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Mit väterlicher Zärtlichkeit nahm der Herr Doktor das Kind bei der Hand. »Komm, Heidi«, sagte er in freundlichster Weise, »führe mich nun zu deinem Großvater und zeige mir, wo du daheim bist.«
Aber das Heidi blieb noch stehen und schaute verwundert den Berg hinunter.
»Wo sind denn Klara und die Großmama?« fragte es jetzt.
»Ja, nun muss ich dir's sagen, was dir leid tun wird wie mir auch«, erwiderte der Herr Doktor. »Sieh, Heidi, ich komme allein. Klara war recht krank und konnte nicht mehr reisen, und so kam auch die Großmama nicht mit. Aber dann im Frühjahr, wenn die Tage wieder warm und schön lang werden, dann kommen sie ganz sicher.«
Das Heidi stand sehr betroffen da; es konnte gar nicht fassen, dass es nun alles, was es so sicher vor sich gesehen hatte, auf einmal gar nicht mehr sehen sollte. Regungslos stand es eine Weile wie verwirrt von dem Unerwarteten. Schweigend stand der Herr Doktor vor ihm, und ringsum war alles still, nur hoch oben hörte man den Wind durch die Tannen sausen. Da fiel es dem Heidi auf einmal wieder ein, warum es heruntergelaufen sei und dass der Herr Doktor ja gekommen sei. Es schaute zu ihm auf. Da lag etwas so Trauriges in den Augen, die zu ihm niederschauten, wie es noch gar nicht gesehen hatte. So war es nie gewesen, wenn der Herr Doktor in Frankfurt es angeblickt hatte. Das ging dem Heidi zu Herzen; es konnte nicht sehen, dass jemand traurig war, und nun gar der gute Herr Doktor. Gewiss war er so, weil Klara und die Großmama nicht hatten mitkommen können. Es suchte schnell nach einem Trost und fand ihn.
»Oh, es währt gewiss nicht lange, bis es wieder Frühling wird, und dann kommen sie ja bestimmt«, tröstete das Heidi. »Bei uns währt es gar nie lange, und dann können sie ja viel länger dableiben, das will die Klara gewiss noch lieber. Und jetzt wollen wir zum Großvater hinauf.« Hand in Hand mit dem guten Freunde stieg es nun zu der Hütte hinan. Es war dem Heidi so sehr daran gelegen, den Herrn Doktor wieder froh zu machen, dass es ihn noch einmal zu überzeugen anfing, es währe so wenig lange auf der Alm, bis die langen, warmen Sommertage wiederkommen, dass man es kaum merke, und dabei wurde das Heidi selbst so überzeugt von seinem Trost, dass es oben dem Großvater ganz fröhlich entgegenrief:
»Sie sind noch nicht da, aber es währt gar nicht lange, so kommen sie auch.«
Für den Großvater war der Herr Doktor kein Fremder, das Kind hatte ja so viel von ihm gesprochen. Der Alte streckte seinem Gaste die Hand entgegen und hieß willkommnen ihn mit Herzlichkeit. Dann setzten sich die Männer auf die Bank an der Hütte. Auch für das Heidi wurde da noch ein Plätzchen gemacht, und der Herr Doktor winkte ihm freundlich, dass es neben ihm sitzen solle. Nun fing er an zu erzählen, wie Herr Sesemann ihn ermuntert habe, die Reise zu machen, und wie er auch selbst gefunden, es möchte gut für ihn sein, da er sich seit langem nicht mehr recht frisch und rüstig fühle. Dem Heidi sagte er dann ins Ohr, es werde bald noch etwas den Berg heraufkommen, das aus Frankfurt mit hergereist sei und ihm eine viel größere Freude machen werde als der alte Doktor. Das Heidi war sehr gespannt darauf zu erfahren, was das sein könne. Der Großvater ermunterte den Herrn Doktor sehr, die schönen Herbsttage noch auf der Alm zuzubringen oder wenigstens an jedem schönen Tage heraufzukommen, denn hier oben zu bleiben, dazu konnte ihn der Almöhi nicht einladen, da war ja keine Gelegenheit, den Herrn zu logieren. Er riet aber seinem Gaste, nicht bis nach Ragaz zurückzukehren, sondern unten im Dörfli ein Zimmer zu beziehen, das er im dortigen Wirtshaus in einer einfachen, aber ganz ordentlichen Art finden werde. So könnte der Herr Doktor jeden Morgen nach der Alm heraufkommen, was ihm wohltun müsste, meinte der Öhi, auch würde er dann gern den Herrn noch auf allerlei Punkte führen, weiter hinauf in die Berge, wo es ihm gefallen sollte. Diesem gefiel der ganze Vorschlag sehr wohl, und es wurde festgesetzt, dass er ausgeführt werden sollte.
