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»Na schön, aber ich möchte nicht mit denen alleine sein.« Dr. Brenner wirkte in einer Art und Weise angenehm beruhigend auf mich, die ich nicht definieren konnte.
»Lässt sich einrichten. Mein Kollege hier gibt Ihnen etwas gegen die Schmerzen. Ich bitte die Polizisten herein. Machen Sie sich keine Sorgen. Wie heißen Sie eigentlich, junge Dame?«
»Mein Name ist Amily Simon«, sagte ich, während der Pfleger sich an meinem Arm zu schaffen machte.
»Na dann, Amily, tief durchatmen. Ich hole die Beamten und bleibe bei Ihnen, versprochen. Ist das okay?«
»Ja, gut.«
Es verstrichen nur wenige Sekunden, bis eine Frau auf der Bildfläche erschien. Sie war klein, blond und sehr mager, sah aus wie eine zu dünne Puppe von schätzungsweise fünfunddreißig Jahren und war auf Anhieb ein rotes Tuch für mich. Ein großer dunkelhaariger Mann, etwa vierzig Jahre alt, begleitete sie. Er war die sympathischere Hälfte dieses Dream-Teams. Dr. Brenner, den sie vor die Tür schicken wollten, ließ keine Zweifel aufkommen, wer das Sagen hatte. Auch mein Veto war ihnen gewiss:
»Der Arzt bleibt, sonst sage ich kein Wort.«
»Na schön«, lenkten die Beamten ein. »Keine Aufregung.« Die Frau warf ihrem Partner sonderbare Blicke zu und übernahm dann das Reden.
»Meier und Schmidt von der SOKO Hamburg.« Sie deutete dabei auf ihren Partner Schmidt. »Wir ermitteln wegen des Brandes auf dem Hafengelände, da erheblicher Sachschaden entstanden ist. Sie wurden in unmittelbarer Nähe zum Tatort aufgefunden, deshalb haben wir ein paar Fragen an Sie. Es wird nicht allzu lange dauern. Nennen Sie uns bitte vorab Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum.«
Ich antwortete artig, während das Schmerzmittel Wirkung zeigte und ich mich etwas entspannte. Richtig, mein Sternzeichen war Löwe. Ich hatte am achtundzwanzigsten Juli Geburtstag, wobei uns Löwefrauen nicht nur durchweg positive Eigenschaften zugeschrieben wurden.
»Okay. Und Sie leben in Hamburg?«
»Ja.« Ich nannte der Beamtin meine Adresse, die sie notierte und auch noch meine Arbeitsstelle. Wenn ich morgen nicht erschien, würde man mich vermisst melden.
»Schön. Und, Frau Simon, wie sind Sie und Ihr Begleiter denn nun in dieses Gebäude gelangt und warum waren Sie unbekleidet?«
»Na, Sie sind gut. Ich weiß weder das eine noch das andere. Herrje! Wir wollten doch nur spazieren gehen.« Mir kamen die Tränen, ich schluchzte leise.
»Spazieren, ah ja. Gewiss.« Sie glaubte mir kein Wort, das war ihr anzusehen.
»Wo ist Jack?«
»Jack? Ist das Ihr Begleiter?«
»Ja doch. In Kuba hat alles angefangen, und in Hamburg spitzte sich die Sache zu. Ein Mann war in meiner Wohnung. Dr. Marten, mein Nachbar, der auf mich geschossen hat, glaube ich.« Hier wurde ich unterbrochen.
»Moment, Moment. Es wurde auf Sie geschossen? In Ihrer Wohnung? Und Sie haben nicht die Polizei gerufen?«
»Nein. Ich wollte ja, aber dann … Und bei dem Spaziergang wurden wir entführt. Ich kann nicht sagen, warum, aber die suchen irgendeine vermaledeite Rolle. Drei Männer. Mehr weiß ich auch nicht, wirklich, ich habe keine Ahnung. Das macht alles überhaupt keinen Sinn ...« Mein Blick suchte Dr. Brenner. Ich war so müde, wollte einfach nur schlafen. Er erkannte mein Flehen und verwies die Beamten auf die nächsten Tage.
»Wir haben aber noch Fragen, was diese hanebüchene Geschichte mit dem Nachbarn betrifft«, protestierte die Beamtin.
