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„Servus. Ja meine Eltern sind mit Maxi unterwegs und Leopold wird auf irgendeinem Weinberg sein denke ich.“
„Ach so. Warum meldest du dich denn nie? Ich hab doch gesagt du sollst mal vorbei kommen?“
Jetzt versuche ich das Seufzen zu unterdrücken. Ich will ihn nicht unbedingt besuchen, ich wüsste nicht wozu, darum zucke ich nur mit den Schultern.
„Soll ich dich nach Hause fahren?“
„Nein, ich laufe, ist ja nicht mehr weit. Wir sehen uns.“
Ich versuche die Konversation abzukürzen. Er nickt etwas verständnislos. Ich will schon losgehen, aber er scheint noch nicht fertig zu sein.
„Warum ich eigentlich bei euch war…Vroni schmeißt morgen eine Geburtstagsparty für Jonas, ich wollte dich und Maxi einladen. Er wird sechs, ich denke die Jungs könnten sich gut verstehen.“
Ich lächle. Vroni ist seine jüngere Schwester, ich mochte sie immer sehr gerne. Auch wenn ich nicht unbedingt scharf auf einen Besuch am Hof der Klingers bin, für Maxi wäre es bestimmt lustig mit anderen Kinder spielen zu können. Darum stimme ich auch seinetwillen zu.
„Danke, das ist nett. Wann denn?“
„Um zwei. Ich freue mich.“
Ich zwinge mich zu einem: „Ja…ich mich auch.“
Er verabschiedet sich mit seinem mir durchaus bekannten Augenzwinkern. Charmant kann er schon sein wenn er will, allerdings verstehe ich nicht, was er bei mir damit erreichen möchte. Er fährt weiter und ich gehe nach Hause. Mir geht sowieso nicht ein, warum er nicht längst verheiratet ist und selbst Kinder hat. Er ist jetzt über dreißig. Aber ich will darüber nicht nachdenken, weil es mich eigentlich auch gar nicht interessiert. Gerade als ich am Hof ankomme, fahren auch meine Eltern ein. Endlich, der Tag war unglaublich lang ohne Maxi. Ich lege schrittmäßig zu und öffne die hintere Autotür.
„Na wie schaust du denn aus Bärchen?“, frage ich lachend.
Er hatte scheinbar einen richtig tollen Tag und so sieht er auch aus, ziemlich eingesaut.
„Mama schau, wir waren bei McDonalds und da hab ich ein Spielzeug bekommen, und wir waren dort wo man so toll turnen kann und der Opa kann nicht balancieren.“
So glücklich hab ich ihn lang nicht mehr erlebt. Er strahlt von einer Backe zur anderen.
„Ehrlich? Das musst du mir ganz genau erzählen. Am besten während du in der Badewanne sitzt, du schaust ja aus wie ein Schweinebärchen.“
Ich knuddle und küsse ihn. Schnell tritt alles worüber ich den ganzen Tag über nachdachte, sowie die Begegnung mit Markus in den Hintergrund.
Maxi ist nach dem Baden schnell eingeschlafen, er war komplett erledigt. Auch wenn es erst kurz vor neun ist, hab ich mich auch gleich hingelegt. Ich würde wirklich gerne einmal richtig gut schlafen. Sanft streiche ich noch einmal über seine Wange und fahre mit meiner Nase durch seine Haare. Dann schließe ich meine Augen und atme dabei tief durch.
„Warum gehst du mir nicht aus dem Sinn…warum nicht…“, murmle ich für mich selbst und versuche einzuschlafen.
