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«Was Negatives?» Oh, wie konnte er fragen. Dylan hatte das Gefühl, dass ihm die Erlösung ins Gesicht geschrieben stand.
«Ich … kann mich nicht mehr genau erinnern …», redete er sich raus, dabei schossen ihm augenblicklich die imaginären Bilder ins Gedächtnis. Thor auf ihm, über ihm, in ihm, so begierig wie noch nie.
Kaum merklich führte er die Hand unter der Bettdecke zwischen seine Beine. Seine Vermutung bestätigte sich. Mit einem Ruck richtete er sich auf. Noch schneller sprang er aus dem Bett. «Sorry …» Kopflos hastete er ins Badezimmer. Das Verlangen in ihm war verschwunden. Er fühlte sich erschöpft und leer, selbstverständlich befriedigt, aber längst nicht glücklich …
Verbissen warf er die Unterhose in den Wäschekorb. Wie unter Zwang folgte die Reinigung von Händen und Glied. Ein merkwürdiges Gefühl wummerte unter seiner Brust. Dylan fühlte sich schuldig, aber auch verletzt und allein.
Da er im Bad keine frische Wäsche vorfand, marschierte er nackt ins Schlafzimmer zurück, nicht ohne sich die Hand vor die Blöße zu halten.
Thor saß noch immer auf dem Bett. «Bist du nicht zu alt für einen feuchten Traum?», meinte er.
Verflucht nochmal, warum wusste er wieder, was tatsächlich geschehen war?
Hörte Dylan einen Vorwurf heraus? Ohne seinen Partner anzusehen, widmete er sich dem Schrank, in dem er mittlerweile mehr als die Hälfte in Beschlag genommen hatte. Mit zittrigen Fingern zog er eine frische Unterhose aus dem Regal. «Kann nichts dafür, dass du die Fußfessel mit Abstinenz gleichsetzt.»
Gedämpft vernahm er Thors tiefes Durchatmen. «Willst du das jetzt ausdiskutieren?», meinte er grimmig. «Wer trägt denn das Scheißteil den ganzen Tag am Fuß? Du oder ich?»
Dylan hielt inne. Plötzlich fühlte er sich nicht nur schäbig, sondern auch traurig. Thor hätte im Gefängnis sitzen können – für Monate. Stattdessen hatte man ihn mit einem Überwachungsinstrument ausgestattet. War das nicht eine Gabe? Mussten sie tatsächlich darüber streiten? Pikiert drehte er sich um. «Reg dich bitte nicht auf.»
«Ich reg mich nicht auf!», donnerte Thor. «Du regst mich auf!» Er erhob sich vom Bett und schritt zur Tür.
«Lass uns das klären», flehte Dylan. «Bitte!»
Thor sah ihn nicht mehr an. «Ich bin mit Erik auf der Baustelle.»
***
Am Nachmittag fuhr Erik mit seinem Wagen vor. Thor stieg wortlos aus – wie jeden Tag. Dylan hatte ihr Kommen am Fenster verfolgt.
«Und? Wie lief es?» Das fragte er auch täglich und Thor erwiderte immer dasselbe, bevor er in der oberen Etage verschwand. «Muss erstmal duschen …»
Erik entlud derweilen ein paar Müllsäcke. Bislang war es unmöglich gewesen, einen separaten Container für den Bauschutt zu erhalten. Es war, als sträubten sich die Firmen, das Unterfangen von Thor Fahlstrøm zu unterstützen.
Dylan lief auf die Einfahrt zu und half beim Entladen der Müllbeutel.
«Seid ihr vorangekommen?», fragte er nebenbei. «Thor erzählt mal wieder nichts.»
Erik wischte sich über die Stirn. Seine dunkle Jeans trug staubige Flecken. Auch das war nichts Neues. Jeden Tag kamen sie von der Baustelle: dreckig und erschöpft.
Dylan versetzte es jedes Mal einen quälenden Stich, denn Thor tolerierte Erik als Helfer an seiner Seite.
