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„Im Moment tanzt sie. Die junge Dame in blassgrün, mit den roten Locken und dem elfenbeinfarbenen Spitzenband im Haar. Aber ich glaube, der nächste Tanz ist noch frei. Und sie darf natürlich Walzer tanzen!“
Cecil lächelte höflich und kräuselte spöttisch einen Mundwinkel. „Es wird mir ein Vergnügen sein!“
Der Tanz verklang allmählich und die junge Dame mit den kupferroten Locken wurde an ihren Platz zurückgeleitet. Cecil wurde von Lady Hertwood vorgestellt und bat sogleich um die Tanzkarte, die ihm mit höflichem, aber nicht unbedingt begeistertem Lächeln gereicht wurde. „Dann wähle ich doch gleich den Walzer, Miss Willingham!“
„Gerne, Mylord…“
Sie tanzte gut, stellte er fest, aber das taten die meisten Debütantinnen – und eine Debütantin war sie, nach dem, was Hertwoods Frau (Melinda, oder?) gesagt hatte, ohnehin nicht mehr.
„Wie sind Sie denn mit den Hertwoods verwandt, Miss Willingham?“, erkundigte er sich.
Sie sah fröhlich zu ihm auf. „Meine Zieheltern sind entfernte Onkel und Tante von Sebastian, also Lord Hertwood, und seiner Schwester Cecilia.“
„Ah ja, ich weiß, wen Sie meinen – Cecilia ist die Frau von Ben de Lys, nicht wahr? Ein guter Freund von mir.“
„Da haben Sie wirklich einen guten Freund, Mylord! Die Lynets und die Hertwoods sind einfach reizend. Und die Arnebys, bei denen ich lebe, sind ebenfalls immer so gut zu mir gewesen, als sich mein Vater nach dem Tod meiner Mutter nicht imstande gesehen hatte, für mich zu sorgen.“
„Dann haben sie auch Glück – so gute Freunde!“ Er wirbelte sie herum und sie lachte wieder. „Ich habe Sie während der letzten Saison nie gesehen, glaube ich.“
„Sie meinen, meine finstere Miene hätte sich Ihnen sicherlich eingeprägt?“
„Welche finstere Miene? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen, Mylord.“
„Ich bin selbst erstaunt, dass mir dieser Ball so gut gefällt“, gestand er und lächelte etwas schief. „Die Londoner Gesellschaft geht mir normalerweise eher auf die Nerven, dieses ewige Getuschel und Verbreiten von Gerüchten…“
„Das kann ich gut verstehen – aber was sollten diese Leute wohl sonst tun? Die meisten haben doch keine vernünftige Beschäftigung!“
„Sie lieben Klatsch also nicht?“ Er zog die Brauen hoch und Portia lächelte reuig: „Nun, zuweilen – aber wir halten uns eher über entsetzliche Ballkleider auf. Nichts Rufschädigendes und nichts Arrogantes!“
„Was wäre etwas Arrogantes?“
„Ach, es gibt da einige besonders Vornehme, die sich über Menschen empören müssen, die erst vor drei Generationen geadelt wurden, stellen Sie sich vor, wie entsetzlich! Mit solchem Bürgergewürm muss man im gleichen Ballsaal sitzen! Ich würde manchmal gerne fragen, ob diese Menschen schon einmal etwas Nützliches getan haben – aber dann kann ich wohl jeden Abend zu Hause sitzen. Wenn Sie ebenfalls mit Menschen nichts anfangen können, deren Vorfahren noch nicht von William dem Eroberer geadelt wurden, steht es ihnen natürlich frei, diesen Tanz abzubrechen.“
Jetzt lachte er schallend. Ob sich die Herrschaften am Rande der Tanzfläche über das Vergnügen des Gattinnenmörders wunderten?
„Warum sollte ich denn, wenn ich mich so gut amüsiere? Im Übrigen haben Sie mit ihrer Einschätzung der dämlicheren Teile des ton vollkommen recht. Und ließe ich Sie auf der Tanzfläche stehen, wären wir wohl beide der Skandal des Abends – für Leute, die keine Ahnung von wirklichen Skandalen haben!“
Er wirbelte sie herum.
