Recht im E-Commerce und Internet

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Kostensenkung
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Bedingt durch die rasante Entwicklung der Informationstechnologie (IT)16 sind die Kosten für elektronische Kommunikation und Informationsverarbeitung in den letzten Jahrzehnten drastisch gefallen. Elektronische Verfahren ermöglichen massive Produktivitätssteigerungen.17 Weitere (Kosten-)Hürden sind durch die allgemeine Verfügbarkeit von Cloudservices gefallen; statt eines Betriebs der Infrastruktur „On-Premises“ („eigenes Blech im Keller“) können „irgendwo“ im Internet angebotene Software, Plattformen oder Infrastruktur bei Bedarf genutzt werden (Software as a Service/SaaS, Platform as a Service/PaaS und Infrastructure as a Service/IaaS).
Dematerialisierung und Digitalisierung
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Durch den Einsatz moderner IT können immer mehr Produkte, Services und Prozesse ganz oder teilweise digitalisiert werden. Inzwischen haben sich durch Online-Gaming virtuelle Welten ergeben, die bereits eine größere wirtschaftliche Bedeutung als die Filmindustrie haben. Teile der Wertschöpfungskette sind zwischenzeitlich vollständig digitalisiert, etwa Satz und Design von Zeitungen und Zeitschriften oder die professionelle Audio- und Videobearbeitung.
Spezialisierung und Arbeitsteilung
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Die innerbetrieblichen und zwischenbetrieblichen Organisationsstrukturen verändern sich. Auf der einen Seite werden Routinetätigkeiten und Informationsfluss automatisiert, was zu einer geringeren innerbetrieblichen Arbeitsteilung führt. Auf der Ebene der Unternehmen ergeben sich hingegen Spezialisierungsvorteile, weil größere Märkte angesprochen werden. Mit dieser Spezialisierung beschränken sich Unternehmen zunehmend auf kleine Bereiche der Wertschöpfungskette. Dies führt dazu, dass sie stärker auf die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen angewiesen sind. Dadurch wird die Entwicklung flexibler Netzwerke zwischen einzelnen Unternehmen oder in Unternehmensgruppen gefördert.
Größenvorteile
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Digitale Produkte haben in der Regel Größenvorteile, d.h. die Fixkosten sind relativ hoch, während die Zusatzkosten pro weitere Einheit häufig verschwindend gering sind.18 Diese Skaleneffekte bedingen, dass digitale Produkte in größeren Mengen häufig mit geringen Stückkosten gestellt werden können. Ist z.B. einmal ein Cloudservice zum Dokumentenmanagement erstellt, sind die Kosten für die Bereitstellung des Service gering.
Netzwerkeffekte und Standards
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In der digitalen Internetökonomie haben Netzwerkeffekte einen wichtigen Einfluss. Vernetzung setzt dabei voraus, dass ein einheitlicher technischer Standard besteht – sei es im Hinblick auf die verwendete Software als auch auf die verwendete Hardware. Für die Entwicklung des Internet ist daher die Entwicklung von Standards wichtig, wie z.B. die Seitenbeschreibungssprache HTML oder Datenübertragungsprotokolle wie Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP).
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In der digitalen Ökonomie werden sowohl direkte als auch indirekte Netzwerkeffekte wirksam.19 Bei direkten Netzwerkeffekten steigt der Nutzen mit jedem neu hinzukommenden Anwender. Beispiel: Je mehr Menschen E-Mail-Adressen besitzen, desto mehr Personen kann jeder Anwender erreichen. Der Nutzen der E-Mail-Technik wächst also mit jedem hinzukommenden Anwender.
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Aber auch indirekte Netzwerkeffekte haben Einfluss. Indirekte Netzwerkeffekte steigern den individuellen Nutzen nicht allein dadurch, dass die Zahl der Anwender steigt, sondern dass der Nutzen des Produktes auf andere Weise gemehrt wird. Beispiele: Je mehr Menschen ein bestimmtes Betriebssystem nutzen, desto mehr Software wird dafür geschrieben, oder je mehr Menschen Dokumente in der Cloud speichern, desto größer ist das Angebot an spezialisierten Lösungen für das Dokumentenmanagement in der Cloud.