«Die Wände sind fertig gestrichen, ja.» Erik hob die Hände an und präsentierte Blasen und blutige Schnitte. «Der alte Teppich ist draußen, aber frag nicht, wie wir das Parkett verlegen wollen. Damit kenne ich mich überhaupt nicht aus. Und nächste Woche kommt Tony, dann werde ich weniger Zeit haben.»
Dylan reagierte bestürzt, als er Eriks Handflächen sah.
«Meine Güte, das sieht schlimm aus.» Ehe er die lädierten Hände berühren konnte, zog sie Erik zurück und zwängte sie in die engen Hosentaschen.
«Nicht so tragisch.» Er trat auf der Stelle und wich dem Blick aus.
«Ihr habt noch immer keine Handwerker gefunden, die sich der Sache annehmen?»
Erik schüttelte den Kopf. «Ich hab es heute sogar in Stavanger versucht. Die Leute dort scheinen weniger voreingenommen. Aber der lange Anfahrtsweg …» Ein resigniertes Seufzen folgte.
«Es kann doch nicht angehen, dass keine Firma bereit ist, euch zu helfen!», schimpfte Dylan. Sein Gegenüber hob die Schultern an.
«Es ist ja nicht nur die Ablehnung», berichtete er. «Viele Betriebe nehmen vor dem Sommer keine neuen Aufträge an.»
Dylan stutzte. «Wieso das?»
«Fellesferie», erklärte Erik. «Ab Juli sind die meisten Norweger im Urlaub. Die Städte sind wie ausgestorben. Die Anzahl der Arbeiter ist begrenzt, viele Geschäfte geschlossen und die Straßen leer.»
Dylan lachte verstört. «Das ist doch verrückt.»
Erik grinste. «Nein, das ist Norwegen.»
***
Thor blieb an diesem Tag länger im Obergeschoss und keine Geräusche erklangen aus den Räumen, sodass Dylan nach dem Rechten sah. Sein Partner lag samt Straßenkleidung auf dem Bett und war eingeschlafen. Seine Hände waren staubig, seine Wangen eingefallen und sein Haar zu einem Zopf gebunden. Trotzdem hatten sich hartnäckige Strähnen daraus gelöst. Dylan sah Thor stillschweigend an und verspürte nicht zum ersten Mal Mitleid.
Wie fühlte es sich an, abgelehnt zu werden, und das über Jahre hinweg? Wie erging es ihm mit dem Wissen, in die Stadt zu müssen, in der er nicht erwünscht war?
Dylan war das Gefühl von Ablehnung nicht fremd, hatte er ähnliche Erfahrungen in seiner Kinder- und Jugendzeit gemacht. Aber er hatte sich durchgeboxt und mit dem Erreichen des Erwachsenenalters zumindest einen Namen geschaffen, den man, trotz einiger Eskapaden, mit etwas Positivem verband. Man mied ihn nicht mehr. Dylan Perk wurde stets mit offenen Armen empfangen.
Thor hingegen hatte schon immer ein einsames und wunderliches Leben geführt. Es schien, als hatte er sich mit den Jahren mehr und mehr von der Gesellschaft abgekapselt. Er wusste, dass es nach wie vor Anhänger gab; Fans von Wooden Dark, aber die waren ihm in der momentanen Lage nicht von Nutzen.
Die Auflage – etwas Gemeinnütziges auf die Beine zu stellen und in der Bevölkerung Fuß zu fassen – musste er allein bewältigen.
Bei der Errichtung des Cafés mit integrierter Galerie konnte ihm kein Fan helfen. Bei der Mission, den blutbefleckten Namen Thor Fahlstrøm zu einem Begriff zu machen, den die Menschen nicht mehr fürchten mussten, war sein Ansehen in der Black Metal-Szene nicht von Bedeutung.
Letztendlich musste er den Weg allein bestreiten – wie so oft. Thor trug sein Leid still und beherrscht, ohne zu klagen. Nur durch seine Anwesenheit konnte Dylan symbolisieren, dass er Freunde an seiner Seite hatte, die an ihn glaubten; dass jemand da war, der ihn liebte und in jeder Lebenslage unterstützte.
