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„Geht es wieder?“, fragt mich Vroni freundlich.
Ich nicke. „Geht schon, aber wir werden jetzt auch fahren.“
„Ok…schade, ihr kommt uns doch wieder besuchen?“
„Sicher.“ Ich sehe Maxi an. „Schon oder?“
Der nickt und lächelt auch wieder. Dann gehe ich zum Wagen und mache ihn im Kindersitz fest. Anton sieht über den Hof zu mir, aber ich ignoriere ihn. So wird das nicht funktionieren. Schnell steige ich ein und fahre los. Er winkt mir zwar zu als ich an ihm vorbei fahre und ich erwidere es auch, mein Blick dürfte meine Stimmung jedoch recht gut zur Geltung gebracht haben.
Zu Hause angekommen, ist Maxi auch wieder ganz vergnügt, so als wäre nichts gewesen. Leopold steigt gerade in den Traktor.
„Darf ich mit Onkel Leopold mitfahren?“, fragt er mich beim Aussteigen.
„Ich weiß nicht, tut es gar nicht mehr weh?“, meine ich schmunzelnd und zeige auf sein Knie.
Er schüttelt den Kopf.
„Ich mag nicht wenn du mich trittst Maxi. Das tut mir weh.“ Sanft streiche ich durch seine Haare.
„Ich weiß…“, sagt er leise.
Schnell nehme ich ihn in den Arm. „Sollen wir Leopold fragen ob er dich mitnimmt?“
Er nickt und reibt seine Wange an meiner, ich winke meinem Bruder, er hält neben mir.
„Kannst du Maxi mitnehmen?“
„Ja sicher, er ist doch mein wichtigster Helfer.“
Maxi strahlt, ich gebe ihm noch einen Kuss, bevor ich ihn zu Leopold hochhebe. Ich brauche jetzt erst einmal eine Dusche. Während ich das warme Wasser über meine Schultern laufen lasse denke ich nach. Ich will nicht, dass sich jemand in die Erziehung von meinem Kind einmischt, schon gar nicht so. Er wird kein Weichei werden, nur weil ich liebevoll mit ihm umgehe. Ich steige aus der Dusche und trockne mich ab, dann schaue ich in den Spiegel. Was will ich denn eigentlich? Keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich genau jetzt endlich etwas loswerden muss. Ich binde meine Haare zusammen, schlüpfe in meine weiße Jeans und ein passendes Shirt und gehe nach unten.
„Ich muss noch wohin, Maxi ist mit Leopold unterwegs, kannst du auf ihn aufpassen falls ich später noch nicht zurück bin?“, frage ich Mama die gerade Rechnungen studiert.
„Ja sicher. Lass dir Zeit.“
Ich steige ins Auto und fahre los. Ohne weiter darüber nachzudenken. Es muss jetzt sein. Sehr überzeugt das jetzt durchzuziehen, steuere ich den Wagen vorbei am Badesee den Berg hinauf. Kurz bevor ich ankomme packen mich aber dann doch die Zweifel. Ich halte an und schließe meine Augen. Will ich wirklich mit ihm reden? Alles aussprechen worüber ich seit Tagen nachdenke? Ihm endlich ordentlich die Meinung sagen? Allein beim Gedanken an ihn kribbelt es in meinem Bauch. Sooft war ich in diesem Haus da oben. Einen Sommer lang. Bis mit einem Schlag alles vorbei war. Ich erinnere mich an das letzte Mal als ich als ich gemeinsam mit ihm dort oben war.
Es war wieder ein Montag. Ich kam aus der Dusche in ein Handtuch gewickelt in Markus Zimmer. Es war kurz nach acht Uhr morgens glaube ich. Er lag im Bett und schlief immer noch, nicht ganz zugedeckt, bei dem Anblick wäre ich am liebsten wieder zu ihm hinein gekrabbelt. Ich öffnete den Vorhang, er streckte sich durch und blinzelte in den hellen Raum.
