Recht im E-Commerce und Internet

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c) AGB-rechtliche Generalklausel
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Sollte § 307 Abs. 2 BGB keine Hinweise auf die Treuwidrigkeit einer AGB ergeben, so kommt diese noch unter Berücksichtigung der Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Dies hat aber mit Blick auf die bereits zahlreichen, umfänglichen Beschränkungen durch die §§ 307 Abs. 2, 308, 309 BGB sehr restriktiv zu erfolgen. Insbesondere das Ausreizen der Grenzen, die die §§ 308, 309 BGB gewähren, kann in den allermeisten Fällen nicht über § 307 Abs. 1 S. 1 BGB doch zur Unwirksamkeit führen. Als Kriterien für die Frage nach der Angemessenheit einer Klausel können herangezogen werden:48
– Das übrige Vertragswerk: Kompensieren oder verstärken andere Klauseln die nachteilige Wirkung für den Verwendungsgegner?
– Verkehrskreis: Wie üblich sind diese Bedingungen im fraglichen Verkehrskreis? Insbesondere im unternehmerischen Verkehr zu berücksichtigen, § 310 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB.
– Preisliche Gestaltung: Wirken sich die nachteilhaften AGB preislich vorteilhaft aus?
– Risikobeherrschung: Werden Risiken auf den Verwendungsgegner abgewälzt, die er sonst nicht tragen müsste?
– Verfassungsrecht: Stehen besondere Grundrechte in Rede, die durch die AGB berührt werden?
Wichtig ist und bleibt eine umfassende Würdigung des Einzelfalls.
d) Intransparente Klauseln
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Schließlich kommt eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB dadurch in Betracht, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Dies wird auch als das AGB-rechtliche Transparenzgebot bezeichnet. Im Gegensatz zur überraschenden Klausel liegt der Fehler der AGB hier nicht in ihrer unzureichenden sinnlichen Wahrnehmbarkeit und Erwartbarkeit, sondern in ihrer unzureichenden kognitiven Erfassbarkeit für den Verwendungsgegner und der damit verbundenen Zurückhaltung bei der Geltendmachung von Rechten.49
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Eine solche Situation liegt zum Beispiel vor, wenn der Verwendungsgegner mit einer Vielzahl von Klauseln und Klauselmöglichkeiten konfrontiert wird, die ihm eine korrekte Ermittlung „seiner“ geltenden Bedingungen unzumutbar erschwert.50 Als ebenfalls widersprüchlich empfand es das LG Bochum zu Recht, wenn ein Online-Händler einerseits erklärt, dass bei einer Bestellung bis 11 Uhr werktags noch eine Versendung am selben Tag erfolgt, er andererseits aber eine Lieferzeit von 3–5 Wochen angibt.51
e) Unwirksamkeit unangemessen benachteiligender Klauseln
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Stellt sich heraus, dass eine Klausel den Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt, ordnet § 307 Abs. 1 S. 1 BGB die Unwirksamkeit der Klausel als Rechtsfolge an. Eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel auf ein AGB-rechtlich akzeptables Niveau kommt nicht in Betracht. Das stünde zum einen der ausdrücklichen Anordnung des § 307 BGB zuwider, zum anderen würde dies dafür sorgen, dass Verwender von AGB nahezu ungestraft treuwidrige Klauseln aufnehmen könnten, da ihnen schlimmstenfalls eine Absenkung auf das gerade noch erlaubte Niveau drohte.52
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Davon zu unterscheiden ist der sogenannte „Blue-Pencil-Test“53: Wenn sich ein Teil einer Klausel sinnvoll in Gänze streichen lässt und der übrigbleibende Klauselbestandteil als solcher einen rechtskonformen Geltungsinhalt hat, kann dieser Teil bestehen bleiben.54 Dies ergibt sich schon aus der Überlegung, dass es keinen Unterschied machen kann, ob zwei Regelungsinhalte sprachlich in einen Satz gepackt werden oder stattdessen zwei verschiedene Sätze oder gar Paragrafen verwendet werden. Die „Klausel“ im Sinne der §§ 307ff. BGB ist folglich nicht nach Überschriften oder Satzeinheiten, sondern nach den Regelungsgegenständen zu bestimmen.55