Unterdessen war die Sonne in den Mittag gekommen; der Wind hatte sich schon lange gelegt, und die Tannen waren ganz still geworden. Die Luft war für die Höhe noch mild und lieblich und säuselte erfrischende Kühle um die sonnenbeschienene Bank.
Jetzt stand der Almöhi auf und ging in die Hütte hinein, kam aber gleich wieder und brachte einen Tisch heraus, den er vor die Bank hinstellte.
»So, Heidi, nun hol herbei, was wir zum Essen brauchen«, sagte er. »Der Herr muss nun vorlieb nehmen; ist unsere Küche auch einfach, so ist das Esszimmer doch anständig.«
»Das meine ich auch«, erwiderte der Herr Doktor, indem er auf das sonnenbeleuchtete Tal hinunterschaute, »und die Einladung nehme ich an, hier oben muss es schmecken.«
Das Heidi lief nun hin und her wie ein Wiesel und brachte herbei, was es nur drinnen im Schranke finden konnte, denn dass es den Herrn Doktor bewirten durfte, war ihm eine ungeheure Freude. Der Großvater bereitete unterdessen das Mahl und trat nun heraus mit dem dampfenden Milchkruge und dem goldig glänzenden Käsebraten. Dann schnitt er schöne, durchsichtige Schnitten von dem rosigen Fleisch herunter, das er hier oben an der reinen Luft getrocknet hatte. Dem Herrn Doktor schmeckte sein Mittagsmahl so gut wie das ganze Jahr durch noch kein einziges Mal.
»Ja, ja, hierhin muss unsere Klara kommen«, sagte er jetzt. »Da wird sie zu ganz neuen Kräften gelangen, und wenn sie eine Zeit lang isst wie ich heute, so wird sie rund und fest werden, wie sie in ihrem Leben noch nie war.«
Jetzt kam von unten herauf einer angestiegen, der hatte einen großen Ballen auf dem Rücken. Wie er oben bei der Hütte ankam, warf er seine Last auf den Boden hin und zog ein paar gute Züge von der frischen Almluft ein.

»Ah, da kommt, was mit mir von Frankfurt hergereist ist«, sagte der Herr Doktor aufstehend, und das Heidi mit sich ziehend, trat er an den Ballen hin und fing an, ihn aufzulösen. Als die erste schwere Hülle weg war, sagte er: »So, Kind, nun fahr weiter fort und hol dir deine Schätze selbst heraus.«
Das Heidi tat so, und wie nun alles auseinanderrollte, schaute es mit großen, verwunderten Augen auf die Dinge hin. Erst als der Herr Doktor wieder herzutrat und von der großen Schachtel den Deckel weghob, dem Heidi bedeutend: »Sieh, was die Großmutter zum Kaffee bekommt«, da schrie es auf vor Freuden: »Oh! Oh! Jetzt kann die Großmutter einmal schöne Kuchen essen!« und sprang rings um die Schachtel herum und wollte gleich alles zusammenpacken und zur Großmutter hinuntereilen. Aber der Großvater sagte, gegen Abend wollten sie dann miteinander den Herrn Doktor begleiten und die Sachen mitnehmen. Jetzt fand das Heidi auch das schöne Säckchen Tabak und brachte es schnell dem Großvater herüber. Das gefiel ihm sehr wohl. Er füllte gleich sein Pfeifchen damit, und die beiden Männer sprachen nun, auf der Bank sitzend und große Rauchwolken von sich blasend, über allerhand Dinge, während das Heidi hin und her sprang von einem seiner Schätze zum andern. Auf einmal kam es wieder zu der Bank zurück, stellte sich vor den Gast hin, und sowie die erste Pause im Gespräch entstand, sagte es sehr bestimmt:
»Nein, das andere hat mir nicht mehr Freude gemacht als der alte Herr Doktor.«
Die beiden Männer mussten ein wenig lachen, und der Herr Doktor sagte, das hätte er nicht gedacht.
