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Aber es waren nicht nur Stätten aus historischen Zeiten, denen die Besuche der Burgess’ galten und die dann die besondere Aufmerksamkeit des merkwürdigen Hundes erregten. Er gab gleiche Zeichen seiner würdevollen Anteilnahme, als sie bei anderen Reisen auf prähistorische Grabstätten des Neolithikums und der Bronzezeit stießen und sogenannte Burial Mounds, Barrows, oder Hügelgräber, lateinisch Tumuli, besichtigten, wie sie nicht nur in England, sondern in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern für Edelleute ihrer Zeit errichtet wurden.
Wohlgemerkt, Blackie reagierte in der ihm eigenen Weise nicht nur bei größeren Begräbnisplätzen wie Friedhöfen oder Massengräbern, sondern auch bei einzelnen Grabstätten, Mausoleen und half sogar dabei, einige unbekannte Begräbnisstätten zu finden.
So entdeckte er bei einem Besuch auf der Farm eines alten Freundes von Oberst Burgess, einem pensionierten Obersten der Coldstream Guards, in der Nähe von Colchester in Essex, das bis dahin unbekannte Grab von römischen Soldaten. Als man bei einem Rundgang einem Weg an einer alten Steinmauer folgte, blieb Blackie an ein paar Steintrümmern mit allen inzwischen bekannten Anzeichen, dass er etwas ihn Interessierendes entdeckt habe, stehen und gab schließlich Laut. Es entspann sich ein längeres Gespräch, in dem Oberst Burgess seinem Freund auseinandersetzte, dass dieses Verhalten des Hundes auf eine Grabstätte hinweise, was der Freund zunächst belächelte, dann aber doch aufnahm. Er veranlasste jedenfalls an einem der Folgetage, dass Leute die Trümmer untersuchten und tatsächlich in ihnen Reste eines Denkmals fanden, das über einem Grab stand, in dem nach den Funden sechsundzwanzig römische Legionäre einschließlich eines höheren Offiziers begraben waren. Sorgfältige Analysen ergaben, dass es sich um Legionäre der IX. Legion handelte, die damals, im Jahr 60 A. D., gegen den Aufstand von Boadicea, der Führerin der Inceni und Trinovantes gegen die Römer, gekämpft hatten und hier offenbar einem Überfall durch die Inceni erlegen waren. Rang und Namen des Offiziers konnten nicht ermittelt werden.
* * *
Wird Ihnen die Aufzählung dieser verschiedenen Ereignisse mit ihren historischen Bezügen, die sich über die Jahre ereigneten, nicht langsam langweilig, mein Herr? Nein? Ich könnte noch ziemlich lange damit fortfahren. Insbesondere gibt es zwei Geschichten, in denen sich Blackie bei der Auffindung von Leichen und der Aufklärung von Verbrechen bewährte. Außerdem mehr als eine, in denen er sich als Beschützer von Amy und ihrem Vater verdient machte. Alle Leute bestätigten, dass sich der sonst so ruhige und zurückhaltende Hund in ein Untier verwandeln konnte, wenn irgendjemand Amy zu nahe trat. Er hat allerdings niemals einen Menschen verletzt oder gar getötet. Er machte sie mit seiner Wut und seiner Kraft nur bewegungsunfähig und, vor allem, wie soll ich sagen, schreckensstarr.