Tatsächlich konnte ich die vergangene Nacht ein paar Stunden schlafen, dafür habe ich fürchterlich geträumt und bin heute auch nicht wirklich ausgeschlafener. Ich hatte solche Angst im Traum, weil mir ständig jemand Maxi wegnehmen wollte, als ich aufwachte war ich komplett schweißgebadet. Jetzt sind wir auf dem Weg zur Geburtstagsfeier von Jonas. Am Vormittag haben wir noch ein kleines Geschenk besorgt, Maxi freut sich total. Ich allerdings habe ein sehr komisches Gefühl im Bauch, das sich noch verstärkt, je näher wir zum Klinger Hof kommen. Nur nichts anmerken lassen, nehme ich mir vor. Am Hof hat sich nicht viel verändert, natürlich hat auch hier die Modernisierung nicht halt gemacht, aber es ist trotzdem wie immer. Der Klingerhof war schon immer sehr fortschrittlich. Vroni freut sich mich zu sehen und mir geht es nicht anders. Sie hat den Tisch im Garten festlich aufgedeckt und auch das Wetter ist perfekt für eine Geburtstagsparty im Freien. Alle scheinen sich über unseren Besuch sehr zu freuen und Maxi freundet sich sofort mit den anderen Kindern an. Meine Nervosität lässt nach. Ich sehe ihm beim Spielen zu und nippe an einem Glas Prosecco.
„Ich hole mal die Torte“, verkündet Vroni.
„Kann ich dir helfen?“, frage ich höflich.
Sie schüttelt den Kopf und geht auch schon von dannen, dafür setzt sich Anton neben mich.
„Schön dass du gekommen bist.“
„Du hattest Recht, Jonas und Maxi verstehen sich richtig gut“, entgegne ich.
Er nickt. „Ihr könnt ja gerne öfter zu Besuch kommen, würde mich freuen.“
Ich sehe ihn überrascht an. Schon wieder ein seltsam unterschwelliges Angebot. Er lächelt. Sein Lächeln ist ansteckend. Ja, ich war mal wirklich verliebt in ihn, aber das ist lange her. Er hat mir schon in der Schule gefallen, er ging zwei Klassen über mir und es gefiel mir wenn er mich genauso anlächelte wie gerade eben. Ich mochte seine dunkelbraunen Locken und die blauen Augen. Er ist ein fescher Mann, ohne Zweifel. Doch die schönen Augen und das ansteckende Lächeln waren in Laufe der Jahre einfach zu wenig. Vroni bringt die Torte und ich bin froh auf sein Angebot nicht reagieren zu müssen. Es ist ein schöner gemütlicher Nachmittag, man spürt die Kinder gar nicht, so viel Spaß haben sie beim Toben im Garten. Inzwischen spielt Anton mit den Jungs Fußball, Michi, Jonas Papa, spielt auch mit. Es scheint ein riesiger Spaß zu sein.
„Bleibst du hier?“, fragt mich Vroni plötzlich.
„Am Hof meiner Eltern?“
Sie nickt.
„Ich glaube schon.“
„Und du hast wirklich keinen Kontakt zu Maxis Papa? Will er ihn denn gar nicht sehen? Ich meine wenn ihr jetzt so weit weg von München seit ist das doch nicht so einfach.“
Ich schüttle den Kopf. Ein Thema über das ich nicht gerne spreche. Maxi hat keinen Papa. Sie scheint zu bemerken, dass ich mich dabei unbehaglich fühle und fragt nicht weiter. Es gibt noch die berühmte Klinger Speck Jause, ich hatte schon vergessen wie lecker der Speck der Klingers schmeckt. Danach beschließe ich aufzubrechen, Maxi fallen inzwischen fast die Augen zu. Ich nehme ihn hoch, nachdem ich mich bedankt und verabschiedet habe.
„Warte, ich nehme ihn, Maxi ist doch schon viel zu schwer für dich.“
Anton nimmt mir Maxi ab, der ist so fertig, dass er sich dagegen auch gar nicht wehrt. Er packt ihn in den Kindersitz, umarmt mich überraschender Weise zum Abschied und gibt mir noch einen Kuss auf die Wange.
„Resi…der Maximilian braucht einen Vater. Ich wäre echt gerne für euch da.“
Seine Worte prallen an mir ab, als hätte ich eine Ritterrüstung an. Hab ich gerade richtig gehört? Mein Blick ist mit Sicherheit entgeistert.
„Anton…ich weiß nicht…Schön wie du das sagst…aber…“ Ich ringe nach den richtigen Worten, doch er unterbricht mich.
