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„Ich glaube, das wird nichts mehr, ich will auch Ihre kostbare Zeit nicht in Anspruch nehmen“, murmle ich, als er mich am Arm etwas weniger sanft, als ich erwarten würde zurück hält.
„Mach die Tür wieder zu.“
Ich kann mich nicht erinnern, wann wir zum DU gekommen sind, ich drehe mich wenig beeindruckt zu ihm, zu meiner Verwunderung schmunzelt er.
„Mach die Tür bitte wieder zu, wir sind noch nicht fertig, ich warte auf eine Antwort.“
Seine Stirn legt sich in Erwartung meiner Reaktion in leichte Falten, seine Hand, die gerade noch meinen Arm gehalten hat, liegt jetzt wie selbstverständlich auf meiner Hand und er sieht mir tief in die Augen. Oh Gott, diese Augen, es fällt mir schwer mich von ihm abzuwenden, und erst seine Hand auf meiner…So geht das nicht. Luisa cool bleiben, lass dich nicht einkochen, du bist keine von seinen Püppchen. Es gelingt mir kaum zu widerstehen, der Moment, in dem mein Kopf sich nicht mehr gegen mein wie wild klopfendes Herz wehren kann, ist genau jetzt eingetroffen. Trotzdem kocht es in mir und es sprudelt nur so aus mir heraus.
„Was ist denn das Problem bitte?“
Ich kann die Frage einfach nicht zurückhalten, aber schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden. Er sieht mich einen Moment lang nur an.
„Das Problem?“ Er reibt mit seinem Zeigefinger über sein Kinn. „Keine Reaktion auf meine Nachricht, kein Rückruf? Ganz ehrlich, das passt mir nicht, anscheinend habe ich dich nicht sonderlich beeindruckt. Ständig checke ich mein Handy, nur um zu sehen ob du dich gemeldet hast, das mache ich normalerweise nicht.“ Er macht eine kurze Pause. „Ich erkenne mich selbst nicht wieder, nur damit du weißt, wie beeindruckt ich von dir bin. Das ist das Problem.“
Ich befürchte meine Augen sind weit geöffnet und ich muss mir ein Schmunzeln verkneifen.
„Ach so ist das…Ich glaube, es handelt sich lediglich um ein Verständigungsproblem, ich vermute diese Sache lässt sich leicht aus der Welt schaffen.“
Ich blicke in sein Gesicht und sehe, wie sich seine Stirn entspannt und er lächelt, dann gebe ich ihm die hoffentlich gewünschte Antwort.
„Ich begleite dich sehr gerne. Ich habe mich den ganzen Tag schon darauf gefreut.“
„Sehr schön, mir geht es genauso, also dann können wir jetzt endlich los fahren?“
Ich nicke, er klopft an die Fensterscheibe und gibt Toni ein Zeichen, dass wir startklar sind. Er steigt ein und wir fahren los.
„Die Frau meines Geschäftspartners ist die Künstlerin der Ausstellung, Selma Menson. Sie kommt aus Mexiko. Sie fotografiert.“
Während er erzählt lockert sich die Spannung merklich.
„Du siehst umwerfend aus, ich hätte dich sowieso nicht aussteigen lassen.“
Seine Augen glänzen, aber ganz so einfach mache ich es ihm nach dem was gerade vorgefallen ist, nicht.
„Du hattest Glück dass ich überhaupt eingestiegen bin, ich erwarte mir das meine Verabredung mich abholt und nicht der Chauffeur.“
Ich blicke entschuldigend zu Toni in den Rückspiegel.
„Bitte verzeihen Sie, aber das hat nichts mit Ihnen zu tun.“
Max zieht die Augenbrauen hoch. „Du hast nicht auf meine Nachrichten und Anrufe reagiert, zuerst dachte ich, dir ist etwas zugestoßen, aber dann habe ich mir noch viel Schlimmeres vorgestellt.“
Ich verschränke meine Arme. „Was kann denn schon so Schlimmes passieren?“
Ich warte auf eine Antwort, aber er geht nicht auf meine Frage ein, sondern knüpft an das vorige Thema an.
