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„Weißt du was, das übernehme ich.“ Was? Woher kam dieser unsinnige Gedanke?
„Was? Das geht nicht! Du kannst nicht so lange bei mir bleiben! Deine Arbeit!“
„Unsinn. Die Firma wird ohne mich schon nicht zugrunde gehen.“ Im Gegenteil. Die Firma hatte ihr Leben zugrunde gerichtet. Tina scheintot. Firma lebt. Hurra! „Ich komme. Füttere deine Hühner. Verkaufe die Eier. Spaziere mit Charlie durch die Gegend. Überwache dein Haus. Besprich mit Dr. Glaser, wann du operiert werden kannst und ich bin da.“
„Wirklich? Danke, Christina. Du bist die Beste.“
Christina, die Beste, schlug sich selbst mit der Zeitung mehrmals gegen den Kopf. Was war nur los mit ihr? Warum hatte sie sich dazu bereit erklärt? Auf der anderen Seite hatte sie derzeit keine besseren Alternativen. Eine Anstellung wollte ihr niemand anbieten und auch sonst sah es eher traurig aus. Sie hatte zu niemandem engen Kontakt und die letzten Wochen praktisch als Einsiedler gelebt.
Auf ihre Oma hatte sie sich in ihrem bisherigen Leben immer verlassen können. Ihre Mutter war mit 17 schwanger geworden und hatte das Baby einfach bei ihrer Mutter abgeladen und war in die Welt verschwunden. Christina erhielt zu Weihnachten und zum Geburtstag ein kurzes SMS, wo sie gerade war. Nicht dass sie ihr fehlte. Für sie war ihre Oma ihre eigentliche Mutterfigur. Oma Herta hatte sie groß gezogen, ihre Wünsche erfüllt, ihre Sorgen angehört, ihr eigenes Leben für das von Tina hintangestellt. Dabei bewohnte sie selbst nur ein kleines Häuschen in Walding. Irgendwo im Nirgendwo. Sie erhielt nur eine bescheidene Pension, klagte jedoch nie über finanzielle Sorgen.
Tina begriff schon in jungen Jahren, dass es ihr finanziell nicht besonders rosig ging und so wusste sie, dass sie, um studieren zu können, auf sich selbst gestellt war. Sie übernahm kleine Gelegenheitsjobs, von denen sie das Geld immer weglegte und sparte und so kam sie in Wien während des Studiums ganz gut über die Runden. Die Hühner mit ihren Eiern waren ein kleines Zubrot für ihre Oma und Tina verstand, dass sie darauf nicht verzichten konnte und wollte.
Mit einer Tasse Tee in der Hand ging sie zum Postkasten hinunter und traf dort auf einen jungen Mann, den sie im Haus noch nie gesehen hatte.
„Hallo? Wohnen Sie hier?“
„Hello. My name is Ty. Ich wohne derzeit in 3a. Ich studiere. Ich habe die Wohnung von Stefan gemietet, der derzeit in Italien ein Auslandssemester macht.“
„Herzlich willkommen. Freut mich. Was heißt gemietet?“
„Ich habe im Internet nach einer Möglichkeit zum Wohnen gesucht. Möbliert. Befristet. Es gibt Portale, wo das angeboten wird. Und ich gehe dann ja nach Kansas wieder zurück. Ich muss weiter. Schönen Tag noch.“
„Ebenfalls.“ Nachdenklich blickte Christina Ty hinterher. Befristet vermieten. Vielleicht wäre das auch für sie eine Möglichkeit. Bis sie eine neue Stelle fand, konnte sie bei ihrer Oma wohnen und ihre Wohnung vermieten. Dann wären zumindest die Kosten abgedeckt. Sie musste das klären, ob die Hausverwaltung ein derartiges Untervermieten duldete.
Neugierig stöberte sie sofort durchs Internet und war überrascht über die große Anzahl an Portalen, die derartige Leistungen anboten.
5
Neue Abenteuer
Bereits am nächsten Morgen – Tina übergab sich gerade in die Toilette – meldete sich ihre Oma.
