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«Oh, my gosh …» Dylan stieß ein glucksendes Lachen aus. Das Eis war gebrochen. Emma grinste.
«Also, das war ….» Ihr Blick wanderte zum Fenster. «Ich wusste gar nicht, wo ich hinsehen sollte.», fuhr sie mit erhobener Stimme fort.
Nun lachte Dylan mutiger. «Das ist typisch für ihn.» Er bestätigte seine Aussage. «Glaub mir, er dachte sich nichts dabei und im Endeffekt sitzt du jetzt hier und ärgerst dich.»
«Ja, vermutlich sollte ich das nicht tun», sagte sie.
«Richtig», antwortete er. «Glaub mir, würde ich mit so etwas bei ihm ankommen, würde er sagen: ‹Ach, Perk, musst du wieder alles dramatisieren?›.»
«Thor nennt dich beim Nachnamen?», hakte sie sofort nach.
Er nickte. «Ja, eigentlich schon immer.»
«Wieso?» Ihre Wut schien verflogen. Sie tranken Kaffee und aßen den Kuchen, so wie es sich Dylan gewünscht hatte: vertraut und ohne Differenzen.
«Das frage ich mich auch und ich glaube, er macht das, um einen gewissen Abstand zu bewahren. Alles, was Gefühle fordert, lässt er nicht gern an sich heran.»
«Aber du bist sein Lebenspartner», gab sie zu denken.
«Das stimmt», meinte er. «Trotzdem war unsere Beziehung nicht von vornherein klar definiert und ich glaube, er hat nach wie vor Angst vor einer festen Bindung.» Er lehnte sich zurück und verdeutlichte. «Seine Hunde zum Beispiel, die haben keinen Namen. Sie gehorchen ihm, sehen in ihm den Anführer und ich denke auch, dass er sie mag. Aber er verhätschelt sie nicht, baut keine emotionale Ebene zu ihnen auf, spielt nicht mit ihnen und gibt ihnen auch keine Leckerli zwischendurch.»
Emma hörte ihm gebannt zu. «Das ist erstaunlich.» Nebenbei klappte sie ihre Unterlagen auf und machte sich Notizen, wie immer, wenn sie mit Dylan im Gespräch war und den Dialog führte, den sie eigentlich mit ihrem Klienten führen sollte.
«Also ist er eher gefühlskalt», rätselte sie.
Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, das auch nicht. Er wirkt oft schroff und emotionslos, aber nur, weil er seine Gefühle nicht ausdrücken kann oder Bedenken hat, sie zu zeigen.»
Nun kniff sie die Augen zusammen und kaute nachdenklich an ihrem Kugelschreiber. «Warum? Was meinst du?»
«Ich muss annehmen, dass der Grund dafür in der Vergangenheit liegt. Alles, was ihm bislang wichtig war, im Besonderen Bindungen zu Menschen, wurde auf tragische Weise zerstört: Seine Eltern lehnten ihn ab, seine Großmutter starb zu früh und Magnus hat sich in seinen Armen erschossen.» Dylan hob die Schultern an. «Und vielleicht gibt es noch mehr, was ihn in jungen Jahren mitgenommen hat. Er erzählt ja nichts freiwillig.»
«Also gibt er sich auch dir gegenüber bedeckt?», wollte sie wissen.
«Bedeckt ist geschmeichelt», antwortete er. «Will ich Informationen haben, muss ich darum betteln, und selbst dann lässt er mich oftmals im Regen stehen. Das ist nicht leicht.»
Emma blätterte in den Unterlagen herum. «Es sind jetzt fast drei Monate, in denen er die Fußfessel trägt. Wie geht es ihm damit?»
«Es geht ihm besser», erwiderte Dylan frei raus. «Wir hatten Sex.»
«Oh!» Emma lachte. Sie hob die Schultern an. «Ist das ungewöhnlich? Ihr seid ein Paar.»
«Na ja.» Dylan druckste herum. «Ich hatte doch erzählt, dass er sich nach dem Amerikatrip zurückgezogen hat – und das auf ganzer Linie. Die letzten Wochen lief überhaupt nichts mehr zwischen uns und er schob es auf die Fußfessel.» Entspannt stieß er einen Seufzer aus. «Aber seit ein paar Tagen ist der Knoten geplatzt.» Er grinste. «Wie du mitbekommen hast.»