„Aber du hast völlig recht, von meiner guten Erziehung scheint nicht mehr viel übrig zu sein, ich hätte dich natürlich selbst abholen müssen, bitte entschuldige, kommt nicht wieder vor.“
Meine Arme sind immer noch trotzig verschränkt. Es scheint ihm zu gefallen, dass ich mich ein bisschen auflehne, aber weil ich dieses Thema jetzt endgültig abschließen will, nehme ich seine Entschuldigung mit einem Lächeln an. Er liegt damit dass er mich nicht beeindruckt hätte ja sowas von daneben, wundert mich außerdem, dass ihn das beschäftigt. Wir bleiben vor der Galerie stehen. Er steigt aus und öffnet mir selbst die Autotür, dabei reicht er mir seine Hand die ich höflich annehme. Ich versuche möglichst elegant aus dem Auto zu steigen, seine Blicke bestätigen mir, dass ich für heute das richtige Outfit gewählt habe.
„Du siehst bezaubernd aus Luisa.“
Er schließt die Autotür, während ich mein Kleid zurechtzupfe und wir zum Eingang gehen. Ich beuge mich etwas zu ihm.
„Ich wäre vorhin nicht ausgestiegen, so einfach mache ich es dir nicht“, hauche ich in sein Ohr. Er lächelt, und reicht mir seinen Arm in den ich mich einhänge.
„Doch, du wärst ausgestiegen meine Liebe, da bin ich mir ziemlich sicher, aber jetzt bist du da, und ich werde dafür sorgen dass es so bleibt.“
Er zwinkert mir zu, und mir fällt darauf ausnahmsweise nichts ein. So schnell wirst du mich nicht durschauen, dafür werde ich sorgen, denke ich mir. Das Gebäude ist modern, fast futuristisch und besticht mit seinen großen Glas- und Stahlfronten. Drinnen tummeln sich schon viele Gäste. Er öffnet mir die Tür und wir betreten die Galerie. Der Boden ist aus hellem Beton, alles sieht ganz klar aus. Mir fallen sofort die unglaublichen Fotos auf, die in dieser kargen Umgebung wunderbar zur Geltung kommen. Landschaftsbilder und Portraits in unglaublicher Farbintensität und ausdrucksstarken Gesichtern. Eine hübsche schwarzhaarige Frau steuert schnurstracks auf uns zu und lacht Max freudig an.
„Hallo Max, wie schön, dass du gekommen bist!“
Sie spricht mit mexikanischem Accent und umarmt ihn. Das muss also die Künstlerin sein.
„Selma, darf ich dir Luisa vorstellen, Luisa, das ist Selma, die außergewöhnliche Künstlerin des Abends.“
„Max du Schmeichler. Luisa, schön Sie kennen zu lernen.“
Sie schüttelt mir freundlich die Hand, „Bitte sehen Sie sich um, ich hoffe Ihnen gefallen meine Bilder.“
Sie winkt einen Kellner herbei, der verschiedene Cocktails serviert. Max sieht mich an, und zeigt wortlos auf einen Martini, ich nicke ihm zustimmend zu, er nimmt zwei Gläser vom Tablett. Ich bin wirklich überwältigt von den Fotos. Eines besticht mich ganz besonders. Eine unbekleidete Frau sitzt mit dem Rücken zum Betrachter am weißen Strand und blickt auf das blaue Meer, im Hintergrund der rot gefärbte Himmel vom Sonnenuntergang. Ihre salznassen schwarzen Haare bedecken ihren Rücken fast zur Gänze.
„Gefällt Ihnen das Bild?“, höre ich hinter uns eine Stimme.
Ich drehe mich um, um zu sehen wer uns anspricht.
„Richard, ich hab schon gedacht du schwänzt die Eröffnung…“, witzelt Max.
„Luisa, das ist Richard, mein Geschäftspartner und Selmas Ehemann. Obwohl er sie gar nicht verdient hat.“
Richard boxt Max freundschaftlich in die Seite.