Preis- und Erlösmodelle
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Neue Preis- und Erlösmodelle werden durch die einfache digitale Vervielfältigung Realität. So wird z.T. auf dem Softwaremarkt die Strategie „Follow-thefree“ verfolgt:20 Eine Basisversion wird kostenfrei zur Verfügung gestellt; wer alle oder die Nutzung wesentlich erleichternde Funktionen nutzen will, muss jedoch zahlen. Entsprechendes gilt für den Markt der Onlinegames mit dem „Free-to-play“- oder „Freemium“-Modell: Ein Spiel ist zwar vollständig kostenlos nutzbar, relevante Erfolge und Fortschritte werden aber (deutlich) beschleunigt, wenn über „In-Game Purchases“ der eigene Charakter aufgewertet oder neue Levels (schneller) freigeschaltet werden.
Veränderung der Kundenrolle
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Die erhöhte Markttransparenz führt dazu, dass dem Kunden eine erweiterte Marktmacht zukommt. Ein Kunde kann jederzeit im Internet Preis- und Produktrecherchen betreiben und dann dort seine Produkte oder Services erwerben, wo sie am günstigsten ist, bzw. das Produkt oder den Service erwerben, der seine Anforderungen am besten erfüllt.
Individualisierung der Kundenbeziehung
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Durch die technischen Möglichkeiten, das Kundenverhalten auf einer Website zu analysieren, kann der Anbieter die individuellen Kundenpräferenzen ermitteln und auf dieser Basis dem Kunden maßgeschneiderte Angebote zukommen lassen (Kundenbindung durch Personalisierung). Eine besondere Ausprägung hiervon ist das „Dynamic Pricing“, bei dem abhängig vom Kunden und dessen Profil für ein identisches Produkt bzw. einen identischen Service unterschiedliche Preise aufgerufen werden.21
2. Geschäftsmodelle
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Durch die technische Entwicklung des Internet und seine Verbreitung haben sich unzählige neue Geschäftsmodelle entwickelt, die mehr oder weniger das Internet und die darin enthaltenen Dienste als Kommunikationsplattform zur Information, zum Vertragsschluss und unmittelbar zu Leistungsabwicklung (Vertragserfüllung) nutzen.
a) Werbung im Internet (One-to-One-Marketing)
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Das Internet wird in vielfältiger Weise zur Kundenansprache genutzt. Neben der Werbung per E-Mail oder Messenger werden insbesondere soziale Netzwerke und Websites als Werbeträger genutzt. Die Werbung im Netz weist dabei verschiedene Besonderheiten im Vergleich zu anderen Werbeträgern auf, die u.U. zu juristischen Problemen führen können (z.B. Keyword Advertising):
– Die Werbung im Netz erfolgt weltweit. Ein Unternehmen kann so Kunden in vielen Ländern der Welt erreichen.
– Die Unternehmenskommunikation im Netz kann multimedial erfolgen. Neben dem reinen Text können in der Werbung auch Bild, Ton oder Video enthalten sein.
– Das Marketing kann individuell auf den Kunden zugeschnitten werden, z.B. dadurch, dass per Website Daten abgefragt werden oder aber, dass ohne Kenntnis des Kunden sein Verhalten auf der Website analysiert und für individualisierte Kundenansprache genutzt wird (One-to-One-Marketing).22
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Auf dieser ersten Stufe werden die Onlinedienste nur zur Werbung genutzt. Die weiteren Schritte (Vertragsschluss, Abwicklung) erfolgen auf herkömmlichem Wege. Anbieter beschränken sich auf derartige Werbung, wenn es um höchstpersönliche Leistungen mit individuellem Charakter geht oder Ziel der Werbung der Präsenzhandel vor Ort ist. Die Grenzen verschwimmen hier allerdings zusehends: Während etwa Leistungen von Rechtsanwälten und Handwerkern traditionell online nur beworben wurden, ist die unmittelbare digitale Beauftragung auf dem Weg zum Standard, wenn es um „Leistungen von der Stange“ oder niederschwellige Angebote geht, etwa die Durchsetzung von Fluggastrechten. Bei hochpreisigen Produkten, etwa einer Luxusuhr oder einem individuell konfigurierten Pkw, finden Vertragsschluss und Abwicklung häufig noch im realen Raum statt, auch hier ist jedoch eine Tendenz zumindest zum elektronischen Vertragsschluss deutlich erkennbar.
