Das Erbe der Macht - Band 27: Immortalis

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»Sie hat Venedig vom Rest der Welt isoliert«, schlussfolgerte Kevin. »Aber weshalb?«
»Die reichen und mächtigen Familien wollten schon lange die Kontrolle über die Stadt – ohne den Einfluss durch uns. Ohne Regeln von außen. Ein unabhängiges Venedig.« Marco nickte in Richtung Tür. »Die Contessa hat ihnen genau das versprochen. Der Zauber ist irgendwie mit den Familien verbunden, aber wir wissen nicht, wie.«
»Wir?«
»Eine kleine Gruppe aus Magiern, die sich der Contessa und ihren Helfern entgegenstellt. Bisher erfolglos. Sie rekrutiert ihre Garde aus den Streitern, die zuvor die hohen Häuser unterstützt haben.«
Kevin schloss für einen Moment die Augen. Er konnte es nicht fassen. Während in der Zukunft die Blutnacht die Ordnung hinweggefegt hatte, war ihm die Vergangenheit berechenbar erschienen. Doch jetzt waren sie direkt im nächsten Schlamassel gelandet.
Er zuckte zusammen und realisierte erstmals, dass er den Ring nicht mehr trug. Der Schock durchfuhr seinen Körper wie ein elektrischer Schlag, der jeden Nerv in ihm unter Spannung setzte.
»Was ist los?«, fragte Marco.
»Der Zeitring. Ich habe ihn getragen. Er ist weg.«
Marcos Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Du sprichst von dem Artefakt, mit dem du tun kannst, was niemand tun darf! Haben die es jetzt?!«
»Ich weiß es nicht«, sagte Kevin. »Vielleicht hast du bemerkt, dass ich ohne Bewusstsein hierhergebracht wurde.«
»Dein Essenzstab ist ebenfalls fort, vermutlich haben sie ihn weggeschlossen wie meinen.«
»Wir haben unsere Essenzstäbe nicht mitgebracht«, erklärte Kevin. »Es sollte nur ein kurzes ›Hallo‹ werden.«
Er musste vorsichtig sein. Die Zeit schützte sich selbst. Und ohne den Ring konnte jeder seiner Schritte einer in die falsche Richtung sein. Sagte er zu viel, gab er Informationen weiter, die die Zukunft beeinflussen konnten. Ihm würde ein ziemlich großer Stein auf den Kopf fallen oder ein Kraftschlag zwischen die Rippen fahren.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte Kevin.
»Tage«, sagte Marco. »Keine Ahnung, ob jemand von meiner Gefangennahme weiß. Ich tauche öfter für Recherchen einige Zeit ab.«
»In dir hätte ich keinen Bücherwurm vermutet.«
Marco lachte auf. »Normalerweise entdecke ich lieber die Welt. Diese Sache hier in Venedig hätte nur einige Wochen dauern sollen, eine Stippvisite. Stattdessen sitze ich hier fest.«
»Die Contessa steht unter seinem Bann«, sagte Kevin, bevor er darüber nachdenken konnte.
»Wie bitte?«
»Nichts, vergiss es.« Er konnte Marco nicht einweihen. »Das hat jetzt keine Bedeutung. Wie kommen wir hier raus?«
»Falls du nicht irgendeine total geniale Geheimwaffe aus der Zukunft mitgebracht hast, gar nicht.«
Kevin betrachtete eingehend die Fesseln. Sie waren nicht magisch, doch ohne Essenzstab konnte er keinen Zauber in diese einwirken. Das Etui mit den Zaubertrankphiolen war ebenfalls fort.
Kurzerhand visierte er die Fesseln von Marco an. »Gravitate Negum. Reversus Gravitate.«
Er ließ zwei gegensätzliche Gravitationswellen entstehen, die auf die Handschellen Marcos einwirkten. Eine dritte folgte. Damit blieb der gefangenen Kraft nur noch ein Ausweg: Sie durchstieß von innen das Schloss. Das Metall fiel zu Boden.
Marco starrte ihn verblüfft an.