«Wie ist er denn als Liebhaber?», hakte Emma nach.
Dylan stutzte. «Das willst du jetzt nicht wirklich wissen oder?»
«Du musst keine Bedenken haben», erwiderte sie und deutete auf ihre Aufzeichnungen. «Das kommt nicht in den Bericht und du bist nicht verpflichtet, mir davon zu erzählen. Immerhin müsste ich eigentlich mit ihm darüber reden. Aber es gibt Fälle, bei denen sich die Angeklagten vorbildlich an ihre Auflagen halten, den Schein bewahren, dass alles korrekt läuft, und hinter unserem Rücken den Frust ablassen. Leidtragende sind oftmals Angehörige und Partner.» Sie verdeutlichte: «Je mehr du mir von seinem Alltag erzählst, desto besser bekomme ich ein Bild von ihm und desto positiver wird mein Bericht ausfallen – vorausgesetzt, du bestätigst, dass er sich unter Kontrolle hat.»
Dylan nickte. «Verstehe.» Er leerte seine Tasse, beugte sich vor und dämpfte die Stimme. Niemand außer ihr sollte erfahren, was sich aus sexueller Sicht zwischen ihm und Thor abspielte. «Ich kann dich beruhigen: Er ist weder ein Schläger noch lässt er die Wut an mir aus. Im Gegenteil – wenn er sich Sorgen oder Gedanken macht, zieht er sich zurück, dann braucht er Ruhe. Das ist es, was für mich unerträglich ist. Dass er sich mir entzieht und mich nicht teilhaben lässt an seinen Gefühlen. Ansonsten harmonieren wir recht gut im Bett.» Mit einem verlegenen Lächeln schob er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
«Also kein Gewaltpotential», fasste Emma zusammen und kritzelte in die Unterlagen. «Keine sexuellen Übergriffe?»
Dylan schüttelte den Kopf. Da senkte Emma den Stift und sah ihn tiefgründig an. «Was ist mit den Schlägereien, über die die Presse oftmals berichtet hatte? Du sagtest mal, es war eine Art Kräftemessen zwischen euch, etwas, das zu eurer Beziehung gehört?»
«Das ist richtig», antwortete Dylan.
«Aber mittlerweile gibt es keine Gewalt mehr zwischen euch?» Sie setzte den Stift auf das Papier, sichtlich in der Annahme, eine knappe Verneinung zu notieren, aber Dylan antwortete nicht sofort. Das machte sie stutzig. Sein Kopf war geneigt und er zupfte nervös an der Serviette herum. «Dylan? Alles okay?»
«Ja, ich …» Er sah auf und blickte aus dem Fenster. «Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber in gewisser Weise spielt Gewalt schon eine Rolle zwischen uns.» Seine Stimme wurde noch einen Tick leiser. «Vor allem beim Sex.»
«Okay …» Sie legte den Stift ab. «Möchtest du davon erzählen?»
«Wenn es von Nutzen ist?» Er sah sie an und lächelte unschlüssig. Sie nickte, sodass er den Mut fasste, weiter in die Materie einzusteigen.
«Zuerst habe ich nicht begriffen, was da vor sich geht. Eigentlich dachte ich, mein Sexualleben sei normal.» Ein schiefes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. «Soweit man es als normal bezeichnen kann, dass ich als schwuler Sänger lediglich mit männlichen Groupies verkehrt hatte.» Er machte eine Pause. «Aber dann kam Thor und alles hat sich geändert.» Da sie nicht nachfragte, fuhr er ungeniert fort. «Meine Ärztin und auch mein Psychiater sagen, dass es an meiner Kindheit liegt, dass ich diesen Hang zur Gewalt habe. Während meiner Alkoholexzesse habe ich mich ständig mit den Leuten angelegt und dabei ist einiges zu Bruch gegangen. Manchmal hab ich mich dabei auch verletzt.» Er hob die Schulter an. «Mir war das nie bewusst gewesen, aber mein Verhalten war ein Aufschrei, der Wunsch nach Liebe und Anerkennung … Von meinen Eltern habe ich Derartiges nie erfahren. Stattdessen haben sie mich verdroschen.» Kurz schloss er die Augen. Lange hatte es gedauert, bis er die Zusammenhänge verstanden hatte. Nun, nach unzähligen Gesprächen und ohne die Sauferei, war es ihm endlich möglich, sein damaliges und auch heutiges Verhalten zu deuten.