b) Elektronischer Vertragsschluss und herkömmliche Auslieferung
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Bei dieser Variante der Nutzung des Internet erfolgt die Leistungspräsentation per Website, im sozialen Netzwerk oder mittels einer App auf einem smarten Device (Smartphone, Tablet, Watch). Gleichzeitig bietet der Anbieter dem Kunden die Möglichkeit, unmittelbar aus der digitalen Präsentation heraus das Produkt oder die Dienstleistung seiner Wahl zu bestellen. Nach Eingabe der erforderlichen Daten schickt der Kunde die Bestellung ab. Die Bezahlung erfolgt über Kreditkarte, SEPA-Lastschrift oder einen speziellen Online-Zahlungsservice. Waren werden dann über einen Versandservice (Logistikunternehmen wie DHL, DPD, GLS, UPS oder Hermes) geliefert, Dienstleistungen nach Absprache erbracht.
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Typische Leistungsinhalte sind dabei materielle Waren wie Bücher, Hardware (Computer, Tablets, Smartphones), Software (soweit noch auf Datenträger bereitgestellt) oder Kleidung, zunehmend aber etwa auch Lebensmittel. Dienstleistungen werden vornehmlich dort angeboten, wo diese standardisiert erbracht werden können, z.B. das Aufziehen der neuen Reifen auf einen Pkw nach der Onlinebestellung der Reifen durch den ausliefernden Händler.
c) Vollständig elektronischer Vertrieb
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Beim vollständig elektronischen Vertrieb wird die gesamte Leistungsbeziehung vom Anbieter via Internet abgewickelt. Die Ware/Dienstleistung wird online präsentiert, der Vertragsschluss erfolgt online, und auch die Leistungserbringung, soweit sie die Lieferung der Ware/Dienstleistung betrifft, erfolgt per Internet. Schwerpunkte sind dabei immaterielle Waren und Dienstleistungen, da nur diese sich auch digital abbilden lassen. Typische Leistungsinhalte sind daher Datenbanken, z.B. juristische Datenbanken zur Urteilsrecherche, Software-Downloads, bei denen die Software mittels Internet auf den Kundenrechner überspielt wird, und die Erbringung von Cloud Services. Aber auch Dienstleistungen, die in das Umfeld der Software gehören, sind hier einzuordnen, so etwa Hotlines und die standardisierte Geltendmachung von Rechtsansprüchen (Erstattungsansprüche bei Verspätungen beispielsweise). Die elektronische Rechtsberatung fällt ebenfalls in diese Kategorie.23 Auch hier wird die Ware „Information“ elektronisch, zumeist per E-Mail oder über eine Onlineplattform, übertragen.
d) Neue Geschäftsmodelle
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Neben diesen drei Konzepten beim Einsatz des Internet im Rahmen der Werbung, der Vertragsanbahnung und ggf. der Vertragsabwicklung gibt es auch Geschäftsmodelle, welche die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internet dazu nutzen, neue Konzepte zu verwirklichen. Zu nennen wären dabei zunächst Internetversteigerungen. Bei der Internetversteigerung handelt es sich nicht um eine Versteigerung i.S.d. § 156 BGB, bei der herkömmlich abgegebene Gebote auf einer Versteigerung nur durch eine elektronische Kommunikation ersetzt werden. Vielmehr erfolgt die Warenpräsentation auf einer Website, und nach Ablauf einer festgesetzten Angebotsdauer wird der Höchstbietende zum Erwerber der angebotenen Ware. Es handelt sich demnach um einen Kauf gegen Höchstgebot. Dabei wird das Prinzip der Auktion meist im Rahmen einer unternehmensübergreifenden Handelsplattform verwendet.24 Dieses ist die elektronische Abbildung eines Marktplatzes, auf dem Unternehmen Einkauf und Vertrieb abwickeln können (Einkaufsportale). Neben Auktionsmodulen werden auch weitere Dienstleistungen angeboten, z.B. Unterstützung bei der Warenlogistik.
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Auch andere Modelle haben sich etabliert: So z.B. die wegen der damit häufig einhergehenden Urheberrechtsverletzungen umstrittenen Tauschbörsen, auf denen beispielsweise Musikwerke getauscht werden können, oder aber auch das Application-Service-Providing (ASP) und das sog. Software as a Service (SaaS), bei dem nur die Softwarenutzung per Internet Vertragsgegenstand ist.