„Ich verstehe schon wir haben uns lang nicht gesehen, trotzdem glaub ich wir könnten das hinbekommen, ich kann für euch sorgen. Du weißt doch wie wichtig du mir bist?“
Ich bin immer noch geschockt.
„Wir müssen ja nichts überstürzen“, fährt er fort, „aber wir könnten uns häufiger treffen und ich werde dir beweisen, dass ich für Maxi ein guter Vater sein kann.“
Verzweifelt suche ich weiter nach den richtigen Worten.
„Ich kenne dich schon so lange und ich weiß wie sehr du dir einen Stammhalter wünschst, aber Maxi wird nie wie dein eigener Sohn sein Anton.“
Er blickt zu Boden. „Du weißt doch, dass ich vor zwei Jahren krank war.“
Ich nicke, allerdings weiß ich nicht genau was er hatte, nur dass er ein paar Monate ziemlich krank war.
„Ich kann keine Kinder mehr zeugen, ich werde nie einen eigenen Sohn haben können“, sagt er leise.
„Das wusste ich nicht…tut mir leid…“, stammle ich.
„Schon gut…überleg es dir. Wir haben so viel zusammen erlebt.“ Wieder lächelt er. „Ich denk ganz oft an unseren ersten Kuss.“
Jetzt muss ich auch lächeln. Ich erinnere mich auch sehr gut daran. Es war im Schwimmbad im Nachbarort, beim Nachhause gehen. Mir sprang die Kette vom Fahrrad ab und er hat mir geholfen, wenn ich heute daran denke glaube ich, es kam ihm ziemlich gelegen. Er hat mich ein Stück nach Hause belgeitet und dann geküsst. Einfach so. Mit Zunge. Ich spüre wie ich rot werde.
„Mama…“, murmelt Maxi am Rücksitz.
„Wir fahren schon…“, beruhige ich ihn.
Anton streicht über meinen Oberarm. „Bis bald.“
„Ja…bis bald.“
Dann steige ich ein und fahre los. Nach der ersten Kurve ist Maxi schon eingeschlafen. Nach dem Kuss waren Anton und ich ein Paar. Ich war knapp siebzehn. Ein paar Wochen später haben wir dann auch miteinander geschlafen, es war mein erstes Mal. Es war nicht so toll. Anton war recht schnell fertig und ich geschockt weil es ziemlich weht tat. Fast sechs Jahre waren wir dann zusammen. Mit Hochs und Tiefs. Vielen Tiefs. Vor allem die letzten zwei gemeinsamen Jahre waren echt schlimm. Zumindest habe ich das so in Erinnerung. Bis das Arschloch Marco kam. Ich habe Anton betrogen, heute tut mir das Leid, was auch immer zuvor war, er hatte es nicht verdient, niemand hat so etwas verdient, es war sehr dumm von mir. Keine Ahnung wonach ich suchte, eventuell nach der Leidenschaft, die er mir gegenüber nicht aufbringen konnte. Womöglich auch nach der großen Liebe, doch die gibt es nicht. Vielleicht sollte ich wirklich einmal vernünftig sein und über sein Angebot nachdenken. Wenn es schon nicht die große Liebe ist, er wäre mit Sicherheit zuverlässig und würde sich bestimmt gut um uns kümmern. Ich schüttle den Kopf.
„Mein Gott was ist denn mit dir Resi…“, murmle ich für mich selbst, während ich einparke. Leopold kommt gerade aus dem Weinkeller.
„Na da hat aber einer ordentlich gefeiert, was?“ Er schaut schmunzelnd auf den schlafenden Maxi. „Ich nehme ihn“, bietet er mir sofort an.