Dylan blickte durch den Raum. Die Bettwäsche war schlicht, die Wände kahl, der Schreibtisch antik und der Computer veraltet. Thor hatte sich nie etwas aus der modernen Welt gemacht und das spiegelte sich in der Einrichtung des Hauses wider. Auf der Ablage stapelten sich ungeöffnete Briefe. Lediglich das Handy war neu, doch das war Thor aufgedrängt worden. Samt Fußfessel musste er es bei sich tragen, damit er kontrollierbar war.
Auch diese Tatsache musste an seinem Gemüt zerren wie ein unbändiger Orkan. Eigentlich konnte Dylan froh sein, dass sein Partner den Frust nicht offen auslebte. Doch war es förderlich, den Ballast in sich hineinzufressen? Zu schweigen, anstatt zu brüllen, so wie Dylan es getan hätte?
Sein Blick heftete sich auf ein vergilbtes Telefonbuch. Ob die enthaltenen Nummern aktuell waren?
Er griff danach, denn zu verlieren hatte er nichts. Im Erdgeschoss setzte er sich auf das Sofa und blätterte darin herum. Es musste doch eine Firma geben, der es egal war, was die Leute tratschten? Irgendwo musste jemand sein, der helfen konnte, oder?
Bei den ersten zwei Firmen, die er anrief, sprang ein Anrufbeantworter an. Es war später Nachmittag und niemand zu erreichen. In Norwegen machten die Menschen zeitig Feierabend, das hatte er inzwischen begriffen. Und vermutlich hatte Erik schon sämtliche Handwerker der Umgebung abgeklappert. Trotzdem ließ ihm der Zustand keine Ruhe. Es war bedrückend genug, dass Thor ihm verbot, bei den Renovierungsarbeiten zu helfen. Ohne Zweifel hatte er zwei linke Hände; auch machte er gern einen Bogen um körperliche Arbeit und Dreck, aber hatte er bei ihrer Reise durch Amerika nicht bewiesen, dass er gewillt war, zu lernen?
Ein Polizeiwagen fuhr vor und Dylan unterbrach das Studieren der Telefonbucheinträge. Arvid kam auf das Haus zu, gemächlich und mit ernstem Blick. In der dunklen Polizeiuniform machte er eine gute Figur und die sommerlichen Temperaturen hatten einen bräunlichen Teint in sein Gesicht gezaubert, in dem der grau melierte 3-Tage-Bart dominierte.
Dylan öffnete und hob eine Hand zum Gruß. «Hei!»
Arvid nickte ihm zu und blieb auf der Schwelle stehen. «Wie läuft es?»
«Ganz gut, denke ich.»
«Es gibt keine Probleme? Thor fährt morgens in die Stadt und abends zurück?», fügte Arvid fragend hinzu.
Dylan bestätigte es. «Das funktioniert. Keine Umwege, wie abgemacht.»
«Gut.» Arvid sah an ihm vorbei. «Er hat einen Antrag gestellt für die Teilnahme von Wooden Dark bei einem Festival. Vermutlich klappt das, wenn er sich strikt an die Abmachungen hält.»
«Das wird er, bestimmt.»
Arvid rieb sich den Bart. «Finanziell sieht es übel aus …» Es klang wie eine Frage anstatt einer Feststellung.
Notgedrungen musste Dylan nicken. «Die Renovierung kostet. Und das Strafgeld war heftig …»
«Das hat er sich selbst zuzuschreiben.»
«Klar, aber …»
«Hat er inzwischen mit der Bewährungshelferin gesprochen?», wollte Arvid wissen.
Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, aber ich bin am Vermitteln.»
«Ohne vernünftiges Gutachten sieht seine Zukunft düster aus», erklärte der Bruder von Thor; und das nicht zum ersten Mal.
«Das weiß ich», zischte Dylan. Er wand sich. «Doch du kennst ihn ja. Es ist verdammt schwer, ihn von seiner Meinung abzubringen … Und dann der Ärger mit dem Café!» Er biss sich auf die Unterlippe.
«Habt ihr noch immer keine Handwerker gefunden?», erkundigte sich Arvid.
«Nein – und die Osloer Bevölkerung trägt auch nicht viel dazu bei, dass sich das ändert.»
«Habt ihr es schon bei Lasse Bjørnson versucht? Der vermittelt Leiharbeiter.»
