- -
- 100%
- +
Es ist hier jedoch nicht der Ort, dies aus der Natur des menschlichen Geistes abzuleiten; es wird vielmehr genügen, etwas, das jeder anerkennen muss, zur Grundlage zu nehmen, die Tatsache nämlich, dass alle Menschen, ohne die Ursachen der Dinge zu kennen, auf die Welt kommen und dass alle den Antrieb haben, ihren Nutzen zu suchen und sie dieses wohl wissen. Denn daraus folgt erstens, dass die Menschen sich für frei halten, da sie sich ihres Wollens und ihres Begehrens bewusst sind, während sie nicht im Traum an die Ursachen denken, von denen sie zum Begehren und Wollen bestimmt werden, weil sie dieselben eben nicht kennen. Es folgt zweitens, dass die Menschen alles um eines Zwecks willen tun, nämlich um des Nutzens willen, den sie begehren. Daher kommt es, dass sie stets nur die Endzwecke der vollbrachten Dinge zu wissen wünschen und befriedigt sind, wenn sie diese erfahren haben, weil sie dann keinen Anlass haben, sich weiter damit zu befassen. Können sie diese Zwecke aber von keinem anderen erfahren, so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich an sich selbst zu wenden und auf Zwecke zu sinnen, von denen sie selbst zu solchen bestimmt zu werden pflegen, und so beurteilen sie die Sinnesweise eines anderen notwendig nach ihrer eigenen Sinnesweise.
Da sie zudem in sich und außer sich zahlreiche Mittel bemerken, die zur Erreichung ihres Nutzens nicht wenig beitragen, wie z.B. die Augen zum Sehen, die Zähne zum Kauen, Pflanzen und Tiere zur Nahrung, die Sonne zum Leuchten, das Meer, Fische zu nähren u.s.w., so kommt es, dass sie alles in der Natur als Mittel zu ihrem Nutzen betrachten. Und weil sie wissen, dass jene Mittel von ihnen aufgefunden, aber nicht hergestellt sind, so hat dies den Glauben verursacht, irgendein anderer sei es, der diese Mittel zu ihrem Nutzen bereitet habe. Denn nachdem sie einmal die Dinge als Mittel ansahen, so konnten sie nicht glauben, dass diese sich selbst gemacht hätten, sondern aus den Mitteln, die sie sich selbst zu bereiten pflegen, mussten sie schließen, es gäbe irgendeinen oder mehrere mit menschlicher Freiheit begabte Lenker der Natur, die alles für sie besorgt und alles zu ihrem Nutzen gemacht hätten. Auch die Sinnesweise dieser Lenker der Natur mussten sie, da sie über dieselbe nie etwas erfahren hatten, nach ihrer eigenen Sinnesweise beurteilen. Daher ihre Behauptung, die Götter lenkten alles zum Nutzen der Menschen, um sich die Menschen zu verpflichten und von ihnen hoch verehrt zu werden. Daher ist es gekommen, dass der eine diese, der andere jene Art der Gottesverehrung in seinem Kopfe erdacht hat, damit Gott ihn mehr als die übrigen Menschen lieben und die ganze Natur zum besten seiner blinden Begierde und unersättlichen Habsucht lenken möge. So ist jenes Vorurteil zum Aberglauben ausgewachsen und hat in den Geistern tiefe Wurzeln geschlagen. Und dies war der Grund, weshalb die Menschen sich alle Mühe gaben, die Endzwecke aller Dinge zu erkennen und zu erklären.
Aber während sie zu zeigen suchten, dass die Natur nichts vergebens (d.h., was für den Menschen keinen Nutzen hat) tue, haben sie, wie mir scheint, nichts anderes gezeigt, als dass die Natur samt den Göttern ebenso wahnwitzig sei wie die Menschen. Man sehe doch nur, wohin die Sache schließlich führte. Unter so vielem Nützlichen in der Natur mussten sie nicht wenig Schädliches bemerken, Stürme, Erdbeben, Krankheiten u.s.w.; und diese, behaupteten sie, seien deswegen da, weil die Götter erzürnt wären über die ihnen von den Menschen angetanen Kränkungen oder über die in ihrem Dienste begangenen Verfehlungen. Und obwohl die Erfahrung widersprach und durch unzählige Beispiele zeigte, dass den Frommen ebenso wie den Nichtfrommen bald Nützliches, bald Schädliches zuteil wird, gaben sie darum doch das eingewurzelte Vorurteil nicht auf. Denn es war ihnen leichter, dies unter anderes Unbekannte, dessen Nutzen sie nicht wussten, zu rechnen und so in ihrem wirklichen und angebornen Zustand der Unwissenheit zu verharren, als jenes ganze Gebäude einzureißen und ein neues auszudenken. Deshalb nahmen sie als gewiss an, dass die Absichten der Götter die menschliche Fassungskraft weit übersteigen; was sicherlich allein schon hätte verursachen können, dass die Wahrheit dem Menschengeschlecht in Ewigkeit verborgen geblieben wäre, wenn nicht die Mathematik, die sich nicht mit Zwecken, sondern nur mit dem Wesen und den Eigenschaften der Figuren beschäftigt, den Menschen eine andere Norm der Wahrheit gezeigt hätte. Neben der Mathematik können noch andere Ursachen gezeigt werden (deren Aufzählung hier überflüssig ist), die bewirkten, dass die Menschen auf diese gemeinen Vorurteile aufmerksam geworden sind und zur rechten Erkenntnis der Dinge geführt wurden. Damit habe ich den ersten Punkt dessen, was ich zu zeigen versprochen, hinlänglich auseinandergesetzt.