„Ja, da hast du vermutlich recht. Selma ist mein größter Glücksfall, aber jetzt zu dir mein Freund, diese reizende junge Dame wird wohl nicht zu dir gehören, oder?“
„Doch Richard, auch ich habe hin und wieder Glück, darf ich dir Luisa vorstellen.“
Richard schüttelt mir euphorisch die Hand.
„Ja mein Lieber, da hast du wohl wirklich Glück…“, dann zeigt er wieder auf das Foto.
„Das Modell auf dem Foto ist Selma. Ich habe das Bild bei unserem letzten Urlaub in ihrer Heimat gemacht. Sozusagen bin ich hier der Künstler.“
Ich spreche ihm meine Bewunderung aus, und muss sagen, er ist ein netter Typ. Wir unterhalten uns, als ob er mich schon ewig kennt. Dann kommt auch noch Selma dazu, und führt mich durch ihre Ausstellung. Sie hat alles, was man sich von einer Mexikanerin vorstellt. Wunderschöne dunkle Haare und Augen, und einen bestechenden Teint, samt beneidenswerter Figur, und ihr Temperament lässt sich kaum verbergen. Nach drei Martins fühle ich mich ganz leicht und beschwingt, langsam leeren sich die Räumlichkeiten.
„Wir werden auch aufbrechen“, flüstert mir Max ganz sanft ins Ohr.
Wir verabschieden uns, und verlassen die Galerie in Richtung Auto, wo Toni mir bereits die Autotür aufhält.
„Ich glaub ich hatte einen Martini zu viel“, lächle ich Max an.
Er erwidert mein Lächeln. „Soll ich dich schon nach Hause bringen? Ich dachte wir könnten uns noch etwas unterhalten, nur wir zwei.“
„Nur wir zwei… das klingt sehr gut“, erwidere ich.
„Toni, bitte bringen Sie uns in die Skyrise Bar.“
„Sehr gerne Sir.“
Die Skyrise Bar kenne ich nur von außen, ich war noch nie zuvor in dem Lokal, schien mir bisher immer zu nobel und versnobt, aber vielleicht kann ich heute meine Meinung ändern. Es sieht alles sehr elegant aus. Eine lang gezogene indirekt blau beleuchte Bar erstreckt sich durch den sonst eher dunklen Raum. Im hinteren Bereich spielt ein Piano und einige Paare tanzen. Rundherum stehen Glastische mit gemütlichen Polstersesseln. Wir setzen uns an einen Tisch, direkt neben dem langen Glasfenster, von dem aus man einen guten Blick nach draußen hat. Die Lichter der Bar spiegeln sich in der nebelnassen Straße. Max bestellt sich einen Whisky, und ich nehme ein Glas Champagner. Zugegeben, meine Füße sind keine High Heels gewohnt, und so lehne ich mich gemütlich im Sessel zurück, um meinen Beinen etwas Erholung zu gönnen. Max sitzt seitlich neben mir, gerade so, dass er mich berühren könnte, wenn er das wollte.
„Ich hätte dich im Auto nicht so anfahren dürfen. Es tut mir leid, aber ich möchte keine Missverständnisse.“
Ich wundere mich, dass er noch einmal davon anfängt, vor allem, weil ich nach drei Martins befürchte nicht mehr so gefasst wie vorhin zu sein. Deshalb sprudelt es auch gleich unkontrolliert aus mir heraus.
„Die will ich auch nicht. Max bitte versteh mich nicht falsch, aber ich bin vor ein paar Wochen dreißig geworden, und an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich gewisse Dinge einfach nicht mehr erleben möchte. Ich bin doch ganz normal und du…du bist…“ Ich stocke kurz, kann mich aber nicht mehr zurückhalten. „Ich bin doch keine Frau für dich, ich passe gar nicht in deine Welt, keine Ahnung was du suchst, aber ich will und kann keine Geliebte sein, und unsere Konfrontation vorhin bestätigt eigentlich nur, was mir mein Kopf seit unserer ersten Begegnung sagt.“
Hab ich das wirklich gesagt? Ich merke wie mein Gesicht heiß wird. Er schaut mich überrascht an, mein Ausbruch dürfe unerwartet gekommen sein. Er wartet kurz bis ich mich beruhigt habe.