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Last not least sind noch die neuen Geschäftsmodelle des „Web 2.0“ zu erwähnen. Hinter dem Schlagwort des „Web 2.0“ verbergen sich unterschiedliche Geschäftsideen, deren Gemeinsamkeit in der Einbeziehung von Inhalten durch die Nutzer gesehen werden kann. Zu nennen sind hier insbesondere Plattformen wie z.B. YouTube oder aber soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und TikTok, bei denen die Diensteanbieter den Nutzern die Möglichkeit eröffnen, die Inhalte der Plattform im Rahmen des vom Anbieter verfolgten Zwecks mitzugestalten. Hier treten regelmäßig haftungsrechtliche Fragen, aber auch marken- und urheberrechtliche Problemstellungen auf.25
Fragen und Aufgaben
1. Gibt es ein „Internet-Gesetzbuch“?
2. Welche unterschiedlichen Gesetzesquellen bestehen? Nennen Sie jeweils ein Beispiel.
3. Zwischen welchen drei Ebenen kann man in technischer Hinsicht differenzieren?
4. Nennen Sie bitte einzelne Gesetze, die einen Bezug zum Internet aufweisen, und geben Sie jeweils ein Beispiel.
5. Wo liegen die ökonomischen Vorteile des Internet?
6. Was versteht man unter One-to-One-Marketing?
15 Grundlegend Seiler, Verbraucherschutz auf elektronischen Märkten, 2006. 16 Alternativ wird auch der Begriff Informations- und Kommunikationstechnik genutzt (abgekürzt „ITK“ oder „IuK“). 17 Vgl. Zerdick u.a., Internet-Ökonomie, 2001, S. 149ff. 18 Vgl. Beck/Prinz, Ökonomie, 1999, S. 50. 19 Ausführlich Zerdick u.a., Internet-Ökonomie, 2001, S. 157ff. 20 Vgl. Zerdick u.a., Internet-Ökonomie, 2001, S. 191ff. 21 Ausführlich dazu Golland, CR 2020, 186ff.; Künstner/Franz, K&R 2017, 688f. 22 Ausführlich dazu Kap. 7 und 8. 23 AG Hildesheim, Urt. v. 8.8.2014 – 84 C 9/14 m. Anm. Ernst, jurisPR-ITR 1/2015 Anm. 6; AG Offenbach, Urt. v. 9.10.2013 – 380 C 45/13 m. Anm. Spoenle, jurisPR-ITR 25/2013 Anm. 4; siehe auch Ernst, NJW 2014, 817, und zur Anwaltshotline auch Wendehorst, in: MüKo-BGB, 2019, § 312c Rn. 19. 24 Ausführlich zu Internet-Versteigerungen Kap. 2, Rn. 59ff.; dazu auch Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2021, Anhang zu § 156 Rn. 1ff. 25 Zu Plattformen und den damit einhergehenden Haftungsfragen ausführlich Kap. 9.
Kapitel 2
Vertragsanbahnung und Vertragsschluss im Internet
Übersicht
Rn.I. Vertragsanbahnung11. Elektronische Willenserklärungen und Computererklärungen3a) Elektronische Willenserklärung4b) Computererklärung5c) Mausklick oder Fingertipp als Erklärungshandlung82. Formbedürftigkeit113. Arten der Vertragsanbahnungen14II. Vertragsschluss im Internet181. Website oder App als Antrag oder invitatio ad offerendum19a) Grundregel: Websites oder Apps als invitatio ad offerendum20b) Ausnahme: Website oder App als Antrag24c) Sonderfall: Internet-Versteigerungen262. Zugang des Antrags29a) Zugang elektronischer Willenserklärungen unter Abwesenden oder Anwesenden30b) Machtbereich des Empfängers und Möglichkeit zur Kenntnisnahme333. Annahme des Antrags354. Bestätigung des Zugangs37III. Vertragsschluss per E-Mail391. Vertragsschluss per Massen-E-Mail oder individueller E-Mail402. Vertragsrechtliche Besonderheit: keine Bestellbestätigung42IV. Vertragsschluss über Smart Devices, Apps und über App Stores431. Begriffsbestimmung App, Smart Device und App Store432. Technische Grundlagen von Apps und App Stores453. Anwendbares Recht beim Bezug von Apps464. Vertragsschluss bei der Vermarktung von Apps50a) Apps von App Store-Betreibern50b) Lizenz- oder Nutzungsvertrag zwischen Anbieter und Anwender56V. Vertragsschluss bei Internet-Versteigerungen und Glücksspiel.591. Klassische Versteigerung gemäß § 156 BGB602. Formen von Internet-Versteigerungen613. Gewerberechtliche Zulässigkeit von Internet-Versteigerungen634. Wirksamkeit des Vertragsschlusses bei Internet-Versteigerungen68a) Willenserklärung des Anbieters71b) Willenserklärung des Käufers795. Löschung und Rücknahme von Angeboten und Geboten, Unwirksamkeit, Anfechtung826. Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr887. Preisangabenverordnung918. Der Sonderfall: Rückwärtsversteigerungen929. Der Sonderfall: Bietagenten9410. Haftung bei Internet-Versteigerungen9611. Glücksspiel98VI. Anfechtung des Vertrages1071. Irrtümer des Bestellers oder des Anbieters1092. Fehler bei der Datenübertragung1113. Computerfehler1134. Rechtsfolgen1155. Anfechtung bei Fernabsatzverträgen117VII. Haftung für Handeln Dritter bei Missbrauch von Zugangsdaten1221. Anscheinsvollmacht1242. Voraussetzungen für eine Zurechnung1273. Abgrenzung zur Halzband-Entscheidung1284. Folgen für das Online-Banking129I. Vertragsanbahnung
