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Der Zorn ist eine vielschichtige Emotion mit unterschiedlichster Intensität, die sich sogar im positiven Sinn auswirken kann, hat aber durch viele Jahrhunderte unreflektierter Anprangerung seine Narben hinterlassen. Der Zorn kann im Kampf um die Menschlichkeit zu einer mächtigen Waffe werden. Einige würden sogar so weit gehen, diese Emotion zu verdrängen und die Menschlichkeit sich selbst überlassen, was die Frage aufwirft: Welche Sünde ist größer – der Zorn oder die Furcht? Warum sollte ein guter Mensch nichts tun, um die Welt zu verbessern? Ist es besser, das Unbekannte zu fürchten oder das Feuer ausbrechen zu lassen, das den Kampf entfacht?
Ich möchte an dieser Stelle mal eine merkwürdige Idee vorstellen: Was ist Tapferkeit, wenn nicht eine potente Kombination von Zorn und Furcht? Lässt sich der Wagemut nicht darauf zurückführen, dass ein Mensch so wütend und ängstlich ist, dass ihm das Undenkbare gelingt? Wut durchdringt die Gesellschaft. Wenn die Nettigkeiten verflogen sind, kommt der uralte „Kämpfe oder flüchte“-Instinkt, der Überlebenstrieb, zum Vorschein. Können wir überhaupt mit wütenden Menschen klarkommen? Ja sicher, denn das müssen wir jeden Tag. Können wir ein Leben ohne den Zorn führen? Mit aller Deutlichkeit – nein! Eine friedliche Koexistenz ist nicht in unserer DNS festgeschrieben. Es gelingt uns, eine gewisse Freundlichkeit zu spielen, doch wir werden nie die Ruhe und den Frieden finden, in denen keine Wut existiert. Und warum sollen wir dieses Gefühl in die Kategorie „Todsünde“ einordnen? Vergiss, was Idealisten und Hippies behaupten – der Zorn ist allgegenwärtig und wird es immer sein.
Das Thema geht mir ziemlich unter die Haut, denn ich bin immer wütend gewesen. Im Alter von neun Jahren habe ich die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit aus meinem Leben gestrichen. Als meine Welt aus den Fugen geriet, gehörte die Idylle der Vergangenheit an. In meiner frühen Kindheit musste ich Armut, Erniedrigung, Schikanen und Missbrauch erleben, und je mehr sich meine Muskeln anspannten, desto wütender wurde ich. Mit jedem Schlag, den ich wegsteckte, ersehnte ich mir mehr und mehr den Tag der Abrechnung, an dem ich auf jeder Straße in jedem Land dieser Welt meine geballten Aggressionen ausleben könnte. Ich wünschte mir ein Karma, das Pflöcke in die finsteren Herzen derer trieb, die Schuld an der Verbitterung trugen, die mich einen Großteil meines Erwachsenenlebens plagte. Meine Erinnerung ist lückenlos: Ich erinnere mich daran, wie ich über und über mit Essen bekleckert die Schule verließ, weil die Klassenrüpel mit ihren Tabletts nach mir geworfen hatten. Ich musste mir sichere Wege nach Hause einfallen lassen, da einige Idioten scheinbar nichts besseres zu tun hatten, als mich plötzlich anzuspringen und zu Boden zu reißen. Und dann riefen sie noch an, verarschten mich und warfen Klopapier in unsere Bäume, sodass ich das Gefühl bekam, niemals geschützt und geborgen zu sein. Jeden Morgen bevor ich zur Schule ging, hätte ich in Tränen ausbrechen können. Ich erinnere mich an die Scham und die Verletzungen – und ich erinnere mich daran, in ein Haus zurückzukehren, das auch nicht sicher war.
Ja, noch heute kann ich mich an die Namen der ganzen Typen erinnern.
Ich weiß, was sie machen und wie ihr Leben aussieht: Jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend verbringen die in einem dunklen Loch voller Ignoranz. Und weil ich immer noch wütend bin, und es immer sein werde, denke ich daran, wie diese Großkotze, die eins auf die Fresse kriegen müssten, geendet sind.
Und ich lächele.
