- -
- 100%
- +
»Früher hast du dich mehr um Umweltprobleme gekümmert, Lukas Jansen«, erinnerte sie ihn. »War mir irgendwie lieber.« Sie sah ihn forschend an. »Oder geht es um was Konkretes? Du siehst so aus, als ob du mir etwas verheimlichst. Dann machst du immer dieses wissende Gesicht.«
Jansen schluckte und entschloss sich, ihr lieber gleich die ganze Wahrheit zu sagen. »Du erinnerst dich bestimmt noch an meinen Trip mit Heim nach Italien, wo wir diese Viola Kroll verhaftet haben, nicht? Die ist dann in Rom bei einem Verkehrsunfall umgekommen, als mindestens achtfache Mörderin.«
»Klar erinnere ich mich daran«, antwortete sie mit einem Ausdruck, der nichts Gutes versprach. »Ich war hochschwanger und habe eine Obduktion durchgeführt, für mein Examen. Und du haust mit dem Heim ab. Fährst mit einer jungen und schönen Italienerin mit einem Ferrari durch die Berge, wenn ich mich richtig erinnere, nicht wahr? Ich hätte mich fast scheiden lassen. Und fast eine Fehlgeburt gehabt. Wie könnte ich das vergessen. Mach so etwas bloß nicht nochmal, Jansen.«
Lukas schluckte. »Die lebt. Also nicht diese Ferrari-Frau, sondern die Kroll. Die hat ihren Tod nur vorgetäuscht. Neue Erkenntnisse. Die Frau ist brandgefährlich, Lisa.«
»Musst du die jetzt totschießen?«, fragte Ella und zielte mit ihrem Brot auf ihren Vater. »Finde ich doof, dass du Polizist bist. Milas Vater ist Förster. Das ist viel cooler.«
Ihre Eltern sahen sich an. Sie wollten doch solche Dinge nicht vor den Kindern besprechen, sagten ihre Blicke.
»Also gut. Ruf an, wenn du weißt, wann du zurückkommst, Lukas. Erzähl mir später mehr. – Onno, iss' dein Müsli auf, ihr kommt zu spät zur Schule.«
*
Als Jansen endlich im Zug saß, rief er Heim an. Der ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Jansen?«, brüllte er durchs Telefon. »Ich hätte tot sein können! Was haben Sie sich dabei bloß gedacht? Wollten Sie mich loswerden und meinen Platz einnehmen, oder was?«
»Hä? Ich…« Weiter kam er nicht.
»Sie haben mir eine Flasche teuren Whisky geschickt, weit über Ihre Verhältnisse. Dabei trinke ich nur noch Pepsinwein, das sollten Sie eigentlich wissen, seit ich es mit dem Magen habe. Also seit ich Sie kenne.«
»Ich habe Ihnen nichts geschickt«, wandte Jansen ein. »Heim…«
»Sie haben mir sehr wohl eine Flasche geschickt, aus Edinburgh, vom Flughafen, für dreihundert Pfund. Sehr starken Whisky. Ich habe ihn dem Schwager meiner Frau geschenkt, der hatte seinen Siebzigsten. Drei Tage später war er tot. Der war ansonsten völlig gesund«, polterte der Ältere. »Herzversagen, dabei war der sein Leben lang Radfahrer und fit. Was war das für ein Teufelszeug, und warum schicken Sie mir so etwas?«
»Ich habe Ihnen nichts geschickt, Heim. Ich habe mir eine Flasche gekauft, im Duty Free, stimmt schon, aber die habe ich selbst mitgenommen. Und die hat auch nur vierzig Pfund gekostet.«
Heim schwieg einen Moment, bevor er nachdenklich weitersprach. »Wirklich nicht? Meine Frau redet nicht mehr mit mir. Der Mann ihrer älteren Schwester ist tot, und wir beide sind wie immer schuld. Dabei hatte ich unsere Ehe gerade mit Mühe und Not gekittet, Jansen. Der dumme Hund bringt dir nichts als Ärger, hat sie gesagt. Über Sie.«
»Echt nicht. Ganz bestimmt nicht. Das muss jemand anderes gewesen sein. Und an Whisky stirbt man nicht, Heim. Ich habe mich nach meiner Flasche zwar wie ein Räucheraal gefühlt, aber geschadet hat mir das nicht. Und das war eine eher billige Sorte. Hat Ihr Schwager was vertragen?«
»Bis hin zu Selbstgebranntem. Der konnte was ab. Deshalb frage ich ja, was das für ein Teufelszeug war.«
Jansen hatte mehrere Ideen auf einmal. »Das muss Ihnen jemand anders geschickt haben. Und ich würde die Flasche überprüfen lassen. Auch auf Fingerabdrücke. Mir schwant da was ganz Übles.«
Heim ließ den Gedanken einsickern. »Sie denken an die Kroll, oder? Glauben Sie wirklich? Dass die zu sowas fähig ist?«