„Aufstehen Schlafmütze!“, rief ich euphorisch.
Ich beugte mich über ihn und küsste ihn sanft. Schnell zog er mich zu sich und schob seine Hände unter das Handtuch. Kichernd wehrte ich mich.
„Nein…das geht jetzt nicht…Ich muss heute ein paar Sachen erledigen und ich hab schon geduscht…“
Er vergrub seine Nase in meinen Haaren und ließ mich nicht los.
„Ahhh…du riechst so gut…ist doch egal…duschen wir eben noch einmal gemeinsam…“, murmelte er in meinen Hals.
„Geh Markus…das geht nicht… ich muss um neun bei meiner Tante sein, du weißt doch die Dauerwelle…“
Einerseits war ich froh meiner Verwandtschaft die Haare machen zu können, das war eine tolle Zusatzeinnahmequelle und bei meinem gestressten Budget sehr hilfreich, aber ich wäre wirklich lieber wieder mit ihm ins Bett gegangen. Fast klappte es auch. Das Handtuch nahm er mir schon erfolgreich weg, ich schmiegte mich an seinen nackten Körper, aber als er mich schon auf sich ziehen wollte, sprang ich schnell aus dem Bett.
„Du bist echt unersättlich…“, mahnte ich ihn gespielt und schnappte mir sein Shirt neben dem Bett in das ich schnell schlüpfte.
Er zog sich die Decke über den Kopf und seufzte laut.
„Los ab unter die Dusche mit dir, ich mach Frühstück“, befahl ich und kitzelte ihn am Zeh.
„Ich kann so nicht aufstehen, ich muss erst das Zelt unter der Decke wieder abbauen.“
Schnell zog ich ihm die Decke weg.
„Du bist so ein Blödmann…“, lachte ich und hopste in die Küche.
Ich war so gut drauf, so glücklich und ausgelassen. Alle Sorgen und Probleme der vergangenen Monate waren ganz weit weg. Markus konnte sein Zelt scheinbar erfolgreich abbauen, ich hörte das Wasser in der Dusche laufen und ihn ein Liedchen pfeifen. Ich machte das Radio an und kochte Kaffee. Gerade als ich in den Kühlschrank schaute, traf mich fast der Schlag.
„Guten Morgen.“
Ich drehte mich langsam um. Hinter mir stand ein geschätzt fünfundvierzig Jähriger dunkelhaariger Mann im Anzug und sah mich befremdlich an. Er schien genauso überrascht über meine Anwesenheit in diesem Haus zu sein, wie ich über seine. Immer noch erschrocken fiel mir ein, dass ich lediglich Markus Shirt trug, ich war mir nicht sicher wieviel man von meinem nackten Unterleib sehen konnte. Verlegen zupfte ich am T-Shirt und war bestimmt dunkelrot im Gesicht.
„Guten Morgen…“, stammelte ich und konnte ihn vor lauter Scham gar nicht ansehen.
„Und sie sind?“, fuhr er fort.
„Teresa…Teresa Lorenz.“
Plötzlich hörte ich Markus durch den Flur kommen, was mich ziemlich erleichterte.
„Papa?“
Er stand in ein Handtuch gewickelt in der Tür, zum Frottieren seiner Haare hatte er wohl keine Zeit, denn ihm tropfte das Wasser vom Kopf. Schnell nutzte ich die Chance und lief aus der Küche, vorbei an Markus, der auch ziemlich überrascht aussah. Ich verschwand in seinem Zimmer und zog mich an. Draußen hörte ich Markus Vater reden. Erfreut meine Bekanntschaft gemacht zu haben schien er nicht. Sein Ton Markus gegenüber klang eher vorwurfsvoll, aber er sprach leise, also konnte ich nicht wirklich etwas verstehen. Er hatte scheinbar irgendwelche Unterlagen vergessen und war deshalb gekommen. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und ging etwas nervös aus dem Zimmer. Wieder sah mich Herr Strasser sehr musternd an. Ich ging zu ihm und reichte ihm höflich die Hand.