Vielleicht werde ich meinen Zorn, meine Wut niemals los, aber ich werde auf immer und ewig den letzten Lacher haben.
Ist das schlimm? In Deutschland wird das Gefühl mit dem Wort Schadenfreude bezeichnet, was so viel bedeutet wie: „Spaß daran zu haben, das Pech oder Versagen eines anderen zu beobachten.“ Ist es falsch, sich einen abzulachen, weil aus den beschissenen Rabauken meiner Kindheit noch größere Versager geworden sind, als ich es mir jemals hätte vorstellen können, dass sie sich abstrampeln und ein Leben führen, mit dem ich mir noch nicht mal den Arsch abwischen würde?
Für einige wäre das falsch, aber für mich? Verdammt noch mal, nein!
Ist es eine Sünde? Natürlich nicht!
Es reicht schon an die Definition des Menschseins heran, wenn du Spaß dabei hast, dass deine Feinde in ihrem Leben eine größere Portion Scheiße aufgetischt bekommen, als du selbst. Wie könnten wir auch sonst „die schlimmsten Tage, die wir je erlebt haben“, überstehen? Für das, was wir erreicht haben, wird es immer eine Anerkennung geben, die uns aber nie ausfüllt – und wir werden uns darüber ärgern.
Können wir aber die Verbitterung loslassen?
Wenn du dich abreagiert hast, hinterlässt der Zorn einen widerlichen Nachgeschmack im Mund, und du fühlst dich schuldig. Auch wenn du Genugtuung erfahren hast, bleibt dennoch dieses verbitterte Gefühl. Wie ihr wisst, war ich in der Lage weiterzukommen. Ich konnte mich befreien, den Druckkessel des Hasses anzapfen und daraus etwas Positives machen. Aber diese schmerzliche Emotion umkreist mich wie stechender Zigarettenqualm. Möglicherweise wird das niemals verschwinden, aber dennoch ist es okay. Nur durch die Erfahrungen, die Reise des Lebens, kannst du dich selbst erkennen und daraus lernen.
Gut, dann unterhalten wir uns mal über was anderes, zum Beispiel über die Vorstellung andere umzubringen.
Bevor ihr jetzt meint, ich wäre total übergeschnappt und hätte Prügel verdient, will ich darauf hinweisen, dass so ein Wunsch nichts Ungewöhnliches ist. Jeder hat in seinem Leben schon hunderte Male völlig Fremden den Tod gewünscht. Dem Typen, der vor einem fährt und entweder eine Hausnummer sucht oder zu viele „Medikamente“ im System hat. Den Leuten auf dem Flughafen, die scheinbar über alle Zeit der Welt verfügen, vor sich hin schlendern und die anderen Fußgänger aufhalten. Dem Trottel in der Schlange bei McDonald’s, der „äh-äh-ähend“ ein Menü sucht, das es schon lange nicht mehr gibt, bis er schließlich die verfluchte Nummer 2 mit einer Coke bestellt – wie immer! Die lahmen Enten im Einkaufszentrum, die Leute, die mit ihrem Hund Gassi gehen, schnelle Spaziergänger, langsame Spaziergänger – sie alle frustrieren uns dermaßen, dass wir am liebsten Glas kauen, runterschlucken und an inneren Blutungen sterben würden. Die Ungeduld kann einen zur Raserei bringen, bis man sich heimtückischste und schäbigste Arten des Ablebens für die ausdenkt, die einem zu viel der eigenen, kostbaren Zeit klauen.
Gott weiß, dass auch mir solche Gedanken durch den Kopf schwirren.