35 Bezüglich Letzterem ausführlich BGH, Urt. v. 7.12.2010 – XI ZR 3/10, NJW 2011, 1801, 1802f.; Wurmnest, in: MüKo-BGB, 2019, § 307 Rn. 13. 36 BGBl. I 2021, S. 3433. Dazu Fuchs-Galilea, ITRB 2021, 173; Rehfeldt, IPRB 2021, 193. 37 Von rein akademischem Interesse erscheint die Frage, in welchem Verhältnis Unangemessenheit und Treuwidrigkeit stehen, so auch zu Recht Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 307 Rn. 34. 38 H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 307 Rn. 14, spricht sogar von einer Unzulässigkeit wegen einer drohenden „Super-Inhaltskontrolle“. 39 BGH, Urt. v. 20.3.2018 – X ZR 25/17, NJW 2018, 2039, 2040, m. zust. Anm. Hoffmann-Grambow, damals noch § 649 BGB. 40 Zu Recht kritisch Schwab, JuS 2019, 59, 61. 41 BGH, Urt. v. 20.5.2010 – Xa ZR 68/09, MMR 2010, 677. 42 Dies wird deutlich, wenn die Zahlungserbringung des Käufers im Rahmen des § 433 BGB ohne Vereinbarung nicht etwa in das Belieben des Schuldners gestellt wird, sondern als Barzahlung zu erfolgen hat, vgl. Westermann, in: MüKo-BGB, 2019, § 433 Rn. 65; Saenger, in: HK-BGB, 2019, § 433 Rn. 12. 43 So geschehen in OLG Dresden, Urt. v. 3.2.2015 – 14 U 1489/14, K&R 2015, 262; dazu auch Junker, jurisPR-ITR 16/2015 Anm. 5, wo sämtliche gängigen Zahlungsmittel mit einem Aufschlag belegt wurden. Ein verdecktes Zahlungsmittelentgelt, das bei Verwendung bestimmter Zahlungsmittel anfällt, wäre eine unzulässige Umgehung der Anforderungen aus § 312a Abs. 4 Nr. 1 BGB. 44 So etwa bezeichnet von BGH, Urt. v. 27.9.2000 – VIII ZR 155/99, NJW 2001, 292, 301. 45 Siehe etwa BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, BGHZ 164, 11. 46 OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 9.5.2007 – 6 W 61/07, BeckRS 2007, 09846. 47 OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.6.2008 – 22 U 104/06, NJW-RR 2009, 166, 167. 48 Orientiert an Wurmnest, in: MüKo-BGB, 2019, § 307 Rn. 36ff. 49 Ähnlich Niebling, NJ 2019, 103, 104. 50 AG Frankfurt a.M., Urt. v. 21.2.2006 – 31 C 2972/05, NJW 2006, 3010, 3011 m. Anm. Kappus; von einem „Bedingungssalat“ spricht flapsig, aber im Kern zutreffend Kappus in der Urteilsanmerkung. 51 LG Bochum, Urt. v. 3.7.2013 – I-3 O 55/13 (unveröffentlicht, abrufbar unter https://www.hkmw-rechtsanwaelte.de/entscheidungen/landgericht-bochum-i-13-o–55-13-lieferzeiten-von-mehr-als–21-tagen/). 52 Grundlegend BGH, Urt. v. 17.5.1982 – VII ZR 316/81, NJW 1982, 2309, 2310; heute allgemeine Meinung, vgl. nur H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 20 m.w.N.; zur nicht unberechtigten Kritik an dem strengen System Basedow, in: MüKo-BGB, 2019, § 306 Rn. 18. 53 Zur Herkunft aus dem angelsächsischen Raum Thüsing, BB 2006, 661. 54 H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 21. 55 Thüsing, in: Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 2019, Teil „Klauselwerke“, Arbeitsverträge, Rn. 129.
VI. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen AGB-Vorschriften
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Stellt sich heraus, dass die fraglichen Klauseln entweder nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, ordnet § 306 Abs. 1 BGB die übrige Geltung des Vertrages als Regelfall an. Etwas anderes soll ausnahmsweise nur dann gelten, wenn das Festhalten am Vertrag eine unzumutbare Härte für eine der Vertragsparteien darstellen würde, § 306 Abs. 3 BGB. Dies mag etwa der Fall sein, wenn die AGB derart nachteilig ausgestaltet sind, dass der Verwendungsgegner das Vertrauen in den Verwender als Vertragspartner berechtigterweise verliert.