Aber, ich sehe ein, das würde alles nur zu weit führen, und die Zeit ist fortgeschritten. Und manches wiederholte sich ja auch bei diesen Geschichten im Allgemeinen, obgleich die Details sehr unterschiedlich sein konnten. Wenn Sie mir ein bisschen mehr Zeit gönnen, dann will ich noch zu zwei weiteren Begebenheiten kommen, die mir jedenfalls immer besonders bemerkenswert erschienen. Also zur ersten:
* * *
Als Oberst Burgess und seine Tochter in einem Sommer eine kurze Ferienreise an die Ostküste von Kent machten, um einen anderen alten Freund des Obersten, Mr Thornton White, einen Verleger und Zeitungsbesitzer, zu besuchen, kamen sie in die Gegend von Ramsgate. Der Freund zeigte ihnen die Umgebung und führte sie unter anderem zu den Ruinen eines Klosters, das seine Ursprünge auf den heiligen Augustin zurückführte, der hier schon in frühchristlichen Zeiten missioniert hatte. Das Kloster sei, wie er sagte, sehr reich gewesen, später von den Wikingern mehrmals überfallen und ausgeraubt, zunächst aufgebaut worden, bis beim dritten Mal die Mönche alle umgekommen seien und sich für lange Jahrhunderte niemand mehr um die Reste der Priorei gekümmert habe. Die sei verfallen und erst Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt und zu einem historischen Denkmal erklärt worden. In Begleitung des Aufsehers über das historische Denkmal, eines Kurator Blanes, gingen die Besucher erst durch ein kleines Museum und besichtigten dann die Ruinen der einstmals riesigen Anlage. Sie hatten sich in dem, was von der ehemaligen Klosterkirche übrig war, umgesehen und einige der Grabplatten mit den kaum noch lesbaren Inschriften besichtigt und gingen danach durch das Gemäuer der alten Abtei, als Blackie, der bis dahin Amy ruhig gefolgt war, einmal mit seiner tiefen Stimme bellte. Amy blieb stehen und beobachtete den Hund, der in einer Weise, die sie von anderen Fällen kannte, anzeigte, dass er etwas Wichtiges gefunden habe. Er stand über einer großen Steinplatte, die in der Ecke eines nur noch von Grundmauern gekennzeichneten Raumes eingelassen war, den man ›The Abbots Room‹ markiert hatte, also eines Raumes, der das Zentrum der ursprünglichen Priorei war.
Auf Amys Zuruf blieben die drei Herren stehen und sahen dem Hund zu, der aufgeregt mit den Pfoten auf die Steinplatte tappte. Amy erklärte, dass ihr Hund diese Zeichen nur gebe, wenn er an einem Ort etwas Wichtiges gefunden habe. Der Kurator schien diesen Hinweis zunächst nicht ernst zu nehmen. Auf die Bemerkung von Oberst Burgess, dass er gelernt habe, dem Hund außergewöhnliche Fähigkeiten im Auffinden von Begräbnisstätten, vergessenen oder verlorenen Dingen und sogar Altertümern zuzutrauen, wurde er jedoch aufmerksam.
»Merkwürdig, dass Sie das so betonen, Mr Burgess. Mir kommt dadurch eine alte Mär in Erinnerung, die wissen will, dass die Mönche der Abtei verstanden hätten, einiges von ihrem Reichtum vor den marodierenden Wikingern in Sicherheit zu bringen. Aber sie starben beim letzten Überfall ja alle und konnten nicht mehr reden. Eine Menge Leute sollen in den vielen Hundert Jahren nach einem solchen Schatz, von dem die Mär wissen wollte, gesucht haben. Nie wurde bekannt, dass tatsächlich etwas gefunden wurde.« Er schmunzelte. »Wenn es Sie tröstet: Ich werde morgen einmal mit Professor Elgan von Cambridge reden, der uns in wissenschaftlichen Fragen, die diese historische Stätte betreffen, berät. Vielleicht sieht der einen Sinn darin, der Aufforderung Ihres Wunderhundes zu folgen. Wir können heute, wie Sie wohl einsehen werden, kaum etwas unternehmen.«
Nun musste auch Oberst Burgess lachen. Und die Gesellschaft wanderte weiter. Amy rief Blackie, der auf der Steinplatte sitzen geblieben war, ab, und der Hund folgte ihr, allerdings, wie es ihr schien, mit einigem Zögern.