«Kinder suchen immer die Anerkennung ihrer Eltern», meinte Emma und er stimmte zu.
«Zweifellos. Als Kind hab ich gelernt, dass man mich wahrnimmt, wenn ich Schmerzen spüre, denn dann war jemand da, der mich registriert hat. Dabei ist das falsch …» Nahezu erschrocken sah er sie an. «Ohne Alkohol bin ich gelassener geworden und meine Beziehung zu Thor hat dazu beigetragen, dass ich nicht mehr in die Vollen haue. Aber ab und zu bricht es in mir durch. Und ich empfinde es als extrem lustvoll, wenn man hart mit mir umspringt, wenn ich beim Sex an meine Grenzen gerate, wenn mich jemand mit Kraft und Stärke in die Knie zwingt. Erst dann hab ich das Gefühl, vollkommen akzeptiert zu werden.» Er nickte seine Worte ab. «Ab und zu passiert es dann auch, dass ich mich nach Gewalt sehne.»
Plötzlich konnte er sie nicht mehr ansehen. Das Schweigen hatte er gebrochen und es tat gut, darüber zu reden. Aber ebenfalls hatte er das Gefühl, sie mit seinem Geständnis schockiert zu haben. Sie erwiderte seinen Blick mit geweiteten Augen. «Das ist schwere Kost», sagte sie lediglich. Dylan nickte still und rutschte vom Stuhl. «Du entschuldigst mich kurz?» Nahezu fluchtartig verließ er das Café, doch blieb er vor dem Eingang stehen. Mit zittrigen Fingern entfachte er eine Zigarette. Nach wenigen Zügen fühlte er sich geordnet, sodass er wieder an den Tisch zurückkehrte. «Sorry», entwich es ihm. «Aber du wolltest es wissen.»
«Das ist okay», sagte sie. Mit den Fingern strich sie über seinen Handrücken. Mit der freien Hand griff sie sich an die Stirn. «Meine Güte, ich bin Bewährungshelferin, soll Thor bei seiner Wiedereingliederung von Nutzen sein, aber momentan habe ich das Gefühl, dass ihr von psychischen Problemen total überlagert seid. Hat Thor jemals Hilfe ersucht?»
Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, er macht alles mit sich aus. Und ich weiß, dass er es nicht leicht hat – auch nicht mit mir.» Er zeigte auf sich. «Ich meine, ich habe gelernt, darüber zu reden: mit Ärzten und Freunden. Aber er zeigt mir nur in Taten, dass er mich versteht – und ich kann wiederum nur erahnen, was in ihm vorgeht.»
«Thor gibt dir die Stärke, die du brauchst», schlussfolgerte sie. «Dabei kommt es mitunter zu Gewalt, aber das ist für euch beide in Ordnung, verstehe ich das richtig?»
«Er kann mich absolut dominieren und mir damit das geben, was ich will», erklärte Dylan. «Aber ich bin mir nicht immer sicher, ob es für ihn in Ordnung ist.»
Auf Emmas Stirn bildete sich eine Falte. «Was führt dich zu der Annahme?»
«Magnus, sein damaliger Freund, der sich umgebracht hat, war nekrophil», antwortete er wie aus der Pistole geschossen. Ebenso schlagartig sah er das Entsetzen in ihrem Gesicht. «Was?», zischte sie. «Er machte es … mit Leichen?»
«Nein, nein!», wehrte Dylan sofort ab. Inzwischen war ihm warm geworden. Das Gespräch wühlte ihn auf. «Hast du noch Zeit? Dann erkläre ich es dir.»
«Ja, natürlich!» Sie nickte eifrig. Daraufhin räumte er das Geschirr zusammen und brachte es an den Tresen, nachfolgend orderte er neuen Kaffee. Kaum saß er wieder, fuhr er mit seiner Erzählung fort:
«Ich wollte dich nicht ängstigen, sondern dir nur erklären, was Thor erlebt hat.»