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Typischerweise wird sich aber nur der Verwender der AGB auf § 306 Abs. 3 BGB berufen, da sie für diesen zumeist eine Besserstellung bewirken. Für diesen Fall kommt es darauf an, inwieweit der Wegfall der Klausel für den Verwender vorhersehbar war56 und wie erheblich die (insbesondere wirtschaftlichen) Auswirkungen für den Verwender sind.57 Sofern durch Streichung der Klausel eine Regelungslücke im Vertrag entsteht, tritt das dispositive Recht an die Stelle der unwirksamen Klausel, § 306 Abs. 2 BGB. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Parteien keine andere einvernehmliche Lösung zum Regelungsgegenstand gefunden haben, die einer AGB-Kontrolle standhält.
56 Beispiele bei H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 27. 57 Kollmann, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2021, § 306 Rn. 34; H. Schmidt, in: BeckOK-BGB, 2020, § 306 Rn. 27.
VII. Prozessuales
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Befähigt zur Klageerhebung mit Folge der Überprüfung von AGB sind zunächst die Vertragsparteien im Rahmen des Vertragsverhältnisses, so sie aus den AGB bzw. aus deren Nichtgeltung Rechte ableiten. Daneben sind gemäß § 3 UKlaG unter anderem Verbraucherverbände, Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen sowie Industrie- und Handelskammern befugt, gegen die Verwendung der AGB zu klagen, wenn diese mit den §§ 307 bis 309 BGB unvereinbar sind, § 1 UKlaG. Die AGB müssen nicht vorher durch ein Gericht bereits für unzulässig erklärt worden sein,58 wenngleich der Wortlaut eine solche Interpretation durchaus zuließe. Sinn und Zweck des Verfahrens nach §§ 1, 3 UKlaG ist gerade die Feststellung der Unwirksamkeit bestimmter Klauseln, nicht die erneute Aburteilung einer bereits für rechtswidrig erachteten Praxis.59
Fragen und Aufgaben
1. Wie häufig muss nach der ständigen Rechtsprechung ein Vertrag verwendet werden, damit er als AGB qualifiziert werden kann?
2. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versandhändlers befindet sich folgende Formulierung: „Gewährleistung...Sollte ein bestimmter Artikel nicht lieferbar sein, senden wir Ihnen in Einzelfällen einen qualitativ und preislich gleichwertigen Artikel (Ersatzartikel) zu. Auch diesen können Sie bei Nichtgefallen innerhalb von 14 Tagen zurückgeben. Sollte ein bestellter Artikel oder Ersatzartikel nicht lieferbar sein, sind wir berechtigt, uns von der Vertragspflicht zur Lieferung zu lösen; wir verpflichten uns gleichzeitig, Sie unverzüglich über die Nichtverfügbarkeit zu informieren und etwa erhaltene Gegenleistungen unverzüglich zu erstatten.“Liegt ein Verstoß gegen §§ 305ff. BGB vor?
3. Unternehmer A preist über seine Website Waren an. Seine AGB hat er in der Weise verlinkt, dass sich nach dem Betätigen des Buttons „AGB“ eine Scrollbox auf dem Bildschirm des Interessenten öffnet. Die Auflösung des Inhalts und die Scrollbox sind so dimensioniert, dass der Leser immer nur kleine Ausschnitte der AGB lesen kann. Um einen weiteren Ausschnitt der umfangreichen AGB zu erfassen, ist häufiges Scrollen erforderlich. Ist diese Darstellung zulässig?
4. Unternehmerin A bietet über ihre Website Waren an. Um eine größere Reichweite zu haben, bietet sie neuerdings die Website auf Deutsch, Englisch und Französisch an. Hat dies Auswirkungen auf die bereits von ihr verwendeten AGB?
5. Stellt ein Unternehmer seine Website auch als sog. mobile Ansicht zur Verfügung, sprich für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets, muss er dann zusätzliche Voraussetzungen beachten oder kann er einfach einen Link zu den AGB setzen, wie er das auf der Website auch macht?
6. Der Unternehmer A widerspricht in seinen AGB etwaigen AGB des jeweiligen Vertragspartners. Der Unternehmer B schließt mit A einen Vertrag ab und fügt der Vertragsannahme seine AGB bei, in denen er seinerseits den AGB des jeweiligen Vertragspartners widerspricht. Nun gelten die AGB des B, da sein Widerspruch den Widerspruch in den AGB des A aushebelt. Richtig?