Drei Wochen waren vergangen, als sich Kurator Blanes telefonisch bei Oberst Burgess meldete und mitteilte, dass man die von seinem Hund gewiesene Spur auf Wunsch des wissenschaftlichen Beirats verfolgt habe und völlig unerwartet und in überreichem Maß fündig geworden sei. Unter der Grabplatte der angelsächsischen Adelsfamilie habe man Geröll gefunden, aber darunter den Zugang zu einer unterirdischen Krypta. Und in der habe man nicht nur Gräber früherer Äbte gefunden, die aus den Annalen des Klosters bekannt seien, sondern auch die sterblichen Überreste einer Reihe von Mönchen, die sich hier offenbar vor den marodierenden Wikingern versteckt hatten. Dazu habe unter anderem der letzte Abt Gero gehört, dessen Überreste man an seinen Insignien identifiziert habe. Im Übrigen sei dort unten der Schatz gefunden worden, von dem die Mär wusste und über den er bei dem Besuch der Burgess’ berichtet habe. Es handele sich dabei um silbernes kirchliches Gerät, einige beeindruckende Reliquien einschließlich eines kleinen Knochens von der linken Hand des heiligen Augustinus, der der ursprüngliche Stifter des Klosters war. Den Reliquiaren komme große Bedeutung zu. Ihr Wert sei schon wegen der Goldschmiedearbeit und der Juwelen unschätzbar. Darüber hinaus sei eine kleine Kiste mit goldenen und silbernen Münzen gefunden worden. Tatsächlich ein Schatz. Es sei eine Sensation. Ob der Oberst mit seiner Tochter und natürlich mit ihrem eindrucksvollen Hund Blackie nicht in vier Wochen zu einer Veranstaltung kommen wolle, in der diese neuen Funde der Öffentlichkeit vorgestellt werden würden. Selbstredend würde die Rolle, die ihr kürzlicher Besuch bei diesem großartigen Fund gespielt habe, nicht unerwähnt bleiben. Amy und ihr Vater entschlossen sich nach längerer Beratung, der Einladung nicht zu folgen. Aber sie nahmen mit großem Interesse zur Kenntnis, was in den nächsten Wochen über diese sensationelle Entdeckung in der Presse zu lesen war, und über die Rolle, die ihr außergewöhnlicher Hund beim Auffinden des Schatzes von St. Augustin bei Ramsgate gespielt habe.
* * *
»Eine ganz abenteuerliche Geschichte, liebe Frau Conston«, sagte ich, »und so großartig von Ihnen erzählt. Aber Sie müssen inzwischen ja heiser und Ihr Mund ausgetrocknet sein. Ich habe Ihre Großzügigkeit gegenüber meiner Neugier wirklich missbraucht. Es wird inzwischen dunkel und wir sollten hier nicht mehr viel länger sitzen bleiben. Erlauben Sie mir bitte, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich würde zu gerne Weiteres hören, denn man ahnt ja geradezu, dass mit dem letzten von Ihnen erzählten Ereignis die Geschichte um Amy und Blackie nicht zu Ende ist, dass noch irgendetwas Spektakuläres kommen mag. Und das möchte ich nur zu gerne hören. Kann ich Sie nicht überreden, mit mir im ›The Lions Heart‹, wo ich logiere, das Abendessen einzunehmen? Man bekommt da einfache und gute englische Küche.«
»Ich weiß, mein Herr. Ihre Einladung ist sehr freundlich ...«, sie zögerte, »... und etwas ungewöhnlich. Ich bin dort tatsächlich noch nie mit einem Gentleman zu einem Dinner gewesen. Andererseits: Es besteht ja wohl kein Verdacht, der meiner Reputation schaden könnte. Gut, erwarten Sie mich gegen halb acht. Nein, Ihre Hilfe brauche ich nicht. Die Entfernung kann man durchaus zu Fuß bewältigen.«
Kurz nach der vereinbarten Zeit saß ich mit Jennifer Conston an einem kleinen Tisch im Lokal und bestellte das beste Gericht des Hauses, ›Veal Kidney Pot Pie‹, für 3.00 Pfund pro Person, das uns ausgezeichnet schmeckte. Sie trank dazu sogar wie ich einen leichten Bordeaux und nahm auf meine Anregung hinterher noch einen Nachtisch: einen dieser etwas übersüßen Trifles. Und Kaffee. Gesättigt lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und lächelte mich an. »Und nun muss ich liefern, nicht wahr?«
Sie zögerte nicht und begann: »Die wichtigste und letzte Geschichte um Amy und ihren Hund Blackie war, wie soll ich sagen, ziemlich rätselhaft und unerklärlich. Es ging damit los, dass der alte Oberst Burgess, angeregt durch Erzählungen von Offizierskameraden aus früheren Zeiten, eines Tages seiner Tochter offenbarte, er möchte gerne gemeinsam mit ihr Ägypten besuchen, wo er für fünf Jahre seiner Dienstzeit stationiert gewesen und sie selbst ja auf die Welt gekommen sei.«
* * *
»Glaubst du denn wirklich, Papa, dass du die Reise schaffst? Immerhin bist du mit deinen 78 Jahren nicht mehr der Jüngste. Und hast du mir nicht oft genug erzählt, wie anstrengend die Zeit in Ägypten mit der Hitze und bei den sanitären Bedingungen oft war? Auch Mama hat sich oft genug beklagt und ablehnend reagiert, dass niemand sie je wieder in das Land der Fellachen, wie sie es nannte, zurückbringen könne.«
Der alte Herr schmunzelte und nahm einen kleinen Schluck von seinem abendlichen Whiskey Soda. Vater und Tochter saßen vor dem Dinner regelmäßig für eine Stunde vor dem großen Kamin beieinander und redeten über die Angelegenheiten des Tages.
