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«Als das Essen geliefert wurde, hat es besser geklappt», mischte sich Dylan zähneknirschend ein.
Tony schloss den Kühlschrank. «Er hat dafür kein Händchen.» War das der Grund? Dylan ließ die Aussage kommentarlos stehen. Stattdessen marschierte er zum gegenüberliegenden Haus, holte Tassen und die Kaffeekanne ins Freie. Während sich Susan weiterhin mit dem Hund beschäftigte, nahmen die Männer auf der hölzernen Sitzgruppe Platz.
«Wie lange werdet ihr bleiben?», erkundigte sich Dylan.
Tony hob die Schultern an. Entspannt streckte er den Kopf der Sonne entgegen. «Weiß noch nicht. Mary muss mit dem gebrochenen Arm in die ambulante Reha, danach sind Schulferien. Sie war wirklich erleichtert, dass ich mich um die Kleine kümmern kann.»
Dylan hob anerkennend die Augenbrauen. «Da ist deine Ex über ihren Schatten gesprungen.»
Tony nickte. Er drehte sich zurück und nahm einen Schluck Kaffee.
«Weißt du von der geplanten Metal-Veranstaltung hier in Oslo?»
«Ja», erwiderte Dylan. «Wooden Dark soll auftreten, aber Thor hat noch keine Genehmigung dafür.»
«Es kam eine Anfrage», fuhr Tony fort. «Sie möchten, dass du ebenfalls bei ein bis zwei Songs auftrittst.»
«Oh, echt?» Dylan reagierte überwältigt. Sogleich spürte er eine beflügelnde Aufregung. Ein Gig, eine Show, zusammen mit Thor, endlich mal wieder! «Ich wäre dabei.» Sie unterbrachen das Gespräch, denn der Jeep tauchte am Anfang der Auffahrt auf, diesmal in einem gemächlichen Tempo. Dylan stand sofort auf. «Sie kommen zurück!»
Gespannt verfolgte er, wie der Wagen hielt und Erik und Thor ausstiegen. Auch Tony drehte sich den beiden entgegen. Den erkrankten Hund sahen sie nicht.
«Unnskyld!» Erik hastete heran. Sein Gesicht war von Reue gezeichnet. «Ich war auf dem Weg zum Flughafen, aber der Hund …» Er stoppte vor Tony, der ihn sogleich in die Arme schloss.
«Schon gut», sagte er. «Mir hat Dylan alles erzählt.» Sie küssten sich.
Dylan sah verstohlen weg. Thor hatte den Weg zu seinem Haus eingeschlagen, ohne den Besuch zu begrüßen.
«Mensch, bist du wieder gewachsen?», erklang Eriks Stimme. Er kniete vor Susan und hielt sie staunend bei den Schultern. «Wie läuft es in der Schule?»
«Gut», erwiderte das Mädchen. Sie schmiegte sich an Erik und ließ sich umarmen. Munter erzählte sie von ihren Fortschritten der Lernaufgaben in der fortführenden Primary School. Dylan hörte nicht alles, denn ihn interessierte vielmehr, was mit dem Hund passiert war.
Thor war im Haus. Mit einer Zigarette im Mundwinkel räumte er den Frühstückstisch ab.
«Was ist mit dem Hund?», fragte Dylan gespannt. Ohne Aufforderung half er, für Ordnung in der Küche zu sorgen.
«Wir sind in die Tierklinik. Sie behalten ihn dort. Sieht nicht gut aus», erwiderte Thor, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
«Und, was hat er?», bohrte Dylan nach.
Jetzt blieb Thor stehen. Er zog an der Zigarette und klemmte sie zwischen die Finger.
«Hat sich das Maul zerschnitten.»
«Zerschnitten?», wiederholte Dylan schockiert. «Oh, damned! Wie das? Hat er etwas Falsches gegessen?»
«Hab im Wald einen präparierten Köder entdeckt.»
«Aber du hast ihnen doch antrainiert, nichts von Fremden zu nehmen.» Dylans Worte klangen wie ein Vorwurf.
Thors Visage zog sich düster zusammen. «Seit die Hunde klein sind, stromern sie draußen herum. Bislang haben sie nie was gefressen, was ihnen nicht bekam.»