7. Unternehmerin A verwendet folgende Klausel in ihren AGB: „Wenn Sie uns keinen bestimmten Wunsch mitteilen, wird der Wert der Rücksendung Ihrem Kundenkonto gutgeschrieben oder Sie erhalten beim Nachnahmekauf einen Verrechnungsscheck.“ Bestehen rechtliche Bedenken?
58 Walker, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2021, § 1 UKlaG Rn. 8. 59 Walker, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2021, § 1 UKlaG Rn. 10.
Kapitel 4
Formerfordernis und elektronische Signatur
Übersicht
Rn.I. Grundsatz der Formfreiheit11. Funktionen der Schriftform22. Schriftform und neue Medien4II. Rechtslage nach den früheren Signaturgesetzen71. Einfache elektronische Signatur112. Fortgeschrittene elektronische Signatur123. Qualifizierte elektronische Signaturen13III. Rechtslage nach der eIDAS-Verordnung der EU141. Allgemeines142. Anwendungsvorrang173. Elektronische Identifizierung194. Vertrauensdienste225. Elektronische Signaturen und elektronisches Siegel25IV. Anpassung der Formvorschriften im Privatrecht281. Elektronische Form, §§ 126 Abs. 3, 126a BGB292. Textform, § 126b BGB323. Ausschluss der elektronischen Form384. Elektronischer Rechtsverkehr405. Beweiswert elektronischer Dokumente im Rechtsstreit45a) Beweiswert einfacher elektronischer Dokumente46b) Beweiswert elektronischer Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur und von De-Mails48V. Signaturverfahren51I. Grundsatz der Formfreiheit
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Grundsätzlich unterliegen Rechtsgeschäfte zwischen Privaten keinen Formerfordernissen. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 125 BGB, der die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur ausnahmsweise als Folge vorsieht, wenn es dem Rechtsgeschäft an der durch Gesetz oder nach dem Willen der Vertragspartner gewünschten Form mangelt. Diese Formfreiheit ist ein Ausfluss der Privatautonomie und bedeutet, dass Verträge geschlossen werden können, ohne dass die Vertragspartner dabei eine bestimmte Form beachten müssen. Für einige Rechtsgeschäfte hat der Gesetzgeber indes die Schriftform vorgesehen. So wird beispielsweise in § 766 BGB die Schriftform für die Bürgschaftserklärung verlangt, und § 623 BGB ordnet an, dass Kündigungen von Arbeitsverträgen stets schriftlich zu erklären sind.
1. Funktionen der Schriftform
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Die gesetzliche Schriftform bei bestimmten Rechtsgeschäften soll drei Zwecken dienen. Zum ersten soll dem Erklärenden durch seine Unterschrift bewusst gemacht werden, dass er im Begriff ist, eine rechtlich besonders bedeutungsvolle Erklärung abzugeben (Warnfunktion). Zum zweiten wird durch die Unterschrift die Identität des Ausstellers erkennbar (Identitätsfunktion). Letztendlich trägt die Unterschrift am Ende des Textes als dessen Abschluss zur Klärung des Textinhalts bei (Beweisfunktion).1
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§ 126 Abs. 1 BGB normiert, dass für die gesetzliche Schriftform die Urkunde am Ende eigenhändig vom Erklärenden unterzeichnet werden muss. Im Falle des gegenseitigen Vertrages müssen beide Parteien die Urkunde unterzeichnen (§ 126 Abs. 2 S. 1 BGB). Wird diese Form nicht beachtet, führt dies zur Nichtigkeit des Vertrages (§ 125 BGB).
2. Schriftform und neue Medien
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Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre lassen diese Regelungen als überkommen erscheinen. Zum Abschluss eines rechtsgültigen Vertrages ist es heute oftmals weder nötig, dass sich die Vertragspartner persönlich kennen, noch, dass sie Erklärungen in Papierform erhalten. Digital übermittelte Willenserklärungen, die zum Abschluss eines Vertrages führen können, genügen dem Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB naturgemäß nicht.2 Die Vereinfachung, die der Vertragsschluss über das Internet erfahren soll, wird an dieser Stelle für nach dem Gesetz oder dem Willen der Vertragspartner formbedürftige Rechtsgeschäfte unmöglich gemacht.