Sie schnappte nach Luft und legte dann den Kopf schief: „Als da wären?“
„Wollen Sie das wirklich wissen?“ Er sah ungläubig auf sie herab und sie schnaubte wenig ladylike. „Würde ich sonst fragen?“
„Nun gut, aber beklagen Sie sich nicht, wenn ich Sie schockiert habe!“
„Ich bin nicht so leicht zu schockieren. Also?“
„Die Zustände im East End. Wie kleine Kinder in manchen Waisenhäusern traktiert werden. Dass kleine Jungen in die Kamine getrieben werden. Wie die Arbeiter in manchen dieser neuen Fabriken behandelt werden. Wie man in diesem Land mit Menschen umspringt, die nicht der Church of England angehören – genügt das?“
„Fürs erste – ja. Und was tun Sie dagegen?“
„Was tun Sie dagegen?“
„Ich besuche einmal die Woche ein Waisenhaus für kleine Mädchen und bringe den Mädchen lesen und schreiben bei. Nein, keine Sorge“, versicherte sie, als sie die steile Falte zwischen seinen dichten dunklen Brauen sah, „Lady Arneby gibt mir immer einen baumlangen, gefährlich aussehenden Diener in Zivil mit, der währenddessen im Waisenhaus auch kleinere Reparaturen ausführt, und eins ihrer Hausmädchen, das sehr gut im Nähen ist. Während die Kleinen mir zeigen, wie gut sie schon ihren Namen schreiben können, flickt sie ihre Kleider, soweit es nötig ist. Jetzt sind Sie an der Reihe!“
Der Walzer begann nach den letzten jubelnden Höhen auszuklingen und Portia murmelte: „Mist!“
„Ich bitte um Verzeihung?“
Sie lächelte reuig. „Das hat sich nur darauf bezogen, dass ich unbedingt hören wollte, was Sie gegen all das Elend unternehmen. Sie haben doch viel mehr Möglichkeiten als ich!“
„Promenieren wir ein wenig“, schlug er vor. „Ich hatte keinesfalls vor, mich um die Antwort zu drücken.“
„Gut so!“ Zierlich legte sie die Hand auf den Arm, der ihr galant dargeboten wurde, und fühlte merkwürdig interessiert die harten Muskeln unter dem feinen dunklen Tuch.
„Dass ich mehr Möglichkeiten habe als eine junge, unverheiratete Frau, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich bin ein Mann, habe also mehr Rechte, ich habe einen Titel, der mir einen Platz im House of Lords sichert, ich habe Geld genug, um in Verbesserungen zu investieren… Zunächst kümmere ich mich finanziell und auch organisatorisch um eines der Waisenhäuser von Sir Adam Prentice – kennen Sie ihn? – im East End. Er hat mittlerweile vier davon und holt so viele Jungen und Mädchen von der Straße. Aber er kann nicht alle selbst betreuen, er hat noch vieles andere zu tun, auch wenn seine Frau ihn sehr unterstützt. So hat er gute Bekannte und Freunde angeworben und ich darf mit Stolz sagen, dass ich einer von ihnen bin. Viscount Lynet ist einer und Mr. Stafford ebenfalls.“
„Benedict de Lys kenne ich natürlich, von Mr. Stafford habe ich noch nie gehört. Wer ist das?“
„Oh – äh – er leitet einen recht vornehmen Herrenclub.“
„Eine Spielhölle?“, hauchte sie halb entsetzt, halb fasziniert.