Dylan hob die Schultern an. «Keine Ahnung. Erik hat rumtelefoniert und ich kenne hier niemanden.» Er stutzte. «Obwohl, Bjørnson? Hat der etwas mit Fay Bjørnson zu tun?»
«Möglich, dass sie in der Firma hilft. Soll ich dir die Nummer raussuchen?»
Dylan winkte ab. «Hab ein Telefonbuch hier und zur Not Internet.» Die Sachlage schien geklärt und trotzdem lag eine eigenartige Stimmung in der Luft. «Danke, dass du mal nach dem Rechten guckst», fügte er abschließend hinzu.
Arvid lächelte schief. «Als ob ich das zu meinem Vergnügen mache.»
«Er ist dein Bruder …»
«Ja, und gerade deswegen möchte ich, dass er nicht wieder Scheiße baut!» Arvid wurde laut. «Wir hängen da alle mit drinnen und ich will, dass die Sache ein für alle Mal vorbei ist und Ruhe einkehrt!»
«Denkst du, ich will das nicht?», erwiderte Dylan ebenso aufgebracht.
«Dann sorg dafür, dass er sich am Riemen reißt und endlich zur Vernunft kommt!»
«Du weißt, dass das nicht einfach ist!»
Arvid zog die Notbremse. Vielleicht war er ähnliche Dialoge gewohnt und er ließ sich von der aufgestauten Wut nicht mitreißen. Zudem ging ein Funkspruch ein und hinderte ihn daran, etwas zu erwidern. Er drehte sich weg, bediente das Funkgerät, das zuvor an seiner Diensthose geklemmt hatte und führte ein knappes Gespräch in Norwegisch. «Ein Einsatz», erklärte er. «Wir sehen uns!» Schnellen Schrittes begab er sich zum Polizeiwagen und brauste davon.
«Was war los?», tönte es plötzlich. Thor war lautlos herangetreten und spähte hinaus.
«Ach nichts … Arvid wollte nur gucken, ob alles okay ist», erwiderte Dylan. Sorgsam betrachtete er seinen Partner. Thor sah müde aus, obwohl er mittlerweile geduscht hatte. Sein Gesichtsausdruck glich der einer starren Maske.
«Der soll sich um seinen eigenen Mist kümmern», knurrte er verbissen. Mit groben Bewegungen schenkte er sich Kaffee ein und begab sich ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch setzte.
Dylan folgte. Kommentarlos klappte er das Telefonbuch zu. Es war besser, Thor nicht zu sagen, dass er ungefragt nach Hilfe suchte. Umständlich stopfte er das dicke Verzeichnis unter die Ablage des hölzernen Tischs, der mit Papieren und Gegenständen vollgemüllt war. Eigentlich war Thor ein ordentlicher Mensch, doch wenn es um Briefverkehr und Formalitäten ging, zeigte sich seine Abneigung darin, dass er etwaige Schriften ignorierte. Zudem war er tagsüber mit der Renovierung der Kneipe beschäftigt. Aufräumarbeiten blieben unerledigt. Das starre Gerüst, das im Hause Fahlstrøm geherrscht hatte, geriet mehr und mehr ins Wanken.
«Du könntest mal aufräumen», zeterte Dylan demzufolge. Anstatt das Telefonbuch erfolgreich zwischen den Utensilien verschwinden zu lassen, quoll ihm ein störender Stapel postwendend entgegen. Zettel, Briefe und Zeitschriften rutschten ihm durch die Finger, dazwischen Zigarettenschachteln, Feuerzeuge und Kugelschreiber. «Shit», fluchte er und ließ alles auf den Boden gleiten.
«Das ist ein Haus, kein Museum», entgegnete Thor.
«Kein Grund, um nicht mal auszumisten», erwiderte Dylan. Er beugte sich vor, schob den Haufen zusammen und stutzte. Zwischen seinen Händen ruhte eine Musikzeitschrift. Auf dem Cover sah er ein Bild von sich. «Wow!», staunte er. «Dass du ein Klatschblatt hast mit einem Bericht über uns?» Schnell blätterte er auf die Seiten, die einen Artikel über ihn und seine Band RACE präsentierten. Doch die Fotos und Fakten waren veraltet. Viel war seitdem passiert …
Abrupt hielt er inne. «Das ist nicht die Zeitschrift, die dir damals der Reporter vom ARCH gezeigt hat, oder?»