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In der Literatur herrschte teilweise Streit darüber, wie Willenserklärungen, die auf elektronischem Wege abgegeben werden, einzuordnen sind. So qualifizierte etwa Ebbing eine elektronische Willenserklärung trotz fehlender Verkörperung als Urkunde und regte an, die handschriftliche Unterzeichnung durch Eingabe der Unterschrift über die Tastatur oder durch Anfügen einer Grafikdatei, die die eingescannte Unterschrift enthält, genügen zu lassen; heute würde man über das Unterschreiben mit einem Pen oder dem Finger auf einem Tablet oder Smartphone sprechen.3
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Der BGH lehnte 1993 die Formwirksamkeit einer Bürgschaftserklärung ab, weil diese mittels Telefax übermittelt worden war, § 766 S. 1 BGB aber Schriftform verlange.4 Die eigenhändige Unterschrift sei nur auf dem Originaldokument des Absenders, nicht aber auf der per Fax eingehenden Kopie des Empfängers vorhanden. Durch die Schriftform werde der Schutz des Bürgen bezweckt, und von daher käme eine Übertragung der Rechtsprechung aus dem Prozessrecht zur Einlegung von Rechtsmittelschriften nicht in Betracht.5 Angesprochen war hier die zuvor durch die Instanzrechtsprechung vorbereitete Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes von 1999, wonach fristwahrende Schriftsätze mittels Computerfax eingelegt werden können.6 Wenn diese aus dem Computer des Absenders mit dessen eingescannter Unterschrift zum Faxgerät des Gerichtes gesendet werden, so stünde dies der Schriftform im Prozessrecht nicht entgegen. Zwar gehöre zur Schriftform grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift. Es käme jedoch nur darauf an, dass am Empfangsort – dem Gericht – auf Veranlassung des Absenders durch Ausdruck eine körperliche Urkunde erstellt werde, auf der die Unterschrift des Absenders zu sehen sei. Das Ziel der Verfahrensvorschriften sei nämlich kein Selbstzweck, sondern bestünde in der Wahrung der materiellen Rechte von Prozessbeteiligten, nicht in deren Behinderung. Der Wille des Absenders, den Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, könne nicht ernsthaft bezweifelt werden.
1 Zu den einzelnen Funktionen im Rahmen der die Schriftform anordnenden Tatbestände Wais, JuS 2020, 7; allgemein Musielak, JuS 2017, 949, 952. 2 Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2020, § 126 Rn. 11. 3 Ebbing, CR 1996, 271. 4 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BB 1993, 749. 5 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BB 1993, 749. 6 Gem. Senat, Beschl. v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, K&R 2000, 451.
II. Rechtslage nach den früheren Signaturgesetzen
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Seit 1997 gab das Signaturgesetz (SigG) erstmals einen technisch-organisatorischen Rahmen vor, unter dessen Voraussetzungen digitale Signaturen als sicher vor Verfälschung gelten konnten. Das Signaturgesetz traf dabei jedoch keine Aussage, welche Rechtswirkungen die digitale Signatur auslösen sollte und ob damit einer gesetzlichen Form entsprochen werden konnte. Daher war ein Abschluss von Verträgen, für die die Schriftform vorgeschrieben ist, im Internet nicht ohne Medienbruch möglich.
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1999 wurde dann mit Zustimmung des Europäischen Parlaments die Richtlinie 1999/93/EG für gemeinsame Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen erlassen. Sie trat am 19.1.2000 in Kraft. Damit wurde eine Harmonisierung des EU-weiten Binnenmarktes angestrebt, indem der Rahmen für einheitliche Kommunikation und Handel geschaffen wird. Die einzelnen Mitgliedsländer sollten durch Umsetzung in nationales Recht einen störungsfreien elektronischen Geschäftsverkehr auch für formbedürftige Rechtsgeschäfte gewährleisten. Dafür werden an die elektronische Signatur konkrete Rechtswirkungen geknüpft. In Art. 5 der Richtlinie war festgelegt, dass die qualifizierte elektronische Signatur der Unterschrift gleichgestellt und als Beweismittel zulässig sein sollte.