Wenn du jetzt meinst, du wärst zu „reif“ für solche Gefühle, bist du entweder ein Lügner oder du verdrängst sie. Wir haben uns schon alle im „Jack-The Ripper“-Stil den Weg durch eine Menschenmenge gebahnt, zumindest in unseren kleinen, miesen Gedanken. Hier taucht wieder der selbstbezogene Scheiß auf, eine Haltung, die sich so beschreiben lässt: „Ich bin der einzige, der an diesem Tag existiert.“
Das ist alles in Ordnung und menschlich, aber du kannst es mir glauben: Es gibt nichts Schlimmeres als passiv-aggressive Wut. Ich bin genau so ein Zyniker, wie jeder andere auch, aber wenn sich die Verbitterung eines engen Freundes in beschissenen, neumalklugen Kommentaren niederschlägt, die dir den letzten Nerv rauben, ja, dann ist Schicht im Schacht! Ich bin sehr glücklich – über meine Karriere, meine Familie und sogar die Chance, dieses Buch zu schreiben. Aber wenn Leute, die ich seit Jahrzehnten kenne, mit diesem ganzen „Denk immer daran, wo du herkommst“-Unsinn ankommen, treibt mich das wirklich auf die „Straße der Mörder“. Noch schlimmer kommt es, wenn Leute deine Leistungen absichtlich übersehen und dich wie einen Grundschüler behandeln, der am Freitag einen Teil seines Milchgeldes abgeben soll. Schnappt euch Stift und Papier, meine Kinder, denn nun erteile ich euch eine kostenfreie Lektion! Die besten Freunde im Leben sind die, die dir nicht das Gefühl vermitteln, als würdest du ihnen was schulden. Einige meiner „Freunde“ versuchten Positionen einzunehmen, die ihnen nicht zustehen. Hey, verdammt – was willst du da? Und wenn du dazu ein paar hässliche Worte verlierst, bist du der Arsch, wirst gemieden und stehst allein da. Falls du überhaupt nichts sagst, ist das deine Schuld und du musst den Mist schlucken. Erkennst du die Problematik? Da ist es sogar noch „angenehmer“, wenn dir deine Familienbande Zusammenhalt bringen – vielen Dank, lieber Weihnachtsmann. Du bist das Schlimmste überhaupt! Hier muss ich Coca-Cola die Schuld in die Schuhe schieben, die daraus eine Kitschveranstaltung gemacht haben. Der gute, alte St. Leck-mich-doch sitzt da wie der Oberste Richter und beurteilt harmlose Kinderlein mit ihren kleinen Kerzchen – du darfst sie auch Elfen nennen, ich weiß es besser – und jedes Jahr läuft der gleiche Scheiß ab.
Die Wunschliste in der einen Hand und in der anderen dieses Krawatten-Scheißding. Versteht mich bitte nicht falsch, ich mag die Dinger wie jeder andere auch, ziehe aber die Grenze bei Musik-Krawatten [Krawatten mit einem eingebauten Chip und einem Minilautsprecher, der ein Lied dudelt. Besonders in der Weihnachtszeit kann diese Geräuschkulisse zu einer Plage biblischen Ausmaßes werden]. Wer auch immer diese Teile erfunden hat, sollte sich hinstellen und mit jeder Krawatte, für die er die Verantwortung trägt, den Arsch voll kriegen. Ich werde wütend. Versuch jetzt bloß nicht, mich auf Pete Rose anzuquatschen, den Baseballspieler und –manager, der durch einen Wettskandal sein Ansehen verlor. Ihr gottverfluchten Cincinnati Reds – Johnny Bench darf in die Baseball Hall of Fame einziehen, weil er Hände wie Schaufeln hat, aber wenn der alte Pete ein paar Wetten macht, wird er angeschissen! Versucht mir hier bloß nicht zu erzählen, die anderen Spieler wären Unschuldslämmer – die sind doch alle total korrupt.
Wie in aller Welt und New Mexico lassen sich solche Ungerechtigkeiten erklären? Mal offen gesagt – da muss ich mich bepissen. Aber nur ein bisschen. Das ist aber längst getrocknet, wenn ich aus meiner kleinen Ecke in der Küche, in der ich schreiben darf, herausgekrochen bin, mir eine Kippe gedampft und meine Schlafklamotten angezogen habe. Wenn ich dann zu meiner Frau ins Bett steige, bin ich absolut pissefrei. Das, meine Freunde, kann man Zeitmanagement nennen! Es ist zugleich die Geschichte von Jesus. Wirklich. Wenn es darum geht, seine Kreuze oder Figuren zu putzen, denken die Leute nicht mehr an ihn, und darum stellen sie das alles in die Garage, wo es auch hingehört. Eine Garage ist einfach ein Stall für Pferde und Scheiß, oder um präziser zu sein, ihre Scheiße. Und solche Räume werden nur gemietet, wenn sie randvoll sind – mit Scheiße.