«Doch, Perk, das ist sie.»
Dylan schluckte bewegt. Er klappte die Seiten wieder zusammen und richtete das Augenmerk auf das Titelbild. Was er sah, kam mit Beklemmung einher. Diese Zeitschrift, die er just in den Händen hielt, hatte den Stein ins Rollen gebracht. Abgelutschte Latexfotze … Das waren die Worte gewesen, die Thor über ihn hatte fallen lassen, als ihm das Coverbild von dem Sänger von RACE einst unter die Augen gehalten worden war.
«Deine Beleidigung damals hat mich echt getroffen», gestand Dylan. Noch immer drehte sich ihm der Magen um, wenn er an die Beschimpfung dachte. Sie war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen; wie die Aufforderung zum Krieg, der mit dem folgenden Black-Festival eingeläutet worden war. Bis jetzt konnte Dylan nicht ausnahmslos glauben, dass alles nur Provokation gewesen war; dass Thor die Worte bewusst gewählt hatte, um ihn aus der Reserve zu locken. Obgleich aus ihnen ein Paar geworden war, hatte er die üble Nachrede niemals vergessen.
«Du musst schlecht von mir gedacht haben, sonst hättest du nicht derartig über mich hergezogen.»
Thor schüttelte den Kopf.
«Nei, Perk. Als ich das Foto sah, hatte ich nur einen Wunsch: Meinen Schwanz so tief in dir zu versenken, dass dir die Tränen kommen.»
Perplex sah Dylan auf und ihre Blicke trafen sich.
«Oh.»
Vorsichtig schob er die Zeitschrift auf den Tisch. Herzklopfen; bis zum Anschlag. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen.
«Also wolltest du mich einzig kennenlernen, um mich zu ficken?», fragte er mit heiserer Stimme.
«Vermutlich …»
Dylans Blick schwirrte durch den Raum. Bei der nächsten Frage konnte er Thor kaum in die Augen sehen. «Aber du liebst mich nicht nur wegen meines Aussehens, oder?»
«Was meinst du?», hakte Fahlstrøm nach und Dylan bemerkte die innere Unruhe in sich wachsen. Er fürchtete die Antwort und trotzdem fragte er.
«Liebst du meinen Körper und meinen Geist?»
«Mit Haut und Haaren …» Thors Blick nahm ihn gefangen und wanderte geradewegs zum Zentrum seiner Lust.
Dylan hielt einen Moment inne. Was er hörte und erlebte, verunsicherte ihn. Seit dem Ende ihrer Reise waren sie sich nicht mehr nah gewesen. Zurück in Norwegen hatte sich Thor von ihm abgewandt; nicht nur auf verbaler Ebene, sondern auch körperlich. Jeden Tag und jede Nacht hatte Dylan gehofft, dass sich der Zustand ändern würde, aber es schien, als hätte man Thor mit der Fußfessel ebenfalls einen Keuschheitsgürtel angelegt. Das elektronische Überwachungsinstrument stand wie eine Mauer zwischen ihnen, die Dylan rasend machte.
War nun der Moment gekommen, um die Hürde zu überwinden?
Ob sein Handeln richtig war, wusste er nicht, aber in diesem fragwürdigen Augenblick gab es für ihn nur eine Antwort.
Er stand auf.
Mit flatternden Fingern und klopfendem Herzen fasste er sich ans Hemd. Knopf für Knopf öffnete er es. Da Thor ihn nicht daran hinderte, zog er es aus und ließ es hinter sich zu Boden gleiten.
Er löste den Gürtel der Hose, öffnete den Knopf und den Reißverschluss; ebenfalls mit nervösen Fingern. Kein Protest, keine Ermahnung.
Er schob die enge Lackhose samt Shorts über seine schmalen Hüften.
Thor unterbrach ihn nicht und so strich er die Kleidungsstücke vom Körper, bis er vollkommen nackt war.
