- -
- 100%
- +

Gisa Steeg
Aus der Co-Abhängigkeit … zurück ins Leben

Rechtlicher Hinweis
Ich verwende aus rechtlichen Gründen den Begriff Imprints (Prägungen) und nicht Traumata, da diese in eine therapeutische Behandlung und dadurch in die Hand von Ärzten und Therapeuten gehören und ich ausschließlich als Coach und Beraterin tätig bin. Die Angaben in diesem Buch sind nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Sie sind weder ein Ersatz fur Medikamente noch für irgendwelche ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlungen. Hinsichtlich des Inhaltes dieses Werkes und der darin dargestellten Resultate geben der Verlag und die Autorin weder indirekte noch direkte Gewährleistungen. Demzufolge können und sollen die Inhalte dieses Buches keinen Arztbesuch ersetzen und stellen keine Anleitung zur Selbstdiagnose dar. Empfehlungen hinsichtlich Diagnoseverfahren, Therapieformen oder Ähnlichem werden nicht gegeben. Autorin und Verlag übernehmen somit keinerlei Haftung.
Alle Rechte vorbehalten.
Außer zum Zwecke kurzer Zitate für Buchrezensionen darf kein Teil dieses Buches ohne schriftliche Genehmigung durch den Verlag nachproduziert, als Daten gespeichert oder in irgendeiner Form oder durch irgendein anderes Medium verwendet bzw. in einer anderen Form der Bindung oder mit einem anderen Titelblatt als dem der Erstveröffentlichung in Umlauf gebracht werden. Auch Wiederverkäufern darf es nicht zu anderen Bedingungen als diesen weitergegeben werden.
Copyright © 2021 Verlag »Die Silberschnur« GmbH
ISBN: 978-3-96933-004-3
eISBN: 978-3-96933-990-9
1. Auflage 2021
Umschlaggestaltung & Satz: XPresentation, Güllesheim;
Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstraße 1 · D-56593 Güllesheim
www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Was sind narzisstische Verhaltensmerkmale?
Wie erkennst du narzisstisches Verhalten oder narzisstische Züge?
Weiblicher Narzissmus
2. Der klassische Verlauf einer Beziehung mit einem Narzissten
Lovebombing – der Tanz beginnt
Die ersten Krisen, die Fassade bröckelt
Die schleichende Isolation bis zur völligen Abschottung
Der Beginn einer On-Off-Beziehung
Hoovering
Flying Monkeys
Die Wut und das Lügen
Gaslighting und Machtspiele
Die Trennung
Emotionaler und narzisstischer Missbrauch in Beziehungen – typische Szenarien
3. Die Neben- und Nachwirkungen
Wenn die Seele weint, folgt der Körper nach
Co-Abhängigkeit – Co-Narzissmus
4. Den Tanz ein für alle Mal beenden
Hol dir dein Leben zurück
Den eigenen Schattenanteil erkennen
Das innere Kind heilen
Narzisstische Manipulationen erkennen
Eigenverantwortung übernehmen
Vergebung
Raum der Liebe
Silent Body and Mind Talk – SOS-Hilfe für Körper und Seele
Als ich mich selbst zu lieben begann
5. Mein Rückblick, meine Learnings
Hilfe, Schutz und Foren zum Austausch
Literaturverzeichnis
Die Autorin
Vorwort
Dieses Buch ist keine Fachabhandlung über Narzissmus und narzisstische Persönlichkeitsstörungen, davon gibt es bereits genügend, und in der Literaturliste findest du einiges zu diesem Thema.
Dieses Buch soll “Opfern” oder wie ich lieber sage “Betroffenen”, die Augen öffnen, ob und inwieweit sie in einer narzisstischen oder toxischen Beziehung stecken, wie sie den emotionalen Missbrauch und Manipulationen erkennen und ihren eigenen Anteil und ihre Co-Abhängigkeit wahrnehmen können. Ich möchte ihnen konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, diesem narzisstischen Missbrauch zu entfliehen.