Als die Sonne halb hinter die Berge hinabsteigen wollte, stand der Gast auf, um seine Rückreise nach dem Dörfli anzutreten und dort Quartier zu nehmen. Der Großvater packte die Kuchenschachtel, die große Wurst und das Tuch unter seinen Arm, der Herr Doktor nahm das Heidi an die Hand, und so wanderten sie den Berg hinunter bis zur Geißenpeter-Hütte. Hier musste das Heidi Abschied nehmen. Es sollte drinnen bei der Großmutter warten, bis es wieder abgeholt würde vom Großvater, welcher seinen Gast nach dem Dörfli hinunter geleiten wollte. Als der Herr Doktor dem Heidi die Hand zum Abschied bot, fragte es: »Wollen Sie etwa gern morgen mit den Geißen auf die Weide hinaufgehen?«, denn das war das Schönste, was es kannte.
»Es bleibt dabei, Heidi«, erwiderte er, »wir gehen zusammen.«
Nun gingen die Männer weiter, und das Heidi trat bei der Großmutter ein. Erst schleppte es mit Anstrengung die Kuchenschachtel mit, dann musste es wieder hinaus, um die Wurst zu holen, denn der Großvater hatte alles vor der Tür niedergelegt. Nachher musste es erst noch einmal hinaus, das große Tuch zu holen. Es brachte alles so nahe an die Großmutter heran als nur möglich, damit sie recht alles berühren könne und wisse, was es sei. Das Tuch legte es ihr auf die Knie.
»Es ist alles aus Frankfurt, von der Klara und der Großmama«, berichtete es der hocherstaunten Großmutter und der verwunderten Brigitte, der die Überraschung so in die Glieder gefahren war, dass sie unbeweglich zugeschaut hatte, wie das Heidi mit der größten Anstrengung die schweren Gegenstände hereingeschleppt und nun alles vor ihren Augen ausgebreitet hatte.
»Aber gelt, Großmutter, die Kuchen freuen dich furchtbar stark? Sieh nur, wie weich sie sind!« rief das Heidi immer wieder, und die Großmutter bestätigte: »Ja, ja, gewiss, Heidi, was sind das auch für gute Leute!« Dann strich sie wieder mit der Hand über das warme, weiche Tuch und sagte: »Aber das ist etwas Herrliches für den kalten Winter! Das ist etwas so Prächtiges, dass ich nie geglaubt hätte, ich könnte in meinem Leben dazu kommen.«
Das Heidi aber musste sich sehr verwundern, dass die Großmutter an dem grauen Tuch noch mehr Freude haben konnte als an den Kuchen. Die Brigitte stand immer noch vor der Wurst, die auf dem Tische lag, und schaute sie fast mit Verehrung an. In ihrem ganzen Leben hatte sie nie eine solche Riesenwurst gesehen, und diese sollte sie nun selbst besitzen und einmal sogar anschneiden; das kam ihr unglaublich vor. Sie schüttelte den Kopf und sagte zaghaft: »Man wird doch noch den Öhi fragen müssen, wie das gemeint sei.«
Aber das Heidi sagte ganz ohne Zweifel:
»Das ist zum Essen gemeint und gar nicht anders.«
Jetzt kam der Peter hereingestolpert: »Der Almöhi kommt hinter mir drein, das Heidi soll...«; er konnte nicht mehr weiter. Seine Blicke waren auf den Tisch gefallen, wo die Wurst lag, und der Anblick hatte ihn so überwältigt, dass er kein Wort mehr fand. Aber das Heidi hatte schon gemerkt, was kommen sollte, und gab schnell der Großmutter die Hand. Der Almöhi ging zwar jetzt nie mehr an der Hütte vorbei, ohne schnell hereinzutreten und die Großmutter zu grüßen, und sie freute sich auch immer, wenn sie seinen Schritt hörte, denn er hatte jedes Mal ein ermunterndes Wort für sie; aber heute war es spät geworden für das Heidi, das alle Morgen mit der Sonne draußen war. Der Großvater aber sagte: »Das Kind muss seinen Schlaf haben«, und dabei blieb er. So rief er durch die offene Tür der Großmutter nur eine gute Nacht zu und nahm das heranspringende Heidi bei der Hand, und unter dem flimmernden Sternenhimmel hin wanderten die beiden ihrer friedlichen Hütte zu.