Heute fällt das Baden und Zähneputzen ausnahmsweise aus. Leopold legt ihn ins Bett und ich ziehe ihm die Decke über die Schulter. Er schläft so fest und bekommt davon gar nichts mit. Ein paar Augenblicke schaue ich ihn noch an, dann lösche ich das Licht und gehe ins Badezimmer. Unter der Dusche denke ich über Antons Worte nach, doch ich kann nicht nachdenken, nicht so lange mir ständig Markus Lächeln in meinen Gedanken einen Strich durch die Rechnung macht. Wieder sind die Szenen des gemeinsamen Sommers allgegenwärtig. Es war ein traumhafter Sommer. Mit ihm. Wir trafen uns sooft es ging, auch wenn er immer wieder irgendwelche Ausreden bei seinem Vater erfinden musste um das Training zu schwänzen. Zumeist am Wochenende, manchmal aber auch unter der Woche. Ganz oft haben wir die Sonntagabende und den Montag gemeinsam verbracht. Montags war der Frisiersalon geschlossen und ich hatte frei. Wir kochten gemeinsam und er versuchte mühsam mir das Kraulen im Badesee beizubringen, leider relativ erfolglos. Ich war ein hoffnungsloser Fall was das Erlernen dieser Technik betraf. Manchmal lagen wir auch einfach nur im hohen Gras und redeten über alles Mögliche, dann kuschelte ich mich ganz fest an seine Brust. Die Nächte waren kurz und intensiv, ich konnte nicht genug von ihm bekommen und ich glaube ihm ging es auch nicht anders. Jede seiner Berührungen und Zärtlichkeiten war perfekt. Niemals hatte ich das Gefühl er könnte etwas tun das mir nicht gefällt. Alles gefiel mir. Einfach alles. Er gefiel mir. Seine Art, sein Wesen, sein Lächeln, sein Humor, seine Schüchternheit, sein Körper, all das und noch viel mehr. Ich war verliebt. Unglaublich verliebt. Oft erwischte ich mich dabei darüber nachzudenken, was nach diesem Sommer sein wird. Dann bremste ich mich selbst ein. Ich nahm mir vor es auf mich zukommen zu lassen, ich wollte ihn einfach nur fühlen, spüren und lieben. Und ich wollte ihn auch nicht fragen, ob er das Gleiche für mich empfindet. Ich hatte Angst vor seiner Antwort und wollte nicht enttäuscht werden. Für den Augenblick war es gut so wie es war, auch wenn ich viel mehr wollte, doch ich wusste nicht was er wollte.
Ich drehe das Wasser in der Dusche ab. „Es war gut….Es war gut…“, seufze ich und trockne mich ab.
Kapitel 6
Ich kehre gerade von einem langen Spaziergang gemeinsam mit Maxi zurück. Heute habe ich ihn einmal nur für mich ganz allein. Wir haben die Pferde auf der nahegelegenen Koppel besucht und jetzt bekommen die Schafe noch ein bisschen altes Brot. Ich überlege schon den ganzen Tag, ob ich nicht doch zu Markus fahren soll, aber ich weiß nicht was es bringt wenn wir reden und in der Vergangenheit wühlen. Es ist vorbei. Lange vorbei. Ich mag mich nicht mehr kränken und darüber nachdenken.
„Mama schau…der Anton…“, Maxi zupft an meinem Shirt.
Anton steuert über die große Wiese auf uns zu. Er meint es also wirklich ernst, anders ist seine permanente Anwesenheit in unserer Nähe nicht zu erklären. Ich weiß allerdings noch nicht ob ich das gut finden soll. Es ist eher so, dass ich mich überrumpelt fühle.
„Hey ihr zwei!“, ruft er uns entgegen.
„Hallo…“, begrüße ich ihn nicht besonders euphorisch.
„Schlechte Laune?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauchen.
Ich schüttle den Kopf und versuche zu lächeln.