Wie eine Statue stand er nun da. Makellos und zur Salzsäule erstarrt. Nur sein Atmen ging stoßweise. War es richtig, was er tat?
Thor blickte ihn unverhohlen an und sagte nichts … Doch sein Blick wanderte. Sorgfältig betrachtete er den entblößten Körper seines Partners. Er fixierte dessen Brust, den flachen Bauch und sein Geschlecht.
Die Spannung zwischen ihnen war kaum zu ertragen. Dylan schluckte mehrfach und senkte den Blick. Vor Scham? Vor Ratlosigkeit? Hatte er es nötig, sich derartig zu präsentieren? Sich darzustellen wie ein billiges Lustobjekt? Wie ein Stück Fleisch, das nach Anerkennung haschte?
Beschämt schloss er die Augen. Ihn fröstelte es, aber nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Eine Ablehnung würde er nicht verkraften. Eine Missbilligung seines Verhaltens würde ihn in den Abgrund treiben.
Wenn er nicht in der Lage war, Thors Widerstand zu brechen, hatte er hier nichts mehr verloren.
Vibrierend atmete er ein und aus.
Viel zu lange geschah nichts. Doch dann hörte er die eindeutigen Laute, das verräterische Rascheln von Kleidung, das Klacken des Nietengürtels. Als Dylan die Augen öffnete, sah er Thor auf dem Sessel sitzen: mit nacktem Oberkörper, geöffneter Hose und verruchtem Blick.
«Komm her», raunte er dunkel und Dylan reagierte sofort. Ohne Umschweife gelangte er zwischen Thors Beine und ging vor ihm auf die Knie; voller Demut und geleitet von Lust.
Kein Zurückweisen, kein Tadel.
Thor packte mit einer Hand seinen Hinterkopf und drückte ihn gegen seinen warmen Schoß.
Gefügig ließ Dylan sich lenken. Geradewegs nahm er Thors Männlichkeit in den Mund, so tief und begehrlich, dass es ihm den Atem stahl.
Seine Lippen umschlossen den Schaft mit angemessenem Druck. Seine Zunge leckte über die salzige Haut. Willenlos ließ er die sanften Stöße in seiner Kehle zu.
Oh, wie hatte er sich danach gesehnt, wie lange hatte er davon geträumt.
Thor packte ihn fest bei den Haaren und er stöhnte lustvoll auf. Speichel lief ihm aus dem Mund. Das Meer der Gefühle brachte ihn zum Schwitzen. In seinen Wangen glühte es heiß.
Thor zerrte ihn unsanft auf die Beine. Dylan gab nach und folgte dem Stoß, der ihn auf den Sessel zog. Er schob die Knie auf die Polster, bettete die Schienbeine neben Thors Hüften und nahm auf dessen Unterleib Platz.
Sogleich drängte sich die brettharte Erektion zwischen seinen Spalt. Thor drückte ihn nach unten, presste sich ihm entgegen: fordernd und mit sanfter Gewalt.
Dylan bog sich zurück und ließ sich an den Hüften wieder nach vorne zerren. Der zerreißende Schmerz paarte sich mit bedingungsloser Gier.
Tief und fest spürte er Thor in sich.
Es geschah, was geschehen musste. Unwillkürlich drangen ihm Tränen in die Augen …
«Oh, fuck, ja …» Er ließ sich fallen, rieb sich an der nackten Brust seines Partners und genoss dessen Hände, die ihn streichelten, packten, vor- und zurückrissen. Im gleichen Rhythmus ging er dem Ritt nach. «Oh, yes …»
Thor legte die Finger um seine stramme Männlichkeit. Stöhnend stieß Dylan in die hohle Hand, die ihn umschloss.
Selbstbeherrscht versuchte er, nicht sofort zu kommen. Unmöglich! Mit jeder Bewegung jagte der heiße Schauer durch seinen Körper. Mit jedem Auf und Ab stiegen der Druck und das herrische Ziehen in seinen Lenden. Dylan verlor die Kontrolle und kam: mit geschlossenen Augen und einem erfüllten Schrei auf den Lippen. Kraftlos sackte er auf Thor zusammen. Haut an Haut, dicht an dicht.