»Gönnen Sie der Patientin ein wenig Ruhe. Sie hat viel durchgemacht. Wenn ich Sie nun bitten dürfte …« Als die Besucher widerwillig gegangen waren, lobte mich der sympathische Arzt:
»Das haben Sie gut gemacht, Amily. Ruhen Sie sich jetzt aus.« Ich versuchte ein schiefes Lächeln.
»Die weiß doch irgendwas. Wieso sagt sie es nicht?«, hörte ich die Beamten auf dem Gang schimpfen, dann schlief ich ein.
Es war am anderen Morgen, als der Duft nach frischem Kaffee meinen Schlaf unterbrach. Ich sprang auf und stürzte mich auf diesen Kerl, einen Schatten über mir, der mir zuvor die Schusswunde zugefügt hatte. Bei genauerem Hinsehen entpuppte der sich als Dr. Brenner.
»Amily, nein!« Ich sank zurück auf mein Kissen.
»Oh, bitte entschuldigen Sie meinen Angriff. Ich dachte, Sie wären der andere Arzt, der mich angeschossen hat. Der Kaffeeduft war wohl der Auslöser. Es tut mir leid.«
»Keine Sorge. Ich bin seit siebenundzwanzig Jahren Arzt und habe schon so einiges erlebt. Ihr Freund fragt ständig nach Ihnen. Wollen Sie ihn sehen?« Ja, unbedingt wollte ich das. »Er liegt nur zwei Räume weiter. Wenn Sie möchten, hole ich einen Rollstuhl ...«
»Keinen Rollstuhl, bitte. Ich schaffe das schon. Wenn eine Schwester oder Sie mich stützen, bekomme ich das gewiss hin.«
»Ich übernehme das.« Er bot freimütig seinen Arm an. Nur mit dem dünnen Krankenhausnachthemd bekleidet schleppte ich mich zur Tür, öffnete diese vorsichtig, warf einen Blick auf das rege Treiben im Gang. »Es ist nur zwei Türen weiter links.« Nur zwei Zimmer weiter?
»Das bekomme ich hin. Doktor, Sie bleiben doch besser hier, ich versuche es alleine.«
»Wie Sie meinen. Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe brauchen.« Mit größter Mühe hielt ich mich aufrecht und stand schließlich atemringend vor dem Zimmer mit der Nummer dreihundertdrei. Dr. Brenner warf mir aufmunternde Blicke zu. Die wenigen Meter waren in meiner Lage anstrengender gewesen als ein Marathon. Ich klopfte an, doch es kam keine Reaktion.
»Jack? Ich bin’s.« Ich öffnete die Tür, trat ein. Eine Gestalt lag dort, zugedeckt bis zur Nasenspitze, ich schloss die Zimmertür von innen. »Schatz?« Vielleicht schlief er. Ich näherte mich dem Krankenbett, die Hand schon ausgestreckt, um nach dem Laken zu greifen. In meinem Bauch kribbelte es wieder. Hinter dem Bett kam die Blondine zum Vorschein, ich zuckte zusammen, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
»Dachte ich es mir doch. Du bist gar keine Polizistin, du Miststück!«
»Nein, Schlaumeier. Ich bin diejenige, die dir das nette Andenken verpasst hat.«
»Du? Du Schlampe! Tut das Handgelenk wenigstens noch weh?«, erwiderte ich kalt lächelnd. Damit wäre das Geheimnis um den Schützen gelöst. Sie bemerkte abfällig:
»Nicht der Rede wert - Berufsrisiko.«
Im nächsten Augenblick stieß Barbie mit einem langen Kampfmesser nach mir. So haben wir nicht gewettet! Reflexartig wich ich seitwärts aus. Ein Blitz raste von den Nervenenden meines verletzten Beins direkt ins Hirn. Ich war hellwach, packte mit der linken Hand einen ihrer Arme und zog ihren Oberkörper nach vorne. Mit der rechten ergriff ich ihren anderen Arm, den mit dem Messer, und rammte ihr die dreißig Zentimeter lange Klinge in den Bauch. Woher ich die Kraft dazu nahm, war mir ein Rätsel. Es fuhr ins Fleisch wie in Butter. Angeekelt ließ ich das Messer los, das noch in ihr steckte. Sie sackte am Fußende des Bettes zusammen, die Hände auf den Bauch gepresst. Der Blick aus ihren entsetzt dreinblickenden Augen wurde glasig. Es gab noch ein dumpfes Röcheln, dann herrschte Stille im Raum ...