Dylan stutzte. Es fiel ihm schwer, die Aussage zu deuten. «Warum nun?»
Für Thor schien die Lage klar. «Vermutlich hat jemand den Köder bewusst ausgelegt.»
Dylan lächelte irritiert. «Glaubst du, da ist einer im Wald, der den Tieren auflauert?»
«Ich meine damit, dass der Hund ermuntert wurde, etwas in den Mund zu nehmen, was er ansonsten nicht getan hätte.»
In Dylan schwand die Erheiterung. Er mochte kaum aussprechen, was Thor andeutete. «Du denkst, es hat jemand mit Absicht etwas zu Fressen ausgelegt, um ihm zu schaden?»
Thor nickte. «Einen spitzen Gegenstand, vermutlich mit Gift präpariert. Das Tier ist völlig apathisch.»
Dylan schluckte schwer. «Wird er das überleben?»
Sein Partner hob die Schultern an. «Die Tiere sind über ihre durchschnittliche Lebenserwartung hinaus. Man muss abwarten.» Er räumte die Speisen in den Kühlschrank. War das Thema für ihn erledigt? In Dylan wuchs die Verunsicherung.
«Ich kann das nicht glauben», sagte er konfus. «Warum sollte das jemand machen? Wen stört es, dass die Hunde hier herumlaufen?»
«Oh, Perk!» Thor drehte sich rasant herum. «Das Vorgehen gilt nicht den Tieren, sondern mir! Mir will man schaden!»
«Aber wieso denn?», tönte Dylan. «Du gibst dir Mühe, allen gerecht zu werden.»
«Das sieht wohl nicht jeder so», erwiderte Thor knapp. Seine Miene verdunkelte sich.
«Ich glaube das nicht», gab Dylan Kontra. «Du irrst dich sicher. Es kann andere Gründe haben.»
Thor schüttelte vehement den Kopf.
«Du vergisst ständig, wo wir hier sind.» Er zeigte durch das Fenster zum gegenüberliegenden Gebäude. «Im Haus nebenan hat sich Magnus umgebracht. Wenn hier etwas Ungewöhnliches passiert, hat das keine natürliche Ursache.»
«Aber dann sollten wir das melden», giftete Dylan lauthals. Er tastete seine Hose nach dem Handy ab. «Am besten informiere ich Arvid.»
«Wirst du nicht tun!», schnauzte Thor mit einem donnernden Ton, sodass Dylan das Mobiltelefon in der Hosentasche stecken ließ. «Es schnüffeln schon genug Leute in meinem Leben herum.»
«Aber …» Dylan stoppte. Es klopfte an der angelehnten Tür. Augenblicklich brach der geladene Dialog ab.
«Ja?», brummte Thor.
Die Tür öffnete sich und Tony trat über die Schwelle. «Sorry», entschuldigte er sich. Nachfolgend hob er grüßend eine Hand. «Hi, erstmal.»
Fahlstrøm erwiderte die Begrüßung mit einem oberflächlichen Nicken.
«Susan ist etwas erschöpft vom Flug und ich würde gern die Koffer auspacken.» Tony lächelte unschlüssig. «Ich wollte sichergehen, dass es in Ordnung ist, wenn wir drüben bei Erik wohnen.»
Thor antwortete nicht sofort. Zuerst zog er an der Zigarette, drückte sie gemächlich im Aschenbecher aus und erwiderte erst nach einer ausgedehnten Pause:
«Im Haus gegenüber ist ein Selbstmord passiert. Ich trage eine Fußfessel, werde von einer Bewährungshelferin kontrolliert und heute wurde ein Hund vergiftet.» Er blicke Tony durchdringend an. «Dies ist kein Ort für ein Kind.»
Eine drückende Stille entstand. Dylan verschlug es direkt die Sprache, er öffnete den Mund, aber sagte nichts, stattdessen sah er zu Boden. Die Situation war unschön.
Tony hingegen suchte händeringend nach der passenden Antwort. «Susan soll die Natur kennenlernen. Sie ist ein Stadtkind und ist noch nicht viel herumgekommen.» Seine Gesichtsmuskeln zuckten nervös.
«Was verstehst du an meiner Ansage nicht?», entgegnete Thor.