In Bezug auf den Zorn ist es wichtig, seine Sicherungen zu kennen und sich darüber klar zu sein, wer sie mit seinen fiesen Pfoten rausdrehen kann. Ich hasse es zum Beispiel, in L.A. mit dem Auto unterwegs zu sein, weil ich Leute anfahre. Damit meine ich nicht die Insassen anderer Autos. Ich fahre mit meiner Karre Fußgänger an. Die Einwohner von Los Angeles trotten über die Straßen und um Ecken, als würden sie entweder nach Hausnummern suchen (schon wieder so ein Fall!) oder gerade einem waschechten Engel begegnen. Die Schuld hierfür hat das „Pedestrian Right of Way Law“, jenes Gesetz, das Fußgängern die „Vorfahrt“ lässt. Da in Kalifornien wie auch in Florida verhältnismäßig viele alten Menschen leben, wurde es in Kraft gesetzt, um sie zu schützen.
Diese verdammten Idioten schlendern auf der Mitte einer Fahrbahn – betteln die wirklich darum, aus dem Genpool aussortiert zu werden? Und aus diesem Grund habe ich laut Statistik 47 Leute mit beinahe so vielen Autos angefahren. Aber keine Angst – niemand wird mich verhaften, denn als goldene Regel trage ich einen falschen Bart, wenn ich in irgendeiner Stadt unterwegs bin.
Kalifornien wirkt auf mich manchmal wie eine riesengroße Persiflage. Scheinbar jeder besitzt einen lebenslangen Vertrag für geistige Verzögerung, und so ist es auch nicht meine Schuld, wenn sie nach einer Kollision mit einem Chevy humpelnd oder verstümmelt durch die Gegend watscheln. Ist doch klar, oder? Scheiß doch auf sie – eine so geschniegelte, handzahme und dumme Gruppe von Menschen hat doch ein paar Wunden verdient. Das stärkt den Charakter. Hoffentlich sind sie jetzt ein wenig klüger.
Vielleicht sagst du dir jetzt: „Mag dieser Typ überhaupt irgendeinen Menschen?“ Das, mein mieser, kleiner Freund, ist die große Frage. Ich zweifele nicht daran, dass ich tief in mir drinnen tatsächlich meine galaktischen Brüder und Schwestern in ihren pinken Reisehöschen mag, die eine Runde auf dieser halbrunden Himmelscheibe abreißen, die wir unser Zuhause nennen. Aber meist kann ich gar keinen ab, dich eingeschlossen. Das ist aber nicht meine Schuld. Es ist deine! Ich habe alles versucht, um gut klar zu kommen. Du hast es vermasselt. Und das wiederum bringt mich zur Weißglut! Ist dir klar, was das bedeutet? Ganz einfach: Falls der Zorn eine Sünde sein soll, bin ich immer noch nicht schuldig, denn ihr Typen brachtet mich dazu, versehentlich zu sündigen. Ihr steht für die Sündenträger, die mit Gottlosigkeit wie mit Läusen um sich werfen. Nur wegen euch donnert der Blitz des Zorns vom Himmel herunter.
Hey, ich hab doch nur Spaß gemacht. Ach ja, und vielen Dank, dass ihr das Buch gekauft habt.

Mal ganz nebenbei dachte ich mir, dass Zorn eine Reaktion ist. Das Gefühl lässt sich nicht als eine Tat kategorisieren, die praktiziert wird. Es entsteht als Nebenprodukt verschiedener Stimuli. Dadurch erscheint unsere Gedankenkette in einem völlig neuen Licht. Wer soll zum Teufel noch mal beschuldigt werden, wenn die anderen dieses Gefühl aus dir herauskitzeln. Für mich sollten die Leute, die dir den Zorn entlocken, auch die Last der „Sünde“ tragen, falls man überhaupt von einer Sünde sprechen kann. Jeden Tag bringen strohdoofe Menschen das Schlimmste in anderen hervor und kommen ohne Strafe davon. Das ist doch die volle Ladung Affenscheiße. Wenn du einen anderen Menschen bis zum Durchdrehen reizt, sollst du die Sünde angekreidet bekommen. Falls du jemanden zur Gier anstachelst, erhältst du den Platzverweis. Das ist doch einfach nur gesunder Menschenverstand. Wenn du einen Mordauftrag erteilst, können sie dich zusammen mit dem Mörder belangen. Und wo liegt nun der Unterschied?