Um nun aber zu zeigen, dass die Natur sich keinen Zweck vorgenommen hat und dass alle Endzwecke nichts als menschliche Einbildung sind, bedarf es nicht viel. Denn ich glaube, dass sich dies schon genügend sowohl aus den Grundlagen und Ursachen ergibt, aus denen ich den Ursprung dieses Vorurteils abgeleitet habe, wie auch aus dem Lehrsatz 16 und den Zusätzen zum Lehrsatz 32 und außerdem noch aus allen Sätzen, in denen ich gezeigt habe, dass alles in der Natur nach einer gewissen ewigen Notwendigkeit und höchsten Vollkommenheit hervorgeht. Das aber will ich noch hinzufügen, dass diese Lehre vom Zweck die Natur völlig auf den Kopf stellt. Denn sie betrachtet als Wirkung, was in Wahrheit Ursache ist, und umgekehrt. Außerdem macht sie das, was von Natur das erste ist, zum letzten. Schließlich verkehrt sie das Höchste und Vollkommenste zum Unvollkommensten. Denn (auf die beiden ersten gehe ich nicht weiter ein, weil sie an sich klar sind) wie aus den Lehrsätzen 21, 22 und 23 hervorgeht, ist die Wirkung die vollkommenste, die von Gott unmittelbar hervorgebracht wird; je mehr vermittelnder Ursachen aber eine Wirkung bedarf, um hervorgebracht zu werden, desto unvollkommener ist sie. Wenn nun die Dinge, die unmittelbar von Gott hervorgebracht sind, deshalb gemacht wären, damit Gott seinen Zweck erreichte, so wären notwendig die letzten, um derentwillen die ersten gemacht sein sollen, die vorzüglichsten von allen. Weiter hebt diese Lehre die Vollkommenheit Gottes auf. Denn wenn Gott um eines Zwecks willen handelt, so begehrt er notwendig etwas, das er entbehrt. Wenn nun auch Theologen und Metaphysiker zwischen Bedürfniszweck und Assimilationszweck unterscheiden, so geben sie doch zu, dass Gott alles um seinetwillen, nicht aber der zu schaffenden Dinge wegen getan habe; weil sie nichts vor der Schöpfung außer Gott angeben können, dessentwegen Gott handeln sollte. Sie müssen also notwendig zugeben, dass Gott die Dinge, für die er die Mittel habe bereiten wollen, entbehrt hätte. Das ist an sich klar. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass Anhänger dieser Lehre, die im Angeben der Zwecke der Dinge ihren Scharfsinn zeigen wollen, eine neue Art der Beweisführung aufgebracht haben, um diese ihre Lehre glaublich zu machen. Sie führen dieselbe nämlich nicht auf die Unmöglichkeit, sondern auf die Unwissenheit zurück; was zeigt, dass ihnen kein anderes Beweismittel für diese Lehre zu Gebote stand. Wenn z.B. ein Stein von einem Dach auf den Kopf eines Menschen fällt und ihn tötet, so beweisen sie, der erwähnten Methode gemäß, dass der Stein gefallen sei, um den Menschen zu töten, folgendermaßen: Wäre der Stein nicht zu eben diesem Zwecke, nach dem Willen Gottes, heruntergefallen, wie mochten da so viele Umstände (denn oft treffen viele zusammen) durch Zufall zusammentreffen? Antwortet man, es sei so gekommen, weil der Wind wehte und weil der Mensch gerade dort vorbeiging, so wenden sie dagegen ein: Weshalb hat der Wind gerade damals geweht? Warum ist der Mensch gerade damals dort vorbeigegangen? Erwidert man darauf: Der Wind fing damals zu wehen an, weil das Meer tags zuvor, bei noch ruhigem Wetter, in Bewegung kam, und der Mensch ging damals dort vorbei, weil er von einem Freunde eingeladen war, so wenden sie – da das Fragen keine Grenzen hat – abermals ein: Warum aber kam das Meer in Bewegung? Warum war der Mensch damals eingeladen? Und so werden sie nicht aufhören, fort und fort nach den Ursachen der Ursachen zu fragen, bis man zum Willen Gottes seine Zuflucht nimmt, d.h. zum Asyl der Unwissenheit. Ebenso, wenn sie den Bau des menschlichen Körpers ins Auge fassen, stehen sie erstaunt und schließen, weil sie die Ursachen dieses großen Kunstwerks nicht kennen, dass derselbe nicht durch mechanische, sondern durch eine göttliche und übernatürliche Kunst gebildet und so eingerichtet worden sei, dass kein Teil den anderen verletzt.