«Okay!» Tony hob die Hände an. Seine Wangen hatten sich rot verfärbt. Er atmete aufgeregt, doch er riss sich sichtbar zusammen. «Dann werde ich mich nach einem passenden Hotel umhören.» Mit einem verkrampften Lächeln wandte er sich um und ging.
Kaum hatte er sich außer Reichweite begeben, brüllte Dylan los:
«Was bist du bloß für ein Arschloch?»
«Ich habe niemals zugesagt, dass er hierherkommen darf – zudem mit seiner Tochter!», knurrte Thor.
«Ach tu nicht so!», keifte Dylan. «Du machst das doch mit Absicht! Du sitzt am längeren Hebel und genießt es, ihm eins reinwürgen zu können!»
«Das ist Quatsch, Perk!»
«Ach, leck mich!» Dylan stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Erik und Tony standen draußen dicht beieinander und hielten Kriegsrat, während Susan am Tisch saß, ihre Beine baumeln ließ und Löcher in die Luft starrte.
«FAEN!», fluchte Erik. «Damit hab ich nicht gerechnet. Das tut mir entsetzlich leid.»
Tony hob die Schultern an. «Es war leichtgläubig zu denken, er wäre einverstanden. Meinen letzten Besuch hatte er auch nur bedingt gebilligt.» Er stützte die Hände in die Seiten. «Müssen wir also doch in die Stadt.»
«Aber dann kann ich überhaupt nicht bei dir übernachten, ohne dass …» Erik stoppte. Da Susan in ihrer Nähe war, sprach er mit gedämpfter Stimme weiter. «Was ist mit Privatsphäre?»
Tony zog sein Handy aus der Gesäßtasche und tippte darauf herum. «Vielleicht finde ich irgendwo ein Zimmer mit zwei Schlafzimmern.»
Dylan kam langsam näher. Obwohl die Männer leise sprachen, verstand er jedes Wort.
«Und was ist, wenn ich …» Erik unterbrach erneut und trat auf der Stelle. Seine Befürchtungen waren ihm ins Gesicht geschrieben. «Was ist mit den Stiefeln? Soll ich die auch in die Stadt schleppen?»
«Es wird sich eine Lösung finden», erwiderte Tony hörbar gestresst, ohne vom Handy aufzusehen.
«Wenn ich irgendwie helfen kann …», fuhr Dylan dazwischen.
Erik setzte an, etwas zu erwidern, doch er hielt inne. Nahezu zeitgleich sahen sich die Männer um. Thor trat wider Erwarten zu ihnen. Mit ernster Miene streckte er Tony einen Schlüssel entgegen. «Mats wird in absehbarer Zeit nicht heimkommen und es muss ohnehin jemand nach dem Haus gucken.» Er räusperte sich. «Es gibt dort auch ein Gästezimmer.»
Tony verschlug es für einen Moment die Sprache. Nahezu erschrocken fixierte er den Schlüssel zum Haus von Thors Großvater. Sein Mund öffnete sich einen Spalt. «Okay», sagte er stockend. Ein zögerliches Lächeln folgte. «Vielen Dank.»
Thor nickte still. Er marschierte an den Männern vorbei, stieß einen leisen Pfiff aus, woraufhin sich der Hund von Susan abwandte und seinem Herrchen hinterherjagte.
Kapitel 3
Als Dylan am nächsten Morgen die Lider aufklappte, sah er unmittelbar in Thors blaue Augen. Er war nicht erschrocken darüber, vielmehr überrascht. Verschlafen rieb er sich das Gesicht und reckte sich. Merklich war der Vormittag vorangeschritten. «Bist du noch gar nicht aufgestanden?», murmelte er.
«Doch», erwiderte Fahlstrøm. «Aber ich habe mich wieder hingelegt.»
Dylan hob die Augenbrauen an. «Ach ja? Ist etwas passiert?»
«Noch nicht …» Thor beugte sich über ihn und startete einen innigen Kuss. Gefügig ließ sich Dylan auf die Matratze drücken. Thors Körper glitt über und auf ihn, seine Hand führte er geradewegs zwischen Dylans Beine.