»Die einfachsten Zauber sind manchmal die effektivsten.«
»Ganz der Pragmatiker.« Der Unsterbliche bedachte ihn erneut mit dem sezierenden Blick einer Tiefenanalyse.
Kevin zerstörte unbeeindruckt die Fußschellen. Damit war Marco frei. »Wenn du auch so nett wärst.«
Gerade wollte Marco der Aufforderung nachkommen, als die Tür sich mit einem Ruck öffnete.
»Was für ein pfiffiger Geldsack.« Die Contessa stand im Rahmen der Tür und schüttelte mit einem Grinsen den Kopf. »Kevin Gradioso. Wie eine Kakerlake tauchst du immer wieder auf. Deine Geschichte wird spannend sein. Danke für das Öffnen der Fesseln.«
Marco stand der Contessa mit geballten Fäusten gegenüber. »Ich werde nicht zulassen …«
»Jaja, sparen wir uns das.« Sie wedelte mit der Hand. »Dein Satz wäre sicher gespickt mit überaus einfallsreichen Drohungen, aber dafür haben wir keine Zeit. Außerdem ist das Ganze sinnlos, denn du wirst genau das tun, was ich will.«
»Wohl eher nicht.« Marco schüttelte den Kopf.
»Da ist jemand ein böser Junge.« Die Contessa deutete auf seine rechte Tasche. »Wo ich dir so ein nettes Geschenk gemacht habe.«
Verwirrt schob der Unsterbliche die Hand in die Hosentasche. Sie kam mit einem unebenen weißen Stein wieder zum Vorschein. Auf der Oberfläche war ein Netz aus Symbolen eingebrannt.
»Was ist das?«, fragte er.
»Das«, echote die Contessa, »ist der Schlüssel zu meinem Sieg. Oh, du natürlich ebenfalls. Denkst du nicht auch, dass deine Wacht langsam enden sollte?«
Sie lächelte böse.
Und wob den Zauber.
4. Zeitsturm und Käfighaltung

Der Sand war so rot wie der Horizont. Wind kam mal aus der einen, mal aus der anderen Richtung. Wie feiner Nebel trieb er Sandkörner vor sich her.
Annora stand auf der Düne und betrachtete die Wüste. Niemand außerhalb wusste, wie der Immortalis-Kerker aussah. Wozu auch? Nicht einmal die Gefangenen wussten es. Sie verbrachten ihre Existenz in einer einzigen Sekunde.
Überall schwebten die Reste von Nebelgespinsten, die einmal Kokons gewesen waren. Manifestierte Zeit. In ihnen waren Gefangene eingesponnen gewesen. Ohne zu altern oder die verstreichenden Jahre wahrzunehmen, hatten sie ›geschlafen‹.
»Und jetzt stehe ich hier und durchstreife auf meine alten Tage ein leeres Gefängnis.« Sie schüttelte den Kopf. »Und muss dem Blutstein dankbar sein.«
Annora wusste nicht, wie viel Zeit ihr noch blieb. Sie musste Johanna und Kleopatra finden, und das schnell. Dieser Ort würde bald wieder zugänglich sein. Sie konnte sich denken, was er als Erstes tun würde. Der Drache konnte Unsterbliche töten und ihre Seele irgendwie aufnehmen.
»Also schön, Annora. Konzentriere dich. Es steht nur mal wieder alles auf dem Spiel.«
Sie hielt Abstand zu den Resten der Kokons aus verhärteter Zeit.
Der Sand knirschte unter ihren Füßen, sie sank ständig ein. Die Hitze in der Luft tat das Übrige dazu, ihr die Kraft zu rauben.
Sie streckte einen Finger in die Luft, erschuf ein Symbol und sprach: »Indicium Johanna.«
Die Essenz ballte sich, tanzte in der Luft und floss in eine bestimmte Richtung. Annora folgte ihr. Der Weg führte sie zwischen zwei Dünen hindurch, bis …
Direkt vor ihr hing ein Kokon in der Luft. Er war anders als die Übrigen. Etwas war seltsam. Die Oberfläche vibrierte, im Inneren flimmerten winzige Essenzsymbole. Was war das? Annora runzelte die Stirn.