„Ich habe deiner Mutter das bestellte Fleisch vorbei gebracht und da dachte ich Maxi hat vielleicht Lust ein bisschen Fußball zu spielen?“
Jetzt ziehe ich die Augenbrauen hoch, aber Maxi ist sofort begeistert. Ich seufze für mich selbst. Na dann…Ich hasse Fußball spielen, wenigstens muss ich mich dann nicht an den Ball. Anton und Maxi gehen voraus, ich hinterher. Ein paarmal dreht Anton sich um und lächelt mich an. Ich erwidere es, auch wenn es bei mir nicht die vermutlich von ihm gewünschten Gefühle weckt. Inzwischen die beiden spielen hänge ich noch die Wäsche auf und nehme die bereits getrocknete ab. Er kann wirklich gut mit Maxi umgehen, so viel steht fest. Sie haben viel Spaß, sogar Leopold spielt mit. Nachdem bis auf Maxi alle völlig außer Puste sind, bringt Leopold zwei Bier. Maxi fährt mit dem neuen Fahrrad, das er zum Geburtstag bekommen hat, im Hof herum. Ich beobachte alles aus sicherer Entfernung und falte dabei die Wäsche. Braucht Maxi einen Vater? Bis jetzt brauchte er keinen. Ich schaffte das allein. Doch wenn ich ihn so glücklich sehe überlege ich schon ob ein männlicher Part nicht doch wichtig für ihn wäre. Wenn ich mir einen Ruck gebe und mich öffne, könnte es vielleicht klappen. Ich mag Anton, und ich kenne ihn und er mich. Ja ich mag ihn und das ist der Punkt. Keine Ahnung ob ich ihn jemals wieder lieben könnte, ich weiß ja nicht einmal ob ich ihn jemals richtig geliebt habe, das ist alles so lange her. Doch was ist schon Liebe? Liebe bringt auch immer Leid mit sich. Womöglich ist eine Beziehung in tief verbundener Freundschaft viel mehr wert. Plötzlich steht Mama neben mir.
„Wie oft legst du das Handtuch jetzt noch neu zusammen?“, sie sieht mich schmunzelnd an.
Verlegen lege ich es zur Seite und lasse mich auf die Gartenbank fallen.
„Ich hab nachgedacht.“
Sie setzt sich zu mir. „Worüber denn?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Ob Maxi einen Vater braucht“, murmle ich.
Sie lehnt sich zurück. „Anton und du?“
„Ich weiß es nicht Mama. Das ist alles lange her.“ Ich reibe mir die Stirn. „Vielleicht war es ein Fehler mich von ihm zu trennen. Damals hab ich eine ziemlich blöde Zeit durchgemacht.“
„Denk nicht über die Vergangenheit nach. Schau in die Zukunft und überleg was für euch gut ist. Nur wegen Maxi musst du das nicht tun. Du selbst solltest einmal glücklich sein.“
Ihre Worte überraschen mich. Ich war mir sicher sie würde eine Vernunftbeziehung mit Anton sofort befürworten.
„Ja du hast Recht Mama…Ich brauch ein bisschen Zeit.“
Inzwischen ist auch mein Vater nach Hause gekommen und hat sich zu den Männern gesellt.
„Machen wir für die Männer eine Jause. Du hast doch nichts dagegen wenn ich Anton zum Abendessen einlade?“
Ich schüttle den Kopf. Der freut sich natürlich über die Einladung meiner Mutter und spielt noch ein bisschen mit Maxi, während ich Mama helfe. Immer wieder beobachte ich die zwei im Garten durch das Küchenfenster. Irgendwie hat er sicher verändert. Er ist ruhiger geworden. Ich habe mich auch verändert.
Die gemeinsame Jause war wirklich nett und hat länger gedauert als erwartet. Wir haben zwei Flaschen Wein geleert und uns sehr gut unterhalten. Ich habe gerade Maxi ins Bett gebracht, weil es inzwischen wirklich spät geworden ist. Auch heute ist er wieder schnell eingeschlafen. Als ich wieder nach unten komme, will auch Anton gerade fahren. Ich begleite ihn noch nach draußen und gehe ein Stück mit ihm über den Hof bis zu seinem Wagen.
„Kannst du auch sicher noch fahren?“, frage ich verantwortungsbewusst.
„Sicher. Es ist ja nicht weit.“
„Darum geht es nicht. Wenn du ein guter Vater sein willst musst du ein Vorbild sein.“
Keine Ahnung warum ich das jetzt gesagt habe, vermutlich habe ich zu viel Wein getrunken. Er lächelt mich überrascht an, ich nehme ihm aber sofort den Wind aus den Segeln.
„Das war rein rhetorisch Anton, dass ich das gesagt habe bedeutet noch gar nichts.“
Er nickt lächelt aber immer noch.