Hingebungsvoll räkelten sie sich auf dem Laken. Dylan strich Thors muskulösen Rücken hinab und letztendlich landeten seine Finger dicht über dessen Gesäß. Fahlstrøm war nackt.
«Sieht mir nach eindeutigen Absichten aus», wisperte Dylan. Er schob die Schenkel auseinander und gewährte seinem Partner den Platz, den er brauchte. Wortlos begab sich Thor in eine bequeme Ausgangsposition. Ein Quickie am Morgen? Das war genau das, was Dylan seit langem vermisst hatte.
Thor offensichtlich auch … Ohne Umschweife tastete er nach Dylans Geschlecht. Er rieb ihn fest und fordernd, so zielgerichtet, dass keine Zweifel zurückblieben. Es sollte geschehen. Am besten sofort …
«Oh, fuck, das ist gut», raunte Dylan mit geschlossenen Augen. Thor war unter der Decke verschwunden. Saugend schob er seine Lippen über die Glans seines Partners. «Oh, yes …» Dylans Schenkel vibrierten. Gefügig bäumte er sich Thor entgegen. Dessen Zunge suchte den Weg zwischen seinen Spalt. Sie leckte ihn, bis Dylan es nicht mehr aushielt.
Er packte Thor bei den Schultern und dirigierte ihn wieder nach oben. «Nimm mich, los …», forderte er bissig. Ihre Körper prallten gegeneinander. Heiß und bebend starteten sie einen neuen Kuss.
«God morgen! Er det noen hjemme?», ertönte plötzlich eine Frauenstimme, die Dylan zusammenfahren ließ.
«Shit, das ist Emma», keuchte er.
«Hallo?»
Thor riss sich los. Augenblicklich war die Sinnlichkeit vergessen, die Dynamik zwischen ihnen zerstört. Stattdessen trieb die unerwartete Störung den Zorn in Fahlstrøms Gesicht. Dylan wusste, was das bedeutete.
«Oh, nein, mach es nicht!»
Zu spät!
Thor gelangte so schnell aus dem Bett, dass Dylans zurückhaltende Hände ihr Ziel verfehlten.
«Zieh dir wenigstens etwas an!», flehte er. Vergebens.
Thor riss die Tür auf und polterte in den Flur. Ebenso energiegeladen nahm er die Treppe hinab. Kurz darauf hörte man Emmas erschrockenen Schrei. Thors donnernde Worte drangen bis unters Dach. Dylan schloss die Augen vor Scham, doch ohne Konsequenz.
In norwegischer Sprache folgte ein Streitgespräch, das mit dem Zuknallen der Tür endete.
«Oh, damned!»
Dylan sprang auf. Obgleich es in seinem Unterleib wohlig pochte, war die Lust in ihm erloschen. Er stieg in seine Shorts, strich sich ein T-Shirt über und eilte ins Erdgeschoss. Auf der Treppe kam ihm Thor entgegen.
«Musste das sein?», schrie er ihn an.
«Das frage ich mich auch!», erwiderte Thor, bevor er im Bad verschwand.
Unten angekommen sah Dylan, dass Emma bereits im Auto saß und die Auffahrt verließ. Barfuß eilte er hinaus.
«Halt, nein!», schrie er. Sein Zuruf und seine winkenden Hände brachten nicht die gewünschte Wirkung, sodass er gezwungen war, dem Wagen hinterherzulaufen. Warum musste sie auch stören? Warum musste sie ungebeten ins Haus treten – im denkbar ungünstigsten Moment?
Auf der anderen Seite wusste er, dass Thor die Tür nach dem Aufstehen nicht mehr abschloss, damit die Hunde stets rein- und rauslaufen konnten. Die offene Tür musste wie eine Einladung auf sie gewirkt haben.
«Emma, bitte, halte an!», brüllte er mit Inbrunst. Er missachtete den steinigen Weg und folgte dem davonfahrenden Gefährt. «Warte, bitte!»
Wider Erwarten blieb das Auto schließlich stehen. Dylan atmete aus, doch den Gang verlangsamte er nicht. Hoffnungsvoll trottete er heran.
Emma saß hinter dem Lenkrad. Der Motor lief weiterhin. Ihr Blick war nach vorn gerichtet.
«Bitte, mach auf!», bat er, als er neben dem Wagen zum Stillstand kam.