Jansen musste schlucken. »Die hat mich ja bemerkt. Und sie weiß, dass wir beide zusammenarbeiten. Das war eine Warnung. Oder schon ein Mordversuch. Scheiße. Damit hätte ich nicht gerechnet«, fluchte er. »Dass die jetzt uns auf dem Kieker hat.«
»Woher sollte die wissen, dass Sie in Edinburgh waren?«, fragte Heim. »Und wieso Whisky?«
Jansen überlegte nur kurz. »Weil das der nächste internationale Flughafen ist. Und weil sie mich in einer Destille getroffen hat. Wahrscheinlich hat sie angenommen, ich würde Ihnen was mitbringen wollen. Weil ich selber eine Flasche mitnehmen wollte, wie sie richtig erkannt hat. Dann ist es nur logisch, die zweite Flasche als Geschenk separat zu schicken. Die schaut genau hin, Heim, das wissen wir doch.«
»So genau auch nicht. Dann hätte sie rauszufinden versucht, ob ich sowas auch trinke. Überschätzen Sie die nicht.«
»Trotzdem.« Jansen blieb bei seiner Linie. »Ich kann mir das gut vorstellen. Die hat mich bemerkt, sie muss davon ausgehen, dass wir die Suche nach ihr wiederaufnehmen, und will das sabotieren. Ich sehe das als Versuch, Sie still und heimlich verschwinden zu lassen. Nicht so perfekt wie damals, das war doch eher dilettantisch. Die lässt nach. Lassen Sie auf jeden Fall die Flasche untersuchen, wenn sie noch da ist, auch wegen der Fingerabdrücke. Und dem Inhalt.«
»Vielleicht war es ja auch etwas anderes«, sinnierte Heim. »Heinz hat in der letzten Zeit übermäßig viel Lakritze gegessen. Und meine Schwägerin kocht ziemlich fett.«
»Heim. Lenken Sie nicht ab. Wenn da was dran ist, will die uns beide loswerden. Ich nehme das ernst. Die Frau ist zu allem fähig. Gehen Sie dem nach.«
»Habe ich natürlich schon veranlasst. Ich musste die Flasche aus dem Müll fischen, Monikas Schwester Anne hatte sie schon entsorgt, als sie merkte, dass er Heinz nicht gut bekommt. Obwohl er so teuer war. Es war nur noch ein Viertel drin. Ihr Mann ist dann nachts um drei gestorben, nach einem schweren Herzanfall. Und die beiden Schwestern haben sich nicht mehr eingekriegt. Dieser Scheiß-Whisky und so, was ich mir eigentlich dabei gedacht hätte. Also zwischen den Heulanfällen. Ich war schuld. So ausländisches Zeugs verträgt er nicht und so.«
»Um so wichtiger ist es, rauszufinden, ob da was drin war. Wann wissen wir das?«, fragte Jansen.
»Morgen. Ich bringe alles mit nach Wiesbaden. Dann gehen wir durch, was wir wissen, was wir veranlassen können, und wie wir vorgehen.«
»Sie könnten schon mal eine Red Notice für Vanessa Hemsford rausgeben lassen. Und wir sollten schauen, ob es in England so etwas wie Handelsregistereinträge gibt. Vielleicht hat sie die Destille in Dufftown schon gekauft, dann finden wir darüber auch ihre Adresse raus.«
»Gut.« antwortete Heim. »Endlich mal wieder was zu tun. Ich meine, es tut mir auch schrecklich leid, das mit Heinz, ich bin fuchsteufelswild, aber andererseits kann ich das Geflenne nicht mehr mitanhören, wenn Sie verstehen, was ich meine. Mir läge eher daran, die Kroll dafür zu bestrafen und für zehnmal lebenslänglich in Verwahrung zu bringen, in eine der härtesten Klapsen, die wir finden können.«
Jansen atmete tief durch. Der nächste Satz fiel ihm nicht leicht. »Heim, Sie werden Ihren Schwager obduzieren lassen müssen, wenn wir das ernst nehmen. Das müssen Sie Ihrer Frau und Schwägerin irgendwie verklickern, denke ich.«
»Oh nein. Mist. Natürlich. Das wird Anne nicht gut finden, Monika auch nicht. Den guten alten Heinz aufschneiden? Kommt gar nicht infrage. Da kommt was auf mich zu.«
»Machen Sie Ihrer Frau klar, dass das Ihnen galt. Dass Sie das aufklären müssen, zum Schutz von Ihnen selbst und Ihrer Familie. Um Schlimmeres zu verhüten. Sie sind der Einzige, der sie alle retten kann. Die müssen Sie anflehen, dass Sie die Schuldige fangen, Heim.«
»Trotzdem.« Der Hauptkommissar war nicht überzeugt. »Die werden mir die Eier auf kleiner Flamme rösten und mir die Hölle heißmachen, Jansen. Sie kennen die beiden nicht.«
»Tut mir leid für Sie. Wir müssen unsere Angehörigen warnen, Heim, nichts mehr anzunehmen, aufzupassen, nicht mehr allein rauszugehen«, improvisierte Jansen.