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Deutschland gehörte zu den ersten Ländern, die die EU-Richtlinie umsetzten. Dieser und dem Evaluierungsbericht der Bundesregierung folgend wurde „nach grundlegender Überarbeitung“ ein neues Gesetzeswerk auf den Weg gebracht: am 15.2.2001 verabschiedete der Bundestag das neue Signaturgesetz, das am 23.5.2001 in Kraft trat. Mit dem nachfolgenden Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.2001 wurden sodann mit §§ 126 Abs. 3 BGB und 126a BGB ergänzend die elektronische Form im BGB eingeführt (dazu ausführlich unten Rn. 29ff.).
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Dabei war und ist zwischen drei verschiedenen Arten der elektronischen Signatur zu unterscheiden.
1. Einfache elektronische Signatur
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Einfache elektronische Signaturen sind solche Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder mit ihnen verknüpft sind und zur Authentifizierung dienen. Gemeint ist z.B. ein eingetippter Name am Ende einer E-Mail, das Kopieren eines Bildes mit eingescannter Unterschrift in ein Dokument oder das „Unterschreiben“ mit dem Finger oder einem Stift auf einem Tablet oder Smartphone.7
2. Fortgeschrittene elektronische Signatur
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Als fortgeschrittene elektronische Signaturen werden solche Signaturen bezeichnet, welche die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen. Weder an die einfache noch an die fortgeschrittene elektronische Signatur werden unmittelbare Rechtsfolgen geknüpft. Ihre praktische Bedeutung ist daher gering.
3. Qualifizierte elektronische Signaturen
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Die qualifizierte elektronische Signatur muss vom Gesetzgeber vorgegebenen Anforderungen genügen. Insbesondere muss – wie bei der eigenhändigen Unterschrift – eine eindeutige Zuordnung der Signatur zum Signierenden gegeben sein und die Signaturerstellung in einer fälschungssicheren Umgebung erfolgen. Daher entspricht die qualifizierte elektronische Signatur rechtlich der eigenhändigen Unterschrift.
7 Viele Lösungen zur Onlineunterschrift von Dokumenten setzen ebenfalls im Standard auf einfache elektronische Signaturen, z.B. DocuSign und AdobeSign. Ein besonderer Beweiswert ist damit nicht verbunden, da derartige Signaturen die gesetzliche Schriftform nicht ersetzen und prozessual nicht die gleiche Bedeutung wie eine eigenhändige Unterschrift des Signierenden haben.
III. Rechtslage nach der eIDAS-Verordnung der EU
1. Allgemeines
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Elektronische Kommunikationswege und elektronischer Geschäftsverkehr bieten große Chancen und Möglichkeiten, Handlungsspielräume zu erweitern und die Effizienz in Produktion, Handel und Dienstleistungen zu steigern.8 Gerade bei elektronischen Transaktionen in Wirtschaft und Verwaltung verhindern Sicherungsmittel wie Signaturen und Zeitstempel Manipulationen, sorgen für die Einhaltung bestimmter Formen bei Willenserklärungen und gewährleisten Beweissicherheit.9
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Unter Verfolgung des Ziels eines einheitlichen digitalen Binnenmarktes und einheitlicher Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Nutzung elektronischer Identifizierungsmittel ist deshalb am 17.9.2014 die eIDAS-Verordnung10 der EU in Kraft getreten, welche das bisherige Signaturrecht mit der Signaturrichtlinie und nationalen Umsetzungsgesetzen wie dem SigG und der SigV ablöste.11 Gemäß Art. 52 Abs. 2 eIDAS-Verordnung gilt die Verordnung mit einigen abschließend aufgezählten Ausnahmen seit dem 1.7.2016. Seitdem können demnach in allen EU-Mitgliedstaaten und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen nach dieser Verordnung angeboten werden.
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Zu den Regelungen der Verordnung zählen neben Neuregelungen betreffend die elektronische Signatur auch solche betreffend Dienste rund um elektronische Siegel, Zeitstempel, Zustellung elektronischer Einschreiben und Website-Zertifikate. Womit die Verordnung sich allerdings nicht beschäftigt, sind datenschutzrechtliche Regelungen. Dies wurde vielfach kritisiert, weswegen sich in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ein Verweis auf die Datenschutzrichtlinie 95/46/EG findet, die am 25.5.2018 durch die Europäische Datenschutz-Grundverordnung abgelöst wurde.12 Darüber hinaus normiert Art. 4 Abs. 2 eIDAS-Verordnung, dass die Benutzung von Pseudonymen bei elektronischen Transaktionen nicht untersagt werden darf.
2. Anwendungsvorrang