Sie näherte sich dem Gebilde, zuckte jedoch davor zurück. Die Dunkelheit wollte sie aufsaugen, sie verschlingen. Was auch immer es damit auf sich hatte, das war nicht ihr Weg.
Die Essenz bildete eine saubere Linie, vorbei an einer mittelgroßen Düne. Dort hing ein gewöhnlicher Zeitkokon in der Luft, in dem eine menschliche Silhouette sichtbar war.
»Also schön.« Annora schob ihre Ärmel in die Höhe. »Das tut mir jetzt gleich mehr weh als … Du weißt schon.« Noch einmal atmete sie tief ein und wieder aus. »Destrorum Absolutum.«
Sie entfesselte die magische Kraft des Blutsteins. Unterstützt von dieser Magie, schlug die Essenz gegen das Zeitgefängnis wie ein Vorschlaghammer auf ein Ei.
Splitter wirbelten durch die Luft.
Aufkeuchend fiel Johanna zu Boden, blickte sich um, zum Kampf bereit.
»Ich komme in Frieden«, sagte Annora und trat an die alte Freundin heran. »Bist du in Ordnung?«
»Annora? Was ist passiert? Wie kommst du hierher?«
Johanna wirkte fragiler als je zuvor. Sie hatte ihre Wacht als Frau in den Vierzigern angetreten. Das freundliche Gesicht hatte schon manch einen Gegner in falscher Sicherheit gewogen. Sie war noch immer eine Kriegerin, Taktikerin, Planerin. »Ist er besiegt?«
Die Frage zeigte, wie schnell sie umschalten konnte. Annora gab ihr eine Zusammenfassung über die Ereignisse nach der Blutnacht – denn seit diesem Zeitpunkt befand Johanna sich hier. Die Zuflucht, der Kampf, die Rückkehr des Anbeginns.
Johannas Blick war wie gebannt auf den Blutsteinsplitter gerichtet. »Bedeutet das …?«
»Ich war am Ende nicht mehr dabei«, erklärte Annora. »Was aus Piero geworden ist, erfährst du aber, sobald wir zurück sind.«
Sie konnte nur hoffen, dass es keinen weiteren Rückschlag für Johanna geben würde. Sie hatte genug schreckliche Dinge erlebt. Das war die wahrhaftige Bürde der Unsterblichen – sie sahen so unendlich viel Leid.
»Kleopatra?«
»Ist noch eingekapselt«, sagte Annora. »Sie ist als Nächstes dran. Ich wollte erst Unterstützung, du weißt schon.«
Johanna lächelte. »Ihre Wut wird sich gegen Merlin richten. Und es würde mich nicht wundern, wenn ihr nächster Trank den Todeszauber direkt in seine Blutbahn schickt.«
Erneut führte Annora den Zauber aus, der ihr den Weg zum zweiten Zeitkokon wies.
»Hier ist es ja wirklich heimelig«, sagte sie.
»Wir haben uns keine Gedanken über die Umgebung gemacht. Es ging nur darum, die Kokons zu verankern. In einem stabilen Splitterreich.«
»Wieso ist dieses hier überhaupt noch stabil?«, fragte Annora. »Hätte der Essenzkern nicht ebenfalls langsam verwehen sollen?«
»Das hier haben wir gänzlich anders ausgerichtet und aufgebaut. Der Kern ragt in unsere Welt hinein und bezieht seine Kraft von einer uralten mystischen Stätte. Wir haben viel Zeit und Magie in dieses Konstrukt fließen lassen. Es sollte die schrecklichsten Feinde auf humane Art wegsperren.«
»Und jetzt sind sie alle wieder frei«, sagte Annora.
Sie war selbst viele Jahre lang eine Ordnungsmagierin gewesen und hatte gegen Schattenkrieger gekämpft. Davon abgesehen hatte es auch immer wieder jene Magier gegeben, die weitab von den anderen Fraktionen ihre eigenen Wege gegangen waren. Diebe, Mörder und weitere gefährliche Kreaturen.
