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Stattdessen verweilte er auf dem Rücken, unfähig, sich zu bewegen. Die feuchten Rückstände ihrer Vereinigung brachten ein Gefühl mit sich, das er eigentlich ablehnte.
Es war nicht der Ekel vor den Spuren von Sex, sondern die Tatsache, dass er nicht makellos sauber war. Schmutz auf seinem Körper setzte er mit einer Niederlage gleich. Wenn er sich dreckig fühlte, sank sein Ego. Wenn er nicht reinlich war, kamen die Zweifel. Der innere Kampf brach in ihm aus.
Er liebte Thors natürliche Art und Weise und verzehrte sich nach ihren hemmungslosen Kopulationen, aber ebenso sehnte er sich nach der Reinigung danach; nach dem Gefühl, attraktiv und begehrlich zu sein – und zu bleiben.
Indem sein Partner ihm die Säuberung seines Körpers untersagte, keimte die Spannung zwischen ihnen abermals auf.
«So hoch geschlossen plötzlich, Perk?» Thor schmunzelte, als er ins Schlafzimmer trat und Dylan im Bett liegen sah.
«Tss, das machst du doch mit Absicht!», giftete Dylan. Betreten wich er dem Blick seines Partners aus. «Lässt mich nicht mal zum WC gehen. Wenn ich das Laken beschmutzt habe, ist es deine Schuld!»
Thor lachte dunkel. Sein Oberkörper war noch immer nackt. Mit wenigen Handgriffen entledigte er sich seiner Hose. Langsam trat er näher und ebenso gemächlich zog er die Decke vom Bett.
«Dein Reinheitswahn ist beim Sex fehl am Platz», meinte er. Sorgsam betrachtete er Dylans nackten Körper: die schmalen Schultern, den flachen Bauch, das enge Becken und die unbehaarten langen Beine.
Zufrieden begab er sich auf das Laken, legte sich neben Dylan und führte eine Hand zwischen seine zusammengepressten Beine. «Am liebsten würde ich mich so oft in dir ergießen, dass du es nicht mehr halten kannst.» Mit leichtem Druck schob er die Schenkel auseinander.
Dylan erschauderte. Obwohl ihm die verruchte Lage missfiel, schaffte er es nicht, sich zu widersetzen. «Oh, fuck …» Er wand sich, denn Fahlstrøm schob zwei Finger vor und teilte seinen Spalt. «Bitte, nicht …»
«Ach, hör auf, Perk», raunte Thor dicht an seinem Ohr. «Du willst es, das weiß ich.»
Dylan stöhnte verhalten. Die Kälte in ihm verschwand, stattdessen erfasste ihn die Hitze und manifestierte sich dort, wo die vertrauten Finger ihn reizten.
Thor schob sie vor und zurück, so lange, bis er erneut hart wurde.
«Siehst du, so schlimm ist es gar nicht.»
«Aber …»
«Hysj», machte Thor. Mit der freien Hand streichelte er Dylans Stirn. Die Finger der anderen Hand wanderten indes tiefer. Kontinuierlich glitten sie hinein und hinaus. Nach jedem Vorstoß sickerte etwas Sperma nebenher. «Es erspart uns das Gleitgel.»
«Oh damned …» Dylan wimmerte. Ein wenig schockiert sah er zu, was zwischen seinen Beinen geschah. Seine Beine, die er inzwischen weit gespreizt hatte; unwillkürlich und doch verlangend. Die Situation war grotesk. Thor manipulierte ihn, er demütigte ihn und trotzdem wuchs in ihm der Drang, ihn erneut zu besitzen, ihn zu spüren, zu halten, sich ihm voll und ganz zu ergeben.
«Oh, fick mich, bitte …», wisperte er.
«Mhm, da ist er wieder, mein unersättlicher Perk.» Thor behielt das Lächeln bei. Doch in seinem Blick bestand etwas Trügerisches. «Aber so einfach mach ich es dir nicht.»
«Oh, bitte …» Dylan flehte. Begehrlich bäumte er sich auf. Die Lust kam so schnell, wie sie versiegt war. Erwartungsvoll reckte sich seine Männlichkeit nach oben. Thor packte ihn und pumpte mit Nachdruck.