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Der Vertragsschluss über das Internet, gleich ob per E-Mail, Website oder über Apps auf mobilen Endgeräten, insbesondere „Smart Devices“ wie Smartphones und Tablets, ist Alltag und wesentlicher Wirtschaftsfaktor weltweit. Dabei handelt es sich um Geschäfte von Unternehmern mit Verbrauchern (sog. Businessto-Consumer, kurz: B2C) sowie um Geschäfte zwischen Unternehmern (sog. Business-to-Business, kurz: B2B). Ein Sonderfall des B2B sind Geschäfte über die Nutzung von Plattformen zwischen deren Anbietern und den auf der Plattform agierenden Unternehmern (sog. Plattform-to-Business).1
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Vertragsanbahnung und Vertragsschluss müssen daher im Hinblick auf die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln i.S.d. § 312c Abs. 2 BGB auf ihre rechtlichen Besonderheiten sowohl im Bereich B2C als auch im Bereich B2B hin analysiert werden. Dies gilt ebenso für Sonderformen des Absatzes von Waren, Dienstleistungen und digitalen Inhalten, insbesondere über sog. Online-Auktionen oder Internet-Versteigerungen.
1. Elektronische Willenserklärungen und Computererklärungen
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Besonderheiten ergeben sich bereits daraus, dass es sich bei Willenserklärungen im E-Commerce um elektronische Willenserklärungen handelt.
a) Elektronische Willenserklärung
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Elektronische Willenserklärungen sind von einem Menschen über IT (Informationstechnologie) und Kommunikationsmittel (z.B. Internet) abgegebene oder übermittelte Erklärungen, die sich der Abgebende zurechnen lassen muss, wenn die Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung gegeben sind.2 Diese Voraussetzungen sind subjektiv aus Sicht für den Erklärenden der Handlungswille (Gegensatz: Reflexe), das Erklärungsbewusstsein (Bewusstsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben) und der Geschäftsbindungswille (die Absicht, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen), während objektiv nach außen ein Rechtsbindungswille des Erklärenden sichtbar werden muss.
b) Computererklärung
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Von der elektronischen Willenserklärung ist die automatisierte Willenserklärung als sog. Computererklärung abzugrenzen. Unter einer solchen automatisierten Willenserklärung versteht man eine Erklärung, die zum Zeitpunkt ihrer Herstellung und Abgabe keines aktiven menschlichen Handelns mehr bedarf.
In diesen Fällen wird eine Software eingesetzt, die beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses die Abgabe der Erklärung bewirkt. Bei der Computererklärung handelt es sich dennoch um eine Willenserklärung im Rechtssinn, weil die Programmierung der Software und die Bestimmung ihrer Funktionen auf einem menschlichen Willen beruht.3
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Dazu zählt allerdings nicht die automatisierte Zugangsbestätigung nach § 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB. Demgemäß ist der Unternehmer als Empfänger eines Angebots auf Abschluss eines Vertrages via Telemedien verpflichtet, dem Kunden den Zugang seines Angebots zu bestätigen. Es handelt sich um ein standardisiertes Verfahren, wofür regelmäßig Automatismen geschaffen werden. Da es sich jedoch um eine gesetzliche Pflicht handelt, kann in die Bestätigung der Gehalt einer Willenserklärung in Form der Annahme des Angebots nicht hineingelesen werden. Es liegt eine Wissenserklärung, aber keine Willenserklärung vor, da es erkennbar am Rechtsbindungswillen fehlt.
