort: „Meine lieben Genossen und Genossinnen! Nach Löwenlogik ist es klar, dass dem Gegner unbedingt zu trotzen ist. So heißt es, sei mutig und stark und fürchte den Feigling nicht. Erfahrungsgemäß sind Menschen meist Blender, die mit großen Kräften protzen, aber dahinter ist in der Regel nicht viel. Ihre Macht und Stärke ist nur vorgetäuscht. Setz einem Menschen deine Pranke auf die Brust und schon ist alle Beherztheit vergangen und der freche Knabe zittert wie Espenlaub unter deiner Tatze. Du brauchst ihn gar nicht zu verletzen, er ist es nicht wert. Drum geb’ ich euch den alten Löwenrat: Hat dich einer beleidigt, will dich einer zum Narren halten, so pinkle ihn an, zeig ihm damit, was du von ihm hältst! Sei Menschen gegenüber immer unerschrocken! Und gebe niemals die Hoffnung auf!“
Und Kiri-Rüssel, der Elefant, begann seine Rede: „Liebe Freunde, hört auf einen alten Elefanten! Über alles geht dem Elefanten sein Gedächtnis. Nur der Gedächtnisreiche weiß Freund und Feind zu trennen. Darum achtet auf alles, was euch begegnet. Prägt es euch gut ein! Wer jeden Augenblick nutzt, um aus dem Erlebten zu lernen, der wird nie ratlos sein. Er wird in allen Situationen das Richtige zu tun wissen! Er wird die Erfahrung machen, dass alles, was geschieht, nach einer gewissen Logik erfolgt. Bald wird er den Dingen auf den Grund gehen und ein Weiser werden. Denn die Weisheit liegt vor eurer Haustür, nicht in den Sternenwelten!“
Und Flexy, der Waschbär, sagte: „Ihr Lieben, vergesst nicht die List! Wer euch Böses will, den müsst ihr täuschen. Aber täuscht nie um des Vorteils willen und täuscht nie in böser Absicht, um euch einen Scherz zu machen! Ich habe es bitter bereut, als damals Silena, die außergewöhnliche Hirschkuh, die sogar ein Geweih trägt, wegen meiner Scherze in die Ganganjer-Schlucht gestürzt ist und ich bin unendlich froh, dass sie das Glück gehabt hat, durch den Planetenmittelpunkt zu fallen und jetzt auf der anderen Seite unserer Erde ein glückliches Dasein führen kann. Freunde, lernt aus meinem Verhalten! Ich habe aus meinen Fehlern gelernt, bin ein anderer geworden und werde niemals wieder böse Scherze treiben!“
Und schließlich sprach der Plédo-Affenvater: „Liebe Freunde, wenn ein alter Affenvater auch was sagen darf, dann sei es dies: Bedient euch eures Erfindungsreichtums! Denn dadurch ist ein Affe ein Affe, dass er sich seines Verstandes bedient. Ihr mögt durch meinen jüngsten Sohn eine Menge gelernt haben und ich zweifle nicht daran, dass er euch noch in manchen Lebenslagen nützen wird! Hört doch auf ihn! Die Gabe des Einfallsreichtums ist bei ihm ausgeprägter als bei allen Generationen zuvor! Er macht dem Affen wahrhaftig die Ehre, ein Affe zu sein! Und jedem Menschen sollte es eine Ehre sein, auf einen wie ihn zu hören!“
Kuno Schwarzschopf aber wandte sich an Kuno Weißhaar, flüsternd: „Ist das denn wahr, kommt dieser Erfinder-Affenkerl wirklich mit auf unsere Reise?“
„Aber klar doch“, sagte Kuno Weißhaar, „er gehört zu unserem Team.“
„Dann ohne mich!“, erwiderte Schwarzschopf und wandte sich zum Gehen.
„Aber Kuno Schwarzschopf, warte doch!“, rief Weißhaar. „Er ist der Einzige, der um das Geheimnis der sieben Kristalle weiß!“
„Sieben Kristalle, ach was! Wer weiß denn, ob es sie überhaupt gibt! Und sie sollen ja auf dem Mond liegen! Wie dort hinkommen, bitte? Das wird genauso eine Wahnidee sein wie der Rückwärtsgang, den er erfunden hat! Ich habe noch jetzt die Schnauze voll davon. Also bitte ohne mich!“ Und schon rannte er davon.