Ich riss die Bettdecke zurück. Als hätte ich es geahnt! Das war nicht mein Jack. Wo die eine war, konnte der andere nicht weit sein. Schmidt grinste.
»Lassen Sie mich raten, Sie sind die Heldin, die gedroht hat, alles um sich herum zu töten, falls Jackyboy etwas zustoßen würde. Also hier bin ich«, sagte der Pseudopolizist, den ich vorhin noch sympathisch gefunden hatte, mit einer einladenden Geste. »Leider wird dir deine Tapferkeit rein gar nichts nützen, denn du wirst dir jetzt das Leben nehmen, springst einfach aus dem Fenster. Sowas passiert jeden Tag, überall auf der Welt.«
»So, tue ich das?« Ich war wild entschlossen, Jack und mich zu beschützen. »Ich wüsste nicht, wieso.«
»Los, rüber zum Fenster!« Er winkte mich mit seiner schalldämpferbestückten Pistole in der Hand nach rechts. »Mach es auf!« Unbeholfen machte ich mich am Fenster zu schaffen. So sehr ich mich auch bemühte, denn mit dem Kerl war nicht zu spaßen, aber der Griff rührte sich keinen Millimeter. Ich zerrte und riss an dem Hebel. Erfolglos.
»Mach schon!«
»Es geht nicht.« Ich gab es auf, hatte ja eh nicht vor ... Mein Trommelfell vibrierte, als sich ein Schuss löste. Ich sprang zur Seite und schrie vor Schmerzen auf. Die plötzliche Bewegung tat mir gar nicht gut. Er hatte den Griff abgeschossen, und das Fenster schwang nun von selbst auf.
»Zu blöd, ein Fenster aufzumachen. Los, spring jetzt, du dämliche Kuh!«
»Nein! Niemals.« Der Kerl packte hart in mein Genick und drückte mich über das Sims. Er war ziemlich sauer. Doch ich hatte nicht vor, jetzt zu sterben. Herr Schmidt war doch nicht so gut in Form, wie er selbst gern hätte, das spielte mir in die Hände. Ich drehte mich geschickt nach links, zurück in den Raum, damit hatte er nicht gerechnet. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings aus dem Fenster. Das Glück war heute eindeutig auf meiner Seite. Ich erhaschte noch einen Blick in seine kalten Augen. Ihm kam kein Laut über die Lippen, er feuerte aber unkontrolliert um sich. Die Kugeln schlugen zum Glück nur in der Fassade ein. Dann ein dumpfes Geräusch und dann – nichts mehr.
»Was ist hier los? Es klang wie Schüsse.« Dr. Brenner stürzte atemlos in den Raum, sah die Polizistin tot in einer Blutlache am Boden liegen, blickte auf das offene Fenster und begriff.
»Alles in Ordnung, Amily?« Ich nickte und deutete nach draußen. Der Doktor schaute erst auf die andere Leiche im Garten und dann auf mich.
»Sie kann man nicht eine Minute aus den Augen lassen.«
Welche Reaktion auch immer ich erwartet hatte, diese jedenfalls nicht.
»Wo ist denn Jack?«, wollte ich wissen.
»Ja, wo ist er?«, fragte Brenner erstaunt. Im gleichen Augenblick trommelte jemand von innen gegen den verschließbaren Wäscheschrank. »Aha!« Der Arzt befreite den Gefangenen umgehend.
»Oh, Jack!«, rief ich aus.
»Bist du okay, Amily?«, fragte er kurzatmig und ich nickte. »Ich habe Schüsse gehört.«
»Ja, das stimmt. Was ist mit dir? Geht es dir gut?«
»Entschuldigt die Unterbrechung, aber ihr müsst weg von hier. Kommt!« Wir begaben uns Richtung Lastenaufzug, der in unserer Etage gewartet hatte, und fuhren aufwärts.
»Was soll das alles?«, fragte ich.