Daher kommt es, dass, wer die wahren Ursachen des Wunderbaren aufsucht und wer danach strebt, die natürlichen Dinge als Wissender zu verstehen, statt sie als Einfältiger anzustaunen, oft von denen als Ketzer und schlechter Mensch angesehen und verschrieen wird, die das Volk als die Dolmetscher der Natur und der Götter verehrt. Denn sie wissen, dass mit der Unwissenheit auch das Anstaunen, das einzige Mittel, womit sie ihre Lehren beweisen und ihr Ansehen behaupten, dahinschwindet. Ich verlasse dieses nun jedoch und wende mich jetzt zum dritten Punkt, den ich hier zu behandeln mir vorgenommen habe.
Nachdem die Menschen sich einmal eingeredet hatten, das alles, was geschieht, ihretwillen geschehe, mussten sie an jedem Ding dasjenige für die Hauptsache halten, was ihnen am nützlichsten war, und alles das als das Vorzüglichste schätzen, was am angenehmsten auf sie wirkte. Daher mussten sie folgende Begriffe bilden, mit denen sie die Natur der Dinge erklärten, nämlich: Gut und Schlecht, Ordnung und Verwirrung, Warm und Kalt, Schönheit und Hässlichkeit u.s.w. Und daraus, dass sie sich für frei halten, sind die weiseren Begriffe entstanden: Lob und Tadel, Verfehlung und Verdienst. Diese letzteren werde ich indessen erst später behandeln, nachdem ich die menschliche Natur behandelt haben werde; die ersteren aber seien hier kurz erläutert. Alles, was zum Wohlbefinden oder zur Verehrung Gottes beiträgt, nannte man gut, das Gegenteil aber schlecht. Und weil diejenigen, die die Natur der Dinge nicht erkennen, nichts von den Dingen selbst behaupten, sondern sich die Dinge nur sinnlich vorstellen und die sinnliche Vorstellung für Erkenntnis halten, glauben sie in ihrer Unkenntnis der Dinge und ihrer Natur fest an eine Ordnung der Dinge. Denn wenn dieselben so beschaffen sind, dass wir, wenn sie uns durch die Sinne dargestellt werden, sie uns leicht vorstellen und demgemäß uns leicht an sie erinnern können, nennen wir sie wohl geordnet; im gegenteiligen Fall nennen wir sie schlecht geordnet oder verworren. Und weil uns das, was wir uns leicht vorstellen können, angenehmer ist als anderes, darum ziehen die Menschen die Ordnung der Verwirrung vor, als ob die Ordnung, auch abgesehen von unserer Vorstellung, etwas in der Natur wäre. Sie sagen auch, Gott habe alles in Ordnung geschaffen, und auf diese Weise schreiben sie Gott, ohne es zu wissen, sinnliche Vorstellung zu; wenn sie nicht vielleicht meinen, Gott habe, die menschliche Vorstellung vorhersehend, alle Dinge so eingerichtet, wie sie von den Menschen am leichtesten vorgestellt werden können. Wahrscheinlich stoßen sie sich gar nicht daran, dass es auch Unendliches gibt, was unsere Vorstellung weit übersteigt, und sehr vieles, was ihre Vorstellung, wegen deren Schwäche, verwirrt. Doch genug hiervon.