„Erfinder-Äffchen ist vielleicht unsere einzige Hoffnung“, rief ihm Kuno Weißhaar hinterher.
„Es ist ein Idiot!“, schrie Kuno Schwarzschopf. „Durch seine Schuld wären wir jetzt fast nicht mehr am Leben! Nein danke, von Erfinder-Äffchen will ich nichts mehr wissen!“ Sprach’s und ward nicht mehr gesehen.
„Sieh’s von der positiven Seite“, murmelte Kuno Weißhaar. „Ohne die Expedition in die Ganganjer-Schlucht müssten wir jetzt auf Silenas schöne Stimme verzichten.“ Aber er sagte das für sich selbst, denn Kuno Schwarzschopf war schon außer Reichweite, um ihn zu hören.
„Auch ich will nicht mitkommen“, sagte der große-Bruder-Affe. „Was ich in der Ganganjer-Schlucht erlebt habe, reicht mir jetzt schon für alle Zeiten. Ich denke nicht, dass ich mich jemals wieder auf meinen kleinen Bruder verlassen kann!“
„Was soll das heißen?“, beschwor der Vater-Affe seinen ältesten Sohn. „Willst du den kleinen Bruder verleugnen? Ist es der Neid, der dich treibt? Er ist nun einmal von uns allen der klügste Kopf! Willst du das bestreiten?“
„Ja, das will ich bestreiten! Er hat nur Unsinn im Kopf! Denk dir nur, er hat versucht, eine Perpetuum-mobile-Maschine zu erfinden, eine Maschine, die einen Zerstörungsvorgang rückgängig macht! Er glaubte sogar, die Zeit rückwärts laufen lassen zu können! Wenn das kein Unsinn ist! Nein, mit einem solchen Unsinnmacher werde ich nicht reisen!“
„Großer-Bruder-Affe, du weißt deinen kleinen Bruder nicht zu schätzen“, sagte der Vater und schüttelte traurig den Kopf.
„Dann bleiben also nur drei, die ihr Leben für Sabut aufs Spiel zu setzen wagen. Ich kann nur sagen: Viel Glück!“
„Viel Glück“, sagte Flexy. „Und nehmt euch vor den Schlangenmenschen und den Kyruppen in Acht. Ihr Gebiet liegt auf dem Weg nach Norden. Die Schlangenmenschen sind listig und böse, grausam und unbarmherzig. Ihr König wohnt zusammen mit vielen Getreuen auf einer großen Schlangenburg nördlich der Ganganjer-Schlucht. Weitere, kleinere Burgen gibt es in der Umgebung, alle von Schlangenmenschen bewohnt. Den Fremden sind sie nicht freundlich gesinnt. Noch gefährlicher sind die Kyruppen.“
So kam es, dass sich am Ende nur drei Personen auf den Weg nach Norden machten: Der kleine Idan, Erfinder-Äffchen und Kuno Weißhaar. Kuno Weißhaar gelang es, zwei kleine Esel zu beschaffen, auf die sie das nötigste Gepäck luden. Außerdem hatte Idan seine Blockflöte mitgenommen, auf der er wunderbare Lieder spielen konnte. Die hatte ihm alle der große Idan beigebracht. Erfinder-Äffchen hatte einige alte Weltkarten und Karten von Rüsselschwein mitgenommen, aber sie waren nicht besonders exakt und nach den Angaben der Kunos gezeichnet. Bereits am folgenden Tage verließen sie den Komponischen Märchenwald. Sie umgingen die Ganganjer-Schlucht, bahnten sich einen Weg durch die Wälder und drangen in Gebiete vor, wo zuvor noch nie normale Menschen waren. Und Idan war der einzige normale Mensch.