«Ja, das ist gut, das ist gut …» Dylan bog sich ins Laken, seine Hüften bestimmten den Takt. Mit zackigen Bewegungen rammte er seine Männlichkeit zwischen Thors Finger. Abermals verlor er die Beherrschung. Wie eine Puppe ließ er sich packen und auf den Bauch drehen. Mit einem Ruck zog Thor ihn an den Hüften auf die Knie. Dylan keuchte ins Kissen, streckte seine Kehrseite nach oben. Thor drang von hinten in ihn ein, beugte sich weit über ihn und fuhr mit dem Handjob fort.
«Damend, yes!» Dylan entlud sich unkontrolliert über dem Laken. In dem Moment war es ihm egal; ja, in dem Augenblick der Erfüllung konnte es gar nicht anstößiger sein. «Fuck, yes …» Die Arme brachen ihm weg. Kraftlos landete er auf dem Bett und blieb liegen. Thors Stöße wurden schnell und fordernd, fast unerträglich … Wie in Trance registrierte er das erfüllte Brummen, dann kam der Körper auf ihm zum Erliegen.
Thor strich seine Haare beiseite und leckte über seinen Nacken wie ein Raubtier an seiner Beute.
«So könntest du es öfter machen», japste Dylan. Jede Faser in ihm schien erschlafft.
«Keine Routine», antwortete Thor. Schwerfällig rutschte er zur Seite weg. Dylan wusste, was nun kam: die Zigarette danach.
Das Feuerzeug flammte auf und kurz darauf drang ihm das Aroma von Tabak in die Nase. Ein Geruch, der ihm gefiel und der neue Lebensgeister brachte.
Dylan raffte sich auf, drehte sich und landete auf dem Rücken. Thor hielt ihm die Zigarette entgegen, von der er einen tiefen Zug nahm.
«Das tat gut.» Dylan nickte zufrieden. Mit flatternder Hand reichte er die Zigarette zurück. Gleichzeitig registrierte er das unreinliche Gefühl – es war sogar stärker als zuvor. Das glitschig feuchte Resultat ihrer Zweisamkeit schien überall. Kurz riskierte er einen Blick auf seinen schwitzigen Körper. Zum Aroma der Zigarette gesellte sich der Geruch nach Sex. Angewidert kippte sein Kopf in den Nacken. Träge sah er an die hölzerne Decke.
«Darf ich mich jetzt waschen?»
Eine sofortige Antwort blieb aus, sodass er erwartungsvoll den Kopf zur Seite neigte.
Thors Stirn war nachdenklich zusammengezogen. Der Fuß mit der Fußfessel lag frei, als würde das Überwachungsinstrument nicht mehr stören. Fahlstrøm nahm einen letzten Zug und drückte die Zigarette aus. «Ich weiß nicht, Perk», sagte er. Schließlich schüttelte er den Kopf. «Nei. Ich bin noch nicht fertig mit dir.»
***
Dylan trat geordnet vor das Haus. Der Druck in ihm war weg und die belastende Frage, was zwischen ihnen nicht mehr funktionierte.
Das Rad hatte sich in Gang gesetzt, die Motoren liefen wieder heiß. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, denn heiß war es zwischen ihren Laken schon immer gewesen.
Er steckte sich eine Zigarette an und gelangte die Treppe hinab. Jeder Schritt erinnerte ihn an die letzten Stunden. Weiterhin war ihm wohlig im Unterleib. Das Gefühl sollte nicht so schnell verschwinden. Und die Dusche, die er nach einer weiteren Nummer endlich hatte nehmen dürfen, hatte sein Gemüt zusätzlich gestärkt.
Gegenüberliegend sah er Erik den Eingangsbereich seines Hauses fegen. Ein unübliches Bild, denn normalerweise zog der Bassist von Wooden Dark einen Bogen um Putzarbeiten. Er stellte den Besen auch sofort beiseite, da Dylan auf ihn zusteuerte.
«Hei! Entschuldige, dass ich euch vorhin gestört habe», meinte er zerknirscht. «Ich konnte ja nicht ahnen …»
Dylan winkte ab. «Schon gut.» Hastig nahm er einen letzten Zug der Zigarette und drückte sie mit dem Stiefel auf dem Boden aus. «Es kam auch für mich überraschend.»