„Nein. Nein, nicht so. Sicher kann man dort spielen und trinken und – äh – sich unterhalten, aber das findet durchaus mit Niveau statt. Aber ich wollte nicht über Stafford tratschen. Die Jungen in den Waisenhäusern bekommen eine recht annehmbare Schulbildung, lernen akzentfrei zu sprechen und sich gesittet zu betragen, so dass sie durchaus Lakaien in vornehmen Häusern werden können. Oder Stallburschen, Reitknechte, Gärtnergehilfen.“
Portia nickte billigend. „Und das ist der Anfang eines möglichen Aufstiegs, ich verstehe. Sehr löblich – das trägt Ihnen gewiss viel Ehre ein.“
Er grinste. „Kaum, Miss Willingham. Diejenigen, die davon wissen – und das sind nicht gerade viele – wundern sich eher, wie ich mich mit diesen schmutzigen Kindern abgeben kann.“
„Wo Sie doch Ihre Zeit viel nutzbringender darauf verwenden könnten, mit einem Standesgenossen darauf zu wetten, welche Fliege die Fensterscheibe schneller hinaufkrabbelt“, schlug Portia vor und blickte verschmitzt zu ihm auf.
Wenn er grinste, erhellte sich sein manchmal doch etwas düsterer Blick und er hatte ein Grübchen neben dem rechten Mundwinkel. Eigentlich war er recht sympathisch, fand sie.
„Ganz recht“, bestätigte er dann aber nur. „Wie alt sind denn die Mädchen in Ihrem Waisenhaus?“
„Oh, zwischen vier und dreizehn. Danach können sie nicht mehr länger bleiben. Ich finde das zu früh, um in die Welt hinausgeschickt zu werden, aber es gibt so viele elternlose kleine Mädchen und das Heim ist nicht groß genug, um alle aufzunehmen, ohne die Ältesten zu entlassen. Jüngere als vier Jahre gibt es natürlich auch, aber die sehe ich seltener, weil sie für Unterricht noch etwas zu jung sind.“
Cecil nickte wieder. „Wir bräuchten eben mehr solcher Heime. Gut geführte, natürlich.“
„Oder für die Mütter die Möglichkeit, ihre Kinder bei sich zu behalten und zugleich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“, schlug Portia vor.
„Ein interessanter Gedanke“, lobte er. „Ich werde mich auf jeden Fall damit auseinandersetzen. Wir werden uns auf dem nächsten Ball bestimmt sehen und das Gespräch fortsetzen können.“
„Das sollte mich freuen, Mylord.“
Sie ließ sich zu Lady Hertwood zurückgeleiten und knickste dort höflich vor ihm.
„Das war aber ein langer Tanz“, murmelte Melinda.
„Oh – meinst du, zu lange? Wir haben uns noch unterhalten und sind dabei durch den Ballsaal promeniert, für alle Welt sichtbar. War das unangemessen?“
Melinda lächelte. „Nicht doch, ich dachte nur – recht vielversprechend?“
„Er ist sehr nett und vor allem auch klug, scheint mir. Vielleicht treffe ich ihn auf anderen Bällen wieder!“
„ich würde es dir wünschen, Portia. Ach herrje…“
Portia sah auf; Viscount Kelling. Nun, so furchtbar fand sie ihn nun auch wieder nicht, aber in der Konversation arg öde und im Ton eher unfreundlich.
Sie folgte ihm auf die Tanzfläche, lächelte freundlich, knickste graziös und ließ sich von ihm durch die Figuren führen. Gelegentlich tauschte sie mit ihrer Nachbarin den Platz, wenn der Schritte es erforderten, aber ansonsten sprach der Viscount. Zunächst über das Wetter (immer noch unangenehm kühl, nicht wahr?), über den Ball (überfüllt, aber so etwas zeigte ja den Erfolg einer Veranstaltung, nicht wahr?) und über die Vorzüge Londons (so ein reiches Angebot an Unterhaltungen, nicht wahr?).
Nicht wahr? war dabei eine reine Floskel, er wartete nie ab, ob Portia etwas dazu anzumerken wünschte, sondern sprach sofort weiter.
Nachdem die Standardthemen abgehandelt waren, kam er zur Sache: „Sie haben vorhin mit Walsey getanzt?“
„Gewiss.“ Hoffentlich vertrieben ihn einsilbige Antworten – aber sie hatte da wenig Hoffnung.