«Okay.» Sie war blass um die Nase geworden. Dankbar nahm sie den frischen Kaffee entgegen und trank sofort einen Schluck.
«Magnus hat den Tod verehrt», berichtete Dylan. «Sein Wunsch war es nicht, mit Leichen Sex zu haben, vielmehr hatte er die Fantasien, selbst als Toter missbraucht zu werden.»
Emma schluckte, sichtlich betroffen. «Das ist ja grauenvoll», entwich es ihr.
Er nickte. «Hinzu kamen seine Depressionen. Magnus hat mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen, und hat sich deswegen nie behandeln lassen.» Gezielt faltete er die Hände auf dem Tisch, um von seiner Nervosität abzulenken. Eine lange Zeit hatte er nicht verstanden, was in Thors damaligem Freund vorgegangen war. Es hatte einige Nachforschungen und letztendlich Thors Geständnisse gefordert, um das Handeln und Fühlen von Magnus Eidsvag verstehen zu können.
«Er war ein regelrechter Freak», sprach Dylan weiter. «Menschenscheu, die Welt verachtend und lebensmüde.» Kurz zuckte er mit den Schultern. «Trotzdem hat sich Thor in ihn verliebt und sich seiner angenommen. Das Problem war, dass Magnus sich nicht helfen lassen wollte.»
«Das ist tragisch.»
«Absolut.» Dylan pflichtete ihr bei. «Sein Selbstmord war ein Ereignis, bei dem Thor hautnah dabei gewesen war und das belastet ihn noch immer.»
«Du meinst also, Thor ist im Zwiespalt mit sich und jeder Form von Dominanz, weil er Magnus nicht helfen konnte?»
«Zum einen das und zum anderen, weil Magnus es damals geschafft hatte, ihn zu dominieren.»
Sie wurde hellhörig. «Wie das?»
«Na, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt, will man zwangsläufig auch Sex mit ihm haben, oder?» Er zwinkerte ihr zu und sie lächelte zustimmend. Doch schnell wurde Dylan wieder ernst.
«Magnus konnte das nicht … Also auf normalem Weg. Es ging nur, wenn er das Gefühl hatte, tot zu sein … Am besten verletzt.»
Ihre Augen weiteten sich. «Und Thor hat …?» Sie sprach es nicht aus.
Notgedrungen nickte Dylan. «Zuerst hat er es wohl abgelehnt, aber dann ist er Magnus Wunsch nachgekommen … Im Laufe der Zeit wurden ihre Spielchen bizarrer.»
Still blickte sie auf die Unterlagen, doch sie notierte nichts. Aber er bemerkte ihren kritischen Blick.
«Bitte, das ist viele Jahre her und er hat mir versichert, dass er es nicht gern getan hat, aber damals musste er es tun. Thor hat es aus Liebe getan und vermutlich hat es ihn irgendwann mitgerissen.»
«Ich glaube, ich kann dir folgen», sagte sie. «Du benötigst seine Stärke, seine Dominanz über dich und er hat das Gefühl, wie damals zu handeln.»
«Ich glaube schon», gab Dylan zerknirscht zu. «Ab und zu verlange ich schlimme Dinge von ihm.» Er winkte ab. «Keine üblichen S/M- oder Fesselspielchen, sondern dass er mir zum Beispiel die Luft abdrückt. Manchmal will ich es so hart, dass er mich verletzt.» Er schüttelte den Kopf. «Das macht mich an und er macht mit, aber ich weiß, dass es ihn an Magnus erinnert und das ist nicht fair.» Hörbar atmete er durch. Was er sagen wollte, war ausgesprochen, und er kam zum Ausgangspunkt ihres Gespräches zurück. «Das ist die Form von Gewalt, die zwischen uns herrscht und ich bezweifle, dass wir sie jemals loswerden können.»
«Meine Güte …» Sie schob ihre Unterlagen zusammen, sichtlich nicht daran interessiert, weitere Notizen zu machen. Trotzdem gab sie ihm Hoffnung darauf, dass seine Erzählung positiven Einfluss auf ihre Gutachten haben würde.