„Was sagt dir denn dein Kopf Luisa?“, fragt er ganz ruhig, er lehnt sich erwartungsvoll ob meiner Antwort auf seinem Sessel zurück, und schlägt die Beine übereinander.
„Was mir mein Kopf sagt? Ein Mann wie du kann alle Frauen haben. Du siehst gut aus, du bist erfolgreich und gebildet, und vermögend noch dazu, ich kann mir nicht vorstellen dass du gerade auf mich gewartet hast. Also entweder bist du verheiratet, oder du suchst keine fixe Beziehung, keine Ahnung.“
Er nimmt seine Krawatte ab, und öffnet den ersten Knopf vom weißen Hemd, fast so als bräuchte er mehr Luft zum Atmen.
„Also das sagt dir dein Kopf. Verstehe, du hast dir also schon ein konkretes Bild von mir gemacht?“
Er nippt an seinem Drink. Ich zucke mit den Schultern, darauf will ich wirklich nicht antworten, aber er fährt fort, ohne auf eine Antwort von mir zu warten.
„Glaub mir, die meisten Frauen nehmen liebend gern die Rolle einer Geliebten ein, träumen von Geld und Reichtum, und den Annehmlichkeiten die dieser Umstand mit sich bringt.“
„Du kennst dich also gut aus mit den Geliebten…Hast du für deine Geliebten die Parfums gekauft?“, unterbreche ich ihn.
In Anbetracht seiner Antwort, nehme ich vorsorglich einen großen Schluck Champagner.
„Ja, ich kenne mich sehr gut mit Geliebten aus. Leider willst du keine von ihnen sein, was ich sehr bedaure, denn in Anbetracht der Tatsache, wie du dich dagegen wehrst, hätte das sehr reizvoll werden können.“
Ich verschlucke mich an meinem Getränk, und die Kohlensäure steigt mir in die Nase, kurz muss ich nach Luft schnappen. Er klopft mir zärtlich auf den Rücken, und nachdem ich wieder Luft bekomme, streicht er weiter über meinen Arm, bis zu meiner Hand.
„Das war ein Scherz, es gibt keine Geliebte. Ich habe nur Weihnachtsgeschenke für unsere Chefsekretärinnen gekauft“, schmunzelt er.
Mir ist gar nicht zum Lachen zumute, langsam normalisiert sich meine Atmung wieder. Er lehnt sich wieder am Sessel zurück.
„Aber wenn du es ganz genau wissen willst, ich war verheiratet.“
Ok, er ist geschieden, jetzt weiß ich das auch. Ich hoffe wir sind endlich mit dem Thema durch, unbewusst klopfe ich mit meinen Fingerspitzen auf der Sessellehne.
„Du musst dich nicht rechtfertigen“, entgegne ich knapp.
„Nein das muss ich nicht.“ Kurze Stille. „Meine Frau ist vor zwölf Jahren gestorben.“
Wieder Stille. Shit. Ich weiß nicht, ob ich jetzt etwas sagen soll, oder nicht.
„Das tut mir Leid…ich wollte nicht…“
Ich muss lernen meinen Mund zu halten.
Er hebt seine Hand, und schließt kurz die Augen, ich habe das Signal, nichts mehr zu sagen, verstanden.
„Als Laura die Diagnose Gehirntumor bekam, war sie im vierten Monat schwanger. Eine Behandlung war somit nur unter Gefährdung des Ungeborenen möglich, das wollte sie auf keinen Fall riskieren, ich konnte ihr das nicht ausreden. Sie wollte das Kind unbedingt, und nach der Geburt mit der Chemotherapie beginnen. Leider hat sie das nicht mehr geschafft, zwei Monate später fiel sie ins Koma, und starb einige Wochen darauf, und unser Kind mit ihr.“
Er blickt auf, ich kann ihm kaum in die Augen sehen, ich fühle mich einfach nur schlecht, ich würde mich am liebsten in Luft auflösen. Es herrscht kurz Stille zwischen uns, bevor ich einfach nicht mehr still sein kann.