«Du hast gesagt, bei euch läuft derzeit nichts», erinnerte Erik ihn an die vergangene Zeit.
Dylan nickte. «Stimmt. Das eben war seit langem eine Annäherung.»
«Annäherung?» Erik lachte. «Das sah mir nach einer heißen Nummer aus.» Er löcherte sein Gegenüber mit geweiteten Augen. «Was hast du getan, um ihn zur Vernunft zu bringen?»
Dylan hob die Schultern an. «Ich habe gar nichts getan. Vielmehr war es diese Zeitschrift, die alles ins Rollen gebracht hat.»
«Zeitschrift?»
«Das Magazin von damals», erklärte Dylan. «Das Heft, auf dem ich abgebildet bin.»
«Jetzt sag nicht, die Zeitung, die der Reporter vom ARCH …»
«Doch, genau die!», unterbrach Dylan ihn breit grinsend. «Kaum zu glauben, dass er sie aufgehoben hat.»
«Oh!» Erik grinste süffisant. «Ich glaube das gern. Thor hat es nicht nötig, aber wenn du mich fragst, war sie damals eine reine Wichsvorlage für ihn.» Er schüttelte den Kopf, dachte offenbar an früher. «Wie sie wochenlang auf dem Tisch lag. Wie er sie angesehen und das Bild von dir förmlich aufgesogen hat.»
Dylan nagte verlegen an seinem Piercingring. «Du hast mir schon mal davon erzählt. Bis vorhin konnte ich es nicht glauben.»
«Das Bild von dir ist rattenscharf», bestätigte Erik in Hinblick auf das Coverbild, das Dylan präsentierte: mit aufwendiger Schminke, perfekt gestylten Haaren, sündigem Blick und einem durchsichtigen Shirt, das die Sicht auf seine Brust freigab. «Offensichtlich erfüllt es noch immer seinen Zweck.»
«Allerdings.» Dylan strich sich mit einer Hand über das Gesäß. «Hab das Gefühl, er wollte alles nachholen, worauf er die letzten Wochen verzichtet hat.»
Erik öffnete den Mund. Er schluckte sichtbar und zögerte die Antwort hinaus. Stellte er sich bildlich vor, was Dylan andeutete? «Er hat es dir also richtig gut besorgt?»
«Kann man sagen …»
«Und nun?»
«Er schläft», erläuterte Dylan. «Die Arbeit im Café fordert ihn.»
«Absolut.» Erik lockerte sich und griff nach dem Besen, um mit der Putzarbeit fortzufahren.
«Und du? So eifrig hab ich dich ja noch nie erlebt.»
«Tony kommt morgen», erklärte Erik. Den Sand vorm Eingang fegte er in den naheliegenden Rasen. «Das wollte ich euch vorhin mitteilen. Er und Susan nehmen die frühe Maschine.»
«Susan kommt mit?» Dylan staunte. «Dass das Mary erlaubt?»
«Das ist es.» Erik unterbrach wieder. «Sie hat sich den Arm gebrochen und ist damit eingeschränkt. Klarer Vorteil für Tony. Er hat die Kleine ein paar Wochen eher aus der Schule genommen; vor den Ferien passiert da eh nicht mehr viel. Nun kann er endlich mal in Ruhe mit ihr Urlaub machen.»
«Das find ich toll.» Dylan lugte ins Haus. Es sah ordentlich aus in der Küche und im Essbereich. Erik gab sich Mühe, seine Schwachstelle vor Tony geheim zu halten. «Wo werden sie wohnen?»
Plötzlich machte Erik ein ernstes Gesicht. «Weiß nicht. Ich dachte bei mir, im Haus …»
«Klar!» Dylan war gleicher Meinung. «Warum gibt es ein Gästezimmer? Susan kann dort schlafen und Tony bei dir. Ich sehe da kein Problem.»
Kapitel 2
Mit morgendlicher Trägheit richtete er sich auf. Wieder einmal hatte er bis spät in die Nacht gegrübelt, hatte dicht neben Thor verweilt und dessen geruhsames Atmen verfolgt, bis er bei Morgengrauen eingeschlafen war. Das zeitige Aufstehen seines Partners hatte er wie so oft verschlafen.