Jeder narzisstische Missbrauch ist auch eine Art von psychischer und verbaler Gewalt. Diese kann sich für die Opfer noch schlimmer anfühlen als körperliche Gewalt und hinterlässt “unsichtbare” Spuren auf der Seele der Opfer.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, wer narzisstischen Missbrauch und diese verbale und emotionale Gewalt nicht selbst oder in seiner Umgebung erlebt hat, kann sich die Ausmaße und Auswirkungen auf die Psyche des “Opfers” nicht vorstellen. In vielen Interviews und Gesprächen berichteten mir Betroffene von ihren unglaublichen Qualen, von Demütigungen, Erniedrigungen, von körperlicher und verbaler Gewalt und von emotionalem, narzisstischem und sexuellem Missbrauch. Viele sprachen davon, dass es zu körperlichen und seelischen Krankheiten führte, die die eigene Existenz vernichteten, und teilweise wurde mir sogar von Suizidversuchen oder Suizidfällen berichtet. Es waren Opfern, die so ausgelaugt, ausgehöhlt und am Ende waren, dass sie nur noch einen Ausweg sahen: ihrem Leben ein Ende zu setzen, um aus diesem “Gefängnis” zu entfliehen.
Achtung: Dieses Buch ist nicht dafür geschrieben, es einfach nur zu lesen, es soll zur Selbstreflexion anregen. Es ist als Arbeits-, Impuls- und Trainingsbuch gedacht und soll dir helfen zu erkennen, ob du selbst in einer narzisstisch geprägten Beziehung bist, wie du die Merkmale erkennen und dich lösen kannst.
Ich habe während meiner Recherche so viele Interviews und Gespräche geführt und musste oft dieselben Sätze, Sprüche und Situationen hören. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie waren alle mit ein- und derselben Person liiert. Ich wünsche dir viele nützliche Erkenntnisse und die Stärke, deinen Weg zu gehen.
Und wenn du jemanden kennst, der sich gerade in so einer Situation befindet, selbst keine Kraft mehr hat oder es einfach selbst nicht erkennt, dann schenke der Person dieses Buch, um ihr die Augen zu öffnen, und sei für sie da.
Gisa
»Die Person, die Sie in 5 Jahren sein werden, basiert auf den Büchern, die Sie lesen, und den Menschen, mit denen Sie sich heute umgeben.«
Terry Hayes
Einleitung
Mein Name ist Gisa Steeg, Mutter eines studierenden Sohnes. Ich bin in einer schwäbischen Kleinstadt geboren worden – leider nicht mit einem goldenen Löffelchen im Mund. Mein Leben ist auch nicht geradlinig verlaufen.
Ich bin eines von 13 Kindern – ja, du hast richtig gelesen: 13 Kinder. Du kannst mir glauben, das war kein Spaß und meine Eltern waren geschieden, mein Vater sogar der stadtbekannte Alkoholiker. In der Schule wurde ich gehänselt und als asozial abgestempelt. Sprüche wie: “Haben deine Eltern keine anderen Hobbys?” Oder: “Ihr habt wohl keinen Fernseher, haha …” Das war an der Tagesordnung.
Meine Mutter hatte ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis und hat sich über die vermeintliche “Anerkennung” und wie toll sie das alles schafft mit sooo vielen Kindern ihren Selbstwert aufpoliert. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Der Haushalt war vernachlässigt, ich musste schon sehr früh die Verantwortung für die Wäsche, das Geschirr und meine kleineren Geschwister übernehmen. Ich sehe mich heute noch mit Tränen in den Augen am Spülbecken stehen, um Geschirr zu spülen, oder ich stand an der Arbeitsplatte, um Brote für meine größeren Brüder zu schmieren, die sie am nächsten Tag mit zur Arbeit nahmen – während meine Klassenkameradinnen draußen spielten. Ich war erst acht oder neun Jahre alt.
Die Krönung des Ganzen waren die Lieblosigkeit und die Worte, mit denen meine Geschwister und ich täglich “gefüttert” wurden. Der Lieblingssatz meiner Mutter lautete: “Was habe ich auf dieser Welt verbrochen, dass ich mit solchen Kindern bestraft werde?!” Wir bekamen jeden Tag gesagt, dass wir eine Strafe Gottes waren für unsere Mutter. Egal, was ich machte, im Haushalt oder sonst, es war nie gut genug. Das nagte natürlich an meinem eigenen Selbstwert und prägte mich für den Rest meines Lebens.