Eine Vergeltung
Am anderen Morgen in der Frühe stieg der Herr Doktor vom Dörfli den Berg hinan in der Gesellschaft des Peter und seiner Geißen. Der freundliche Herr versuchte ein paarmal mit dem Geißbuben ein Gespräch anzuknüpfen, aber es gelang ihm nicht, kaum dass er als Antwort auf einleitende Fragen unbestimmte, einsilbige Worte zu hören bekam. Der Peter ließ sich nicht so leicht in ein Gespräch ein. So wanderte die ganze schweigende Gesellschaft bis hinauf zur Almhütte, wo schon erwartend das Heidi stand mit seinen beiden Geißen, alle drei munter und fröhlich wie der frühe Sonnenschein auf allen Höhen.
»Kommst mit?« fragte der Peter, denn als Frage oder als Aufforderung sprach er jeden Morgen diesen Gedanken aus.
»Freilich, natürlich, wenn der Herr Doktor mitkommt«, gab das Heidi zurück.
Der Peter sah den Herrn ein wenig von der Seite an.
Jetzt trat der Großvater hinzu, das Mittagsbrotsäckchen in der Hand. Erst grüßte er den Herrn mit aller Ehrerbietung, dann trat er zum Peter hin und hing ihm das Säckchen um.
Es war schwerer als sonst, denn der Öhi hatte ein schönes Stück von dem rötlichen Fleische hineingelegt. Er hatte gedacht, vielleicht gefalle es dem Herrn droben auf der Weide und er nehme dann gern sein Mittagsmahl gleich dort mit den Kindern ein. Der Peter lächelte fast von einem Ohr bis zum andern, denn er ahnte, dass da drinnen etwas Ungewöhnliches versteckt sei.
Nun wurde die Bergfahrt angetreten. Das Heidi wurde ganz von seinen Geißen umringt, jede wollte zunächst bei ihm sein, und eine schob die andere immer ein wenig seitwärts. So wurde es eine Zeit lang mitten in dem Rudel mit fortgeschoben. Aber jetzt stand es still und sagte ermahnend: »Nun müsst ihr artig vorauslaufen, aber dann nicht immer wiederkommen und mich drängen und stoßen. Ich muss jetzt ein wenig mit dem Herrn Doktor gehen.« Dann klopfte es dem Schneehöppli, das sich immer am nächsten zu ihm hielt, zärtlich auf den Rücken und ermahnte es noch besonders, nun recht folgsam zu sein. Dann arbeitete es sich aus dem Rudel heraus und ging nun neben dem Herrn Doktor her, der es gleich bei der Hand fasste und festhielt. Er musste jetzt nicht mit Mühe nach einem Gespräch suchen wie vorher, denn das Heidi fing gleich an und hatte ihm so viel zu erzählen von den Geißen und ihren merkwürdigen Einfällen und von den Blumen oben und den Felsen und Vögeln, dass die Zeit unvermerkt dahinging und sie ganz unerwartet oben auf der Weide anlangten. Der Peter hatte im Hinaufgehen öfters seitwärts auf den Herrn Doktor Blicke geworfen, die diesem einen rechten Schrecken hätten beibringen können; er sah sie aber glücklicherweise nicht.

Oben angelangt, führte das Heidi seinen guten Freund gleich auf die schönste Stelle, wohin es immer ging und sich auf den Boden setzte und umherschaute, denn da gefiel es ihm am besten. Es tat, wie es gewohnt war, und der Herr Doktor ließ sich gleich auch neben Heidi auf den sonnigen Weideboden nieder. Ringsum leuchtete der goldene Herbsttag über die Höhen und das weite grüne Tal. Von den unteren Alpen tönten überall die Herdenglocken herauf, so lieblich und wohltuend, als ob sie weit und breit den Frieden einläuteten. Auf dem großen Schneefelde drüben blitzten funkelnd und flimmernd goldene Sonnenstrahlen hin und her, und der graue Falknis hob seine Felsentürme in alter Majestät hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf. Der Morgenwind wehte leise und wonnig über die Alp und bewegte nur sachte die letzten blauen Glockenblümchen, die noch übrig geblieben waren von der großen Schar des Sommers und nun noch wohlig ihre Köpfchen im warmen Sonnenscheine wiegten. Obenhin flog der große Raubvogel in weiten Bogen umher, aber er krächzte heute nicht. Mit ausgebreiteten Flügeln schwamm er ruhig durch die Bläue und ließ sich's wohl sein. Das Heidi guckte dahin und dorthin. Die lustig nickenden Blumen, der blaue Himmel, der fröhliche Sonnenschein, der vergnügte Vogel in den Lüften, alles war so schön, so schön! Heidis Augen funkelten vor Wonne. Nun schaute es nach seinem Freunde, ob er auch alles recht sehe, was so schön war. Der Herr Doktor hatte bis jetzt still und gedankenvoll um sich geblickt. Wie er nun den freudeglänzenden Augen des Kindes begegnete, sagte er:
»Ja, Heidi, es könnte schön sein hier, aber was meinst du? Wenn einer ein trauriges Herz hierher brächte, wie müßte er es wohl machen, dass er an all dem Schönen sich freuen könnte?«

»Oh, oh!« rief das Heidi ganz fröhlich aus. »Hier hat man gar nie ein trauriges Herz, nur in Frankfurt.«
Der Herr Doktor lächelte ein wenig, aber das ging schnell vorüber. Dann sagte er wieder: »Und wenn einer käme und alles Traurige aus Frankfurt mit hier heraufbrächte, Heidi; weißt du da auch noch etwas, das ihm helfen könnte?«
»Man muss nur alles dem lieben Gott sagen, wenn man gar nicht mehr weiß, was machen«, sagte das Heidi ganz zuversichtlich.