Auch jetzt kam er nur langsam in die Gänge. Mit schlurfenden Schritten quälte er sich ins Bad, kleidete sich bequem und nahm anschließend die Stufen ins Erdgeschoss. Sie sollten nicht komplett aneinander vorbeileben. Zumindest das Frühstück wollte er mit Thor einnehmen, denn er liebte es, wenn Fahlstrøm geduscht und mit frisch gestutztem Bart am Tisch saß, die Butter mit sanften Bewegungen über dem Brot verteilte und ihm Kaffee servierte.
Sie sprachen nicht viel am Morgen, aber die Tatsache war nebensächlich. Dylan genoss den kurzen Moment, in dem sie allein miteinander waren, denn am Abend war Thor erschöpft von der Renovierungsarbeit, sodass er noch grüblerischer war als sonst.
«Kaffee, Perk?», fragte er wie jeden Morgen. Lächelnd streckte Dylan ihm die Tasse entgegen.
«Gern.»
Thor trug ein Bandshirt mit dem Logo von Wooden Dark. Sein Haar war feucht und kringelte sich auf seinem Rücken. Ein Nietengürtel war stramm um seine Hüften geschnürt. Unweigerlich dachte Dylan daran, wie hemmungslos sie den vergangenen Tag verbracht hatten. Noch immer fühlte er sich durch und durch befriedigt.
Es gab selbstgemachte Marmelade und frische Waffeln. Fahlstrøm wirkte trotzdem nicht entspannt. Fortwährend starrte er zur angelehnten Haustür.
«Stimmt etwas nicht?», hakte Dylan nach.
«Mhm», machte Thor. Abermals sah er sich um und blickte auf seine Armbanduhr. «Die Hunde sind zu lange draußen.»
Dylan grinste und spähte durch das Fenster. Die Sonne schien. «Kein Wunder bei dem Wetter.»
Thor blieb indes nachdenklich. Er stand auf, öffnete die Tür weit und gab einen gellenden Pfiff von sich. Kurz darauf erschien einer der Hunde auf der Schwelle.
«Siehst du!», rief Dylan. «Da sind sie.»
«Es ist nur einer, Perk», antwortete Thor knapp. Nochmals stieß er einen Pfiff aus und ließ den Blick über das Grundstück gleiten. Da die Schäferhunde keinen Namen hatten, orderte er das zweite Tier formlos: «Her!»
Dylan stand alarmiert auf, denn die Hunde waren normalerweise unzertrennlich. Jeden Morgen machten sie ihre Runde auf dem Anwesen und kamen danach für eine zweite Fütterung ins Haus zurück. Nicht selten leerten sie nicht nur den Fressnapf, sondern auch die Schalen mit Wasser. Dass nur ein Hund zurückgekommen war, glich einer wahren Kuriosität, die Thors eindringliches Brüllen untermalte. «Kom hit!»
Dylan gesellte sich mit zum Hauseingang. Der einzelne Hund jaulte und wedelte mit der Rute. Eindeutig stimmte etwas nicht. «Vielleicht ist er einem Reh hinterher», grübelte Dylan.
Thor schüttelte den Kopf. «Sie wildern nicht.» Er sah sich den Hund an, der ihm zu Füßen saß und aufgeregt fiepte. «Ich geh suchen.»
Kurzerhand nahm er die Leine, machte den Hund daran fest und marschierte los – in Richtung Wald. Dylan sah ihm hinterher, bis er erschrocken feststellte: «Du hast das Handy nicht mit!» Prüfend blickte er zur Basis. Das Telefon, das Thors Aufenthaltsort streng verfolgte, lag dort unbeachtet. Thor winkte ab. Zielstrebig folgte er dem Hund, der ihn geradewegs zwischen die dichten Bäume lenkte.
«Oh damned!» Vorbei war der Moment der Ruhe. Das Frühstück war vergessen. Dylan schnappte sich das Handy und lief hinterher. Zumindest erhoffte er sich, dass der Kontakt zur Basis nicht sofort abbrach und er etwas Zeit schinden konnte. Dass Thor sich weiter vom Haus entfernte als erlaubt, war zu erwarten.