Trotz allem habe ich immer an mich geglaubt, ich wollte ein besseres und leichteres Leben. Ich habe immer wieder für mich und meine Rechte eingestanden. Das musste ich ja, von meinen Eltern war nichts zu erwarten. Leichtigkeit oder etwas umsonst gab es nicht in meinem Leben. Ich musste für alles hart arbeiten, Leistung bringen und um ein Lob oder jede Anerkennung kämpfen. Das war mein ganz persönlicher und harter (und hartnäckiger) Glaubenssatz. Diesen loszulassen und Unbeschwertheit in mein Leben zu lassen, war ein langer Weg. Denn diese Einstellung und Prägung hatte sich schließlich Jahrzehnte bewährt, mir mein “Überleben” gesichert und ich konnte jedem zeigen, wie stark ich bin. Heute weiß ich, das war eine typische “Weg-von-Reaktion”. Ich wollte ein anderes Leben, ein besseres, und ich habe es mir auch kreiert, trotz vieler Höhen und Tiefen. Ich bin immer wieder hingefallen – und immer wieder aufgestanden.
Nach der größten Krise meines Lebens, als mein Mann mich nach fast 30 Jahren gemeinsamer Zeit verlassen hat, konnte ich in vielen Ausbildungen und mehreren Coachings zu mir finden – und diesen Glaubenssatz endlich loslassen. Und als ich aufgehört hatte zu kämpfen, kam endlich die Leichtigkeit und Lebensfreude in mein Leben. Ich hatte angefangen, mein Leben bewusst umzukrempeln, positiver zu denken, zu reden, zu handeln und zu leben. Seither gehe ich achtsamer mit mir und meinem Umfeld um und erfahre mehr Lebenslust statt Lebensfrust.
Als es mir so richtig, richtig gut ging, kam ein Mann wie ein Tsunami in mein Leben – und als er weg war, waren die Sturmschäden enorm. Mir ging es emotional sehr schlecht. Der emotionale und narzisstische Missbrauch hatte Spuren hinterlassen, ich war ausgelaugt, fühlte mich wie ausgesaugt und ausgespuckt. Ich war ein nervliches Wrack und es dauerte, bis ich danach wieder in meine Kraft zurückgefunden habe.
Und du kannst mir glauben, ich hatte mir geschworen, dass mir so ein emotionaler und narzisstischer Missbrauch nie wieder passieren würde. Weit gefehlt, mir begegneten später noch Geschäftspartner, “Freundinnen” und neue Lebenserfahrungen mit diesem Muster.
Beziehungstechnisch hatte ich mir danach jeden Mann genau angesehen und lange auf Abstand gehalten. Als ich jemanden kennenlernte, dauerte es ein halbes Jahr, bevor ich mich auf die neue Partnerschaft einließ. Er war charmant, redegewandt, großzügig und ließ mir meinen Freiraum, zeigte für so vieles in meinem Leben Verständnis und es war keine Spur von Eifersucht erkennbar. Ich fühlte mich save, dachte, ich hätte endlich einen normalen Mann gefunden, und öffnete mein Herz und mich für diese Beziehung. Er hatte es geschafft, dass ich mich in ihn verliebte. Ab diesem Zeitpunkt, als für ihn die Beziehung in trockenen Tüchern war, als ich mich wirklich zutiefst verliebt hatte und ich nach einem weiteren Vierteljahr seine Kinder kennengelernt hatte, zeigte er sein wahres Gesicht und der Psychoterror ging los. Ich war dem zweiten Narzissten begegnet, und dieses Mal war es ein verdeckter Narzisst.
Zu diesem Zeitpunkt kam der Silberschnur Verlag auf mich zu und fragte mich, ob ich ein Buch über meine Erfahrung, wie ich mich von einem Narzissten trennte, schreiben könne. Das war mir zu diesem Zeitpunkt, 2017, irgendwie nicht möglich. Ich konnte doch kein Buch über die Trennung von einem Narzissten schreiben, wenn ich mir doch gerade wieder einen “eingefangen” hatte. Also brauchte es erst noch einige weitere Erfahrungen, Situationen, innere und äußere Klärungen und Trennungen, um jetzt endlich – mit dieser inneren Stärke – dieses Buch schreiben zu können. Hierin ist all mein Wissen gesammelt, all meine Erkenntnisse, die mir unfreiwillig zuteilwurden: wie ich mich stärke, wie ich einen Menschen mit narzisstischen Prägungen erkenne, was mein Anteil daran ist usw. Auch durch all die Berichte meiner Interviewpartner konnte erst jetzt ein wirklich gutes Buch entstehen.