»Ja, das ist schon ein guter Gedanke, Kind«, bemerkte der Herr Doktor. »Wenn es aber von ihm selbst kommt, was so ganz traurig und elend macht, was kann man da dem lieben Gott sagen?«
Das Heidi musste nachdenken, was dann zu machen sei; es war aber ganz zuversichtlich, dass man für alle Traurigkeit eine Hilfe vom lieben Gott erhalten könne. Es suchte seine Antwort in seinen eigenen Erlebnissen.
»Dann muss man warten«, sagte es nach einer Weile mit Sicherheit, »und nur immer denken: jetzt weiß der liebe Gott schon etwas Freudiges, das dann nachher aus dem anderen kommt, man muss nur noch ein wenig still sein und nicht fortlaufen. Dann kommt auf einmal alles so, dass man ganz gut sehen kann, der liebe Gott hatte die ganze Zeit nur etwas Gutes im Sinn gehabt; aber weil man das vorher noch nicht so sehen kann, sondern immer nur das furchtbar Traurige, so denkt man, es bleibe dann immer so.«
»Das ist ein schöner Glaube, den musst du festhalten, Heidi«, sagte der Herr Doktor. Eine Weile schaute er schweigend auf die mächtigen Felsenberge hinüber und in das sonnenleuchtende grüne Tal hinab, dann sagte er wieder:
»Siehst du, Heidi, es könnte einer hier sitzen, der einen großen Schatten auf den Augen hätte, so dass er das Schöne gar nicht aufnehmen könnte, das ihn hier umgibt. Dann möchte doch wohl das Herz traurig werden hier, doppelt traurig, wo es so schön sein könnte. Kannst du das verstehen?«
Jetzt schoß dem Heidi etwas Schmerzliches in sein frohes Herz. Der große Schatten auf den Augen brachte ihm die Großmutter in Erinnerung, die ja nie mehr die helle Sonne und all das Schöne hier oben sehen konnte. Das war ein Leid in Heidis Herzen, das immer neu erwachte, sobald die Sache ihm wieder ins Bewusstsein kam. Es schwieg eine Weile ganz still, denn das Weh hatte es so mitten in die Freude hineingetroffen. Dann sagte es ernsthaft:
»Ja, das kann ich schon verstehen. Aber ich weiß etwas: Dann muss man die Lieder der Großmutter sagen, die machen einem wieder ein wenig helle und manchmal so hell, dass man ganz fröhlich wird. Das hat die Großmutter gesagt.«
»Welche Lieder, Heidi?« fragte der Herr Doktor.
»Ich kann nur das von der Sonne und dem schönen Garten und noch von dem andern langen die Verse, die der Großmutter lieb sind, denn die muss ich immer dreimal lesen«, erwiderte das Heidi.
»So sag mir einmal diese Verse, die möchte ich auch hören«, und der Herr Doktor setzte sich zurecht, um aufmerksam zuzuhören.
Heidi legte seine Hände ineinander und besann sich noch ein Weilchen:
»Soll ich dort anfangen, wo die Großmutter sagt, dass einem wieder eine Zuversicht ins Herz kommt?«
Der Herr Doktor nickte bejahend.
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