Hartnäckig klopfte er ans Fenster der Fahrerseite. «Bitte, hör mir zu!»
Emmas Gesichtsausdruck blieb versteinert. Trotzdem raffte sie sich auf und bediente den Knopf für den automatischen Scheibenheber. Kaum war das Fenster geöffnet, fuhr Dylan fort:
«Lass uns reden, okay?»
«Was gibt es da zu reden?», erwiderte sie. «Das ist wirklich das Allerletzte, was er sich erlaubt. Sowas hab ich noch nie erlebt! Was glaubt er denn, wer er ist?» Ihre Stimme zitterte und ihr Gesicht glühte.
Dylan blieb konsequent. Während er eine Hand auf die Fahrertür legte, führte er die andere an ihre Schulter. «Bitte, gib uns noch eine Chance», flehte er. «Wir treffen uns in der Stadt, ja? In einer Stunde bei der Kaffebrenneriet am Rathaus, okay?»
Sie antwortete nicht sofort, starrte erst durch die Windschutzscheibe, daraufhin in sein Gesicht. Registrierte er ein klitzekleines Schmunzeln?
Sicher sah er zum Lachen aus: frisch aus dem Bett gestiegen und nur halb angezogen. Bewusst zog er eine mitleiderregende Miene auf. Vielleicht konnte die sie erweichen? «Bitte, Emma, ich flehe dich an.»
«Na schön!», meinte sie schnippisch. «Aber zieh dir etwas über.»
Er atmete auf und nickte. «Selbstverständlich!»
Sie trat auf das Gaspedal und fuhr davon. Es störte ihn nicht, dass Staub aufwirbelte und in sein Gesicht flog. Wichtig war, dass er die unleugbar unangenehme Situation retten konnte. Wieder einmal … Sie hatte recht. Thor benahm sich wie ein Sturkopf. Bei einem anderen Bewährungshelfer wäre er sicher schon mit einem üblen Bericht ausgestattet worden.
Es musste sich etwas ändern, und zwar dringend …
Dylan sah die Straße entlang. Tony kam den Weg zu den Häusern hinauf. In einer Hand hielt er eine Brötchentüte und bei der anderen seine Tochter.
«Wie siehst du denn aus?», rief er ihm schon von Weitem entgegen. Wie immer, wenn den Sänger von RACE etwas Sonderbares umgab, schwang in der Stimme seines Managers ein Funken Panik mit. «Wie läufst du hier herum?»
Susan kicherte, sodass Tony sie ermahnte. «Das ist nicht witzig!»
«Ach, Thors Bewährungshelferin war da und … wir waren noch nicht aufgestanden.» Dylan unterließ es, Details zu erklären.
Tony stoppte ihm dicht gegenüber. «Und dann rennst du in Unterhose und ohne Schuhe über den Hof?» Er schüttelte den Kopf.
«Ach, verstehst du nicht …» Dylan wandte sich um. «Muss mich auch beeilen! Bin mit ihr zum Kaffeetrinken verabredet!» Obgleich die kleinen Steine unter seinen Sohlen unangenehm pikten, hastete er zum Haus.
«Sollte es nicht Thors Aufgabe sein, sie zu treffen?», rief Tony.
Er überhörte die Frage. In der Küche war Fahlstrøm damit beschäftigt, das Frühstück zuzubereiten. Inzwischen war er angezogen.
«Hab mal wieder deinen Arsch gerettet!», gab Dylan bekannt.
«Wär nicht nötig gewesen», erwiderte Thor, ohne sich umzudrehen. Seelenruhig schnitt er das Brot.
«Selbstverständlich war es nötig!», keifte Dylan. «Wann kapierst du endlich, dass du nicht mehr machen kannst, was du willst. Du musst mit ihr reden! Du darfst dich nicht wie ein Querkopf verhalten!»
«Ich bin so, wie ich bin», entgegnete Thor.
«Ja, und das wird dir die Türen nicht länger öffnen, wenn du es nicht änderst!», giftete Dylan weiter. «Aber denk bloß nicht, dass ich dich im Knast besuchen komme!»