„Er wird Sie nicht heiraten, wissen Sie.“
„Ach?“ Welch unverschämte Bemerkung! Sie verwarf die Strategie der Einsilbigkeit, dafür war sie zu ärgerlich.
„Sie glauben, ich wolle jeden Mann heiraten, der mich zum Tanz auffordert? Ist Ihnen nicht klar, dass wir praktisch keine Aufforderung ablehnen dürfen? Sollte ich sagen Nein, ich tanze nicht mit Ihnen, Sie wollen mich bestimmt nicht heiraten? Das gäbe einen netten Skandal!“
„Wie meinen Sie das, Miss Willingham?“
„Genauso wie ich es gesagt habe.“
Zurück zur Einsilbigkeit!
Diese Kombination wirkte bestimmt dämpfend, lobte sie sich selbst.
„Aber alle jungen Damen wollen doch heiraten?“
„Und die Männer nicht, außer wenn die junge Dame die lästige Beigabe zu einem hübschen Packen Staatspapiere ist. Das ist mir auch klar. Deshalb höre ich doch nicht bei jedem Gentleman, der sich vor mir verbeugt, sofort Hochzeitglocken läuten!“
„Bei Walsey jedenfalls nicht. Ist wohl auch besser so.“
„Ach.“
Das fand Kelling wohl nicht neugierig genug, jedenfalls zog er ein arrogantes Gesicht und sprach nicht mehr weiter. Ein Steingesicht ziehen konnte Portia auch; sie beschränkte sich darauf, die zweite Dame im Carré freundlich anzulächeln, eine schüchterne Debütantin, die dafür recht dankbar zu sein schien.
In verkniffenem Schweigen endete der Tanz und der Viscount brachte Portia zurück, gönnte ihr kürzest mögliche Verbeugung und entfernte sich.
„Da ist aber jemand beleidigt“, stellte Lady Tenfield fest, die hinter Melinda saß und leise vor sich hin kicherte.
„Oh, Mylady!” Portia erhob sich hastig wieder und knickste ehrerbietig. „Ja, ich glaube, er ist – nun, zumindest enttäuscht. Er wollte mir Klatsch über Lord Walsey erzählen und ich habe deutliches Desinteresse gezeigt. Lord Walsey kam mir recht vernünftig vor und Lord Kelling: nun ja.“
„Alberner Langweiler. Walsey ist vernünftig, er kennt auch meinen Neffen und einige andere kluge Männer, die sich für den ton nicht interessieren. Ich frage mich nur, warum er jetzt wieder in der Gesellschaft auftaucht…“
„Wie die meisten Menschen, die nicht ganz freiwillig auf solchen Festivitäten erscheinen, sucht er wohl nach einer Ehefrau. Wäre ich denn hier, wenn ich nicht heiraten wollte?“
„Gut gesprochen, Kindchen! Wenn man diese Suche aber hinter sich hat, ist es recht nett, sich das Treiben anzuschauen und ein bisschen mitzuklatschen. Nicht wahr, Lady Hertwood – Lady Lynet?“
Cecilia, die sich gerade neben Melinda niederließ, grinste spöttisch. „Wobei das Wissen, selbst nicht mehr Spekulationsobjekt zu sein, fast der reizvollste Aspekt sein dürfte.“
Portia lachte. „Auf diesen Tag freue ich mich schon – denn ganz ehrlich müsste ich diesen Heiratszirkus nicht ununterbrochen haben.“
„Das müsste wohl niemand“, antwortete Cecilia fächelnd. „Heiß hier… Nicht umsonst endet die Saison ja genau dann, wenn sie den Menschen zum Halse heraushängt.“
„Na, nicht deshalb, Kindchen! Das liegt wohl eher an der Parlamentspause.“
„Die haben wohl auch keine Lust mehr“, entgegnete die unbezähmbare Cecilia.
„Aber ich überlege noch, was Kelling gemeint haben könnte…“
„Was hat er denn genau gesagt?“ Melinda wollte ihr ja gerne Aufschluss geben – sofern sie konnte.