Inzwischen war von Fahlstrøm nichts mehr zu sehen. Dylan tigerte am Waldrand entlang und spähte durch die Baumstämme, doch die Sonne blendete ihn.
Schließlich kam Erik aus seinem Haus – ungewöhnlich zeitig, denn normalerweise war er gleichermaßen ein Langschläfer.
«Was ist los?», fragte er sofort.
Dylan hob die Hände an. «Ein Hund ist verschwunden. Thor sucht ihn im Wald.» Er blickte auf das Handy und hoffte inbrünstig, dass sein Partner bald zurückkam.
«Verschwunden?», wiederholte Erik und sah sich zu allen Seiten um. «Das ist merkwürdig.»
«Allerdings.» Dylan atmete entnervt aus. Die eigenartige Situation dauerte zu lange an. Doch plötzlich erschien Thor zwischen den Bäumen. Ein weißes Bündel lag in seinen Armen. Neben ihm trottete ein Schäferhund, der aufgeregt bellte.
«Oh my gosh!», rief Dylan entsetzt. Er lief Thor entgegen und erkannte, dass der den vermissten Hund transportierte. «Was ist mit ihm?»
«Er muss zum Tierarzt!», presste Thor hervor. Stapfend nahm er den Weg. Ebenso konzentriert steuerte er die Jeeps an.
«Ich fahre!», beschloss Erik. Er lief vorweg und öffnete die Türen seines Wagens. Thor legte den Hund auf den Rücksitz. Das Tier bewegte sich kaum und atmete schwer. Um sein Maul saß Blut im weißen Fell.
«Was hat er denn?», fragte Dylan aufgeregt.
«Wird sich zeigen», knurrte Thor, bevor er sich mit auf die Rückbank setzte. Erik schloss die Türen, begab sich hinter das Steuer und brauste los.
Wie zur Salzsäule erstarrt, blieb Dylan zurück: mit klopfendem Herzen und dem anderen Hund zu Füßen. Mit hoher Geschwindigkeit verließ der Jeep das Anwesen. Der Vorfall passierte so schnell, dass er gedanklich kaum hinterherkam. Schließlich riss ihn das Läuten des Handys aus dem Trancezustand.
Wie erwartet meldete sich ein Polizist auf dem Apparat, den Thor hätte mit sich führen müssen. Dylan konnte schwer in Worte fassen, was geschehen war. Es klang surreal und wenig glaubwürdig.
«Nein, er ist nicht abgehauen!», versicherte er. «Wir hatten einen Notfall mit einem der Hunde.»
Das Zetern des Beamten, der zu seinem gebrochenen Englisch ebenfalls norwegische Worte fallen ließ, war kaum zu ertragen. «Bitte, ich möchte Arvid Fahlstrøm sprechen!»
Es knackte in der Leitung. Ein paar Sekunden hörte Dylan eine nervtötende Melodie, bis er mit Thors Bruder verbunden wurde. «Was ist bei euch los?», fragte der sofort.
«Ein Hund ist krank», berichtete Dylan. «Thor ist zum Tierarzt; es war dringend.»
«Tierarzt», wiederholte Arvid. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. «Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?»
«Nein!», beteuerte Dylan. «Bitte, es wird nicht lange dauern. Dem Hund ging es wirklich schlecht.»
«Okay, ich gebe das ausnahmsweise als eine funktionelle Störung raus», erwiderte Arvid. «Ist er nicht in zwei Stunden zurück, lasse ich ihn abholen. Dann ist Schluss mit dem Zirkus!»
Er legte auf, ohne sich zu verabschieden, was signalisierte, dass er wütend war, denn normalerweise brachte einen Norweger nichts so schnell aus der Ruhe. Im Fall Fahlstrøm tickte die Uhr jedoch anders, da waren die Nerven flächendeckend überspannt. Die Schlinge zog sich mehr und mehr zusammen und Thor tat nichts dafür, um sie zu lockern.
Dylan taperte ins Haus zurück. Der Hund folgte ihm mit gesenktem Kopf. Ob er bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte? Regelmäßig sah er sich suchend nach seinem Gefährten um. Dylan konnte ihm nur gut zureden und im Nacken kraulen. Mit einer Tasse Kaffee setzte er sich auf die Treppenstufen vors Haus und wartete. Abwechselnd warf er einen Blick auf die Zeitanzeige des Handys und auf die Auffahrt.