„Ich komme gerade von Dr. Glaser retour. Er konnte bereits für nächste Woche einen Termin für mich erhalten. Schaffst du das so kurzfristig?“ Tina hörte den besorgten Unterton in Oma‘s Stimme.
„Ja, das bekomme ich hin.“ Tina überlegte fieberhaft, was noch alles zu erledigen war.
„Ich müsste eine Woche ins Krankenhaus und dann noch drei Wochen auf Reha. Ist dir das zu lange? Die Nachbarin würde auch einige Tage nach den Hühnern sehen. Und Charlie kann zu Matthias auf den Bauernhof.“
„Nein. Mach dir keine Sorgen, Oma. Vier Wochen sind kein Problem. Ich melde mich, wann ich genau komme.“
„Danke, Christina. Ich freue mich so auf dich.“
„Ich mich auch. Das wird bestimmt toll. Und dir geht es ja dann hoffentlich wieder besser.“
Den vorhergehenden Nachmittag hatte Tina mit der Recherche über mögliche befristete Wohnungsangebote verbracht. Nach einem telefonischen Gespräch mit der Hausverwaltung wusste sie, dass diese informiert werden wollte und befristete Vermietung erlaubte. Mit ihrer Internettour hatte Tina eine für sie völlig neue Welt betreten. Wie viel man verlangen konnte? Welches Portal seriös aussah? Welches Portal welche Nebenkosten verlangte? In welchem Zustand die Wohnung sein müsste?
Nun schritt sie entschlossen ans Werk. Ging die einzelnen Zimmer durch. Überlegte, was sie mit nach Walding nahm, verstaute den Rest der persönlichen Dinge im Kellerabteil, das der neue Mieter nicht benutzen konnte, putzte und arrangierte die Möbel. Mit ihrem Handy schoss sie einige Fotos und es dauerte nicht lange und ihr Angebot ging online. Da sie außer dem Schlafzimmer noch ein kleines Büro besaß, schob sie dort ihre Schlafcouch hinein und erhoffte sich dadurch zwei Mieter, die sich die Kosten teilen konnten und so einen kleinen Aufpreis für sie bezahlten.
Im Englischen Garten beobachtete sie die Passanten. Zahlreiche junge Mütter tobten sich dort meist am Vormittag mit ihren Kindern aus. Eigentlich hatte sie auch irgendwann eine Familie im Sinn gehabt. Aber der Stress der letzten Jahre drängte diesen Wunsch in den Hintergrund. Und sie wollte eine andere Mutter werden, als es ihre eigene gewesen ist. Sie wollte für das Kind da sein. Tina wünschte sich nur dann ein Kind, wenn es auch einen Vater dazu gab, der mit dem Kind Rad fuhr, die Enten fütterte und auch mal eine Windel wechselte. Sie schlenderte über den Rasen und ihre Gedanken purzelten wild herum.
Nervös wartete sie, ob sich jemand auf ihre Anzeige melden würde. In der Zwischenzeit räumte sie ihre Reisetaschen hervor und begann Stapeln mit Kleidung zu machen, die sie mit nach Österreich nehmen wollte. Sie hatte einen Teil ihrer Kleidung bereits in einen Secondhandladen gebracht, wofür sie einen kleinen Betrag erhalten hatte. Auch viele andere Dinge, die sie nicht mehr benötigte, hatte sie zu einem Trödelladen getragen. Dieses Loslassen hatte sie befreit und das kleine Geld, welches sie für ihre Sachen erhalten hatte, bereicherten ihren Speiseplan. Obwohl sie doch bald zum Arzt gehen sollte, da ihr Magen noch immer verrückt spielte.
Aus der größeren Reisetasche fiel ein Foto heraus. Sie und Jo lachend in Mailand. Es kam ihr vor, als ob es vor Urzeiten gemacht worden war. Und dabei war es erst fünf Wochen her. Sie sahen so glücklich auf dem Bild aus. Schade, dass sie seine Nummer nicht hatte. Er war ein toller Typ. Bisher hatte keine ihrer Beziehungen lange gehalten, da sie immer viel Zeit mit ihrer Arbeit verbracht hatte. Aber mit Jo hätte es anders sein können. Für ihn wäre sie auch bereit gewesen, etwas kürzer zu treten. Er hatte sich nicht mehr gemeldet.