„Erst hat er festgestellt, ich hätte mit Walsey getanzt. Das habe ich nicht bestritten, wozu auch? Daraufhin meinte er, Walsey werde mich nicht heiraten.“
„Was für ein Idiot!“, kommentierte Lady Tenfield nicht gerade leise.
Portia lächelte ihr zustimmend zu. „Ich wurde natürlich wütend – soll ich bei jedem Mann, der mit mir tanzt, Heiratswünsche entwickeln? Wenn ich sogar mit einem Unsympathen wie Kelling tanzen muss? Oh, wie schade! Dass hätte ich als Argument anführen sollen, dann hätte er mich auf der Tanzfläche stehen gelassen.“
„Der Höhepunkt des Abends“, kommentierte Cecilia.
„Und ein Skandal!“, merkte Melinda sanft an. „Das war alles?“
„Nein. Er sagte noch Das ist auch besser so. Meint er, es ist besser, wenn mich niemand heiratet? Wenn ich mir keine zu großen Hoffnungen mache? Oder wenn Walsey nicht heiratet?“
„Was hast du denn geantwortet?“
„Nur noch ein betont gleichgültiges Ach? Daraufhin hat er gar nichts mehr gesagt.“ Portia zuckte die Achseln. „Verstanden habe ich das alles nicht, aber dummerweise würde es mich jetzt doch interessieren, auch wenn es, weil es von Kelling kommt, gewiss doch nur lauter Unsinn ist.“
„Vermutlich“, sinnierte Melinda und drehte sich zu Lady Tenfield. „Mylady, Sie wissen doch alles! Was könnte die Giftkröte Kelling denn gemeint haben?“
Die Angesprochene seufzte. „Das hieße, über die Angelegenheiten eines Mannes zu klatschen, der mir nie etwas getan hat. Bei Kelling selbst oder Gestalten wie Carew hätte ich da deutlich weniger Skrupel.“
„Nur das Nötigste, bitte, Mylady!“, flehte Portia.
„Es wäre mir lieber, sie fragten Hertwood oder Lynet, die doch mit ihm einigermaßen gut bekannt sind – aber nun ja. Es gab da Gerüchte über den Tod seiner Frau, vor einigen Jahren.“
„Ach, der Arme… das ist bitter. Hat er Kinder?“
„Eine kleine Tochter, soweit ich weiß.“
„Ohne Mutter… das kenne ich aus eigener Erfahrung“, sinnierte Portia.
„Es heißt, er kümmere sich sehr liebevoll um sie.“
Portia nickte gedankenverloren. „Wir haben über Waisenhäuser gesprochen…“
Die Musik setzte wieder ein und ihr Herz sank, denn es kam ein junger Mann auf sie zu, der trotz seiner noch jungen Jahre schon recht wohlbeleibt war und mit seinen leicht vorquellenden, leer dreinblickenden blassblauen Augen einen wenig intelligenten Eindruck vermittelte – einen Eindruck, der sich schon bei Tänzen in der letzten Saison auch bestätigt hatte.
„Bezaubernde Miss Willingham!“
„Wie bitte, Sir Alexander?“
„Was meinen Sie?“ Jetzt staunte er auch noch mit offenem Mund!
„Das tut wohl nichts zu Sache, Sir Alexander.“ Sie bemühte sich streng dreinzusehen, vielleicht erinnerte ihn das an seine Nanny (derer er immer noch zu bedürfen schien) und er benahm sich geringfügig besser?
Nein, er griff nach ihrer Hand und zog sie hoch. „Kommen Sie tanzen!“
Sie konnte sich nicht wehren, ohne Aufsehen zu erregen, aber sie zischte ihm auf dem Weg zur Tanzfläche doch zu: „Könnten Sie das vielleicht etwas gesitteter gestalten, anstatt mich durch die Gegend zu zerren?“
„Was haben Sie denn plötzlich?“
Ihr Glück, dass es kein Walzer war! Bei einer Allemande konnte er sich wenigstens nicht so dicht an sie pressen…
„Was heißt hier plötzlich? Ich wüsste nicht, dass ich schon einmal Gefallen in schlechtem Betragen gefunden hätte!“
„Ich kann mich gar nicht schlecht benehmen, immerhin bin ich ein Baronet!“
Was für ein dümmliches Argument: Sogar der Prince of Wales konnte sich schlecht benehmen - und das nicht zu knapp!