»Das glaube ich nun nicht. Das galt mir, Ihnen kann etwas Ähnliches blühen. Wenn die ihren Autounfall gefaket hat, würde ich auch auf Ihr Auto achten, Jansen. Auf beschädigte Bremsschläuche und Benzinleitungen zum Beispiel. Die meint uns, nicht unsere Familien.«
Jansen schnaubte. »Mist. Wir müssen die kriegen, bevor sie auf dumme Gedanken kommt. Die hat was zu verlieren. Die will sich und ihr Erspartes und Zusammengemordetes schützen. Da können wir auch ansetzen. Sie hatten doch damals Konto-Unterlagen von ihr. Vielleicht ist das ein Ausgangspunkt. Aber als Erstes müssen wir wissen, ob das stimmt, oder ob der Whisky einfach nur zu viel für Ihren Schwager war.«
Heim fluchte eine Weile vor sich hin. »Na gut«, lenkte er ein. »Ich werde das über die Kollegen von der Kripo einstielen, dann bin ich nicht selbst verantwortlich. Also das mit der Obduktion. Und ich sehe mal die alten Unterlagen durch, was ich da noch über ihr Geld habe. Kümmern Sie sich um die britischen Kollegen, die Brennerei und was auf der Insel über diese Hemsford bekannt ist, Jansen.«
»Dann sind wir wieder ein Team, oder?« Jansen klang noch unsicher.
»Allein schon, weil wir gemeinsam bedroht werden, wenn ich mich nicht täusche. Wer etwas findet, meldet sich beim anderen. Und morgen in Wiesbaden tragen wir alles zusammen.«
»Wie, morgen?«, fragte Jansen besorgt. »Ich bin heute Nachmittag schon da. Ich dachte …«
»Ich muss mich um einen Bestatter kümmern und alles veranlassen. Und der muss ihn in die Gerichtsmedizin bringen, nicht in sein Institut. Das wird heute nichts mehr mit Losfahren, ich muss meine Frau wieder beruhigen. Ich fahre morgen in aller Herrgottsfrühe. Sie haben doch bestimmt noch andere Dinge beim BKA zu besprechen, oder?«
»Na ja. Eigentlich nicht wirklich, aber ich kann den Fall ja schon mal vorbringen. Und wegen Interpol nachfragen.«
»Na sehen Sie, Jansen. Passt doch«, freute sich Heim. »Dann sehen wir uns morgen früh in Wiesbaden. Notfalls nutzen Sie die Zeit für Recherchen. Bis dann.«
Er hatte aufgelegt. Das tue ich doch schon während der Bahnfahrt, hatte Jansen noch sagen wollen.
»Dann tue ich das eben jetzt«, sagte er leise zu sich selbst. »Aber erst gönne ich mir im Speisewagen einen Cappuccino und ein Eis.«
Kapitel 9
De Luca pfiff leise durch die Zähne. Bei seiner Suche waren nur sechszehn Frauen übriggeblieben, die nicht aus Rom zurück nach Haus geflogen waren, davon acht Italienerinnen. Von den übrigen acht waren drei zu alt, eine war in einem Krankenhaus nach einem Unfall gestorben, zwei waren schwarzhaarig. Die beiden übrigbleibenden Frauen passten ins Profil, beide hatten jedoch nichts auf sozialen Portalen, die er hätte einsehen können.
Die Tote im Krankenhaus hätte am ehesten zu Viola gepasst, es wäre eine doppelt erloschene Spur gewesen. Nur war die Tote über fünfzig und adipös gewesen.
Er besorgte sich über Freunde in Deutschland die Fotos der beiden Frauen aus den Melderegistern. Die Familie, die sich selbst heilige Gesellschaft nannte, hatte viele Kontakte in der deutschen Polizei, das war einfach gewesen. Beide passten auch vom Aussehen her als neue Identität für Viola.