«Euer Zusammenleben klingt kompliziert, aber ich höre auch heraus, dass ihr vertraut und respektvoll miteinander umgeht.»
Dylan pflichtete ihr bei. «Das stimmt, ohne Respekt und Vertrauen würde das alles nicht funktionieren.»
«Ich danke dir, dass du mir das erzählt hast – es ist nicht alltäglich, dass man sich tief in sein Seelenleben blicken lässt; schon gar nicht von einer Anfängerin wie mir.»
«Du machst deinen Job gut», versicherte Dylan. Er nahm ihre rechte Hand in die seine, drückte und schüttelte sie gleichermaßen fest. «Ich bin dir sehr dankbar, dass du so einfühlsam und diskret mit seinem Fall umgehst, auch das ist nicht selbstverständlich.»
Sie erwiderte die Geste mit einem Lächeln, dennoch machte sie klar: «Ich gebe mir Mühe, die Umstände zu begreifen und zu berücksichtigen, aber euch muss bewusst sein, dass ich so nicht weitermachen kann. Wenn er weiterhin nicht mit mir redet, bin ich nicht die Richtige für ihn, dann muss ich den Fall abgeben.»
Ihr Statement traf ihn nicht unvorbereitet. Er hatte damit gerechnet, dass sie in Zukunft mehr Druck auf Thor ausüben würde. Das gehörte zu ihrem Job. Es blieb ihr keine andere Wahl. Mehrfach hatte er sie besänftigen können – nun war Schluss damit. Dylan lobte sich, denn für den Fall, der jetzt eingetroffen war, hatte er sich vorbereitet.
Er löste den Händedruck, griff stattdessen in eine Seitentasche seiner Bondagehose und zog eine Eintrittskarte hervor. «Demnächst steigt ein Gig in Oslo. Mehrere Metal-Bands treten auf, auch Wooden Dark, sofern Thor die Genehmigung dafür erhält.» Gezielt drückte er die Karte in ihre Hände. Eigentlich war sie für Carol vorgesehen – aber die konnte er auch auf die Gästeliste setzen lassen.
«Es würde mich freuen, wenn du kommst.»
«Oh!» Sie sah das Ticket in ihren Händen zweifelnd an. «Ich weiß nicht. Metal?» Mit ehrlichen Augen gestand sie: «Metal ist nicht mein Genre. Außerdem darf ich keine Schenkungen annehmen.» Sie reichte ihm die Karte zurück, doch er nahm sie nicht an.
«Ich werde vermutlich auch singen», sagte er stattdessen. «Du könntest dir absolut unvoreingenommen ansehen, wie Thor sich in der Öffentlichkeit gibt. Das Geschenk kommt außerdem von mir, nicht von ihm.»
«Wenn das so ist …» Nochmals sah sie sich die Karte an. Er setzte einen drauf.
«Und vergiss nicht: Die Café-Eröffnung findet ein paar Tage vorher statt. Ich verspreche dir, du wirst dort mit ihm reden können. Dann ist diese Barriere zwischen euch hoffentlich beseitigt.»
«Okay.» Sie lächelte und steckte die Karte ein.
«Du wirst sehen, er ist ein wundervoller Mensch.» Seine Augen leuchteten und sein Herz füllte sich mit Wärme, als er an Thor dachte. «Und manchmal – …» Er zwinkerte ihr zu. «aber das bleibt unter uns – kann er sogar zärtlich sein.»
***
Es schien wie ein normaler Sommertag: Tony und Susan saßen draußen am Holztisch und spielten Karten. Erik saß daneben, in den Laptop vertieft. Die Hunde schnüffelten auf dem Rasen herum. Das ehemals erkrankte Tier hatte Thor aus der Klinik abgeholt, allerdings verhielt es sich scheuer und abwartender als vor dem Vorfall. Die Hunde wurden alt und das war eine traurige Begebenheit, die ihnen das aktuelle Ereignis deutlich vor Augen führte.