„Entschuldigung. Teresa Lorenz.“
Ich lächelte freundlich, seine Miene blieb allerdings eisig. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Ich überlegte kurz, aber es fiel mir nicht ein. Er war ein großer Mann mit furchteinflößendem Blick. Das gute Aussehen hatte Markus zwar von ihm geerbt, seine Art aber zum Glück nicht.
„Ich geh jetzt besser“, sagte ich zu Markus, der nichts zu entgegnen wusste und nur nickte.
Wieder fielen mir die abfälligen Blicke seines Vaters auf, als ich das Haus verließ. Das sollte der letzte Besuch in Ferienhaus der Familie Strasser gewesen sein. Danach änderte sich ganz schlagartig alles.
„Ich kann das nicht…“, sage ich für mich selbst und starte den Motor.
Gerade als ich wenden will erscheint auf einmal Markus im Rückspiegel. So wie es aussieht kommt er gerade vom See. Er quält sich sehr mühsam den Berg herauf, sein Knie scheint ordentlich wehzutun. Ich reibe mir die Stirn.
„Scheiße…“, murmle ich für mich selbst.
Da steht er auch schon neben dem Wagen und klopft an die Scheibe. Ich atme durch und öffne sie.
„Du fährst aber nicht schon wieder, oder?“
„Eigentlich schon…“, entgegne ich.
„Wolltest du zu mir?“
Ich verdrehe die Augen. Viele Möglichkeiten gibt es in dieser Richtung ja nicht.
„Steig ein, du kannst ja kaum gehen, glaubst du wirklich was du machst hilft deinem Knie?“
Er sieht mich überrascht an, vermutlich wegen meinem vorwurfsvollen Ton. Ja…so ist das nun einmal, ich bin nicht mehr die lockere Resi von vor sechs Jahren. Ohne Widerworte steigt er ein.
„Hi“, lächelt er mich an.
„Hi“, erwidere ich, auch ein bisschen lächelnd.
Ich fahre die letzten fünfhundert Meter zum Haus hoch, ich sage nichts, er auch nicht. Wir steigen aus, er lässt mich höflich voraus ins Haus gehen. Kurz fühlt es sich an, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegziehen. Alle Erinnerungen schießen unkontrolliert durch meinen Kopf und Körper, ich bin knapp davor schreiend davon zu laufen, doch da schließt er auch schon die Tür hinter mir. Wie durch einen Sog zieht es mich in die Vergangenheit. Ich versuche mich zu beruhigen. Meine Hände sind eiskalt und zittern. Wie versteinert stehe ich da. Markus geht an mir vorbei und sieht mich an.
„Alles ok?“, fragt er mich besorgt.
„Hast du bitte ein Glas Wasser für mich“, antworte ich leise.
„Natürlich.“
Ich folge ihm in die Küche, hier hat sich nicht viel verändert. Er gießt das Wasser ein und reicht es mir, ich nippe daran und versuche ruhig zu werden. Ich habe das Gefühl mein Hals schwillt zu und ich werde gleich ersticken. Kurz muss ich mich an der Küchenzeile abstützen. Ich kann das nicht.
„Was hast du denn Teresa?“
Er kommt zu mir und stützt mich, jetzt ist es aus, ich kann das einfach nicht, seine Berührung, das ist zu viel. Schnell löse ich mich von ihm und laufe aus der Küche nach draußen zu meinem Auto. Ich stütze mich mit beiden Händen daran ab und versuche wieder Luft zu bekommen.
„Teresa!“, ruft mir Markus nach.
Ich drehe mich zu ihm und atme panisch ein und aus. Sternchen flimmern vor meinen Augen. Ich rede mir leise vor nicht durchzudrehen. Scheint nur schwach zu helfen.
„Ich habe meine Tasche vergessen…“, stammle ich.