Eilig erklomm er die Treppe und verschanzte sich im Bad. Wollte er pünktlich am Hafen sein, musste er sich ranhalten. Irgendjemand musste ja vor Emma ein gutes Bild abgeben …
Kaum war er fertig gestylt, erklangen Stimmen aus dem Erdgeschoss. Tony und Susan standen vor der Tür. Da er nicht wollte, dass es abermals Streit gab, hechtete er nach unten. Dort wurde er Zeuge, wie Susan die Hand in Thors Richtung streckte. Zwischen ihren kleinen Fingern klemmte ein winziger Blumenstrauß.
«Danke, dass wir in Mats Haus wohnen dürfen», sagte sie mit piepsiger Stimme.
Fahlstrøm zögerte, bevor er den Strauß widerwillig entgegennahm. «Das sind Blumen aus Mats Garten», stellte er fest.
«Sie hatte sie bereits gepflückt, ehe ich eingreifen konnte», erwiderte Tony zähneknirschend. «Sorry.»
«Dein Vater hat dich offensichtlich nicht im Griff.» Thor drehte sich der Küche zu, nahm ein Glas aus einem Schrank und füllte es mit Wasser.
«Machen wir heute ein Lagerfeuer?», fragte Susan munter.
«Weiß noch nicht», brummte Thor. Er stellte das Glas samt Blumen auf den Esstisch.
«Warum guckst du immer so böse?», tönte Susan.
Thor hob die Augenbrauen an. «Tu ich das?»
«Ja!» Sie nickte so eifrig, dass ihre Zöpfe hin- und herschwangen.
«Das reicht jetzt», mischte sich Tony ein. Mit einem aufgesetzten Grinsen führte er seine Tochter hinaus. «Bis nachher!»
«Bye!», rief Dylan. Nebenbei hatte er sein Handy und die Geldbörse in einer schwarzen Tasche verstaut und sie umgehängt. «Muss los. Emma soll nicht warten.» Er griff nach den Autoschlüsseln. «Da du es ja nicht für nötig hältst, mit ihr zu reden!»
«Guck ich wirklich böse?», äußerte sich Thor, als hätte er den Vorwurf seines Partners nicht gehört.
Dylan sah sofort auf. «Ja, allerdings!», meinte er. «Ein Wunder, dass die Kleine nicht schreiend vor dir wegrennt!» Es hätte witzig klingen können, doch sein Gesicht blieb todernst. «Ich weiß, du magst Tony nicht. Aber er ist mein Freund. Er ist Eriks Freund. Du könntest dich wenigstens seiner Tochter zuliebe zusammenreißen!»
***
Aufgeregt rieb er die Hände aneinander. So ähnlich muss sich ein Date anfühlen, dachte er bei sich, indessen er unter den Passanten nach Emma Ausschau hielt. Ein richtiges Date hatte er jedoch noch nie gehabt. Früher hatte man ihn gemieden wie die Pest und als Star konnte er die Groupies mit nur einem Fingerzeig in sein Bett dirigieren. Auch mit Thor waren die geplanten Treffen eher hölzern angelaufen. Es hatte stets gedauert, bis sie warm miteinander wurden, doch dann entfachte die Glut zwischen ihnen regelmäßig zu einem Feuersturm.
Erfreut hob er eine Hand. Zu der Aufregung gesellte sich eine große Erleichterung. Emma steuerte schnellen Schrittes auf ihn zu. «Bin ich froh, dass du kommst», begrüßte er sie, nicht ohne sie ungehemmt an sich zu drücken. Konnte er damit Eindruck schinden? «Vielen Dank.» Er löste sich und sah ihr tief in die Augen. Für einen winzigen Moment schien sie wie zur Salzsäule erstarrt. Ja, seine warmherzige Begrüßung hatte gesessen. So behielt er das Lächeln bei und fasste ihr sanft an den Arm. «Wollen wir am Fenster sitzen? Die Plätze draußen sind leider schon alle belegt.»
«Ja, gern.» Sie folgte ihm. Im Inneren des Coffeeshops setzten sie sich rechts von der Tür vor die Fensterfront. Dylan blieb indes stehen und deutete zum Tresen.
«Kaffee? Cappuccino? Und was Süßes?»
«Cappuccino, bitte, und einen Kanelboller.»