»Danke für deine Besorgnis, mein Kind. Du redest wie deine Mutter. Du solltest mich nicht so negativ an mein Alter erinnern, sondern mich lieber loben, wie erstaunlich rüstig ich für mein Alter bin, fast wie ein Mittsechziger, oder wenn du willst, wie Blackie, der zwischenzeitlich ebenfalls in die Jahre gekommen ist. Nach der üblichen Rechnung, die das Lebensjahr eines Menschen mit sieben des Lebens eines Hundes vergleicht, ist er rechnerisch somit über neunzig. Und er ist bis heute kregel und wohlauf. Im Übrigen: Wir haben so viele Reisen gemeinsam gemacht, und alle sind mir gut bekommen.«
»Und was hast du im Einzelnen vor?«
»Ich möchte gerne nach Kairo, wo wir eine ganze Zeit lebten und wo es viel zu sehen gibt, vor allem für dich, dann mit einem der besseren Hotelschiffe auf dem Nil, zunächst nach Luxor in Oberägypten, wo das Regiment für zwei Jahre stationiert war und nach Assuan, wo sie inzwischen den großen Staudamm gebaut haben. Dort, am Oberlauf, haben wir einmal bei Einfällen aus dem Sudan schlichten müssen. Eigentlich würde ich genauso gerne Khartum im Sudan wiedersehen wollen, wo das Regiment länger stationiert war. Aber ich muss zugeben, dass ich den Wunsch wegen der Unruhe, die da zurzeit herrscht, begraben habe.«
»Na, da bin ich jedenfalls beruhigt. Wie sollen wir eine solche Reise denn organisieren, Papa? Soll ich das vorbereiten?«
»Natürlich nicht, mein Kind. Dafür ist ein alter Offizier, der lange genug Dienst als ›Intelligence Officer‹ getan hat, noch durchaus in der Lage. Im Übrigen braucht man ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr selbst viel dafür zu tun. Es gibt schließlich Leute, die das alles für einen erledigen, wenn man nur weiß, wohin man will und man das Geld dafür hat. Thomas Cook wird das alles für uns richten.«
»Und Blackie?«
»Ich denke, den gibst du in einen Zwinger, zu McBridle zum Beispiel, den kennt er ja.«
»Papa, du weißt, dass ich mich von dem Hund nicht trennen mag – abgesehen davon, dass er meines Erachtens leiden und einen Zwinger kaum mehr ertragen würde. Können wir nicht einen Weg finden, den Hund mitzunehmen?«
Oberst Burgess fühlte sich unbehaglich. Eine Reise per Luft und Schiff mit einem so großen Hund würde alles sehr komplizieren, und er versuchte deshalb, die Bitte abzuwehren.