»Ich will euch helfen.«
»Aber wieso?« Dr. Brenner überreichte uns eine Kreditkarte, Bargeld und etwas, das wir sicher nicht erwartet hatten: Eine Rolle für alte Dokumente oder Skizzen, die er unter seinem Kittel verborgen hatte. Jetzt wurde mir einiges klar. Die Männer in der Lagerhalle hatten auch von einer Rolle gesprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um zwei verschiedene handelte, war mehr als gering. Nur was bitte hatten Jack und ich damit zu tun? Ich wollte noch so viele Fragen loswerden. Der Aufzug stoppte und entließ uns ins Freie.
»Ein Hubschrauber wartet auf dem Dach. Ihr müsst diese Rolle unbeschadet nach Miami bringen. Ihr bekommt dabei jegliche Hilfe, die ihr braucht«, versprach Dr. Brenner und umarmte mich kurz. »Pass auf dich auf, Amily. Viel Glück.« Dann flüsterte er mir ins Ohr: »Erinnere dich, du warst schon mal dort. Erinnere dich, Sacré Coeur de Montmartre!«
»Nein«, protestierte ich. »Unmöglich!« Eine Kugel durchschlug die Mauer zum Helikopterdeck und durchbohrte Dr. Brenners Rücken. Sein Gesichtsausdruck ließ nur den Schluss zu, dass es sehr ernst um ihn bestellt sein musste. Er befahl uns, endlich abzuhauen.
»Los doch, geht! Seht nicht zurück!«
»Aber …« Sein Blick barg dennoch einen Funken Hoffnung.
04 - Flucht
Jack griff nach meinem Ellenbogen und zog mich mit. Wir hinkten, so schnell es in unserem Zustand möglich war, zum Helikopter, dessen Triebwerke auf Hochtouren liefen. Mit letzter Kraft hievten wir uns auf die Sitze, und dann schwebten wir auch schon davon. Es ging alles so rasend schnell, zum Nachdenken blieb überhaupt keine Zeit. Das Dach des Krankenhauses konnte ich bald nur noch schemenhaft erkennen. Noch nie war ich mit einem Hubschrauber geflogen, hatte aber keine Angst. Jack war sichtlich erschöpft und kämpfte gegen die Müdigkeit an. Warme Decken und etwas Wasser aus Glasflaschen lagen für uns bereit, sowie ein paar Powerriegel. Der Pilot warf mir einen kontrollierenden Blick zu. Als er sprach, hatte sein Deutsch einen leichten Akzent:
»Ruhen Sie sich aus. Wir sind ein paar Stunden unterwegs.« Ich nickte nur, hüllte mich fester in die Decke und starrte nach draußen. Der slawische Pilot lieferte uns zwei Tankstopps später auf einem kleinen Bauernhof in Südfrankreich ab. Das beschauliche Örtchen hieß Bormes-les-Mimosas, hatte mir unser Pilot erklärt. Ich konnte das Meer sehen, während der Hubschrauber über nicht bewirtschaftetem Ackerland nach einem Landeplatz suchte. Am Rande erstreckte sich ein flaches, lang gezogenes Gebäude aus grobem Stein, dahinter war das Festland zu Ende.
»So, Leute, wir sind da. Der Mann, der hier lebt, weiß Bescheid. Los, raus jetzt, und viel Glück.«
»Danke«, murrte Jack. Wir kletterten aus dem Helikopter und hinkten geduckt auf das Gebäude am Rande des Feldes zu. Der Hubschrauber stieg umgehend auf, drehte ab Richtung Meer. Minuten später explodierte er über dem offenen Wasser mit einem lauten Knall. Der Feuerball am Himmel erinnerte an einen Mini-Atompilz. Ich klammerte mich an Jack.
»Heilige Mutter Gottes!«, stieß er hervor.
»Passiert das alles wirklich? Was für ein Horrortag«, murmelte ich.