Die Sonne hingegen strahlte. Nur die Tatsache, dass Dylan aus der Stadt kam, um erneut ein gutes Wort für seinen Partner bei der Bewährungshelferin einzulegen, wurmte ihn. Gemächlich lenkte er den Wagen neben den Carport, unter dem die beiden Jeeps standen. Er stieg aus und schlenderte zum Tisch. Susan sah sofort auf. «Hallo Dylan!», rief sie vergnügt. «Ich habe Papa schon zwei Mal besiegt!» Erfreut hob sie die Hände mit den Spielkarten empor. Tony grinste verschmitzt. «Heute habe ich wirklich Pech.»
«Willst du mitspielen?», fragte das Mädchen aufgeregt.
Dylan lehnte ab und sah sich um. Thor saß am Ufer des Sees. «Momentan nicht», sagte er. «Vielleicht später …» Er marschierte los, aber Susans Fragen ebbten nicht ab. «Kann ich mit den Hunden spielen? Sie könnten Stöckchen holen!»
Abermals wehrte er ab. «Die Hunde passen auf», erklärte er und dachte an Fahlstrøms Erziehungsmaßnahmen, was die Tiere anbelangte. «Spielen ist keine gute Idee.»
Tony tippte sich an die Schläfe. «Idiotisch.»
Dylan hob die Schultern an und ging weiter. Am See angekommen nahm er dicht neben Thor Platz. Gemeinsam sahen sie auf das Wasser.
«Ein Glück ist der Hund wieder in Ordnung», startete Dylan das Gespräch.
«Er hätte es besser nicht überlebt», erwiderte Thor ohne emotionale Wertung.
«Wie kannst du so etwas sagen?» Dylan schüttelte entrüstet den Kopf.
«Das Tier ist alt. Dass es anders reagiert hat als sonst, zeigt, dass es seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist», schlussfolgerte Thor aus dem vergangenen Ereignis.
«Oh, Mann!» Dylan fasste sich an die Stirn. «Du sprichst, als wären wir beim Militär. Es sind Wachhunde, ja, aber ich finde, du übertreibst es manchmal mit deiner Vorsicht.»
«Keineswegs, Perk», erwiderte Thor. «Einmal Krieg, immer Krieg, sowas endet nie.»
Dylan seufzte bewegt. Die Äußerung seines Partners gefiel ihm nicht. Sie zeigte ihm auf, dass das Ereignis mit dem Hund womöglich nur der Auftakt war für weitere Konflikte. Wenn es so war, wie er vermutete, war unleugbar ein neuer Krieg ausgebrochen.
«Emma kommt zur Café-Eröffnung», sagte Dylan schließlich. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Thor den Kopf senkte. «Ich bitte dich eindringlich, mit ihr zu sprechen.»
«Perk, ich …»
«Keine Widerrede!», keife Dylan. «Du machst das!», fügte er hinzu. «Scheißegal, was du sagst, aber rede mit ihr. Nochmal kann ich deine Haut nämlich nicht retten!»
Giftig sah er seinen Partner an. Thor fuhr sich über den Bart. Sein Kiefer bewegte sich malmend, aber er konterte nichts. Ausnahmsweise zeigt er sich gefügig. In dem Moment, in dem er zu Boden blickte, die Augen bis auf einen schmalen Spalt schloss und tief durchatmete, als würde eine schwere Last auf ihm ruhen, in dem Augenblick tat er Dylan leid.
Das Gespräch mit Emma hatte alte Geschichten aufgewühlt. Es hatte ihm erneut vor Augen geführt, welche Schicksalsschläge Thor erlebt und nicht überwunden hatte. Anstatt die Vergangenheit abzuhaken, kamen neue Hürden hinzu. Fahlstrøm sprach nicht über seine Sorgen und den Leidensdruck, doch Dylan konnte fühlen, dass er die Bürden mit sich trug – von morgens bis abends.
«Ich meinte das vorhin nicht so», sagte er demzufolge. «Selbstverständlich werde ich dich im Knast besuchen, sollte es zum Äußersten kommen.» Er lachte. «Mich wirst du nicht mehr los.»
Anmaßend legte er eine Hand auf Thors Oberschenkel und streichelte ihn. Fahlstrøm sah auf und schmunzelte.
«Soll das eine Drohung sein?»
Dylan erwiderte das Lächeln. «Wenn es sein muss, begehe ich eine Straftat, um mit dir in einer Zelle zu sitzen.»
«Das wäre allerdings eine Strafe.»