„Ich wollte dich nicht in diese Situation bringen.“ In diesem Moment fühle ich mich ihm so nah wie nie zuvor. „Es tut mir leid.“
Er legt seine Hand auf meine. „Laura war eine wundervolle Frau, und ich habe sie geliebt, es ist lange her. Es ist alles gut, mir geht es gut.“
Ich kann nur mit Mühe unterdrücken, dass mir Tränen in die Augen steigen, ich presse meine Lippen fest aufeinander. Es kann ihm nicht gut gehen, niemandem kann es gut gehen, wenn er einen geliebten Menschen verliert, und ich weiß das nur zu gut. Er drückt meine Hand ein wenig.
„Es muss einfach weitergehen. Das Leben legt uns viele Prüfungen auf, keiner weiß wozu, und doch hat alles einen Sinn.“
Ich nicke. „Meine Mutter ist gestorben als ich vierzehn Jahre alt war. Sie hatte Krebs. Sie ist einfach gegangen, einfach so. Ich hätte sie noch gebraucht. Ich kann verstehen, was du fühlst.“
Ich merke wie mir eine Träne, die sich nicht aufhalten ließ, über Wange rollt. Ich habe schon Jahre nicht mehr über meine Mutter gesprochen. Ich will einfach nicht daran denken, dass sie mich verlassen hat, außerdem ist das nur ein kleiner Teil aus meiner verkorksten Jugend, von all den Dingen, von denen mir lieber wäre, wenn er sie nicht erfährt, und sie ist nicht die einzige die ich verloren habe. Er streicht mir die Träne von der Wange, am liebsten würde ich ihm jetzt um den Hals fallen und küssen.
„Das Leben fügt uns zeitweise unerträgliche Schmerzen und tiefe Wunden zu, und dann gibt es Tage, an denen man in ein Kaufhaus geht, und ein zauberhaftes Lächeln rettet einen.“
Seine Worte entlocken mir ein Lächeln, während ich meine Nase mit einer Serviette abtupfe.
Er steht auf und nimmt meine Hand.
„Genug jetzt, dieser Abend gehört uns, komm wir tanzen.“
Ich weiß zwar nicht, ob das jetzt das Richtige ist, aber irgendwie ist es mir im Moment auch egal. Der Pianist spielt ein ruhiges Lied. Ich schmiege mich sanft an seine Brust, und er fühlt sich so unglaublich gut an. Er drückt mich an sich und ich vergesse alles um mich herum, ich schließe meine Augen. Er riecht so gut. Seine Hand streicht sanft über meine Wirbelsäule, und ich schmelze unter seiner Berührung, vor ein paar Stunden noch konnte ich mir das noch nicht einmal vorstellen. Es ist schon spät geworden, als wir das Lokal verlassen. Toni erwartet und bereits beim Wagen.
„Toni, bringen wir Luisa nach Hause, es war ein langer Abend.“
„Sehr gerne Sir“, antwortet er, und macht die Tür hinter mir zu.
Ich lehne meinen Kopf während der Fahrt sanft an Max Schulter, und schlafe dabei fast ein, er fühlt sich so unglaublich vertraut an.
„Du bist dreißig?“, fragt er mich auf einmal völlig aus dem nichts.
Ich nicke. „Ja, warum?“
„Ich dachte du bist jünger, du siehst jünger aus.“
Ich fasse das wortlos als Kompliment auf. Keine Ahnung wie er darauf kommt, ich hoffe ich bin ihm jetzt nicht zu alt.
Der Wagen hält vor meinem Wohnhaus. Er gibt Toni ein Zeichen, dass er nicht auszusteigen braucht. Er steigt selbst aus, öffnet mir die Autotür, und streckt mir seine Hand entgegen, die ich gerne annehme.
„Ich möchte nicht, dass du traurig bist, ich bin es auch nicht, vor allem nicht wenn du bei mir bist.“
Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es ist ein magischer Moment, es scheint als würde die Luft zwischen uns knistern.
„Ich bin nicht traurig. Danke für den schönen Abend“, sage ich leise und lächelnd.