»Allez, allez! Nur herein.« Ein Mann winkte uns ins alte Backsteinhaus. »Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Mein Name ist Alfons Missàr. Ich werde in den nächsten Tagen für Ihr Wohlergehen sorgen. Also, wenn Sie etwas benötigen, lassen Sie es mich wissen.«
»Sehr großzügig«, antwortete Jack. In meinen Augen ähnelte Monsieur Alfons jemandem in einer Fernsehserie aus meiner Kindheit. Er war schätzungsweise Ende vierzig, Anfang fünfzig, nicht besonders groß, der Schatten eines Schnurrbarts lag über seiner Oberlippe wie ein Bleistiftstrich. Seine dunklen Haare trug er auf altmodische Weise zur Seite gekämmt. Ich erkundigte mich:
»Monsieur, wie können wir uns für Ihre Hilfe bedanken?« Er winkte unwirsch ab.
»Ganz einfach, indem Sie unversehrt mit der kostbaren Fracht in Miami ankommen. Vorerst jedoch wird das Ihr Quartier für die nächsten Tage sein. Morgen kommt ein Ärzteteam und schaut nach Ihnen. Das sind Spezialisten. Also, ruhen Sie sich aus!«
»Nichts lieber als das«, stöhnte ich.
»Wenn Sie etwas benötigen, rufen Sie mich. Egal wann.«
»Werden wir.« Miami? Sacré Coeur de Montmartre? Was passierte hier? Was wollten die alle von uns? Ich fiel bitterlich weinend in Jacks Arme, nachdem wir in unserem vorläufigen Quartier angelangt waren. Das Backsteinhaus verfügte nur über eine Etage. Die Küche schien der Mittelpunkt des Hauses zu sein. Drumherum befanden sich mehrere Schlafräume samt Bäder.
In unserem Zimmer hatte der Gastgeber einen Krug Wein und Wasser aufgebaut, daneben einen Korb mit Baguette. Es gab ein kleines Tischchen und zwei Stühle an der Fensterseite, ein großes Bett und einen kleinen weißen Schrank. Der Raum hatte vielleicht fünfzehn Quadratmeter. Fünfzehn Quadratmeter Privatsphäre. Es gab auch einen Satz frische Nachtwäsche für uns.
»Merkwürdiger Kauz. Aber nett, oder?« Jack stimmte mir zu. »So viele Leichen«, seufzte ich deprimiert. »Jack, es ist so furchtbar. Wie kann das ein Mensch jemals wieder gutmachen?« Ich küsste ihn tränenüberströmt und mit Leidenschaft. Ich konnte und wollte ihn nie mehr loslassen, doch er stöhnte auf.
»Habe ich dich zu fest gedrückt? Entschuldige. Komm, ich wasche dich und ziehe dir ein frisches Nachthemd an. Ist doch schick, schau!« Jack aber weigerte sich, sich umzudrehen. »Oh Gott.« Ich sackte aufs Bett, umklammerte das Nachthemd. »Ist das in der Lagerhalle wirklich passiert?«
»Ja, Amily, leider. Dabei wollte ich nicht, dass dir etwas zustößt.«
»Aber Jack ...« Besorgt fragte ich: »Kannst du überhaupt liegen? Na los, lass dich verwöhnen.«
»Nein, Amily.« Er griff nach meinem Arm. »Du kannst dich doch selbst kaum auf den Beinen halten.«
»Ich möchte es aber gerne tun.« Ich wusch ihm Füße, Beine, Bauch und Gesicht voller Zärtlichkeit. Obwohl Jack ganz schön gelitten hatte, war er nicht verlegen anzumerken, dass sein bestes Stück ebenfalls dringend eine Wäsche nötig habe.
»So so, hältst du das denn aus?«
»Bestimmt«, entgegnete er schief lächelnd. Ich hinkte ins Bad, wusch mich selbst notdürftig und kam mit einem ausgewrungenen Waschlappen zurück. Und wer war bereits eingeschlafen? Jack sah völlig entspannt aus, ihm lag ein freches Grinsen auf dem Gesicht, aber ich wusch sein Glied trotzdem. Das füllte sich mit Leben und wurde hart. Jack öffnete die Augen und flüsterte:
»Was würde ich darum geben, wenn du mich nur bis zur Besinnungslosigkeit vögeln könntest.« So etwas brauchte man mir für gewöhnlich nicht zweimal sagen, aber wir hatten derbe einstecken müssen. Den Schmerzen zum Trotz unternahm ich einen Versuch, musste aber bald einsehen, dass es noch zu früh dafür war.