Die Schlangenburg
Der Schlangenmenschenkönig Schlankerli befand sich hoch oben in seinem Gemach auf der Schlangenburg und betrachtete sein graues Gesicht in einem blitzenden Spiegel. „Ssön – ssöön – ssööön!“, lispelte er, wie das für Schlangenmenschen üblich ist. „Jedoss nisst sslank genug! Wer kann mir selfen, sslanker ssu werden?“
Wer den Schlangenmenschenkönig Schlankerli in seinem Spiegel gesehen hätte, der hätte dieses seltsame Wesen gewiss für schlank genug befunden, freilich auch für hässlich genug. Der Kopf quoll wie ein dicker Knoten aus einem enorm langen Halse, war aber immer noch schmal und niedrig genug, um zwischen jede Leitersprosse gesteckt zu werden. Die Augen waren geschlitzt, der Mund breit und mit zierlichen Kusslippen versehen, und die schmale Zunge zuckte und züngelte gespalten aus der Lücke. Haare fehlten ihm gänzlich. Die Gliedmaßen waren außerordentlich lang und konnten gedehnt und über alle Maßen gestreckt werden. Sie bestanden nicht aus festen Knochen, sondern aus Knorpelgewebe, von Muskelschläuchen umhüllt. Schlankerli betrachtete seine Arme und Hände im Spiegel. Er verlängerte seine Finger, beugte und streckte sie. Er ließ die dunklen Sterne seiner Augen in allen Formen spielen und lächelte sich selbst im Spiegel zu. „Ssön, Ssöön, ssööön! Aber nisst sslank genug!“
In diesem Augenblick eilte ein Bote in sein Gemach. „Soßeit Sslankerli! Eure Dursstlausstheit! Wir saben Menssen gesesen, genauer gesagt: Einen Menssen, einen Kuno und einen Affen!“
„Festnehmen, die sswei!“, donnerte Schlankerli.
„Soßeit! Es sind drei!“
„Sssssss!“, zischte Schlankerli ärgerlich. „Iss dulde nisst, dass ihr mir widerspresst! Iss meinte natürliss: sswei Menssen! Den Affen lasst laufen! Was soll iss mit einem Affen?“
„Soßeit! Der Affe sseint der Führer der sswei ssu sein!“
„Dann sind das aber sehr, sehr dumme Menssen! Bringt sie trotssdem! Kluge Menssen saben bisseer kein Sslankseitsmittel gefunden!“
„Eure Dursstlausstheit! Wie sollen wir dummen Menssen ein Sslankseitsmittel entlocken?“
„Mit Freundlisskeit!“, erwiderte Schlankerli. „Je dümmer desto unempfänglisser für Folter! Freundlisskeit ist das Mittel der Wahl!“ Sprach’s und eilte von dannen. Mit stolzen, weitausladenden Schritten ging er den Freunden entgegen. In der Abenddämmerung erblickten Idan und seine Gefährten die unheimliche, hoch aufgerichtete Gestalt. König Schlankerli war mit einem Gewand aus feinem Goldstaub angetan, das seine anmutig schlanken Formen recht gut zur Geltung brachte. Auf seinem breiten Schlangenhaupt war eine zierliche Krone befestigt. Die großen Schlangenaugen funkelten tückisch.
„Ssönen Abend, iss bin Sslangenmenssenkönig Sslankerli. Seid mir gegrüßt, ihr Reisenden! Iss lade euss ein auf mein Ssloss! Ihr müsst wissen: Fast mangelt es uns an nissts, iss bin ein sslanker Geselle! Ssön, ssöön, ssööön muss iss sagen, jedoss nisst sslank genug! Ihr könntet miss unterstütssen, noss sslanker ssu werden! Sabt ihr ein Mittel dassu?“
„Sie könnten es vielleicht einmal mit einer Diät versuchen“, meinte Kuno Weißhaar.
„Alles sson ausprobiert mit ausgesussten Diäten“, erwiderte Schlankerli, „leider nur Misserfolge! Möglisserweise wisst ihr einen Ssaubertrank. Man sagt, die Kunos seien so weise! Ihr seid wohl keine Gelehrten, iss weiß, aber bewandert in Ssauberkünsten!“
„Ich bezweifle, ob man das Zauberkünste nennen kann“, versetzte Weißhaar bescheiden. „Ich bin zwar kein Gelehrter, wie du richtig bemerkst, doch haben wir einen Gelehrten unter uns.“
„Wer? Iss sehe keinen! Meinst du den smarten Jungen?“
Kuno Weißhaar wies auf Äffchen.
„Das ist ja kein Menss!“
„Aber ein Plédo-Affe! Er kann sprechen und dürfte dir weiterhelfen!“
„Ja“, sagte Erfinder-Äffchen, „ich habe auch schon ein paar Ideen für eine Diät! Ich denke schon, dass ich dir helfen kann!“
Da war der Schlangenmenschenkönig Schlankerli gar hocherfreut und geleitete die Gefährten den Hügel hinauf zu der Schlangenburg, deren hohe Zinnen in der Abendsonne gleißten. Der König ging ihnen voraus und die Gefährten bewunderten seinen anmutigen, federnden Gang, in dem sich Schlankerli schlangenlinienförmig vor ihnen herbewegte.