Was ist das Gute am Schlechten? Es würde dieses Buch nicht geben, wenn mir das Leben nicht diese Erfahrungen mit Narzissten geschenkt hätte. Dadurch durfte ich noch einmal tiefe Wunden heilen und in meine Kraft und Stärke kommen. Heute sage ich dazu, es waren Ereignisse, manchmal auch Wendepunkte und auf jeden Fall immer eine Chance, etwas aus meinem Leben zu machen! Ich habe daraus gelernt, bin aus jeder Situation gestärkt hervorgegangen und zumindest um eine Erfahrung reicher geworden.
Der Verlag kam ein weiteres Mal auf mich zu und wollte endlich dieses Buch von mir. Gestärkt und gekräftigt war die Zeit jetzt reif, ich war bereit und hatte alle Erfahrungen gemacht, die ich brauchte. Okay, ich gebe zu, manche Erfahrungen hätte ich wirklich nicht “gebraucht” und gerne darauf verzichtet …
Jetzt kennst du meine Motivation und Inspiration, dieses Buch zu schreiben und anderen damit zu helfen. Vielleicht kann dir das Buch eine Abkürzung aufzeigen auf dem Weg zu einem leichteren und selbstbestimmteren Leben. Oder du hast einen Freund oder eine Freundin, der/die in einer toxischen Beziehung steckt – dann kannst du dieses Buch verschenken und ihm oder ihr die Augen für dieses Thema öffnen.
Die Inhalte sind sehr geprägt von meinen persönlichen Erfahrungen, aber auch von den Erfahrungen und Themen vieler Klienten und Freunde. Hinzu kommen die vielen Interviews zum Thema emotionaler und narzisstischer Missbrauch. Übrigens: Viele dahinterliegende Muster, warum uns so etwas passiert und wir so und nicht anders darauf reagieren, bleiben jahrelang unerkannt; es sind die eigenen Muster und die des Partners.
Warum ich das schreibe, das wird dir bestimmt später noch klarer werden, wenn wir in die Themen Co-Abhängigkeit und Selbstreflexion einsteigen. Bei mir waren es meine Kindheitsprägungen, die mich auf der einen Seite sehr stark gemacht haben. Auf der anderen Seite habe ich daraus aber auch ein ausgeprägtes Helfer- und Heilersyndrom entwickelt. Und das sind genau die Gründe, warum ich zwei Narzissten in mein Leben gezogen hatte, weil diese genau die “Sehnsucht nach Liebe und nach einer heilen Welt” gespürt haben – und genau da andocken konnten. Narzissten nehmen sehr gerne empathische Menschen, die sehr gerne geben, was sich natürlich sehr gut ergänzt. Das ist wie ein Schlüssel-Schloss-Prinzip.
Wenn du nicht mehr als “Opfer”, “Helfer” oder “Retter” (sprich: “Schloss”) zur Verfügung stehst, wird dich auch kein Schlüssel mehr finden, der versucht, bei dir anzudocken.
Gisa Steeg
Steh-auf-Coach
1.
Wir leben in einer narzisstisch geprägten Gesellschaft und Welt. Uns wird in den sozialen Medien vorgegaukelt, dass wir alles haben können, alles sein können, wir müssen es nur wollen. Es geht um die Selbstoptimierung und um grenzenlose Selbstdarstellung, vor allem in den sozialen Netzwerken. Diese machen es einem leicht, einen gewissen Grad an Inszenierung und Außendarstellung zu leben und damit den eigenen Narzissmus zu fördern.
Es gibt laut Psychologie nicht “die narzisstischen Züge”, sondern eine Vielzahl an Merkmalen, Abstufungen und Ausprägungen bis hin zum pathologischen und krankhaften Narzissmus. Ebenso steht in vielen psychologischen Lehrbüchern, dass jeder von uns narzisstische Züge in sich trägt.
Narzisstische Züge haben auch einen positiven Effekt, denn sie stärken unseren Selbstwert und sorgen dafür, dass wir uns auch in der Öffentlichkeit zeigen und präsentieren. Das nenne ich dann immer einen gesunden Narzissmus und Egoismus, der nicht auf dem Rücken eines anderen ausgetragen wird. Dieser spornt nur uns selbst an weiterzumachen. Nur manchmal kann es sein, dass wir uns und unsere Fähigkeiten hier und da überschätzen, was ja erst einmal weiter nicht schlimm oder verwerflich ist.