»Nein, Papa, der Hund benimmt sich ausgezeichnet und kann sich jeder Situation anpassen. Schließlich hat sein Vorbesitzer ihn auch von Ägypten hierher gebracht. Und ...«, und damit spielte sie ihren letzten Trumpf aus, »... hast du mir nicht selber gesagt, dass diese Rasse bei den Ägyptern eine Art Scheu oder Vorsicht auszulösen scheint? Er würde somit unserer Sicherheit dienen und uns in einem doch nicht so ganz einfachen Land durchaus eine Hilfe sein, oder?«
Ihr Vater grummelte zwar ein wenig, andererseits mochte er seiner Tochter nicht gern eine Bitte abschlagen und gab schließlich nach: »Ich will sehen, was möglich ist. Ob wir tatsächlich den Hund mit ins Flugzeug kriegen und was mit den Hotels ist. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man Hunde auf diesen Hotelschiffen akzeptiert. Aber ich werde zumindest nachfragen.«
»Ich war heute Morgen übrigens bei der Thomas-Cook-Agentur am Strand in London ...«, berichtete Oberst Burgess seiner Tochter, als sie zwei Tage später wieder vor dem Kamin zusammensaßen, »... und habe dort meine Wünsche vorgetragen. Eine erstaunliche Organisation. Sie kannten sich mit Reisen nach Ägypten gut aus. Der Mann war sogar selbst mehrmals dort gewesen und empfahl als Reisezeit vor allem die Monate März und November. Als wenn ich nicht am eigenen Leibe erfahren hätte, wann man es dort am besten aushalten kann. Also, ich möchte für zwei bis drei Wochen im März nächstes Jahr planen. Man wird mir einen nach meinen Wünschen gestalteten, detaillierten Reiseplan mit Alternativen in zwei oder drei Tagen zuschicken, zu dem wir uns dann äußern müssen. Im Übrigen hat er mir dieses Informationsmaterial hier zusammengestellt, mit dem auch du dich befassen musst, Amy. Du solltest bei meinem nächsten Besuch bei Thomas Cook eigentlich dabei sein, damit deine Wünsche ebenfalls angemessen berücksichtigt werden.«
»Ja und was ist mit Blackie? Hast du dich, wie versprochen, erkundigt, ob es Schwierigkeiten gibt, ihn mitzunehmen?«
Oberst Burgess grinste. »Beinahe hätte ich vergessen, es zu erwähnen. Aber Spaß beiseite, Amy. Ich war verblüfft, wie einfach, fast selbstverständlich das ist. Offenbar haben nicht nur wir die Absicht, mit einem Hund zu reisen, sondern andere Leute auch, jedenfalls die, die nicht nur eine der Pauschalreisen buchen, sondern individuelle Pläne haben. Man ist also ganz darauf vorbereitet. British Air stellt spezielle Transportbehälter zur Verfügung. Die Hunde werden an Bord beaufsichtigt. Wenn man 1. Klasse fliegt, hat man sogar die Möglichkeit, nach den Hunden zu sehen. In den Hotels in Kairo und Luxor gibt es genügend Erste-Klasse-Häuser, die Hunde selbst in den Gasträumen akzeptieren und Hunde ausführen; auf Hotelschiffen der gehobenen Klasse gilt das Gleiche. Es ist doch gut, dass Ägypten ein Land ist, das sich mit den Vorlieben der Briten auskennt.« In Gedanken fügte er hinzu: »Lange genug haben sie sich ja an uns gewöhnen können!«
»Nun, was sagst du dazu?«
Amy war aufgestanden, hatte sich über ihren Vater gebeugt und ihm einen Kuss gegeben.
»Du bist der Beste, Papa. Ich freue mich jetzt doppelt und verspreche, mich wirklich gut auf die Reise vorzubereiten und dir eine dankbare und gehorsame Begleiterin zu sein.«
Die Vorbereitungen nahmen ihre Zeit in Anspruch. Da man auf der Tour durch Ägypten mehrere Klimazonen passiert, waren Sommer- und Herbstkleidung ein Muss. Auch was sonst alles eingepackt werden musste, vom Fernglas für den Herrn Oberst bis zum Tagebuch für Amy, verlangte Überlegungen und Planung.
Schließlich waren sie auf dem Weg nach Heathrow und gingen durch die Flughafenroutinen. British Airways machte es seinen Passagieren einigermaßen leicht, und insbesondere das Einchecken für Blackie war einfacher bewerkstelligt als befürchtet. Der Hund benahm sich mustergültig. Er schien zu wissen, was zu tun war und machte überhaupt keine Schwierigkeiten, als er in den Transportbehälter einsteigen musste. Er sah nur Amy an und tat, worum sie ihn bat. Das Personal schüttelte erstaunt den Kopf. Der Oberst schnaufte zufrieden.