Er bleibt hinter mir stehen. „Welche Tasche denn?“
Ich lächle ihn mühselig an. „Ich soll dir doch die Haare schneiden.“
Langsam beruhige ich mich wieder. Jetzt bin ich hier und werde das durchziehen. Es ist längst überfällig. Zuerst schaut er mich ungläubig an, aber als ich meine Tasche aus dem Auto nehme lächelt er auch. Wir gehen wieder hinein. Ich nehme noch einen Schluck vom Wasser, es geht schon wieder. Zumindest rede ich mir das ein.
„Magst du einen Kaffee, oder vielleicht einen Tee?“, fragt er mich, immer noch besorgt wirkend.
„Kaffee. Bitte.“
Er schaltet die Nespresso Maschine ein und ich suche mir eine Kapsel aus. Er macht die zwei Kaffee inzwischen ich meine Sachen auspacke. Mal sehen ob ich das mit den zittrigen Händen hinbekomme. Ich nehme einen großen Schluck vom Kaffee, die Milch hat er schon hineingetan, er kann sich scheinbar noch sehr genau daran erinnern wie ich meinen Kaffee trinke.
„Sollen wir nicht vorher reden?“, fragt er mich auf meine Schere sehend.
„Wenn ich dir alles gesagt habe was ich mir vorgenommen habe, kann ich keine Schere mehr in die Hand nehmen“, sage ich leise aber bestimmt.
Er sieht mich mit großen Augen an, vermutlich hat er Angst ich steche ihn mit meiner Schere ab. Dennoch nimmt er am Stuhl Platz und ich lege ihm den Frisierumhang um. Jetzt sitzt er mit dem Rücken zu mir da, ich schließe kurz meine Augen und sammle mich. Er dreht sich vorsichtig um und sieht mich an.
„Wie soll ich denn schneiden?“
„Du weißt schon wie“, entgegnet er leicht verunsichert und dreht sich wieder nach vorne.
Ich streiche durch seine Haare über seinen Nacken bis zu seinen Schultern. So wie ich es immer tue. Die Haare sind noch feucht vom Schwimmen. Mein Herz klopft und mir wird heiß. Ich bin froh, dass er sich nicht mehr umdreht und nicht sehen kann wie es mir geht. Darum nehme ich schnell meine Schere und meinen Kamm in die Hand und beginne. Wir reden nicht und das ist gut so. Ich reiße mich zusammen und nach etwa zwanzig Minuten bin ich fertig. Noch einmal streiche ich durch seine Haare.
„Fertig.“
Ich nehme ihm den Frisierumhang ab.
„Danke Teresa.“
„Schon gut. Bringst du mir bitte einen Besen, oder Staubsauger damit ich die Haare wegputzen kann?“
Er schüttelt den Kopf, gerade als mein Handy klingelt. „Ich mach das schon.“
Ich nehme es aus der Tasche. Es ist meine Mama. Hoffentlich hatte Maxi nicht noch einen Unfall. Ich signalisiere Markus, dass ich da kurz rangehen muss und gehe durch die Terrassentür die ich hinter mir zuziehe nach draußen.
„Mama?“, frage ich besorgt.
„Hallo Resi, entschuldige. Ich wollte nur fragen ob der Maxi so eine Serie anschauen darf?“
„Ach so…ja was denn?“
„Warte ich gebe ihn dir.“
„Mama….Darf ich Feuerwehrmann Sam schauen?“
Ich schaue nach drinnen, Markus hat gerade den Staubsauger angemacht.
„Sicher mein Bärchen, aber nicht zu lange.“
„Die Oma macht Palatschinken…tschüss Mama…“
Und schon ist er wieder weg, dafür ist Mama wieder dran.
„Wir haben alles im Griff, keine Sorge, mach dir einen schönen Abend“, sagt sie schnell.
„Ja ich weiß, ich bin nicht lange weg. Palatschinken?“, frage ich lächelnd.
„Hast du doch auch immer so gerne gegessen“, antwortet sie sanft.