Schließlich läutete sein eigenes Mobiltelefon. Es war Tony!
«Sag mal, wo ist Erik?», fragte der aufgebracht. «Er wollte uns vom Flughafen abholen und ich erreiche ihn nicht.»
«Oh, fuck, ja!» Dylan griff sich an die Stirn. Tonys Anreise, samt Tochter Susan, hatte er total vergessen. Erik war offensichtlich früh aufgestanden, um seinen Freund abzuholen. Das Ereignis mit dem Vierbeiner hatte sie allesamt vom geplanten Tagesablauf abgehalten. «Sorry, er war auf dem Weg. Aber jetzt ist er mit Thor in die Stadt. – Ein Hund ist schwer erkrankt.»
«Aha!», kam es nahezu vorwurfsvoll über Tonys Lippen. Dylan wusste, was er dachte, aber nicht aussprach. Wieso war er selbst nicht mit zum Tierarzt gefahren? Wieso war es Erik gewesen, der die Initiative ergriffen und Thor uneingeschränkt zur Seite gestanden hatte? Wieso hatte Thor nicht protestiert? Warum ließ er sich lieber von seinem besten Freund anstatt von seinem Partner fahren?
Insgeheim wusste Dylan, wieso. Auf Erik war in allen Lebenslagen Verlass. Im Gegensatz zu Dylan Perk war Erik Baardson ein gefestigter Charakter. Mit Thor zusammen gab er das robustere Team ab. Mehrfach hatte Dylan das beobachtet. Kam es hart auf hart, hatte Thor lieber Erik an seiner Seite als seinen psychisch angeschlagenen Partner.
Oder war es so, dass Thor ihn schützen wollte? Ihn nicht in unbequeme Lagen bringen wollte, in Situationen, die Nähe und Emotionen forderten. Weil er labil war, weil er ein Psycho war, weil er nahe dran war, an den momentanen Umständen zu zerbrechen. So, wie Emma es vorausgesagt hatte? War das der Grund?
Dylan räusperte sich. «Wo seid ihr? Ich hole euch ab.»
«Lass, wir nehmen die U-Bahn zum Bahnhof und ein Taxi.» Tony klang missgestimmt. «Bis gleich.» Er legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
«Fuck!» Dylan bemerkte, wie die Wut in ihm aufflammte. Der Besuch seines Freundes und Managers sollte etwas Besonderes werden. Das Treffen sollte ihm Land und Leute näherbringen – und das Verhältnis zu Thor verbessern. Auch Erik fieberte dem Wiedersehen entgegen. Eine gemeinsame Zeit konnte ihrer Beziehung auf Raten nicht schaden. Wenn allerdings schon die Anreise unter einem schlechten Stern stand – was würde noch passieren?
Es dauerte knapp eine Stunde, bis das Telefon erneut läutete. In der Zwischenzeit hatte Dylan rastlos vor dem Haus gesessen und eine Zigarette nach der anderen geraucht. Erik und Thor waren noch nicht zurückgekehrt. Es war Tony, der abermals anrief.
«Ja, wir stehen jetzt hier auf einem Parkplatz am See Sognsvann», erklärte er. Seine Stimme vibrierte gestresst. «Der Taxifahrer wollte nicht weiterfahren.»
Die Umstände musste er nicht näher erklären. Dort, wo die Sognsveien in den Wald abzweigte, wo keine Straße, sondern nur ein unebener Weg in die Wildnis führte, dort, wo man die Richtung zum Haus von Thor Fahlstrøm einschlug, war für die meisten Bürger die Reise zu Ende.
Dylan seufzte. Trotzdem war er froh, dass etwas passierte und er aktiv werden konnte. «Ich komme mit dem Wagen, wartet bitte.»
In rasanter Geschwindigkeit bretterte Dylan den Waldweg und die Sognsveien entlang. Da das Wetter gut war, tummelten sich Touristen und Einheimische rund um den See Sognsvann. Am Anfang des Parkplatzes warteten Tony und Susan. Neben ihnen standen zwei Koffer.