Auf der Schlangenburg bekamen die Freunde Gemächer zugewiesen, erhielten freie Kost und Logis, und Äffchen bemühte sich Diäten nach eigenem Rezept herzustellen. Als Gegenleistung hatte der König den Dreien freies Geleit, Lebensmittel und eine ausgezeichnete Landkarte versprochen. Erfinder-Äffchen entwarf und mixte einige Tinkturen, von denen Schlankerli Durchfall bekam. Aber auch nach einigen Tagen wollte der König nicht abnehmen, wie das tägliche Wiegen auf einer Waage bewies. Jeden Morgen schaute er von Neuem in den Spiegel und sagte: „Ssön, ssön, ssööön, jedoss nisst sslank genug!“
Er war sehr unzufrieden. Darum wurden die Freunde unter dem Vorwand, dass für neue Diener Platz zu schaffen sei, von einem Tag auf den anderen in weniger freundliche Gemächer geführt und dies wurde solange fortgesetzt, bis sich ganz unmerklich die Glasscheibe vor der Türe und die Vorhänge vor den Fenstern in Gitter verwandelt hatten. Als die Freunde es bemerkten, war es schon zu spät und sie waren seitdem in ihren Zellen gefangen. Die Ratgeber Schlankerlis drangen darauf, dass eine Entscheidung getroffen werden müsse, aber Schlankerli unternahm nichts. Er ließ sich zwar von Äffchen keine Tinkturen mehr zubereiten, aber er zögerte andererseits mit einer Bestrafung. In seinen Mußestunden ließ sich der König auf Idans Flöte Lieder vorspielen, woran er sich sehr ergötzte.
Eines Tages musste Schlankerli auf Drängen seiner Berater eine Versammlung einberufen, auf der das Problem mit den Fremden geregelt werden sollte.
„Noss immer saben die Reisenden siss nisst als nütssliss erwiesen!“, wurde ihm vorgehalten.
„Lasst uns noss ein wenig warten!“, beschwichtigte Schlankerli. „Der Bursse sspielt so ssön!“
„Wir saben genug gewartet. Das Gesetss besagt, dass diese ssterben müssen!“, erwiderte der Ratgeber des Königs. „So ist es gesetssliss besslossen!“
„Absolute Sseiße“, lispelte Schlankerli. „Iss mösste den Menssen besalten! Sseiß Gesetss!“
„Es lässt siss nun mal nisst ändern! Das Gesetss ist alte Tradission! Auss ein König muss siss danass rissten!“
„Äußerst bessissen! Kann man das nisst umgehen?“
„Leider keine Ssance! Menssen, die nisst nütssliss sind für Sslangenmenssen, müssen ssterben!“
„Aber er singt doss so ssön!“
„Sosswürden meinen, er sspielt!“
„Freiliss meinte iss das! Wie sollte iss es sonst meinen! Also, wenn er so ssön sspielt, ist das nisst ein Grund, ihn ssu ssonen?“
„Leider gar nisst! Flötensspielen ist als nütssliss noss nisst anerkannt. Das Gesetss sat kein Versständnis für die Kunst!“
„Dann mösste iss wenigstens das Insstrument des Menssen besitssen!“, erwiderte Schlankerli trotzig. „Dies wird mein einssiger Trost sein!“
Noch am gleichen Abend eilte Schlankerli in das Verlies des kleinen Idan, um sich die Flöte geben zu lassen. „Du und deine sswei Genossen müssen leider ssterben“, sagte er, „drum gib mir dein Musikinsstrumen!Musikinsstrument! Du wirst’s nisst mehr braussen! Vielleisst finde iss sspäter einen anderen Menssen, der mir damit vorsspielen kann! Wäre sonst ssade drum!“
„Aber warum müssen wir denn sterben?“, rief Idan entgeistert.
„Weil ihr nisst von Nutssen für uns seid! Ihr sabt auf unsere Kosten gelebt und könnt nisst bessahlen dafür, darum auss die Sstrafe!“
„Aber ... aber wir könnten arbeiten, um für das Essen, das ihr uns gegeben habt, aufzukommen“, sagte der kleine Idan.