„Mhmmm….Danke Mama, bis später.“
Dann lege ich auf. Markus kämpft noch immer mit dem Sauger. Ich gehe wieder hinein, er stellt das Gerät zur Seite.
„Was Wichtiges?“, meint er und putzt sich die Hände am Hosenboden ab.
„Schon.“
Ich lehne mich an den Küchenschrank und lege das Handy neben mich. Die Haare sehen gut aus. Er sieht gut aus. Scheiße. Ich atme vorsichtig durch. Nur nicht zu tief atmen, sonst werde ich wieder panisch.
„Weißt du eigentlich wie ich mich gefühlt habe? Weißt du das?“, sage ich leise, aber sehr eindringlich und vorwurfsvoll.
Er schluckt und wechselt die Farbe. Ja…dafür kannst du dich ruhig schämen denke ich mir. In mir baut sich ein ungutes Gefühl auf.
Als ich dieses Haus nach dem Zusammenstoß mit seinem Vater nämlich so fluchtartig verließ, änderte sich alles. Markus musste natürlich sofort mit nach Graz zum Training, sein Vater war sehr angepisst über die Tatsache, dass er wegen einer Frau schwänzte. Ich bemerkte gleich, dass mich Herr Strasser nicht besonders schätzte. Eine halbnackte Frisörin, noch dazu merklich älter als sein Sohn, das passte ihm augenscheinlich gar nicht. Noch dazu, wenn sie ihn vom Training abhielt. Markus erzählte mir abends am Telefon, dass er im Moment nicht mehr so oft kommen wird, und meinte es werde schon einen anderen Weg geben damit wir uns weiter sehen können. Ich verstand die ganze Aufregung eigentlich gar nicht. Ich wollte nur mit ihm zusammen sein, sonst nichts.
„Wir können uns doch auch in Graz treffen, oder du kommst zu mir nach Hause. Ist doch ganz egal“, beruhigte ich ihn.
„Ja…sicher…Papa ist aber ziemlich angefressen, weil ich die letzten Wochen so oft nicht beim Training war“, stammelte er.
Ich wurde unsicher.
„Ist es weil ich älter als du bin?“, fragte ich vorsichtig.
Es war kurz still, zu gerne hätte ich ihm bei dieser Frage in die Augen geschaut und nicht telefoniert.
„Nein, das ist es nicht. Wir werden schon eine Lösung finden. Die Woche muss ich aber mal fix jeden Tag trainieren. Ich ruf dich an, ok?“
Ich seufzte weil ich schon nach ein paar Stunden vermisste und richtig verabschieden konnte ich mich auch nicht von ihm. Er hielt sein Versprechen und rief mich täglich an. Eine Woche lang. Dann wurde es mir zu viel. Ich wollte ihn einfach sehen, sein Vater war mir egal. Sollte er sich doch aufregen. Also machte ich mich an meinem freien Montag auf und fuhr in die Stadt um ihn zu überraschen. Ich beschloss ihn vom Training abzuholen. Das war echt ein Liebesbeweis, denn ich hasste es in der Stadt zu fahren. Besonders um kurz nach vier, wo sich der Verkehr in jeder Gasse stopfte. Wie durch ein Wunder schaffte ich es etwas vor fünf einen Parkplatz in der Straße vor der Schwimmhalle zu finden. Ich wartete ein bisschen und als ich einige Leute heraus kommen sah, wusste ich auch Markus wird gleich kommen. Ich freute mich so ihn endlich wieder zu sehen. Und er kam auch. Sehr locker und gelöst schlenderte er die Stufen herunter, Hand in Hand mit einem rothaarigen Mädchen. Sie lachten und waren sehr vertraut miteinander. Mir blieb das Herz stehen. Ich saß wie eingefroren da. Sie war vielleicht sechzehn oder siebzehn, auf jeden Fall jünger als er. Und jünger als ich. Viel jünger. Meine Hände begannen zu