Während des Direktfluges mit der Boing 737 von London nach Kairo sah Amy dreimal nach ihrem Hund, der ruhig in seinem Käfig lag und zu schlafen schien, aber sofort die Augen öffnete und sie ansah, als sie sich näherte und sich zu ihm hinunterbeugte. »Es ist zu ertragen«, schien er sagen zu wollen und wedelte zweimal mit seiner Rute.
Ohne Probleme kamen sie vom Flughafen zum Hilton Hotel am Nil, wo man, von Thomas Cook vorbereitet, ein Doppelapartment mit Blick über den Nil, zwei Schlafzimmern und einem Hundeliegeplatz bereithielt.
»Geld macht vieles möglich«, räumte der Oberst ein, weil seine Tochter sich verwunderte und über die Vorbereitungen glücklich war.
Erst in den folgenden Tagen, als sie sich in Kairo umsahen und nacheinander das Besuchsprogramm der sogenannten ›Must-be’s‹ in dieser unglaublich unübersichtlichen Stadt absolvierten, kam es zu ein paar Ereignissen, die Amy auffielen. Alle hatten mit Blackie zu tun. Der Hund erhielt sein Futter regelmäßig von einem einfachen Angestellten Abud, einem kleinen dürren Mann, der alle Haustiere im Hotel zu versorgen schien. Als der sich morgens zum ersten Mal im Apartment meldete, um das Futter zu bringen, und den tierischen Gast sah, machte er eine Verbeugung, fast einen Kniefall und legte dem Hund sein Futter mit allen Zeichen der Verehrung vor. So blieb es auch in den Folgetagen.
Wenn Amy mit Blackie in den Gärten um das Hotel spazieren ging, gingen ihnen einige Arbeiter aus dem Weg. Als Abud zum ersten Mal kam, um Blackie mit den Hunden anderer Gäste auszuführen, weigerte er sich mitzugehen und war nicht von der Stelle zu bringen. Als Amy selbst ihn ausführte, war er wie ein Lamm.
Bei der Besichtigung des Ägyptischen Museums, Ziel jedes Kairobesuchers, der sich für das Land interessiert, war Blackie nicht dabei. Oberst Burgess und seine Tochter erhielten eine exklusive Führung durch einen der Kuratoren, einen Mr Al-Budai, an der außer ihnen nur zwei ältere Ehepaare teilnahmen. Sie hatten gerade die Säle mit den großen Sarkophagen durchschritten und die zum Teil wundervoll innen und außen bemalten und anderweitig verzierten Särge bewundert und kamen in den nächsten Saal, der dem Brauch der Einbalsamierung der Toten und der Ausstellung von Mumien gewidmet war. Amy wollte sich schon von der Beschreibung der Einzelheiten einer Einbalsamierung mit entsprechenden Darstellungen erschrocken abwenden, als ihr Blick auf das übergroße Bildnis, offenbar eines ägyptischen Gottes fiel, der nur mit einem weißen Schurz über seinem braunen Körper bekleidet eine etwas hervortretende Wand schmückte und den Saal beherrschte. Sie blieb erschrocken stehen und rief unwillkürlich: »Papa, das ist doch Blackie, jedenfalls sein Kopf!!« Die vorangehenden Herren drehten sich um und folgten ihrer ausgestreckten Hand.
Auch Oberst Burgess schien erstaunt zu sein. Aus den Schultern des braunen Gotteskörpers wuchs das Haupt eines großen schwarzen Hundes mit langem Fang, hoch aufgestellten Ohren und grünen Augen. In der rechten Hand hielt er einen unten gegabelten langen Stab mit merkwürdiger Krücke, in der anderen ein Gerät, das wie ein Kreuz aussah, dessen einer Längsbalken wie ein Ring geformt ist.
Der Kurator trat zu Amy, um zu erfahren, was sie in solches Erstaunen versetzt habe. Sie zeigte auf das Porträt.