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Nicht geklärt ist bislang, wie von einer künstlichen Intelligenz (auch artifizielle Intelligenz, AI oder KI)4 abgekoppelt von jedem menschlichen Handeln abgegebene Erklärungen einzuordnen sind. Dort entscheidet ein Algorithmus oder ein künstliches neuronales Netz aufgrund eigener Lernerfahrungen (mittels Machine Learning oder Deep Learning) über Inhalt und Zeitpunkt einer Erklärung, ohne dass dies noch auf einen menschlichen Willen zurückgeführt werden könnte. Mit der Willenserklärungslehre ist dies nicht in Einklang zu bringen, sodass für derartige Erklärungen allenfalls eine deliktische Verantwortlichkeit des jeweiligen Anwenders in Betracht kommt, aber keine Rechtsgeschäfte begründet werden.5
c) Mausklick oder Fingertipp als Erklärungshandlung
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Eine rechtliche Besonderheit der elektronischen Willenserklärungen besteht darin, dass sie zuweilen nur in einem schwachen Bezug zum Äußernden stehen. Oft bestehen die Erklärungen „nur“ aus einem Mausklick oder einem Fingertipp auf einem Touchscreen, sodass die Zuordnung der Erklärung zum Erklärenden nicht immer ohne Weiteres erfolgen kann. Dabei ist zu beachten, dass jeder Nutzer mit einer Vielzahl von Mausklicks oder Fingertipps durch Websites oder Anwendungen auf einem Smart Device navigiert; nur in einzelnen Fällen handelt es sich hierbei aber um rechtserhebliche Erklärungen.
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Probleme können sich dabei daraus ergeben, dass im Internet, z.B. aus Unachtsamkeit oder wegen einer verwirrend gestalteten Website, versehentlich eine rechtserhebliche Erklärung abgegeben wird. Allerdings gelten hier dieselben Grundsätze wie in der Offline-Welt: Ob der Internet-Nutzer bei einem Mausklick das Bewusstsein hat, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, ist nicht relevant, da das Erklärungsbewusstsein keine Voraussetzung für eine wirksame Willenserklärung ist.6 Ausreichend ist, dass die Willenserklärung dem Erklärenden zugerechnet werden kann.7 Zurechenbar ist eine Erklärung aber bereits dann, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Erklärung oder sein Verhalten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.8
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Klickt oder tippt ein Internet-Nutzer versehentlich einen Button, welcher einen rechtlich relevanten Vorgang wie eine Bestellung oder den Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber einer Internet-Plattform auslöst, gilt demnach Folgendes: Hätte ein Internet-Nutzer durch die Gestaltung der Website erkennen können, dass er eine rechtserhebliche Handlung vollzieht, so ist diese ihm zurechenbar und stellt rechtlich eine ihn bindende Willenserklärung dar. Ist dies nicht der Fall, so liegt keine zurechenbare Willenserklärung vor.9
2. Formbedürftigkeit
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Wenn nach den gesetzlichen Regeln für eine Willenserklärung keine bestimmte Form einzuhalten ist, so kann diese unproblematisch auch als elektronische Willenserklärung abgegeben werden.
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Dort, wo gesetzlich eine bestimmte Form vorgeschrieben ist, wurden die gesetzlichen Regelungen mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften an die Erfordernisse des elektronischen Geschäftsverkehrs angepasst. So ist z.B. in § 126 Abs. 3 BGB bestimmt, dass grundsätzlich die gesetzliche Schriftform durch die elektronische Form gemäß § 126a BGB ersetzt werden kann.10 Gleichwohl ist für jeden Einzelfall zu prüfen, ob eine gesetzliche Form bei elektronischen Willenserklärungen durch ein elektronisches Pendant ersetzt werden darf. Der Ausschluss der Ersetzung ergibt sich entweder aus der jeweiligen Formvorschrift selbst oder aus dem Zweck- und Sachzusammenhang der Norm.11 So ist beispielsweise die schriftlich zu erklärende Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in elektronischer Form wegen § 623 BGB unzulässig.12