Ein Pling riss sie aus ihren Gedanken.
„Dear Tina …“ Eine Interessentin! Sie und eine Freundin würden die Wohnung schon ab Montag nehmen! Für drei Monate! Ihre Wangen fühlten sich ganz heiß an. War es die richtige Entscheidung? Drei Monate ohne Wohnung? Eine Fremde in ihrer Wohnung? Was sollte schon groß passieren. Sie hatte nicht so viele Wertsachen.
Kurzentschlossen schrieb sie Loreen zurück. Nach Kolumbien. Und danach überschlugen sie ihre Gedanken. Was war zu erledigen? Postnachsendeantrag. Oma informieren. Alles Private noch verräumen. Die Hausverwaltung verständigen. Inspektor Eigner benachrichtigen.
Ihren Arbeitgeber informieren. Sollte sie bei Hagis anrufen? Warum eigentlich? Sie war unbefristet in Urlaub. Anfangs hatte Kathrin noch zwei Mal angerufen, aber seither hatte sie von Niemandem gehört. Sie würde auch nicht anrufen.
Tina war eine Freundin von To-Do-Listen und machte sofort eine, damit sie auch ja nichts vergessen konnte.
Der Tag verflog im Eiltempo. Abends räumte sie gerade ihr Badezimmer, als ihr eine Schachtel Tampons in die Hände fiel. Die hatte sie in diesem Monat noch gar nicht gebraucht? Verwundert und entsetzt zugleich starrte sie auf die Schachtel. Was hatte das zu bedeuten? Bisher hatte sich ihre Monatsblutung immer sehr pünktlich eingestellt. Sie wollte noch am nächsten Tag ihre Frauenärztin aufsuchen.
„Frau Schubert, ich darf Ihnen mitteilen, dass Sie wahrscheinlich in der vierten oder fünften Woche schwanger sind. Noch kann man den Embryo nicht erkennen. Ich würde vorschlagen, Sie kommen zu einer weiteren Untersuchung in cirka drei bis vier Wochen.“
„Wie kann das sein? Ich habe die Pille immer ordnungsgemäß eingenommen!“
„Das glaube ich Ihnen schon. Ich darf Ihnen gratulieren. Sie sind eine von 1000 Frauen, die trotzdem schwanger geworden ist. Die Pille ist einfach keine 100 prozentige Garantie.“
„Schwanger. Sicher?“
„Sicher. Der Test ist positiv und Ihre Gebärmutter verändert sich bereits.“
„Danke Frau Doktor. Ich melde mich wieder.“
Wie auf Wolken verließ Tina die Ordination. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder hysterisch lachen sollte. Eine von tausend Frauen wurde trotz Pille schwanger. Und das traf genau sie! Da war ein Lottotreffer ein Kinderspiel dagegen!
Kopfschüttelnd setzte sie sich auf eine Bank. Schwanger. Arbeitslos. Kein Vater für das Kind. Bald ohne Wohnung. Das war ja fast nicht mehr zu toppen! Wie sollte es nur weitergehen? Was konnte sie dem Baby bieten? Sie dachte bereits an ihr Baby. Wollte sie es überhaupt? Wie sollte sie es erziehen? Und wo? Wie sollte sie genug Geld für sei beide aufbringen?
Positiv denken! Ein Baby wuchs in ihr. Ehrfürchtig strich sie sich über den Bauch. „Kleines, ich verspreche dir, ich laufe nicht davon. Ich bleibe bei dir und ich liebe dich täglich für zwei.“ Mit 26 Jahren glaubte sie, doch etwas vernünftiger als ihre eigene Mutter zu handeln. Tapfer, aber schwummrig im Kopf, ging sie nach Hause und versuchte ihre Sachen weiter zu ordnen Es waren nur mehr wenige Tage, bis die beiden Studentinnen aus Kolumbien ihre Wohnung übernahmen und sie nach Walding zurückkehren würde. In dem Ort, von dem sie sich sicher gewesen war, ihn nicht mehr wiederzusehen.
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