Auch die übrigen Begriffe sind weiter nichts als Vorstellungsarten, durch die die Einbildungskraft auf diese und jene Weise erregt wird, die aber von Unwissenden für die hauptsächlichsten Attribute der Dinge gehalten werden, weil sie, wie wir bereits gesagt, der Meinung sind, alle Dinge wären um ihretwillen gemacht, und sie nennen die Natur eines Dinges gut oder schlecht, gesund oder faul und verdorben, je nachdem, wie sie von demselben erregt werden. Wenn zum Beispiel die Bewegung, die die Nerven von den Gegenständen empfangen, die mit den Augen wahrgenommen werden, dem Wohlbefinden zusagt, so werden die betreffenden Gegenstände schön genannt; die aber, die den entgegengesetzten Eindruck machen, werden hässlich genannt. Was durch die Nase den Sinn erregt, nennt man wohlriechend oder stinkend; was durch die Zunge, süß oder bitter, schmackhaft oder unschmackhaft u.s.w.; was durch Tasten, hart oder weich, rauh oder glatt u.s.w. Von Dingen schließlich, die das Gehör erregen, sagt man, sie seien geräuschvoll oder wohlklingend. Das letztere hat die Menschen so betört, dass sie glaubten, Gott selbst erfreue sich an der Harmonie, und es gibt sogar Philosophen, die überzeugt sind, dass die Bewegungen der Himmelskörper eine Harmonie bilden. Das alles zeigt deutlich, dass jeder nach dem Zustand seines Gehirns über die Dinge geurteilt oder vielmehr die Erregungen seiner Einbildungskraft für die Dinge selbst genommen hat. Es ist daher kein Wunder (um auch das nebenbei anzumerken), dass unter den Menschen so viel Meinungsstreit, wie wir erfahren, entstanden ist und daraus schließlich der Skeptizismus. Denn obwohl die menschlichen Körper in vielem übereinstimmen, so weichen sie doch in sehr vielem voneinander ab. Darum erscheint dem einen oft etwas gut, dem anderen schlecht, diesem geordnet, jenem verworren, dem angenehm, jenem unangenehm, und dasselbe gilt vom Übrigen; doch gehe ich hier darüber hinweg, weil einerseits hier der Ort nicht ist, den Gegenstand eingehend zu behandeln, anderseits jeder darüber Erfahrung genug besitzt. Sind doch in aller Mund die Sprichwörter: »So viele Köpfe, so viele Meinungen«, »Jeder hat genug an seinem eigenen Kopf«, »Die Geschmäcker sind so verschieden wie die Köpfe«. Diese Redensarten zeigen zur Genüge, dass die Menschen je nach dem Zustand ihres Gehirns über die Dinge urteilen und dass sie die Dinge weniger erkennen als sich sinnlich vorstellen. Denn wenn sie die Dinge erkannt hätten, so würden diese, wie die Mathematik beweist, alle, wenn auch nicht anlocken, so doch überzeugen.
Wir sehen also, dass alle Begriffe, mit denen das Volk die Natur zu erklären pflegt, nur verschiedene Vorstellungsarten sind und nicht die Natur der Dinge selbst, sondern nur die Beschaffenheit der Vorstellung anzeigen. Und weil sie Namen haben, die so lauten wie Namen von wirklich vorhandenen, außerhalb der Vorstellung existierenden Wesen, so nenne ich diese Wesen nicht Vernunftwesen, sondern Wesen der Einbildung. Daher können alle Argumente, die gegen mich aus derlei Begriffen geltend gemacht werden, leicht aus dem Felde geschlagen werden. Viele pflegen nämlich folgendermaßen zu argumentieren: Wenn alles aus der Notwendigkeit der vollkommensten Natur Gottes erfolgt ist, woher kommen dann so viele Unvollkommenheiten in der Natur, wie das Faulen der Dinge, sogar bis zum Übelriechen, die ekelerregende Hässlichkeit gewisser Dinge, die Unordnung, das Schlechte, die Verfehlung u.s.w.? Sie sind aber, wie gesagt, leicht zu widerlegen. Denn die Vollkommenheit der Dinge ist nur ihrer Natur und Macht nach zu schätzen, folglich ist ein Ding deshalb nicht mehr und nicht weniger vollkommen, weil es einen der menschlichen Sinne erfreut oder abstößt, nur weil es der menschlichen Natur zusagt oder nicht zusagt. Denen aber, die fragen, warum Gott nicht alle Menschen so geschaffen hat, dass sie sich von der Vernunft allein leiten lassen, antworte ich nur: weil er Stoff hatte, alles zu schaffen, vom höchsten Grad der Vollkommenheit bis zum niedrigsten. Oder um mich eigentlicher auszudrücken: weil die Gesetze seiner Natur so umfangreich gewesen sind, dass sie ausreichten, alles hervorzubringen, was von einem unendlichen Verstand begriffen werden kann; wie ich im Lehrsatz 16 bewiesen.
Das sind die Vorurteile, die ich hier anführen wollte. Wenn noch einige solcher Art übrig sind, werden sie von jedem bei einigem Nachdenken beseitigt werden können.
Ende des ersten Teils
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.