zittern, ich wollte schon aus dem Auto springen und ihn zur Rede stellen, doch da küssten sie sich auch noch. Das war zu viel. Mein Herz klopfte, nein es raste, ich schloss kurz meine Augen um sie wieder schnell zu öffnen, ich hoffte mich verschaut zu haben. Doch das Bild das sich mir offenbarte änderte sich nicht. Irgendwann verschwanden sie aus meinem Blickfeld und ich spürte wie mir langsam Tränen über die Wangen rollten. Ich war wie versteinert. Keine Ahnung wie lang, aber ich saß im Wagen und konnte mich nicht rühren. Niemals hätte ich ihm so etwas zugetraut. Niemals. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wie ich es schaffte nach Hause zu fahren. Alle möglichen Ausreden legte ich mir parat, die das Auftauchen mit diesem Mädchen erklären hätten können. Ich wollte es nicht glauben, ich konnte es einfach nicht glauben. Anrufen konnte ich ihn auch nicht. Ich hätte kein Wort herausgebracht. Er rief mich auch nicht an. Nicht am Montag und auch nicht am Dienstag. Mittwoch meldete er sich dann. Ich hatte mich zwar ein wenig gefangen, trotzdem konnte ich kaum sprechen.
„Warum meldest du dich denn gar nicht?“, beschwerte er sich.
„Es gibt nichts mehr zu besprechen“, antwortete ich verwunderlich gefasst.
„Was hast du denn? Ist etwas passiert?“, fragte er leise. „Bist du böse weil ich mich erst heute melde?“
Ich ging nicht auf seine Frage ein. „Ist sie deine Freundin?“, meinte ich stattdessen sehr direkt.
Er sagte nichts.
„Ist das rothaarige Mädchen das du vor der Schwimmhallte geküsst hast deine Freundin?“, brüllte ich ins Telefon und merkte wie sich eine schreckliche Wut vermischt mit unsagbarer Angst in mir aufbaute. Gleichzeitig kullerten Tränen über meine Wangen.
„Teresa…ich komm zu dir…“, stammelte er fast tonlos. „Nicht am Telefon…Ich will es dir erklären…“
„Scheiße nein! Du brauchst nicht mehr zu kommen! Ich will eine Antwort auf meine Frage!“, schniefte ich komplett aufgelöst. „Ja oder Nein. Sonst nichts.“
Wieder war es kurz still bis ein verklärtes „Ja“ folgte.
Ich warf das Handy quer durch mein Zimmer und hielt mir die Ohren zu.
„Nein, nein, nein…“, weinte ich bitterlich.
In mir brach eine Welt zusammen. Es tat so unsagbar weh. Es tut heute noch weh. Tagelang versuchte er mich immer wieder anzurufen und schrieb mir Nachrichten, aber ich wollte nichts mehr hören.
Meine Hände zittern wieder wenn ich an all das denke. Markus kommt ein paar Schritte auf mich zu und bleibt gegenüber von mir stehen. Er klopft nervös mit seinem Finger auf die Tischplatte neben ihm.
„Weißt du wie ich mich gefühlt habe?“, wiederhole ich noch einmal ganz leise.
Eine Träne rollt unaufhaltsam über meine Wange.
„Teresa…“, murmelt er und will noch näher kommen, ich weise ihn aber zurück.
„Nein! Nein…Markus. Du wirst mir jetzt erzählen wie das war. Unter der Woche die eine in Graz vögeln und am Wochenende mich. Das Dummerl vom Land, die sowieso nichts checkt. Die blöde Schlampe, die es vermutlich eh mit jedem treibt. Sich einen Spaß machen, so ganz unverbindlich. War es so?“
Meine Stimme überschlägt sich förmlich, verwunderlicher Weise hat seine Gesichtsfarbe von rot auf weiß gewechselt. Noch eine Träne rollt über meine Wange, ich wische sie mit meinem Handrücken weg.