Mr Al-Budai erklärte ihr: »Das ist ein Bildnis des Gottes Anubis, eines der ältesten Götter des alten Ägyptens. Er ist hier in diesem Saal besonders dargestellt, weil er die Menschen in ihr Leben nach dem Tode begleitete und eine wichtige Rolle bei allen Riten für die Verstorbenen spielte. In der rechten Hand hält er das ›Was-Zepter‹, das Machtsymbol eines Gottes, in der linken den ›Anch‹, den wir auch Henkelkreuz oder ägyptisches Kreuz nennen, das Zeichen für das Weiterleben nach dem Tode. Wenn es Sie interessiert, werde ich Ihnen gern anschließend weitere Einzelheiten zu seiner Rolle im ägyptischen Pantheon erzählen, die sich über die Jahrtausende allerdings etwas verändert hat. Aber warum waren Sie eben so erstaunt und fast erschrocken?«
»Ich habe einen Hund, der hier aus Ägypten stammt, und dessen Kopf genauso aussieht wie der dieses Gottes Anubis.«
»Es gibt diese Rasse seit uralten Zeiten. Sie ist allerdings sehr selten und kommt allenfalls noch in einigen Orten am oberen Nil vor, besonders in der Nähe des ehemaligen Hauptheiligtums von Anubis auf einer Insel im Nil bei einem kleinen Ort El Kays, der früher von den Griechen bezeichnenderweise ›Cynopolis‹ genannt wurde – Stadt der Hunde. Die Hunde galten als Inkarnation des Gottes und wurden, wie alle Dinge, die mit dem Totenreich zu tun haben, von den Menschen mit großer Scheu und Vorsicht behandelt. Bei manchen Menschen in unserem Lande hält sich ein solcher Aberglaube bis heute.«
Amy dachte an das Verhalten von Abud und einiger Arbeiter im Hotel.
»Aber warum trägt dieser Gott denn diesen Hundekopf?«
»Die alten Ägypter sahen einen engeren Zusammenhang zwischen Tieren, Menschen und Göttern als wir heute. Sie wussten, dass die Götter und die Tiere, die sie in Ägypten umgaben, viel älter waren als sie, die Menschen, und deswegen einander auch näher. In den Tieren lebten die Götter und umgekehrt. Deshalb war es nur natürlich, den Gott in Tiergestalt oder in der Gestalt eines Menschen mit dem Antlitz eines Tieres oder umgekehrt darzustellen. Die Sphinx trägt ein menschliches Antlitz auf einem Löwenkörper. Die Götter Ra und später Horus tragen einen Falkenkopf. Andere einen Widderkopf. Apis, der Gott der Fruchtbarkeit, wird als Stier dargestellt, ein anderer, Sofar, in der Gestalt oder mit dem Kopf eines Krokodils, eines Affen, eines Geiers oder einer Schlange. Am merkwürdigsten kam mir immer die Gestaltung der Göttin Ammit vor, deren Kopf der eines Krokodils mit Löwenmähne war, darunter mit einem Menschenkörper und dem Hinterleib eines Nilpferds. Sie war die Göttin, die die Toten verschlang, wenn sie bei der Gewichtung des Herzens, das übrigens Anubis überwachte, zu leicht für ein Leben nach dem Tode befunden wurden.
In allen Grabstätten gab es einen Anlass, den Gott Anubis darzustellen, so wie hier, halb Mensch, halb Hund oder in der Gestalt eines großen schwarzen Hundes, wie er in der Totenkammer für Tutanchamun im Tal der Könige gefunden wurde. Der Hund soll eine Glorifizierung des grauen Wüstenwolfs sein. Früher meinte man allerdings, dass das Vorbild ein Schakal gewesen sei, weil die Kopfform mehr der eines Schakals ähnelt. Aber wer kann das wissen? Die Zeit, in der sich diese Dinge entwickelten, liegt mittlerweile um die sechs- bis siebentausend Jahre zurück. Schwarz ist er jedenfalls, weil Schwarz die Farbe des Nilschlamms ist, die wichtigste Identifikationsfarbe dieses Landes. Wir haben sie schließlich sogar in unserer Fahne.«