„Du denkst darüber nach. Das gefällt mir.“
Er lehnt sich an die Wangentür und durchbohrt mich förmlich mit seinem Blick. Ich verschränke meine Arme und seufze.
„So einfach ist das nicht…“
Er kommt auf mich zu und bleibt sehr knapp vor mir stehen.
„Doch, es ist so einfach. Mach es nicht komplizierter als nötig.“
Kurz steht er so vor mir, dann streicht er mir eine Haarsträhne zurück und küsst mich sanft. Ohne Zunge oder so, das hätte ich gar nicht zugelassen, aber seine Lippen berühren meine. Ich bin kurz geschockt und weiche einen Schritt zurück. Er schließt seine Augen und atmet durch.
„Genau das fehlt mir Resi…Genau das…“
Ich schnappe nach Luft. „Echt Anton? Nach allem was ich dir angetan habe? Bist du dir wirklich sicher?“
Er verdreht die Augen. „Was hast du mir denn angetan?“
„Ich habe dich betrogen und verlassen und selbst danach wolltest du es noch einmal versuchen, sogar kurz bevor ich nach Deutschland gegangen bin. Immer wieder hab ich dich zurück gewiesen.“
Seufzend zuckt er mit den Schultern. „Das ist doch jetzt egal, es ist eine ganz andere Situation.“
Ich blicke zu Boden.
„Ich bin mir sicher Resi.“
„Du musst mir Zeit geben.“ Ich sehe wieder auf. „Ich brauche Zeit.“
Er nickt und greift nach meiner Hand. Dann küsst er mich noch einmal. Jetzt intensiver, fast als wolle er mir demonstrativ zeigen, was er für mich empfindet. Ich lasse es zu, auch wenn ich dabei nicht fühle was ich fühlen sollte. Es ist zwar schön und vertraut, aber mehr auch nicht. Noch einmal streicht er durch meine Haare.
„Darf ich jetzt fahren, oder muss ich zu Fuß gehen?“, fragt er mit einem scheinbar zufriedenen Lächeln.
„Los fahr schon…“, sage ich kopfschüttelnd.
„Kommst du morgen Nachmittag mit Maxi vorbei? Jonas würde sich sicher über einen Spielpartner freuen.“
Ich nicke. „Wird sich schon ausgehen.“
Dann fährt er. Mein Herz fühlt sich komisch an. So als hätte ich etwas Verbotenes getan, aber vermutlich war es momentan das einzig richtige.
Kapitel 7
Jetzt denke ich schon über zwei schier unlösbare Dinge nach. Anton der sich unglaublich um meine Gunst bemüht und Markus, der zwar nichts mehr von mir will, aber mir nicht aus dem Kopf geht, auch wenn ich ihn gar nicht wieder sehen möchte. Glaub ich zumindest. Ich versuche einmal alles richtig zu machen. Darum bin ich der Einladung von Anton gefolgt. Maxi und Jonas spielen ausgelassen im Hof, während ich mit Vroni plaudere. Ich habe Kuchen mitgebracht, selbstgemachte Biskuit Roulade, gefüllt mit Mamas Marillenmarmelade. Vroni stellt das Tablett mit dem Kaffeegeschirr auf den Tisch im Garten, ich helfe ihr beim Aufdecken.
„Schön, wenn du jetzt öfter vorbei kommst. Jonas und Maxi verstehen sich echt gut.“
Ich nicke. „Jonas kommt ja im Herbst schon in die Schule. Ich bin gespannt wie es Maxi im Kindergarten gefällt.“
„Bestimmt gut. Die Kindergartentanten sind echt nett und die machen auch richtig viel, die bereiten die Kinder toll auf die Schule vor.“
Kindergarten…Schule…Oh mein Gott…Maxi ist schon so groß geworden, das ist unglaublich schnell gegangen. Es fällt mir wirklich oft schwer das zu akzeptieren. Für mich ist er immer noch mein Baby. Vroni ruft Anton auch zum Kaffee, ich glaube sie hat schon gemerkt, dass er sich um mich bemüht. Ich weiß immer noch nicht wie ich das finden soll. Er werkelt etwas im Hof, kommt aber gleich, nachdem sie ihn gerufen hat. Mich wieder anlächelnd nimmt er gegenüber von mir Platz. Der Kuss von gestern Abend schießt wieder in meine Gedanken. Ein Kribbeln oder Herzklopfen vermisse ich aber weiterhin, trotzdem erwidere ich sein Lächeln. Anton lobt meine Roulade, die auch wirklich sehr gut schmeckt.