Hier unten hatten solche gelebt, die teilweise bereits vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten schreckliche Taten vollbracht hatten. All diese befanden sich jetzt draußen in der Welt. Annora würde sie alle stellen, sobald die Zuflucht stabilisiert worden war. Die Ordnung würde zurückkehren, das war ihr fester Glaube.
»Ist das jetzt dein berühmter Todesblick?«, fragte Johanna.
Annora brummte: »So was von.«
»Erzähl mir mehr. Was macht Grace, wie geht es Alex und Jen. Und Kevin.«
Bei der Erwähnung ihres Neffen verkrampfte sich Annoras
Herz. Sie konnte nur vermuten, wie lange sie bereits hier war. Die Zeitabfolge konnte durchaus anders sein, sie konnte den Sinn für den normalen Ablauf verloren haben. Waren außerhalb des Kerkers möglicherweise Monate vergangen?
»Kevin hält durch«, sagte Annora. »Aber ich weiß nicht, wie lange noch. Seine Eltern«, bei dem Gedanken bildete sich ein Kloß in Annoras Hals, »sein Bruder … Chris und er waren so sehr verbunden. Zwillinge eben.«
Und mehr als das. Immerhin hatten die beiden sich ein Sigil geteilt. Konnten zwei Menschen noch stärker miteinander verbunden sein?
»Er hat seine Freunde«, sagte Johanna. »Das ist in diesen Zeiten das Wichtigste. Und eines ist sicher: Clara, Chloe, Alex, Jen und Max sind seine Familie.«
Sie stiegen eine Sanddüne in die Höhe. Auf der anderen Seite war bereits der Kokon von Kleopatra zu erkennen. Er schwebte einen Meter über dem Boden, und Annora glaubte, die Wut zu spüren, die davon ausging.
»Käfighaltung mal anders«, sagte sie.
»Aber es vergeht nur eine Sekunde zwischen dem Betreten und dem Verlassen«, verteidigte sich Johanna. »Das ist mehr, als man von allen anderen Gefängnissen, die ich kenne, sagen kann. Die der Nimags sind überfüllt und werden teilweise durch schreckliche Menschen gelenkt. Im Falle der Schattenkrieger ist es noch schlimmer, weil die Zeit im Inneren verlängert wird.«
»Du weißt schon, dass das keine Kritik war?« Annora ließ eine Braue in die Höhe wandern. »Nur ein Scherz.«
»Entschuldige«, sagte Johanna. »Mein Sinn für Humor ist irgendwo zwischen der Blutnacht und der Gefangenschaft im Immortalis-Kerker abhandengekommen.«
Sie erreichten den Kokon mit Kleopatra darin.
»Legen wir los.« Annora schob erneut ihre Ärmel in die Höhe. »Das wäre ja gelacht.«
Ein Blitz zuckte über den Himmel. Und bevor sie den Zauber aussprechen konnte, bebte die Erde.
»Etwas stimmt nicht«, sagte Johanna leise.
Ihr Blick kündete von einer Katastrophe, die sich unaufhaltsam näherte.
5. Immortalis-Schatten

Die dunklen Nebelschwaden ballten sich zusammen.
»Willst du mir etwas sagen?«, fragte Annora.
»Absolut.« Johanna nickte. »Beeil dich!«
Sie betrachtete eingehend den Blutsplitter, aus dem Annora Magie herauslöste und gegen den Zeitkokon lenkte.
Johanna sah sich weiter aufmerksam um. Natürlich gab es eine magische Sicherung, die notfalls ausgelöst wurde, falls es einem der hochgefährlichen Gefangenen gelang, auszubrechen. Irgendwie musste Merlin es geschafft haben, die Zeitmagie abzuwandeln.
Ein Splittern erklang, gefolgt von einem wütenden Brüllen.
»Skorpione«, rief Kleopatra. »Oder Schlangen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die ihn endgültig erledigen. Wo ist mein Essenzstab … Ach, ist ja weg. Habt ihr euch viel Zeit gelassen?« Sie blickte mit gerunzelter Stirn zu Annora, dann zu Johanna.
»Du hast dich kein Stück verändert«, kommentierte diese.