Tony, im schwarzen Bandshirt und enger Jeans, die seine kräftige Figur betonte, trug eine Sonnenbrille. Nach wie vor hatte er einen dichten Bart, sein Haar war zu einer modernen Kurzhaarfrisur geschnitten. Auch Susan war sommerlich gekleidet. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Zopf geflochten und sie steckte in einem rosafarbenen Kleid. In einer Hand hielt sie ein Eis am Stiel. Vermutlich hatte Tony es ihr am Kiosk gekauft.
Dylan parkte, stieg aus und winkte ihnen zu.
Susan reagierte prompt. Erfreut winkte sie zum Gruß. Tony griff indes die Koffer und kam ihm entgegen. «Das ging ja schnell», sagte er zur Begrüßung.
«Ja, wir müssen auch sofort zurück, falls sich die Polizei meldet.»
«Die Polizei?», fragte Tony erschrocken. Sie marschierten zum Auto. Dort angekommen hievte er das Gepäck in den Kofferraum.
«Thor ist los, ohne sein Handy mitzunehmen … Abgesehen davon, befindet er sich nicht in seinem vorgeschriebenen Aufenthaltsradius.»
Sie stiegen ein und fuhren los.
«Also spielt er wieder den Helden, ja?» In Hinsicht auf seine Tochter senkte Tony die Stimme. Wie so oft bekundete er seine Ablehnung gegenüber Thors Verhalten.
«Er kann den Hund ja nicht sterben lassen, oder?», giftete Dylan. Er fuhr vom Parkplatz und schlug den Weg in den Wald ein. Da keine Wanderer zu sehen waren, schaltete er einen Gang höher.
«Und warum bist du nicht mit Thor gefahren?»
Eine Frage, die er erwartet hatte. Dylan biss sich auf die Unterlippe. Ungern wollte er gestehen, dass Thor sich lieber Erik anvertraute als seinem Partner. Obwohl die Sachlage eindeutig war.
«Ich kenne mich hier nicht gut aus», verteidigte er sich dennoch. «Außerdem ist es Thors Hund. Es musste schnell gehen und ich war noch nicht ordentlich angezogen.»
Tony antwortete nicht sofort, doch seine Stirn blieb kraus. «Erik wird wohl immer Thors Lakai bleiben», sagte er schließlich so leise und festlegend, dass Dylan nichts erwiderte.
Als sie an Mats Haus vorbeifuhren, reckte er lediglich den Hals, um einen genauen Blick auf das verlassene Anwesen zu werfen.
«Ist sein Großvater eigentlich genesen?»
Dylan nickte. «Die Reha ist vorbei. Er wohnt derzeit in einer betreuten Einrichtung. Dort bekommt er weiterhin Krankengymnastik und muss sich um nichts kümmern. Aber es ist noch nicht klar, ob er jemals wieder in seinem Haus leben kann.»
«Das ist bedauerlich», sagte Tony. Abwartend spähte er durch die Windschutzscheibe.
«Und wie geht es dir?», fragte Dylan.
«Eigentlich ganz gut.» Tony rieb sich die Stirn. «Viel zu tun in der Firma. Ist schön, dass ich mal rauskomme.»
«Bist wohl froh, dass du keine Arbeit mit RACE hast, was?», witzelte Dylan.
Tony schmunzelte. «Das fehlt mir, ehrlich gesagt.»
Die beiden Häuser erschienen hinter den dicht gewachsenen Bäumen.
«Wohnt da Erik?», rief Susan aufgeregt.
Tony lachte. «Ja, dort werden wir Urlaub machen!»
***
Sie gingen zuerst in Eriks Haus, wo Tony die Koffer im Eingangsbereich stehen ließ. Susan war so begeistert von dem Hund, dass sie draußen blieb, um das Tier ausgiebig zu streicheln.
«Wollt ihr was essen?», fragte Dylan. Er deutete zu Thors Haus. «Drüben ist noch Frühstück.»
«Kaffee wäre gut», antwortete Tony. In der offenen Küche zog er die Kühlschranktür auf und verharrte einen Moment. Der Kühlschrank war praktisch leergefegt. Er griff nach einer Milchpackung, kontrollierte deren Haltbarkeitsdatum und beförderte sie in den Mülleimer. Ein Joghurt folgte. «Erik hat wieder nichts eingekauft.»