«Sofort!» Überschwänglich begab er sich an die Theke, wo er nahezu fließend auf Norwegisch die Bestellung aufgab. Zumindest was lockere Dialoge anging, wurde er nicht mehr angesehen wie ein Tourist, der sich qualvoll in einer Fremdsprache übte. Er bezahlte mit Karte, was in den Geschäften ebenfalls gang und gäbe war. Anschließend ließ er es sich nicht nehmen, die Tassen und die Teller samt Zimtschnecken zu ihrem Tisch zu tragen.
«Find ich klasse, dass unser Treffen geklappt hat», sagte er und zwinkerte ihr zu. Lächelnd kippte er zwei Beutel Zucker in seinen Kaffee und rührte um. Aber Emma sorgte dafür, dass seine gute Laune nicht andauerte.
«Ich bin sicher nicht hier, um ein Kaffeekränzchen abzuhalten», zischte sie. «Das ist Arbeitszeit, die ich eigentlich mit deinem Partner verbringen sollte.»
Er seufzte tief und legte den kleinen Löffel beiseite.
«Es tut mir wirklich leid, was vorgefallen ist», entschuldigte er sich.
«Allein Thor hätte sich zu entschuldigen», erwiderte sie. Nach wie vor wirkte sie aufgebracht. «Sein Verhalten ist nicht nur skandalös, sondern absolut respektlos!»
«Sicher», antwortete er. Zaghaft nahm er einen Bissen von der Zimtschnecke und kaute gemächlich. Das Gebäck schmeckte sagenhaft, wie alle Süßwaren der norwegischen Cafés. Aber nichts war mit dem zu vergleichen, was Thor ihm zum Kaffee servierte. Seine selbstgemachten Kuchen und Kekse machten sogar Dylans heißgeliebten Donuts aus England Konkurrenz. Ob er in seinem Café auch diese phänomenale Rezeptur benutzen würde? Sorgfältig wischte er sich die klebrigen Finger an der Serviette ab. Wie sollte er Emmas Gemüt bloß besänftigen? Auf ganzer Linie musste er ihr recht geben. Thors Verhalten war nicht zu entschuldigen und trotzdem …
«Ich verstehe deine Entrüstung absolut und obwohl es vermutlich nichts an der Sache ändert, kann ich dir versichern, dass Thor die Angelegenheit garantiert nicht so wichtig nimmt wie du.»
«Wie bitte?»
Dylan hob die Schultern an. «Während du dich hier ärgerst, wird er mit Sicherheit zu Hause sitzen und keinen Gedanken mehr daran verschwenden.»
«Er hatte nichts an», erinnerte sie ihn nahezu vorwurfsvoll. «Er hat mich angebrüllt und des Hauses verwiesen.»
«Ja, das stimmt.» Dylan kratzte sich im Nacken. Das Verhalten seines Partners machte ihn verlegen, aber inzwischen konnte er auch schon darüber hinwegsehen. Thor machte niemals etwas, ohne davon überzeugt zu sein. «Nacktheit ist für ihn noch nie ein Thema gewesen», erklärte er. «Ihm wird es scheißegal sein, dass du ihn unbekleidet gesehen hast. Du hast ihn in seiner Privatsphäre gestört; das ist der Punkt, der ihm nicht passte.»
«Aber er muss doch damit rechnen, dass ich vorbeisehe», konterte Emma. «Da er sich bislang den Gesprächsterminen entzogen hat, muss ich unangekündigt vorbeikommen, um sicherzugehen, dass ich ihn erwische.»
Dylan nagte an seinem Piercingring. «Wenn es zur falschen Zeit ist, wird es immer ausarten. Das kann ich dir versichern.»
«So kommen wir ja nie weiter!», tönte sie. Trotzdem biss sie in die Zimtschnecke und schloss kurz genüsslich die Augen. Ein Moment, den Dylan ausnutzte. Mit einem schelmischen Blick beugte er sich vor und flüsterte: «Hat er sich denn wenigstens die Hand vorgehalten?»
Emma hielt inne und schluckte hastig. Ihre Wangen färbten sich rot. «Nein.» Plötzlich zuckten ihre Mundwinkel und sie sah peinlich berührt nach unten. «Nein, das hat er nicht.»