Der Grund, warum sich so viele Menschen vor dem Zorn fürchten, liegt in der damit assoziierten Gewalt. Die Gewalt löst Ängstlichkeit aus, und ängstliche Menschen ziehen eine Trennlinie und kapseln sich ab. Wie schon erwähnt – jeder wird wütend, doch nicht jeder reagiert gleich. Die Gewalt – und hiermit meine ich unterschiedlichste Nuancen – versetzt die anderen in eine Starre und bringt sie dazu, die wahren Gefühle zu verleugnen. Durch die Gewalt befürchten Menschen bei einem ungewöhnlichen Geräusch in der U-Bahn schon das Schlimmste. Durch drohende Gewalt überlegen sich die Leute – wie könnte es auch anders sein – mit wem sie es zu tun haben. Darum halten wir unsere Frustrationen zurück und verschwenden Zeit und Geld, um unsere Probleme teilnahmslosen Therapeuten zu erzählen. Manchmal wird durch die Stagnation, das Verdängen der Wut, eine Feuersbrunst überschäumender Vergeltung ausgelöst, die die Kirchen niederbrennt und unsere gemeinsame Sicherheit beschmutzt. Mir ist klar, dass ich gerade so boshaft wie der Schauspieler und Entertainer Nipsey Russell klinge, aber ich betrachte die Welt ohne Überheblichkeit und unvoreingenommen. Darum kann ich mit Sicherheit behaupten, dass unsere Reaktionen immer die Früchte unserer Kreationen verderben werden. Wenn du mit einer Situation in einer bestimmten Art und Weise umgehst, wirst du ein spezifisches Resultat erhalten.

Vor langer Zeit glaubte ich noch daran, dass die Menschen die richtigen Entscheidungen treffen. Unglücklicherweise riss mich die Realität immer wieder aus dieser naiven Ansicht. Mit 19 hatte ich einen Traumjob – in einem Plattenladen. Der gehörte zwar zu einer großen Kette, was mich aber nicht weiter störte. Im Grunde genommen war es das musikalische Äquivalent eines Jobs bei einer Fastfood-Kette wie Wendy’s, aber auch das konnte mich nicht erschüttern. Ich hatte die Chance, mir den ganzen Tag Musik anzuhören, und bekam einen wirklich netten Rabatt auf die CDs. Es war eine tolle Arbeit, obwohl ich mich nett und adrett kleiden musste. Das nervte natürlich, aber ich nahm es in Kauf, da ich zum ersten Mal, mit der Ausnahme des Musikmachens, etwas wirklich gut konnte. Es mag dämlich klingen, aber der Job gab mir das Gefühl, normal zu sein, und das „Normale“ fühlt sich in gewissen Zeiten einfach gut an.
Doch es gab ein Problem. Ich hatte lange Haare. Nach heutigen Maßstäben klingt das völlig belanglos, aber noch vor 15 Jahren machten die eine große Sache daraus, speziell im Mittleren Westen. Die Haare waren weder gefärbt noch trug ich Dreadlocks oder eine abgefahrene Frisur, ich hatte einfach nur lange Haare. Und was kann daran so schlimm sein? Die Antwort auf die Frage lautete offensichtlich: „Das ist einfach sehr schlimm!“ In den Arbeitsvorschriften dieser Kette stand, dass die Haare eines männlichen Angestellten nicht den Hemdkragen berühren durften. Mir wäre das eigentlich egal gewesen, doch als ich eingestellt wurde, wies mich niemand darauf hin. Nach einigen Monaten kam der Besitzer zur Inspektion, um alles penibel zu kontrollieren. Ohne etwas zu ahnen, stellte ich mich vor. Er blickte mich kurz an, drehte sich zu seinem Assistenten um und meinte: „Der muss sich die Haare schneiden lassen, oder er kann gehen.“ Mein Vorgesetzter versuchte alles, um mich zu verteidigen, aber es war schon zu spät. Die setzten mich verflucht noch mal vor die Tür.