„Nisst nötig! Wir wüssten nissts, was ihr arbeiten solltet! Können wir alles besser! Das Problem ist, dass ihr Fremde seid! Fremde, die in unser Land eindringen, müssen ssterben! Es sei denn, dass sie von Nutssen sind! Aber das seid ihr nisst!“
„Aber ich könnte dir täglich auf meiner Flöte vorspielen!“
„Damit sab iss auss versusst, unser Gesetss ssu beugen. Jedoss geht das leider auss nisst! Kunst ssählt leider gar nissts!“

„Gnade, Gnade!“, schrie der kleine Idan und sank auf die Knie. „Ich will nicht sterben! Bitte schone unser Leben! Wir wollen das Land verlassen und auch bestimmt nicht wiederkommen!“
„Leider kann iss auf diese Wünsse nisst Rücksisst nehmen! Es ist sson Gnade, dass ihr morgen sterben dürft! Früher gab es erst lebenslängliss – und dann erst den Tod! Jetsst aber bitte – das Insstrument!“
Idan war einige Schritte zurückgewichen, aber Schlankerli verlängerte seinen Arm durch die Gitterstäbe, erhaschte die Flöte aus seiner Hosentasche und zog die Hand schnell zurück.
„Aber was soll denn aus unseren Eselchen werde?“,werden?“, rief Idan und Bäche von Tränen rannen ihm über die Wangen.
„Keine Sorge! Die werden versorgt! Die dürfen siss paaren. Und ersst ihre Kinder werden an Sslangen verfüttert!“
„Und unser Sabut, unser kleiner Mammutfresser?“, heulte Idan. „Er wird sterben, wenn wir ihm nicht Mammutfleisch besorgen!“
„Das ist leider nisst unser Problem“, erwiderte Schlankerli. „Warum habt ihr ihn nisst dort gelassen, wo er wohnt?“ Mit diesen Worten entfernte sich der König und ließ den kleinen Idan allein.
Also war es beschlossene Sache. Nichts konnte an dem unerbittlichen Schicksal ändern, das die drei Freunde erwartete. Die Hinrichtung war für den folgenden Tag geplant und noch am Abend hörte man bis zu der Schlangenburg herauf das laute Hämmern und Sägen der Zimmermannsleute, die die Galgen vorbereiteten. Dann, nach einer langen, schrecklichen Nacht, nahte endlich der Morgen, ein überaus trauriger Morgen.
Zu hilflosen Bündeln zusammengeschnürt wankten die Gefährten zum Ort ihrer Hinrichtung. Ihre Hälse steckten in Schlingen und waren in kurzem Abstand mit einem Strick verbunden, der sich zwischen ihren Füßen befand und deren Bewegungsfreiheit einschränkte. Eine zweite Schlinge, ebenfalls um den Hals geknüpft, war mit den hinter dem Rücken gefesselten Händen verbunden. Derart wohl verschnürt konnten sie sich nur in tapsenden Schritten und in gebückter Haltung fortbewegen. Es war ein langer Weg, denn der Burgplatz, auf dem die Hinrichtung stattfinden sollte, lag ziemlich weit unten und der kleine Idan kam durch die grausamen Fesseln behindert nur äußerst langsam voran. Ein wenig schneller war Äffchen, aber auch dieses war durch seine gebückte und gebundene Haltung äußerst behindert. Nur Kuno Weißhaar ging aufrecht. Sein Hals war zu kurz, als dass man eine Schlinge hätte darum legen können, ebenso waren die Arme zu kurz, als dass man die Hände auf seinem Rücken hätte übereinander fesseln können. Seine Füße waren nur mit einer einzigen Fessel verbunden, die ihm einen bequemen Spielraum ließ, gerade soviel, dass er nicht davonlaufen konnte. Ebenso ließen die Fesseln auf seinem Rücken ihm einen gewissen Spielraum. Es schien den Unglückseligen, als sollte ihre Reise enden, bevor sie richtig begonnen hatte. Endlich, nach langem, mühevollem Weg, hatten sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht. Dem kleinen Idan stiegen Tränen in die Augen, als er die hohen Galgen auf dem Burgplatz sah. Sie waren mit stattlichen Halsschlingen ausgerüstet. „Wie wollen sie mich hängen?“, fragte Kuno Weißhaar. „Mein Hals ist zu kurz!“