«Hey!» Dylan kniff seinem Partner in die Seite. Thor kippte nach hinten und riss ihn mit und auf sich. Verlangend starteten sie einen innigen Kuss.
«Stell dir vor: wir beide auf engstem Raum.», träumte Dylan laut. «Wir könnten den kompletten Tag über perverse Dinge tun.»
«Vermutlich wird man uns wegen unzüchtigen Verhaltens trennen.» Thor lachte dunkel, aber er hörte nicht auf, über Dylans Rücken zu streicheln.
Nochmals versanken sie in einem Kuss; diesmal langsamer und tiefer.
«Papa will wissen, ob er noch was einkaufen kann für das Abendessen», ertönte plötzlich eine Kinderstimme. In Windeseile unterbrachen sie den Kuss. Susan stand neben ihnen und beäugte sie fragend. Thor atmete genervt aus und sah zur Seite weg.
«Muss das jetzt sein?» Dylan richtete sich auf und spähte über den Hof. Erik und Tony warteten an einem Jeep und sahen zu ihnen herüber.
«Wir wollen in die Stadt und Eis essen!», verkündete das Mädchen.
«Sag deinem Vater, er soll uns nicht auf den Sack gehen!», knurrte Thor, woraufhin Dylan ihn fest in die Seite stieß.
«Papa sagt auch, dass ihr euch vor meinen Augen besser benehmen sollt», fuhr sie ungeniert fort. Daraufhin ging ein Ruck durch Thors Leib. Dylan bemerkte, dass er am liebsten aufgesprungen wäre, um Tony die Meinung zu sagen. Er verhinderte es, indem er Fahlstrøm auf die Schulter drückte.
«Ich glaube, wir haben alles», antwortete er gestelzt.
«Okay …» Susan marschierte zum Auto zurück, aber nicht, ohne sich noch mehrfach nach ihnen umzusehen.
***
Die Stimmung am Abend war ausnahmsweise nicht getrübt – und Dylan wünschte sich, dass das so blieb. Tony und Susan tobten über den Rasen einem Ball hinterher. Erik entfachte das Lagerfeuer und er, Dylan, war wie gewohnt für die Getränke zuständig. Mit Vorfreude hatte er den Korb mit Saft- und Limoflaschen gefüllt, natürlich auch mit Bier und Aquavit. Allein die Flaschen in den Händen zu halten, brachte ein nervöses Herzklopfen mit sich.
Allerdings hatte er zufrieden festgestellt, dass ihn die Aussicht auf eine alkoholfreie Variante genauso beglückte. Seit seinem Entzug gab es antialkoholisches Bier im Hause Fahlstrøm, das niemand anrührte außer ihm.
Eine Weile sah er zu, wie Erik den Rost über die Glut schob und die ersten Würstchen platzierte. Kaum breitete sich der Geruch nach Gegrilltem aus, beendete Tony das Spiel mit seiner Tochter. Händereibend kam er indes näher. «Ach, das sieht gut aus.» Prüfend sah er sich um. «Ketchup, Brot und Salate?»
«Alles da», erklärte Erik und mit einem bewährten Lächeln fügte er hinzu: «Du hast zur Genüge eingekauft.»
Tony nickte zufrieden, doch ebenso rieb er sich nachdenklich den Bart. «Ist das eigentlich erlaubt? Ein offenes Feuer bei dieser Dürre?»
«Genau genommen nicht», sagte Erik, «aber solange wir aufpassen und uns auf unser Privatgrundstück beschränken.» Nachfolgend erklärte er seinem Freund die Regeln des Jedermannsrechts, das in Norwegen in aller Munde war.
Dylans Gedanken drifteten ab. Er hörte nicht zu, vielmehr suchte er das Ufer ab. Thor saß nun schon seit Stunden am See und starrte aufs Wasser. Dylan ging davon aus, dass er sich bewusst zurückgezogen hatte. Die Gegenwart seines Partners war inzwischen zu einem Dauerzustand geworden. Eine harte Bewährungsprobe für ihn.
Zudem musste Thor täglich die Anwesenheit von Tony und Susan ertragen. Es war, als wäre er jeden Abend erleichtert, wenn beide den Rückzug zu Mats Haus einschlugen.