Bist du bereit für den noch beschisseneren Teil?
Am anderen Ende der Stadt, in einer anderen Filiale, arbeitete ein Typ mit wesentlich längeren Haaren – und das schon seit sieben Jahren. Sieben verdammte Jahre! Der Filialleiter verhielt sich so geschickt, ihn immer während der Inspektionen zu verstecken. Ich zog ihn als Argument heran, um meinen Job zu behalten, aber keiner wollte großes Aufsehen erregen und etwas sagen. Ich war gefeuert und er behielt seine Arbeit, bis die ganze Kette pleite machte. Ich bete dafür, dass er mit seinen Haaren nun die Dixie-Klos in Toledo, Ohio putzen muss.
Als es darauf ankam, haben mich die Leute, wie es so üblich ist, verraten und verkauft, um den eigenen Job nicht zu gefährden. Auch der langhaarige Typ hätte etwas sagen können, blieb aber mucksmäuschenstill. Du stellst dir jetzt sicherlich die Frage, warum ich immer noch ein wenig angefressen bin. Um ehrlich zu sein, hatte ich schon gar nicht mehr daran gedacht, bis ich mit diesen Zeilen begann. Scheinbar bin ich noch ärgerlich, und der Grund dafür liegt darin, dass es einfach nicht fair war – und ich hege einen unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit! Falls du ein faires Spiel verlierst, packst du das weg, lernst daraus und machst es beim nächsten Mal besser. Aber beschissen und abgezogen zu werden wie ein Freak, während sich die anderen noch ein paar Tage als was Besseres vorkommen, ja, darin liegt die Wurzel meiner andauernden Wut. Wenn ich mir vor Augen führe, was ich in den letzen Jahren erreicht habe, sollte mich das eigentlich nicht mehr jucken. Ja, es war ein zeitlich begrenzter Job und ich lernte eine Menge, indem ich meinen Stolz runterschluckte und akzeptierte, dass es immer noch Menschen gibt, denen Männer mit langen Haaren Unbehagen bereiten. Aber ist das Gerechtigkeit?
Bei meinem Job habe ich mir den Arsch aufgerissen und den Umsatz gesteigert. Ich habe die Kunden höflich und zuvorkommend behandelt. Wäre ich ein ganz normaler Typ gewesen, hätten die mich für eine Beförderung vorgeschlagen. Schon damals hielt ich nicht viel von Kompromissen, und im Großen und Ganzen betrachtet war es wirklich eine triviale Angelegenheit. Aber die langen Haare? Nein, die hätten wirklich keine Rolle spielen dürfen! Ich bin zwei Mal reingelegt worden – ein Mal von dem Besitzer und dann noch von meinen Freunden. Bist du jetzt immer noch erstaunt, warum ich so sauer bin? Man lässt viel zu viele Menschen in seine Nähe, zeigt ihnen seine wirklichen Gefühle und verliert dabei die Kontrolle. Ich habe daraus eine bittere Lektion in Sachen Loyalität und Gerechtigkeit gelernt. Glücklicherweise begegneten mir Menschen in meinem Leben, die mir wieder den Glauben an diese beiden wertvollen Charaktereigenschaften ermöglichten. Aber trotzdem beschleichen mich bei den meisten Leuten so meine Zweifel. Ich vermute, das wird sich nie ändern.