Wer sich selbst wertschätzt, der hat es nicht nötig, sich über andere zu stellen und sich selbst zu erhöhen. Menschen, die jedoch einen ausgeprägten Narzissmus in sich tragen, sind sehr auf sich selbst fokussiert, auf ihren Vorteil bedacht und gehen “über Leichen”, wenn es für sie nützlich und dienlich ist. Wer nicht mehr dienlich ist, wird aussortiert. Narzissmus bewegt sich zwischen zwei Endpunkten – dem gesunden und förderlichen Selbstwertgefühl und dem pathologischen, malignen Narzissmus auf der anderen Seite. Zwischen den beiden Endpunkten gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen narzisstischen Ausprägungen und Facetten. Ich spreche in diesem Buch bewusst nicht über die “Diagnose” narzisstischer Persönlichkeitsstörungen, was mir gar nicht zustehen würde, sondern über die verschiedenen Erscheinungsformen des narzisstischen Verhaltens und wie meine Klienten es erlebt haben.
Wie entstehen diese verschiedenen narzisstischen Verhaltensweisen?
Dieses Buch ist, wie gesagt, keine wissenschaftliche Abhandlung, dennoch bedarf es einiger Erklärungen. In der Fachliteratur ist nachzulesen, dass “Störungsbilder”, wie z. B. Narzissmus, sehr komplex und vielfältig sind, dass sie sich niemals auf nur eine Ursache zurückführen lassen, geschweige dennoch einfach zu erklären sind.
Früher sagte man, das ist ein Tyrann, ein Choleriker oder ein Egozentriker. Sprüche wie “Der Herr im Hause duldet keinen Widerspruch” waren durchaus bezeichnend. Erst als der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, 1912 in einer seiner Publikationen die narzisstische Persönlichkeitsstörung zu einer psychischen Krankheit erklärte, wurde der Begriff “Narzissmus” geprägt.
Die heutige Zeit und die sozialen Medien sind die ideale Plattform für Egozentrik, Selbstdarstellung, digitale Gewalt, narzisstisches Agieren und Intrigen. Narzissmus ist inzwischen nicht nur weit verbreitet, sondern auch gesellschaftlich anerkannt, man werfe nur einen Blick in die Weltpolitik.
In der Wissenschaft werden jedoch zwei Hypothesen genannt, die für die Entstehung von Narzissmus vermutet werden: wenn die Person als Kind zu wenig emotionale Zuneigung, Zeit, Liebe oder Zärtlichkeit erfahren hat. Die Grundbedürfnisse wurden nicht befriedigt und das Kind ist emotional verhungert. Genau aus diesem unbefriedigten Urbedürfnis folgt der permanente Schrei nach Liebe, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Als Kind können wir es noch als Trotzphase abtun, wenn sich der Nachwuchs auf den Boden wirft und das Kind weint und schreit, wenn man ihm etwas wegnimmt. Doch im erwachsenen Alter sieht dieses Verhaltensmuster schon anders aus.
Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sagt man nach, dass sie emotional in der Kindheit stecken geblieben sind und als Erwachsene immer noch nach den gleichen Kindheitsmustern agieren und reagieren. Dieses kleine, schreiende innere Kind (im erwachsenen Körper) kommt immer wieder an die Oberfläche und muss in Schach gehalten werden, um als Erwachsener überleben zu können. Nur gelingt es den Betroffenen nicht immer und die Fassade bröckelt.
Der zweite Grund ist das genaue Gegenteil, statt der Vernachlässigung steht die “Überbehütung” und Überliebe im Vordergrund. Heute spricht man auch von Helikoptereltern. Das Kind wird maßlos verwöhnt und überbehütet, mit Geschenken und Liebe überschüttet, jeder Wunsch wird erfüllt, es gibt kein Nein. Alle Probleme werden aus dem Weg geräumt. An den schlechten Noten in der Schule ist nicht das Kind, sondern der Lehrer schuld; er wird als inkompetent hingestellt, und nicht selten wird sogar ein Rechtsanwalt eingeschaltet. Die Kinder lernen nie, mit Belastungen, Frustration und Kritik umzugehen – und auch nicht, ein Nein zu akzeptieren.
Eltern überschätzen ihre Kinder oft und stellen sie über alles oder sogar auf einen Sockel. Die “Kinder” übernehmen dann diese Selbstüberschätzung und Selbsterhöhung.
Wie erkennst du narzisstisches Verhalten oder narzisstische Züge?
Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Ich liste dir hier ein paar Merkmale auf, damit du erkennen kannst, ob du in einer toxischen oder narzisstischen Beziehung bist oder ob dein Gegenüber narzisstische Züge aufweist. Diese Auflistung erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Wenn ein “krankhafter Eigenbezug” besteht, z. B. allgemeine Feststellungen werden stets auf sich selbst bezogen. (“Also bei mir war das so …” / “Ich kenne das auch …”) Egal, um was es geht, er/sie erzählt immer von sich und geht nicht auf das Gegenüber ein. Du sagst etwas, und er/sie redet über etwas ganz anderes weiter, als ob du nicht geantwortet hättest. Andere ausreden zu lassen gilt im Übrigen als überbewertet in den Augen eines Narzissten.
Ein Narzisst ist schnell beleidigt, weil alles als Kränkung und “Majestätsbeleidigung” empfunden wird – eben durch den krankhaften Eigenbezug und die Ichbezogenheit.
Er sieht sich selbst in seiner Phantasie bereits beim grenzenlosen Erfolg, mit Macht und schon auf dem Chefsessel.
Wenn es ein Problem gibt, dann nicht wegen ihm. Bei Beziehungsproblemen liegt es nur an dir, du musst dich eben noch etwas besser anstrengen. Narzissten drehen den Spieß um und geben dir die Schuld.
Er steht auf Glanz und Schönheit oder beschäftigt sich mit diesen Idealen in der Liebe, das bedeutet, er oder sie sucht sich Partner aus, die diese Ideale verkörpern. Ein Narzisst schmückt sich gerne mit schönen Frauen oder Männern, mit Autos …, auch wenn es der Geldbeutel nicht hergibt. Aus dieser Beziehung ziehen dann übrigens beide einen enormen “Selbstwertzuwachs”: Der Partner gewinnt durch den Status, das schicke Auto, das Ansehen usw. und der Narzisst schmückt sich mit seinem schicken “Anhängsel”. Wenn die Frau nicht mehr dem “Ideal” entspricht, weil sie z. B. zugenommen hat nach der Schwangerschaft, dann wird sie gerne “ausgetauscht”. Wenn der Narzisst allerdings weiterhin z. B. einen finanziellen Vorteil von der Beziehung hat, dann wird eben eine oder mehrere Nebenfrauen gehalten. Das mag hart klingen, ist jedoch oft die Realität.
Ein Narzisst hat ein übertriebenes und übersteigertes Gefühl der Einmaligkeit, der Unentbehrlichkeit. Er zeigt nach außen einen übertriebenen Selbstwert, der im Inneren oft nicht zu finden ist.
Maßlose Übertreibungen der eigenen Leistungen, des Könnens, der Begabungen sind an der Tagesordnung.
Narzissten kommen durch ihre Selbstdarstellung in Positionen, in denen sie Macht ausüben können – und sie missbrauchen diese zuweilen auch. Das kann man in der Politik oder in höheren Positionen oft beobachten.
Ein Narzisst verkauft die Leistungen und Erfolge der anderen gern als die eigenen, lässt sich dafür feiern. Seine Niederlagen sind dann aber nur von anderen verursacht und werden auf diese abgewälzt.
Der Erfolg und das Wissen der anderen wird als persönliche Beleidigung angesehen und gewertet, deshalb wird es abgewertet und schlecht geredet.
Narzissten buhlen um ungeteilte Aufmerksamkeit, Anerkennung, Applaus und Bewunderung. Bleibt das aus, werden sie unbequem, verletzend und schlagen verbal um sich. Das kann in der heutigen Zeit in Cyber-Mobbing ausarten.
Durch ihre ichbezogene Art konzentrieren sich Narzissten auf die eigenen Probleme, denn niemand außer ihnen hat das Recht, Probleme zu haben.
Sie zeigen sehr deutlich ihre Gefühle von Zorn, Wut, aber auch eine kühle Gleichgültigkeit, wenn jemand nicht mehr interessant erscheint für die eigenen Zwecke.
Das Bestrafen durch Schweigen (Silent Treatment) und durch Nichtbeachtung ist oft zu beobachten. Narzissten zeigen jedoch auch ihre Verachtung sehr deutlich, um zu demonstrieren, wer hier die Macht hat.
Wenn ein Narzisst andere Personen von sich abhängig macht, kann er sie bemachten, beherrschen und bleibt selbst autonom.
Sie stellen Ansprüche und Erwartungen an andere, ohne jedoch eine Gegenleistung zu erbringen; alle sind in der Bringschuld.