»Ich bin eine Unsterbliche, gefangen in einer ewigen Pubertät, und so ziemlich jeder unterschätzt mein Genie«, stellte Kleopatra klar. »Natürlich verändere ich mich nicht! Denkt ihr, Merlin ist in Wahrheit ein Römer?«
»Kannst du sie wieder in den Kokon stecken?«, fragte Johanna.
»Ohne mich seid ihr verloren. Und das weißt du.« Mit einem Seufzen sah Kleopatra sich um. »Also, der Blutstein schützt uns vor der Zeitmagie? Annora ist hier, um uns zu helfen, allerdings ist das Artefakt so gut wie erledigt, weil die Macht des Kerkers darauf einwirkt. Flucht?«
Das war die andere Seite der ehemaligen Königin: Sie war pragmatisch, passte sich innerhalb von Sekunden an und konnte kämpfen wie zehn Krieger. Nicht zu vergessen ihr Talent für Zaubertränke.
»Das fasst es ganz gut zusammen«, bestätigte Annora. »Und wenn ich das richtig vermute, setzt Merlin alles daran, mein Siegel aufzulösen. Dann wird er hier hereinstürmen und uns erledigen.«
»Ehrlich gesagt gehe ich nicht davon aus«, sagte Johanna. »Dein Siegel hat den Druck der Essenz erhöht, sie kann nicht mehr abfließen. Irgendwann bilden sich Risse, die aufgestellten Regeln entarten bereits.«
»Alles hier wird vernichtet?«, fragte Annora.
Johanna nickte.
In der Ferne ballte der Nebel sich zu Silhouetten, die langsam an Dichte gewannen. Worauf das hinauslief, konnte sie sich denken. Eine tickende Zeitbombe war nichts dagegen.
»Von mir aus kann die Hütte hochgehen«, sagte Kleopatra prompt. »Allerdings wäre ich ungern selbst darin. Wie kommen wir raus, ohne dass Merlin es bemerkt?«
Sie setzten sich wieder in Bewegung, Annora bildete die Spitze. Nur fort von der manifestierenden Dunkelheit. In Gedanken ging Johanna die Optionen durch, was gar nicht so leicht war. Immer wieder hefteten ihre Gedanken sich an Piero, Leonardo und all die anderen Freunde und Weggefährten. Was war nach der Schlacht bei Glamis Castle geschehen?
Es gelang ihr nur schwer, die Gedanken auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Wenn es ihnen nicht glückte, diesen Ort zu verlassen – den sie absichtlich so angelegt hatten, dass genau das unmöglich sein sollte –, waren sie verloren. Entweder das Siegel brach und Merlin wurde aktiv, oder sie wurden zusammen mit dem Splitterreich verschlungen.
Während ihre Füße im roten Sand versanken, in der Ferne einzelne Gesteinsbrocken aus dem Untergrund ragten und der Himmel aus dem gleichen eintönigen Rot bestand, weihte Annora auch Kleopatra ein. Sie berichtete alles, was bisher geschehen war.
»Ich wusste von Anfang an, dass mit diesem Elis etwas nicht stimmt. Schon damals. Uns die Erinnerung zu rauben und dann eben mal ein Nickerchen im Onyxquader zu halten, war gar nicht dumm. Leider. Dieser Idiot von Artus hätte uns das natürlich auch alles einfach sagen können.«
»Zu seiner Ehrenrettung muss ich erwähnen, dass wir ihn für einen Spinner hielten«, sagte Johanna. »Als er in die Diskussion eintrat, war der Wall längst beschlossen. Niemand wollte, dass er recht hatte. Außerdem hat er nur die ganze Zeit davon gesprochen, dass der Wall unser Untergang ist.« Sie winkte ab. »Eigentlich hast du recht.«
»Ich werde ihn anbrüllen«, schwor Kleopatra.
Sie schien vor innerer Energie zu bersten, worum Johanna sie ein wenig beneidete. Sie selbst war einfach nur müde. Ihr gesamtes Leben bestand aus einer Abfolge von Kämpfen. Was würde sie tun, wenn Leonardo es nicht geschafft hatte, Piero zu helfen? Allein dass diese Chance bestand, ließ Hoffnung in ihr aufsteigen wie die Sonne an einem Sommertagsmorgen.