Aber das sagte sie jetzt besser nicht, am besten schwieg sie überhaupt und zog eine belästigte Miene!
„Wenn Sie so hochnäsig dreinschauen, sehen Sie besonders reizend aus.“
Verflixt! Und das hätte sie jetzt beinahe auch noch laut gesagt…
„Ach.“
Die Allemande schien ihr ewig zu dauern, aber immerhin machte Sir Alexander keine Andeutungen über Walsey. Das konnte natürlich auch daran liegen, dass er den Klatsch der Leute nicht mitbekam, schließlich sah er nicht nur recht töricht drein, er war auch nicht gerade das, was man geistvoll oder auch nur einigermaßen klug nannte.
Er verneigte sich, als die Musik verklang und ließ sie alleine zu ihren Bekannten zurückfinden. Nicht, dass sie das nicht auch selbst fertigbrachte – aber seine Manieren waren wirklich unter aller Kritik!
„Diesem Lümmel sollte jemand mal angemessenes Benehmen einprügeln“, fand Lady Tenfield.
Portia lächelte. „Aber Mylady, Sie verstehen nicht – er ist ein Baronet und hat von daher doch automatisch eine perfekte Aufführung, oder etwa nicht?“
Die alte Dame kicherte beglückt. „Das würde ich ja zu gerne ein wenig unter die Leute bringen.“
„Aber von Herzen gerne!“ Portia setzte sich, zupfte ihr Kleid zurecht und seufzte. Sie würde wirklich gerne heiraten – einen vernünftigen, klugen und netten Mann! – und bestimmt zwei, drei Jahre lang keinen Ballsaal mehr von innen sehen…
Nach einigen Minuten stand sie wieder auf und schlenderte einmal durch den Ballsaal, unterhielt sich mit einigen Mädchen, mit denen sie sich angefreundet hatte, trank mit Cecilia de Lys ein Glas Champagner, spottete mit ihr über ein grauenvolles Ballkleid in schreiendem Purpur, abgesetzt mit jadegrünem Samt, passend zum Turban in Grün mit einer purpurn gefärbten Feder. Leider wussten sie beide nicht, wer die fragliche Dame war. Cecilia tanzte danach mit ihrem Gemahl und Portia kehrte zu Melinda zurück, die etwas müde wirkte und sehr gerne bereit war, nach Hause zu fahren und Portia unterwegs in der South Audley Street abzuliefern.
Im Wagen atmete Portia tief auf.
„So schrecklich?“, fragte Melinda mitfühlend.
„Nun ja… ich bin dir und Cecilia so dankbar, dass ihr mich chaperoniert, wenn Tante Margaret dazu nicht in der Lage ist, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mir heute erst gedacht, sobald ich einen annehmbaren Mann gefunden habe, möchte ich einige Jahre lang keinen Ballsaal mehr sehen. Vor allem Kelling und Sir Alexander Jessen waren wirklich unangenehm.“
„Ich habe mich schon gefragt, warum diese beiden plötzlich an dir so interessiert sind“, sinnierte Melinda.
„Also, so ein Schreckmittel bin ich doch auch nicht!“, empörte sich Portia nur halb im Scherz.