„Du hast echt alles was man sich als Mann wünschen kann, hübsch, Bombenfigur und kochen kannst du auch noch“, schwärmt er.
Mir ist das fast zu viel. So kenne ich ihn gar nicht und es ist auch nicht nötig. Verlegen schaue ich in meine Kaffeetasse. Vroni grinst. Ein lautes Schreien gefolgt von ebenso lautem Weinen erschreckt mich dermaßen, dass mir die Tasse fast auskommt. Ich springe auf und schaue suchend über den Hof. Maxi liegt am Boden und schreit immer noch. Hysterisch laufe ich hin. Als er mich sieht, streckt er sofort seine Arme nach mir aus, ich hebe ihn hoch, sein Knie blutet.
„Was ist denn passiert?“, frage ich und versuche Ruhe zu bewahren.
„Er ist glaub ich gestolpert…“, erklärt mir Jonas mit weit aufgerissenen Augen.
Maxi weint bitterlich in meine Schulter, ich reibe tröstend über seinen Rücken als auch schon Vroni angelaufen kommt.
„Oh au weh…das müssen wir sauber machen…“, stellt sie fest.
Wir gehen ins Haus verflogt von Antons Blicken, die ich nicht richtig einschätzen kann. Im Badezimmer setzte ich Maxi ab und sehe mir das Unglück an. Eine ordentlich blutende Wunde am Knie leuchtet mir entgegen. Da sind ein paar kleine Steinchen drinnen, die müssen raus. Er weint immer noch bitterlich, aber nicht mehr ganz so laut. Ich streiche beruhigend durch seine Haare.
„Ich mach das nur ein bisschen sauber und dann tun wir gleich ein Pflaster drauf, einverstanden?“
Vroni reicht mir das Wundspray und eine Kompresse zum Sauber machen. Jetzt beginnt Maxi hysterisch zu schreien und treten.
„Nein…Nein…Mama…“
„Maxi…beruhig dich bitte, das tut nicht weh, versprochen.“
Wieder versuche ich ihn zu beruhigen, wieder schreit und tritt er hysterisch und erwischt auch mich dabei.
Auf einmal steht Anton hinter mir und legt seine Hand auf meine Schulter.
„Maxi mach nicht so ein Theater, du tust deiner Mama doch weh, hör jetzt auf!“
Das sagt er recht laut und bestimmt, was sehr befremdlich für mich klingt.
Ich drehe mich um. „Ich mach das schon.“
Dann wende ich mich wieder zu meinem Kind, nehme ihn fest in den Arm und streiche über seinen Rücken.
„Ist schon gut…Du musst keine Angst haben, ich verspreche dir, das tut nicht weh.“
„Geh Resi was soll denn das? So ein Drama wegen einem blutigen Knie. Der Maxi ist ein Junge und kein Baby mehr. Willst du ein komplettes Weichei aus ihm machen?“
Da ist er wieder, der Bestimmer und Bevormunder aus meiner Erinnerung. Das ist zu viel. Niemand sagt mir wie ich mit meinem Kind umzugehen habe. Ich drehe mich zu Anton.
„Raus jetzt! Ich mach das allein“, sage ich scharf.
Ich sehe ihn sehr ernst an, er zieht die Augenbrauen hoch und weicht einen Schritt zurück, sagt aber nichts. Dann geht er. Beleidigt wie mir scheint, aber das ist mir egal. Wie erwartet beruhigt sich Maxi nach ein paar Minuten und ich darf das Knie sauber machen und ein Pflaster drauf tun. Ich bin jetzt zwar überall mit Blut voll und mein Shirt ist von seinen Tränen ganz nass, aber das macht nichts. Schnell wasche ich ihm noch die Hände und das Gesicht, bevor wir wieder in den Hof gehen.