»Was ist denn das?«, fragte Kleopatra.
Vor ihnen waberte geballte Schwärze in Form eines übergroßen Eies aus reinem Nebel.
»Eine Anomalie«, sagte Annora. »Auf dem Weg kam ich daran vorbei. Das Siegel habe ich weiter vorne verankert.«
Johanna betrachtete das schwebende Objekt mit gerunzelter Stirn. »Das ist keine Anomalie.« Sie näherte sich dem Ei vorsichtig mit der Hand, wie einer Kerzenflamme. »Es ist alt. Und sieht ähnlich aus wie einer dieser Kokons.«
»Gibt es hier noch einen Gefangenen?«, fragte Annora.
Das Ei war groß genug, dass ein Mensch darin Platz finden konnte. Möglicherweise sogar zwei.
»Nein.« Johanna schüttelte den Kopf.
Sie konnte nicht sagen, was es war. Ein gewöhnliches Gefängnis keinesfalls.
»Eine Überraschung von Merlin?«, fragte Kleopatra. »Wir haben das Ding sicher nicht hier deponiert.«
Um den Immortalis-Kerker zu öffnen, waren stets drei Magier notwendig, die den Zauber sprachen. Dass einer der Vertrauten im Castillo so etwas hierhergeschafft hatte, ohne es abzusprechen, hielt Johanna für nahezu unmöglich.
Also doch eine Hinterlassenschaft von Merlin?
»Können wir uns damit jetzt aufhalten?«, fragte Kleopatra.
»Was es auch ist, es hält bisher allen Gewalten stand, die hier toben. Es scheint unbeeindruckt«, sagte Johanna. »Diese Art von Macht könnte uns nutzen. Oder in den Händen Merlins gegen uns eingesetzt werden. Erinnere dich an das Abenteuer von Grace, als sie Leonardo und Clara rettete und dabei den Stab von Maginus erbeutete.«
»Ohne diesen hätten wir die Schlacht von Glamis Castle verloren«, stimmte Annora zu. »Also schön, ich bin überzeugt.«
Kleopatra wirkte mürrisch, als sie nickte. »Aber dann sollten wir es schnell machen.« Auf den verwirrten Blick Johannas ergänzte sie: »Was auch immer du tun willst, um es zu untersuchen.«
Johanna seufzte. »Natürlich. Ein simpler Agnosco könnte uns weiterführen.«
»Bei dir klingt das alles immer so leicht«, erklärte Annora.
»Sie ist eine Unsterbliche«, sagte Kleopatra. »Und außerdem Johanna.«
»Und deshalb gelingt ihr alles?«, hakte Annora skeptisch nach.
»Nein, im Gegenteil. Alles geht schief. Aber das bringt uns voran. Disruption ist gut.« Kleopatra lächelte zufrieden.
»Nachdem wir das geklärt haben«, sagte Johanna trocken, »schauen wir doch mal, was jetzt schiefgeht.«
Sie trat an das dunkle Nebelei heran.
Ohne Essenzstab konnte sie den Indikatorzauber nicht in das Material einwirken lassen, doch der Nebel besaß eine ausreichend gelockerte Form.
Sie trat ganz dicht heran und ließ einen Finger durch die Luft gleiten. Eine feurige Spur entstand. »Agnosco.«
Bilder zuckten durch Johannas Geist, eine blitzartige Abfolge aus Szenen. Undeutliche Gesichter. Magische Symbole. Ein Glas mit einer reinen Flüssigkeit und darin …
Aufkeuchend zuckte sie zurück.
»Was ist passiert?« Kleopatra trat näher an sie heran, um ihr jederzeit Schutz zu bieten.
Annora ging ebenfalls in Abwehrstellung.
»Wir können es nicht öffnen«, hauchte Johanna. »Niemand kann das. Es trägt den absoluten Schutz in sich.« Sie schluckte. »Es wurde mit Contego Maxima erschaffen.«
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