„Natürlich nicht, aber ich frage mich… ausgerechnet diese beiden – mit Verlaub – Trottel? Was haben sie außer schlechten Manieren noch gemein? Ich muss Sebastian fragen, er weiß es bestimmt.“
„Und dann diese seltsame Art, Walsey bei mir anzuschwärzen, nur weil ich einmal mit ihm getanzt habe…“
„Du hast dich auch recht lange mit ihm unterhalten. War es ein gutes Gespräch?“
„Oh, das finde ich schon. Was man für Waisenkinder tun müsste, ist doch wohl interessanter als das Wetter, der überfüllte Ballsaal oder die Frage, ob der Pavillon des Regenten in Brighton grauenvoll oder wunderschön ist. Dass er nicht an Reformen interessiert zu sein scheint, finde ich deutlich wichtiger – und ärgerlicher.“
„Aber die meisten Gentlemen finden, über so etwas sollte sich eine Lady nicht ihr hübsches Köpfchen zerbrechen.“
„Natürlich! Wer nicht mitdenkt oder nicht mitdenken darf, ist doch viel leichter zu beherrschen!“
„Sehr guter Gedanke, Portia! Und gut, dass uns hier niemand hören kann, sonst schrumpfte die Auswahl an netten Männern wohl beträchtlich…“
Portia schnaubte. „Einen, der mir das Denken verbietet, will ich gar nicht! Dann lieber gar keinen.“
„Aber wovon willst du dann leben?“
„Habt ihr nicht ein leeres kleines Cottage auf Herrion?“
Melinda riss die Augen auf und Portia lachte. „Das war nur ein Witz! Ich würde euch nicht auf der Tasche liegen wollen, ihr tut schon genug für mich! Ich bin euch ja so dankbar…“
Melinda drückte ihr die Hand. „Es ist uns ein Vergnügen! Und du wirst in dieser Saison bestimmt einen Mann ganz nach deinem Geschmack finden. Die Ballsäle sind voller Trottel, da stimme ich dir zu, aber es gibt auch andere! Und hier sind wir schon bei den Arnebys…“
Kapitel 4
Im Hyde Park herrschte der übliche Trubel, denn um diese Zeit war es nun einmal modische Pflicht, sich hier im Wagen, zu Pferd oder auch zu Fuß zu zeigen und seine Bekannten zu grüßen.
Portia saß mit Cecilia und Benedict Lynet in einem sehr schicken Landauer und lächelte in alle Richtungen. Nur als sie Kelling und Jessen sah, setzte sie eine halb hochmütige, halb mürrische Miene auf – wenigstens hoffte sie, so einigermaßen abschreckend zu wirken.
„Warum schaust du so böse, Portia?“, fragte Cecilia.
„Ach, da sind diese beiden Trottel wieder“, murrte sie. Benedict sah sich um. „Kelling? Jessen? Du lieber Himmel, nichts wie weg hier! Die beiden sind dumm wie die Nacht finster und außerdem vollkommen abgebrannt.“
„Warum gehen sie dann mir auf die Nerven?“, fragte Portia. „Man könnte ja meinen, ich sei eine Erbin oder hätte wenigstens eine Mitgift. Welch idiotischer Plan…“
„Ich sage ja, außerordentlich dumm.“ Benedict gönnte den beiden Herren am Wegesrand ein äußerst knappes Nicken, ohne das geringste Lächeln und schon waren sie an den beiden vorbei, die zu Fuß unterwegs waren.
Cecilia unterhielt sich mit einigen Freundinnen, bis die jeweiligen Kutscher darauf hingewiesen wurden, die Pferde nicht zu lange stehen zu lassen.
„Oh!“, tuschelte da Lady Poulmere und schlug die Hand theatralisch vor ihren Mund. „Da ist ja – das ist doch – ist das nicht – Walsey?“
Portia versuchte, gleichmütig zu wirken, ließ aber so unauffällig wie möglich ihren Blick schweifen. Da, dort hinten ritt er auf einem prachtvollen Braunen gesittet dahin!
„Ist das so ungewöhnlich?“, erkundigte sie sich dann mit leicht gelangweilter Stimme. „Kommen nicht alle besseren Herren zur einen oder anderen Saison?“
„Aber doch nicht Walsey!“, stöhnte Lady Poulmere in ihre exquisit behandschuhte Hand.
„Ach?“
„Louisa, lass das“, mahnte ihre Freundin.