Was ich damit eigentlich sagen will – im Leben wird es oft Momente geben, die dich wahnsinnig machen. Falls dir jemand was anderes erzählt, solltest du ihm oder ihr eine schallende Ohrfeige verpassen, denn es ist eine Lüge. Wie können diese Momente als Sünde bezeichnet werden, wenn sie ganz einfach zum Leben gehören? Der Mensch neigt zum Zorn. Die Scheinheiligen und Religiösen werden das als Beleg der ursprünglichen Sünde deuten; sie werden dir erzählen, dass Gott gnädig sein wird, wenn du ihn um Vergebung bittest. Wollt ihr mich verarschen? Wer seid ihr überhaupt? Ihr nehmt euch heraus von einem „Gott“ zu reden. Wenn es einen „Gott“ gibt, wie könnt ihr euch erdreisten, für ihn zu sprechen? Kennt ihr ihn? Habt ihr ihn getroffen? Hey, ich habe da eine viel leichtere Frage: Seid ihr verfluchte Lügner? Habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht, die nicht von Gottes Ouija-Brett, seiner Buchstaben- und Zahlentafel für spiritistische Sitzungen, gefiltert wurde? Hat euch Gott aus dem Himmel eine Textbotschaft gesandt? Vielleicht mit einem Emoticon mit Heiligenschein? Diese schmierigen Scharlatane mit ihren Heilsversprechen sind so viel wert wie ein zerschossenes Glas, kennen aber jeden nur erdenklichen Weg, um den Durst der Einsamen zu löschen, die nur Antworten auf ihre Fragen suchen.
Wir begegnen den dunkelsten Momenten unseres Lebens in den Winkeln und Nischen, die wir vermeiden wollen. Wie Verzweifelte klammern wir uns an ein wackeliges Seil, während wir uns durch Zusammenstöße und Ereignisse hindurchwinden. Doch die Ironie des Schicksals dringt in diese Nischen ein und zieht uns mit. So begegnen wir den dunklen Seiten der anderen, die wiederum unsere negativen Emotionen erleben. Sind wir es, die unser Umfeld beschmutzen, oder ist es unser Umfeld, das uns beschmutzt? Was tauchte zuerst auf – der Zorn und die Zerrissenheit oder das Schicksal?
Von mir aus können wir alle in einem riesigen Sumpf der ungelösten Fragen untergehen. Ich hoffe, aus Stereo wird Mono. Ich hoffe, dass die Welt mit einer fehlenden Leber aufwacht, die zuvor von einer drogensüchtige Nutte kaputt gefixt wurde – das würde ihr nur recht geschehen, mich so anzupissen!
Aber ich habe es kapiert, kann mich in die Schwierigkeiten hineinversetzen. Wir haben alle unsere Probleme. Es gibt immer wieder diese Tage, an denen wir ein Zeug fressen, das nicht besser ist als Hundefutter. Tage, an denen wir das Gefühl haben, dass ein Schild mit der Aufschrift „Bitte hier reinpissen!“ über unserem Mund hängt. Wegen solcher Tage sind wir geneigt, uns gegenseitig böse Blicke zuzuwerfen, fast so, als würden Blitze aus unseren Augen schießen. Die Seelen der Welt schreien voller Qual die gleichen Worte: „Hau ab und verrecke!“
Doch man sollte sich stets daran erinnern, dass auch die anderen in diesem Mist stecken. Wir alle müssen das Gleiche durchmachen und warten darauf, dass der Dampf abgelassen wird. Wenn wir dadurch als Sünder bezeichnet werden, dann hört mir jetzt genau zu. Sucht euch einen Platz aus. Pflanzt euch hin. Rückt ein wenig näher zusammen. Bloß nicht schüchtern sein. Fühlen sich alle gut? Cool. Kapiert es endlich: Wir alle sündigen, weil sie es uns einreden. Und deshalb sollten wir nicht mehr zuhören. Wir schalten einfach einen anderen Sender in unserer lokalen Rundfunkstation ein. Wenn uns die Geistlichen und Gläubigen mit ihrem Schwachsinn in den Ohren liegen, sollten wir mit Taubheit reagieren. Stehe ich mit dieser Ansicht etwa allein da? Ich bin ein zynisches Arschloch. Diese beängstigende Gutenachtgeschichte – auch Bibel genannt – ist in Ordnung, aber nur als ein staubiger Wälzer für eine längst vergessene Zeit. Man darf die Tatsache nicht vergessen, dass vieles aus dem Alten Testament einem Plagiat der Tora, des ersten Teils des Tanach, der hebräischen Bibel, entspricht. Christen verfügen über so wenig Vorstellungskraft, dass sie sich für ihre eigene Religion etwas leihen oder sogar stehlen mussten. Und die denken wirklich, dass ihnen das keiner übel nimmt, was in Selbstbetrug ausartet. Die gläubigen Juden blicken auf die Christen herab, und die Christen auf die Mormonen.