»Amily, ich liebe dich. Es ist schon gut. Die Zeit wird kommen.«
»Ja, bestimmt.« Wir legten uns auf die Seite, meine gute Seite, unsere aneinandergeschmiegten Körper bildeten eine perfekte Einheit. Wir waren wie Yin und Yang. Ich lachte völlig überdreht, weil ich mit diesem Mann glücklich war, wenn ich nur in seiner Nähe sein durfte. Mein Jack war ein gutaussehender, dunkelhaariger Mann, kräftig, mit einem wahnsinnig interessanten, natürlichen Duft und er hatte gute Manieren. Aber wer war er wirklich? Nun, er würde es mir gewiss sagen, wenn die Zeit dafür reif war.
»Mademoiselle, Monsieur, ich bin es Alfons. Sie müssen aufstehen.« Er kam ungebeten ins Zimmer und zog die Vorhänge auf. Die Sonne sandte ihre Strahlen kraftvoll durch das schmale Fenster direkt auf unser Bett.
»Das Essen stelle ich hier auf den Tisch.« Er verließ den Raum, dabei glaubte ich, sogar eine leichte Verbeugung gesehen zu haben. Theoretisch würde er den perfekten englischen Butler abgeben - als Franzose, diese Vorstellung amüsierte mich.
Mit dem Handrücken fuhr Jack über meine Rippen, es kitzelte ein wenig. Er las mit seinen kraftvollen Händen auf meinen Brüsten den aktuellen Liebeshunger ab. Die Erregung ließ nicht lange auf sich warten. Meine Brustwarzen verwandelten sich in kleine harte Knospen. Er hatte mich im Handumdrehen heißgemacht. Jack verschwand im Bad und ich konnte den Düften nach Kaffee und Croissants nicht widerstehen, stellte mich ans Fenster und schaute versonnen in die Natur. Es gab dort draußen nichts Besonderes zu sehen, außer frühlingshafter mediterraner Landschaft. Ich nippte an meinem Getränk. Jacks Atem kitzelte in meinem Nacken. Er küsste zärtlich meine Schulter, dabei sah er das ganze Ausmaß der Wunden auf meinem Rücken und sog hörbar die Luft ein.
»Das muss doch höllisch schmerzen.«
»Tut es.« Jacks Hand ruhte auf meiner Hüfte. Dort würde sie nicht lange verweilen, wenn ich ihr keinen Einhalt gebot. So konnte ich den Kaffee nicht genießen.
»Nicht, Jack, lass uns essen. Wir werden noch verhungern.«
»Ja, ja, mache ich jetzt.« Er kniete hinter mir und liebkoste die weiche Haut um meinen Schoß. Jack war in der Lage, mich binnen Sekunden gefühlsmäßig ins Chaos zu stürzen. Er berührte meine empfindliche Stelle, und spätestens jetzt lösten sich meine guten Vorsätze in Rauch auf. Ich stöhnte, Jack stand auf, er hatte sein Ziel erreicht. Ein paar kraftvolle Stöße genügten, um mich in blanke Raserei zu versetzen. Unwillkürlich schrie ich meinen Orgasmus hinaus.
Ich umarmte Jack, streichelte seinen Kopf. Er ging mit mir zum Tisch und nahm Platz. Ich setzte mich auf seinen Schoß, griff an ihm vorbei nach einem Croissant, tauchte das Gebäck in die Marmelade und steckte es meinem Liebsten in den Mund. Ich zog es in Zeitlupe wieder heraus. Das Spiel mit dem Feuer konnte jederzeit in einen Flächenbrand ausarten. Es hatte mich höllisch erregt, dass er nur die Marmelade abgelutscht hatte. Plötzlich ging die Tür auf und ich schrie vor Schreck, umklammerte fest meinen Liebsten.
»Können Sie nicht anklopfen?«, fauchte Jack.
»Die Ärzte sind da, verzeihen Sie bitte.«
»Wir kommen«, murmelte Jack mürrisch. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er entschuldigte sich für seinen Ausbruch und die Situation im Allgemeinen und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Gleichzeitig massierte ich mit beiden Händen Mr. Jack, als wäre es morgen verboten. Es dauerte nicht lange und er ergoss sich in meinen Händen.