„Gute Nacht, ich hoffe es folgen noch viele schöne Abende.“
„Ja das wäre wirklich schön.“
Ich löse mich von seiner Hand, drehe mich um, und gehe Richtung Tür, bevor ich sie öffne werfe ich ihm noch einen Blick und ein Lächeln zu.
„Gute Nacht Max.“
Er hebt die Hand und winkt mir nach, dann gehe ich hinein. Die Tür fällt schon fast ins Schloss, ich erschrecke kurz, weil er sie plötzlich und unerwartet noch einmal aufdrückt. Es geht alles ganz schnell. Er zieht mich zu sich, und umschlingt mich fest mit beiden Armen. Dann küsst er mich mit sanftem, aber energischem Druck. Obwohl ich den ganzen Abend darauf gewartet habe, kommt es jetzt doch so überraschend, dass ich beinahe keine Luft bekomme, und mein Herz klopft mir bis zum Hals. Er entlässt mich kurz aus seinem Armen, bevor er mit seinen Händen mein Gesicht umfasst, und mich noch einmal ganz zärtlich küsst. Wenn er mich nicht halten würde, wäre ich jetzt umgefallen, so wackelig fühlen sich meine Knie an, es ist wie ein Rausch.
„Ich muss dir noch etwas sagen…“, haucht er mir ins Ohr.
„Ja, was denn?“
Ich bin immer noch in Trance.
„Hör zwischendurch auch auf dein Herz, nicht nur auf deinen Kopf.“
„Mache ich gerade“, flüstere ich, während er mir zärtlich übers Kinn streicht.
„Und heb dein Telefon ab, ich stehe nicht so auf Verständigungsprobleme.“
„Lässt sich einrichten“, schmunzle ich.
Er zwinkert mir noch einmal zu, bevor ich etwas widerwillig die Türe schließe.
Ich stehe ein paar Sekunden nur so da, ich atme tief durch, mein ganzer Körper kribbelt, meine Knie zittern, und mein Kopf hat den Kampf gegen mein Herz eindeutig verloren. Zum Glück. Hoffentlich. Zumindest für heute.
Kapitel 4
Mir kommt es vor als wäre ich gerade eingeschlafen, als Lizzy plötzlich meine Zimmertür aufreißt und herein stürmt.
„Sag mal, stehst du heute gar nicht auf?! Es ist schon 09.00 Uhr vorbei und ich warte und warte! Wie war der Abend gestern, ist denn etwas passiert?“
Lizzys rotblonde Locken wackeln ganz aufgeregt auf ihrem Kopf.
„Was soll den passiert sein?“, stelle ich mich etwas dumm. Sie rollt mit ihren Augen.
„Ach komm schon stell dich nicht so an!“
„Es tut mir leid.“
Ich ziehe einen gespielten Schmollmund.
Lizzys Mund steht offen vor Schreck über meine Antwort. Ich muss lachen, aber sie scheint das gar nicht lustig zu finden.
„Es tut mir leid, ich glaub ich habe mich verliebt“, führe ich meinen Satz zu Ende.
Sie springt mich vor Freude an und umarmt mich mit einem schrillen Aufschrei.
„Das ist ja wunderbar!!!“
Bevor ich aufstehen darf muss ich ihr alles erzählen, wobei ich die Details mit Max Frau auslasse, ich finde das ist keine Sache zum weiter erzählen. Endlich ist sie zufrieden und folgt Andys Apell zum Frühstück.
„Ich komme gleich nach!“, rufe ich ihr hinterher.
Vorher muss ich aber noch eine SMS schreiben, auch wenn Max mir gestern erklärte dass er das eigentlich nicht tut…
Guten Morgen, auch auf die Gefahr hin, dass ich keine Antwort bekomme weil du keine SMS schreibst…Ich denke an dich und zwar die ganze Zeit. Luisa.
So jetzt aber raus aus dem Bett. Weit bin ich noch nicht gekommen als mein Handy piepst. Eine Nachricht, so schnell, unglaublich.
Max: Guten Morgen liebste Luisa, in deinem Fall ist ALLES anders. Es war ein wundervoller Abend und ich hoffe auf Wiederholung, vor allem die Verabschiedung scheint mir ausbaufähig. Max.