Eine hatte ihr Ticket mit einer Karte bezahlt, die ihren eigenen Namen trug. Jennifer Ahrens. Die andere, Rosemarie Mertens aus Berlin, nicht; ihr Ticket war mit einer Kreditkarte bestellt worden, die auf den Namen Gianna Moro lautete. Und die hatte ihr Konto, mit dem sie die Kreditkarte ausgeglichen hatte, in Zürich.
Bingo.
Rosemarie Mertens sah Viola nur bedingt ähnlich. Sie war blond und hatte blaue Augen, sah ansonsten verhärmt und fettleibig aus.
Über sie war nicht viel bekannt. De Luca fand eine Vermisstenanzeige in einer Berliner Zeitung und bei der Polizei in Wilmersdorf zu ihr; demnach war sie um die Zeit des Autounfalls von Viola Kroll spurlos verschwunden. Die Polizei ging von einem Suizid aus; eine Bekannte hatte ausgesagt, dass Rosi seit Monaten zu einer Selbsthilfegruppe für Suizidgefährdete gegangen war. Eine Leiche war indes nie gefunden worden.
Luca zeigt ihr Bild der kalabrischen Putzfrau. Die nickte; ja, das könnte sie gut gewesen sein.
Er hätte nun noch nach ihrer DNA suchen können. Das wäre erstens wohl vergeblich gewesen, nach einigen Jahren waren alle Zahnbürsten, Kämme, Bekleidung und andere persönliche Dinge verschwunden. Selbst Blutspenden wurden nur ein Jahr aufbewahrt. Zum anderen hielt er es nicht mehr für nötig; Rosemarie Mertens passte. Sie hatte in der Nähe von Viola Kroll gewohnt, die beiden hätten sich kennen können.
Dann schüttelte er den Kopf. Er war so blöd. Eine Rosemarie Mertens war nicht wieder abgereist, zumindest nicht per Flugzeug, denn das war ja sein Suchschema gewesen. Entweder hatte sie Rom auf anderem Wege verlassen, per Bahn oder mit dem Auto oder als Mitfahrerin, oder Viola hatte die Identität gar nicht benutzt.
Andere Verkehrswege konnte er nicht nachprüfen. Womöglich war Viola mit dieser Identität nach Neapel oder Florenz oder Mailand gefahren und von dort geflogen, um ihre Spuren zu verwischen? Aber von dort aus gab es keine Flüge einer Rosemarie Mertens irgendwohin. Er war in einer Sackgasse gelandet.
Gleichwohl gab er seine Erkenntnisse an einen Kollegen aus der Familie weiter, der bei der Polizei arbeitete, als dessen eigene Recherche. Das würde ihm erstens bei seiner Karriere helfen, und zweitens konnte das zu neuen Erkenntnissen führen, die ihm selbst weiterhalfen.
De Luca sah sich an, was die Polizei Roms bisher gefunden hatte; nichts. Da konnte sein junger Kollege auftrumpfen. Außerdem konnte die Polizei offiziell nach der Kreditkarte und dem Bankkonto dieser Gianna Moro fahnden; das würde weitere Hinweise ergeben, denen er nachgehen konnte. Geld verschwand nicht so einfach, es hinterließ Spuren, und das war seine Spezialität.
Bei der Polizei lag eine Fahndung von Interpol vor, eine so genannte Red Notice, eine Art internationaler Haftbefehl. Sie lautete auf Vanessa Hemsford, eine Engländerin. Unter weiteren Namen war Viola Kroll aufgeführt.
Ausgestellt hatte sie ein gewisser Werner Heim. De Luca wusste, wer das war; einer der beiden deutschen Bullen, die Viola am Lago Maggiore entführt und nach Deutschland verschleppt hatten, Viola hatte ihm das haarklein berichtet.
Heim lebte in Essen. Dort kannte die heilige Gesellschaft jemanden bei der Zollfahndung, der ihr einen Gefallen schuldete; de Luca wies seine Leute an, diesen Mann auf Heim anzusetzen und ihn auszufragen. Hemsford hätte angeblich in Frankreich gestohlene Kunstwerke nach China geschmuggelt, wo ein reicher Sammler viel Geld dafür zahlte. Das passte ganz gut in Violas Profil, fand er. Als Zielort des Transportes gab er Shanghai ein, zusammen mit einem Fantasienamen des Käufers, Zhou Jun, den er mehrfach so im Netz gefunden hatte. Vielleicht ließ sich auf diesem Wege erfahren, was Heim über diese Vanessa Hemsford wusste.
Die Fahndung nach Rosemarie Mertens gab er auf; darum konnte sich die Polizei kümmern.
Jetzt musste er warten.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.