„Ich weiß ich hab einen Fehler gemacht, aber du musst mir glauben, so war das nicht…“, stammelt er nach den richtigen Worten suchend.
„Geh vergiss es. Da hast du dich noch für deine blöden Freunde entschuldigt und dann fickst du mich einen Sommer lang abwechselnd mit deiner festen Freundin, die davon natürlich auch nichts wusste, oder? War das die Idee von deinen Freunden mich mit der Entschuldigungsmasche flach zulegen? “
Er sieht zu Boden. „Ich habe dich nicht gefickt.“
„Scheiße was denn dann?“, keife ich hysterisch.
Er sieht mich an. „Ich habe dich geliebt Teresa.“
Ich stoße einen spitzen Lacher aus und schüttle den Kopf.
„Geliebt…Du weißt doch gar nicht was das heißt.“
„Doch das weiß ich. Sehr genau sogar. Ich wollte mit dir reden, aber dein Freund hat mich abgewimmelt.“
Ich sehe ihn fragend an. „Welcher Freund? Ich hatte keinen Freund, das weißt du.“
„Ich kam am Wochenende nach dem du es herausgefunden hast zu dir nach Hause, aber da war ein Typ, der meinte ich soll abhauen und dich in Ruhe lassen.“
„Was?“
Ich überlege angestrengt. Doch dann fällt es mir ein. Anton. Er war an dem Wochenende bei uns zu Hause, weil er Leopold was am Traktor zu reparieren half. Wäre möglich dass er Markus abstoppte.
„Er sagte ihr seid wieder zusammen.“
Ich schüttle den Kopf. „Vielleicht hat er sich das gewünscht. Glaubst du wirklich ich hätte gleich ein paar Tage nach dir einen anderen gehabt?“
Markus zuckt mit den Schultern.
„Ich wollte das nicht Teresa, ich wollte mit Caro Schluss machen…“
„Hör auf Markus…hör einfach auf.“
Ich unterbreche ihn und packe meine Sachen in die Tasche, dann dränge ich mich an ihm vorbei und gehe Richtung Tür.
„Ich hätte es wissen sollen, du warst einfach zu jung, keine Ahnung was ich mir dabei gedacht habe.“
„Geh bitte hör doch endlich einmal mit dem Altersunterschied auf. Wir sind doch nicht die Macrons.“
Ich drehe mich um. „Welche Macrons?“
„Der französische Präsident und seine Frau. Die ist doch so viel älter als er“, schmunzelt er.
Genervt schnaufe ich durch. „Ach die. Ja… tut mir leid. Ich bin eben keine Teresa. Ich bin eine Resi. Blöd und naiv. So naiv gedacht zu haben ein Neunzehnjähriger wäre reif genug um eine ernsthafte Beziehung zu führen.“
Er hält mich am Arm zurück. „Bitte hör auf so zu reden, warum machst du dich selbst schlecht?“
„Weil ich einfach so deppert war und bin.“
Dann verlasse ich das Haus und fahre wie eine Irre davon. Er läuft mir noch ein paar Schritte hinterher, ich will aber nicht mehr eingeholt werden. Beim See muss ich anhalten, weil ich vor lauter Tränen nichts mehr sehe. Minutenlang versuche ich mich zu beruhigen. Besser fühlt es sich nachdem ich ihn zur Rede gestellt habe auf keinen Fall an. Im Gegenteil. Ich krame nach einem Taschentuch in meiner Tasche, wische mir die Tränen ab und putze mir die Nase.
„Scheiße…“, murmle ich, weil mir gerade einfällt, dass mein Handy immer noch auf dem Küchenschrank liegt. Egal…ich fahre sicher nicht noch einmal zurück. Ich starte den Wagen wieder. Mist…ich brauche mein Handy. Wenn ich es nicht hole bringt er es womöglich zu mir nach Hause, das will ich schon gar nicht. Also drehe ich etwas widerwillig um und fahre noch einmal hoch.
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