Meine Wangen glühen schon bevor ich den ersten Schritt aus dem Bett gemacht habe wenn ich das lese und bevor ich zurück schreiben kann klingelt auch schon mein Handy.
„Guten Morgen.“
„Guten Morgen. Ist das ein Test ob das Telefon abhebe?
„Nein.“ Er lacht. „Ich wollte dir die Arbeit ersparen mir noch eine SMS zu schreiben. Ich finde es viel schöner deine Stimme zu hören. Ich hoffe du hast gut geschlafen?“
„Wie kommst du darauf, dass ich noch eine SMS schreiben wollte? Ich weiß doch das du davon nicht begeistert bist.“ Ich muss schmunzeln weil ich mir seinen Blick vorstelle. „Ich habe ganz wunderbar geschlafen und du?“
„Nur kurz, ich sitze bereits im Büro. Es gibt leider Probleme mit einer Firmenübernahme. Ich werde heute Abend noch nach Shanghai fliegen.“ Er klingt leicht genervt über diesen Umstand. „Viel lieber würde ich dich sehen.“
Ich bin auch nicht gerade begeistert von meiner heutigen Sonntagsgestaltung, Familienessen.
„Ja…wäre mir auch lieber dich zu sehen, aber ich werde dann auch gleich unterwegs zu meinem Vater sein…Familientradition – gemeinsames Sonntagsessen. Wann kommst du zurück aus Shanghai?“
Max erklärt mir, dass er nicht genau weiß wie lange es dauern wird, mich aber sicher heute Abend noch anruft.
„Ja das wäre schön, aber vergiss mich nicht bis dahin.“
„Nach dem Kuss von gestern kann ich dich nie wieder vergessen.“
Wenn ich daran denke kribbelt es schon wieder in meinem Bauch, ich fühle mich wie ein verliebter Teenager.
„Ach ja…?“, entgegne ich fast beiläufig, aber innerlich glühend.
„Ja!“, antwortet er. „Ich muss jetzt auflegen, ich melde mich.“
Nach dem Frühstück starte ich in den Familiensonntag. Mein Vater lebt außerhalb der Stadt in einem beschaulichen Vorort. Es ist genau die richtige Gegend für Familie, Kind, Hund und die ganze Gartenzaunidylle. Als Kind habe ich die Zeit hier sehr genossen. Ich werde schon erwartet und wie jeden Sonntag, vorausgesetzt ich muss nicht arbeiten, immer das gleiche Prozedere, mein Vater erzählt mir bei einem Aperitif vom Klinikalltag, während Alice das Mittagessen vorbreitet. Die beiden haben recht schnell nach dem Tod meiner Mutter geheiratet, einer der Gründe, warum mir die gemeinsamen Sonntage eigentlich nicht so viel bedeuten. Ich konnte mich nie damit abfinden warum man nach dem Tod eines geliebten Menschen einfach so tut, als ob nichts gewesen wäre, obwohl ich weiß das mein Vater bereits als meine Mutter noch lebte ein Verhältnis mit Alice hatte. Sie ist Gynäkologin und arbeitete damals im selben Krankenhaus wie mein Vater. Heute arbeitet sie in einem Privatkrankenhaus. Ich weiß zwar das mein Vater nicht schuld daran war das meine Mutter starb, aber ich glaube sie ist an ihrem Kummer zerbrochen. Sie hat zwar nie darüber gesprochen und alles still hingenommen, aber das kann einem doch nicht egal sein. Dafür habe ich meinen Vater jahrelang gehasst. Trotzdem ist er alles was mir von meiner Familie geblieben ist. Ich versuche heute einfach über den vergangenen Ereignissen zu stehen. Ich selbst habe früher auch wenig Positives dazu beigetragen um unser Verhältnis zu verbessern, jetzt bin ich älter und reifer geworden und versuche das zu ändern. Ich werde nie die Augen meiner Mutter vergessen als ich an Ihrem Todestag an ihrem Krankenbett stand, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, wusste ich dass sie sterben wird. Während sie meine Hand hielt, schaute sie meinen Vater an und bat ihn immer für mich da zu sein, egal was passiert.