Thor stieß weiter, jedoch langsamer.
Dylan verharrte in seiner Position; unfähig, etwas zu sagen, nicht in der Lage, sich zu bewegen. Thor riss ihn ein letztes Mal an sich, ächzte unterdrückt und ergoss sich tief in seinem Inneren.
Nur für einen kurzen Moment harrten sie in der bewegungslosen Starre aus, bis sich Thor lockerte und mit seinen warmen Händen über Dylans heißen Rücken strich – ihn dabei weiterhin hin- und herwiegte.
«Hör nicht auf», wimmerte Dylan. Mit letzter Kraft presste er sich auf den Schoß seines Partners. Mit allen Sinnen wollte er ihn in sich spüren, nicht so schnell verlieren. «Hör bloß nicht auf …»
Er hob den Kopf, blickte in Thors Gesicht und verlor sich in seinen blauen Augen. Unzüchtig sahen sie ihn an.
Wie auf Kommando trafen sich ihre Lippen. Hemmungslos versanken sie in einem tiefen Kuss. Der fordernde Rhythmus ebbte nicht ab.
Plötzlich drangen Geräusche aus dem Nebenraum. Eine Tür klappte, Schritte ertönten. «Seid ihr da?»
Dylan riss den Kopf herum und erblicke Erik, der sofort stoppte, als er das Paar im Wohnzimmer erblickte. «Oh, unnskyld!», äußerte er sich mit erhobenen Händen. Geradewegs machte er auf der Stelle kehrt und verschwand.
Dylan drehte den Kopf zurück. Thors eindringliches Starren nahm ihn wieder gefangen. Hinzu kam die Erleichterung unter der Brust und die Gelöstheit im Unterleib. Zufrieden seufzte er auf.
«Das hat mir gefehlt», säuselte er und vergrub die Hände in Thors Haaren. Verlangend rieb er seine Wange an Thors Bart. «Ich dachte schon, du liebst mich nicht mehr.»
«Was hat Liebe mit Sex zu tun?», erwiderte Thor. Er hörte nicht auf, seine Hände über Dylans Rücken zu schieben und die kleinen Schweißperlen zu verstreichen.
«Für mich sehr viel …» Dylan erschauderte. In nur wenigen Minuten hatte sich alles geändert. Die Furcht war weg, die Unsicherheiten verflogen, seine unbändige Lust befriedigt. Er schluckte trocken und atmete tief durch. Befangenheit machte sich breit und die Tatsache, dass er nicht an sich halten konnte. Die Erkenntnis, dass an Thors Zuneigung sein ganzes Leben hing, unterstrich ihre Leidenschaft mit zarter Sorge.
Als er in Thors Augen sah, die ihn mit unverfälschter Ordnung betrachteten, machte es ihn peinlich berührt. Umsichtig löste er die Verbindung und rutschte von Fahlstrøms Schoß. Die Rückstände ihrer Vereinigung klebten zwischen seinen Oberschenkeln, hafteten an seinem Bauch und seinen Händen.
«Ich sollte mich frisch machen», sagte er verschmitzt. Mit spitzen Fingern strich er sich das schwarze Haar nach hinten. Verlegenheit auf ganzer Linie, obgleich sie sich schon so lange kannten.
«Das machst du nicht, Perk», drang Thors Stimme durch den schwülwarmen Raum.
«Nein?» Pikiert hob Dylan die Kleidungsstücke vom Boden auf und presste sie gegen den nackten Leib. Thor schloss sich die Hose nur notdürftig.
«Ich rauch jetzt eine Zigarette», sagte er in einer Tonlage, die keinen Widerspruch zuließ. «Und du wartest im Schlafzimmer, genau so, wie du jetzt bist.»
Obwohl die Wärme unter dem Dach des Hauses lag, hatte er die Bettdecke bis zum Kinn gezogen. Dylan war, wie gefordert, noch immer nackt, aber der dünne Schweißfilm auf seiner Haut hatte inzwischen ein unangenehmes Frösteln in ihm erzeugt. Er sehnte sich nach einer Dusche, nach Seife und der Reinheit nach dem Akt, der ihm alles abverlangt hatte.