»Amily, du weißt wirklich, wie man einen Mann verwöhnt.«
»Ach was, ich liebe dich so sehr und das liegt nur an dir. Du machst mich völlig wahnsinnig. Wir sollten uns beeilen, man erwartet uns ...« Ich schaute nach Jacks Rücken und streifte uns anschließend die Nachthemden über. Ich nahm ihn in die Arme, küsste ihn, sah in seine braunen Augen, und so verharrten wir. Wir brauchten keine Worte.
»Du machst mich immer so nervös«, ließ Jack bald verlegen verlauten.
»Nein, das ist einfach nur Liebe«, platzte ich heraus. »Na komm, die Ärzte können nicht den ganzen Tag warten.« Auf dem Flur empfing uns eine Krankenschwester wie aus dem Lehrbuch mit mürrischem Gesichtsausdruck.
»Sie werden bereits erwartet. Hier entlang.« Sie wies uns den Weg in einen anderen Raum. Dort begrüßten uns drei grinsende Gesichter, die zu dem Ärzteteam gehörten, das uns untersuchen sollte. Siedend heiß wurde mir bewusst, dass die Wände in diesem Haus wohl doch nicht so schallisoliert waren, wie vermutet. Ich versuchte es mit einer altbewährten Methode. Flucht nach vorn.
»Was ist? War das nicht gut, was ihr gehört habt?«
»Doch doch, wir sind ja nicht taub, Mademoiselle«, antwortete einer der drei Männer verschmitzt lächelnd. »Sie konnten sich etwas erholen, nehme ich an?« Die Mediziner stellten sich kurz vor, untersuchten uns gründlich, murmelten auf Französisch ein paar Worte, die ich nicht verstand und ließen uns wissen, dass sie mit den Heilungsprozessen äußerst zufrieden wären. Die Schussverletzungen hatten sich in den letzten Tagen gut geschlossen, sollten aber nicht überbeansprucht werden. Die plakativen Schürfwunden auf meiner Rückseite waren trocken.
»Sie haben gutes Heilfleisch«, wurde ich gelobt. Zu den Vernarbungen auf Jacks Rücken meinte der Älteste:
»Ich rate zu einer plastischen Operation. Schonen Sie sich die nächsten Tage unbedingt noch. Von uns bekommen Sie ein paar Schmerztabletten und Verbandsmaterial, damit sollten Sie über die Runden kommen.«
»Prima.« Einige fachliche Fragen unsererseits notierten sie sich und stellten uns dann einen Zugangscode für ein spezielles Krankenhaus zur Verfügung.
»Nur mit diesem Code erhalten Sie Zutritt in unsere Charité in Paris, haben Sie das verstanden? In spätestens sechs Monaten sollten Sie dort vorstellig werden, junger Mann. Ich rate Ihnen dringend, den Termin wahrzunehmen. So, damit sind die Untersuchungen abgeschlossen. Wir wünschen alles Gute für Sie beide.«
Wir bedankten uns, aber als sie sich verabschiedeten, trat einer nah an mich heran und flüsterte:
»Erinnere dich, Amily«, und ging. Mich ließ er perplex zurück. Jack fragte:
»Was hat er gesagt?«
»Ich soll mich erinnern.«
»Was bedeutet das?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Im Flur begegnete uns Alfons, unser Gastgeber.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Ja, wir haben den TÜV-Stempel bekommen«, scherzte ich.
»Sehr schön. Für die weitere Genesung steht Ihnen mein Haus zur Verfügung. Die nächsten zwei Wochen können Sie hier in Ruhe verbringen, dann werden Sie abgeholt. Ich melde mich zu gegebener Zeit. Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
»Vielen Dank, das ist sehr großzügig von Ihnen. Aber weshalb tun Sie das alles? Wir sind doch Fremde für Sie.«
»Meine Liebe, es wird sich alles zu gegebener Zeit klären. Seien Sie unbesorgt. Ruhen Sie sich aus, werden Sie gesund. Das ist alles, was zählt.« Das war nicht die Erklärung, auf die ich gehofft hatte, aber mehr Infos sollte ich nicht bekommen.
»Na gut, aber es gibt da ein Problem. Unsere Sachen sind abhandengekommen. Das heißt, wir stehen mit leeren Händen da.«
»Es ist für alles gesorgt. Und wenn dennoch etwas fehlt, lassen Sie es mich wissen.«