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„Sie ist alles was wir haben, Frank. Sie ist alles was unser Leben ausmacht. Sie ist alles was ich Liebe. Versprich mir, dass du gut auf sie Acht gibst, ich kann es nicht mehr.“
Mein Vater strich ihr wortlos über die Haare. In dieser Nacht starb meine Mutter. Fünf Tage vor meinem vierzehnten Geburtstag. Sie war 39 Jahre alt, nur wenige Jahre älter als ich jetzt. Sie war die schönste Frau die ich in meinem Leben je gesehen habe. Ich weiß heute, dass mein Vater sich bemühte mir ein guter Elternteil zu sein, aber ich wollte es nicht zulassen. Ich habe einfach alles getan um ihn zu verletzten, nur um mir selbst Schmerzen zu ersparen. Zumindest dachte ich das damals, aber in Wirklichkeit wurde mein Schmerz immer schlimmer. Unsere Vater – Tochterbeziehung ist nach wie vor verkorkst, ich finde einfach nicht den richtigen Draht zu ihm. Ich habe das Gefühl ihn immer wieder zu enttäuschen, daher habe ich es aufgegeben ihn beeindrucken zu wollen und lebe mein Leben so gut es mir gelingt. Ich denke nicht gerne an die Zeit nach dem Tod meiner Mutter zurück, sie fehlte mir in jeder Hinsicht. Niemand war mehr da mit dem ich reden konnte. Niemand der mich verstand. Niemand der mich nahm so wie ich war. Sie fehlt mir heute noch. Doch dann war da eines Tages Ben. Er war in der Klasse von Matt und drei Jahre älter als ich. Da ich erst knapp fünfzehn war machte der Altersunterschied viel aus, aber mir war das egal. Er faszinierte mich einfach, alles was er tat und sagte war für mich richtig. Er war nicht regelkonform, er machte was er wollte, kam und ging wann es ihm passte. Das war zu der Zeit für mich einfach unglaublich anziehend, zu tun was nicht erlaubt ist und sich wo es geht zu widerstreben. Ben war meine erste große Liebe und es war nicht schwer ihn zu lieben, auch wenn er ein Draufgänger war. Er war unglaublich intelligent und einfühlsam, auch wer er nach Außen auf cool machte. Zu mir war er immer liebevoll und für mich da, er nahm mich so wie ich war und ich tat dasselbe für ihn. Auch wenn es weder meinen noch Matts Eltern passte, wir waren eine eingeschweißte Clique und verbrachten eigentlich die ganze Zeit miteinander. Wenn ich heute darüber nachdenke, muss diese Zeit für Dad die Hölle gewesen sein, aber damals wollte ich genau das. Ich wollte dass er leidet, so wie ich gelitten habe. Ich habe mit fünfzehn bereits eine stattliche Anzahl an Drogen konsumiert und entging zweimal knapp einer Alkoholvergiftung. Nichts habe ich ausgelassen und Ben war das perfekte Gegenstück für mich in dieser Zeit. Es grenzt an ein Wunder das ich heute ein normales Leben führe, zumindest nach außen hin, in meinem Inneren kämpfe ich immer noch mit mir. Ich habe vieles erlebt und durchgemacht wofür ich mich heute noch mehr schäme als damals, ich weiß nicht ob ich jemals wirklich damit leben kann ohne täglich darüber nachzudenken. Lizzy ging zu der Zeit bereits aufs Internat, ihre Eltern empfanden es wäre das Beste für sie und wahrscheinlich war es das auch, obwohl sie sowieso immer das brave, vernünftige Mädchen war. Ich bin damals ständig abgehauen, traf mich mit Ben, ging nicht zur Schule, machte nur was ich wollte. Vermutlich wäre ich mit Ben durchgebrannt, doch unser Leben sollte sich nicht so vorhersehbar entwickeln, weder meines, noch seines. Es war der 4. Juli, danach war nichts mehr so wie zuvor. Wir trafen uns an einem kleinen See um am Lagerfeuer zu feiern und die Feuerwerke zu sehen. Ben war schon einige Wochen lang total verändert. Apathisch, fahrig und unberechenbar, wir hatten uns oft in den Haaren und ich verstand damals nicht warum er sich so verändert hatte. Ich wünschte mir er wäre wie immer. Ich vermisste seine Nähe, aber er wandte sich immer mehr von mir ab. Heute kenne ich den Grund dafür, aber damals konnte ich nicht verstehen was in ihm vorging. Es war eine klare Vollmondnacht. Matt und ich fuhren gemeinsam zum See, natürlich hab ich mich von zu Hause weggeschlichen, was an diesem Abend ganz einfach war, da Dad Nachtdienst im Krankenhaus hatte. Wir saßen einige Stunden zusammen und es war eine feuchtfröhliche Party, samt allerlei verbotenem Zeugs. Auch wenn wir viele Regeln brachen, Matt passte immer auf mich auf wie ein großer Bruder. Das führte oft zu wilden Streitigkeiten zwischen ihm und seiner damaligen Freundin Nicky. Als wir da so saßen fiel mir plötzlich auf das Ben und Nicky nicht mehr bei uns waren. Ich spürte sofort dass etwas nicht stimmte. Ich suchte Ben und ich fand ihn auch. Gemeinsam mit Nicky in der Hütte am See in einer eindeutigen Situation. Für mich brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Ben war alles für mich, es brach mir das Herz. Ich wollte einfach nur weg, ich fühlte mich so betrogen, so benutzt und weggeschmissen. Niemals hätte ich gedacht dass er mir so etwas antun würde, ich hätte alles für ihn getan. Es gab einen riesen Auflauf und eine wilde Streiterei, bevor Matt und ich kurz nach Mitternacht mit dem Auto vom See wegfuhren. Er hätte auf keinen Fall mehr fahren dürfen, aber ich war einfach nur froh, dass er mich von dort weg brachte. Das ist die ganze Erinnerung, die ich an diesen Abend noch habe. Am nächsten Tag erwachte ich im Krankenhaus mit einer Lungenquetschung, vier gebrochenen Rippen und einem offenen Schienbeinbruch am rechten Bein. Wir hatten einen schlimmen Unfall auf der Heimfahrt. Matt kam mit einem leichten Schädelhirntrauma davon und konnte das Krankenhaus noch am selben Tag verlassen, aber mich hat es wirklich schlimm erwischt. Ich hatte großes Glück am Leben zu sein. Den darauf folgenden Wirbel kann man sich vorstellen. Für mich lief alles um mich herum ab wie ein Film. Es war nur den Interventionen und Kontakten von Matts und meinem Vater zu verdanken, dass dieser Unfall ohne weitere großartige und strafrechtliche Folgen für uns blieb. Die einzige Bedingung war, dass ich ab dem nächsten Schuljahr ein Internat besuchen musste und dieses sollte weit weg von meinem zu Hause sein, Matt hatte bereits einen Studienplatz in London. Doch der schlimmste Schlag sollte mich erst einige Stunden später treffen. Als Matt mich im Krankenhaus besuchte, frage ich ihn warum Ben sich nicht bei mir meldet und warum er mich nicht besuchen kommt. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass ich ihm von einer auf die andere Minute so egal sein konnte. Auch wenn ich so wütend war über das was er tat, ich hätte ihm vermutlich verziehen. Matt schaute mich nur an und sagte kein Wort. So habe ich ihn vorher noch nie erlebt und seither auch nie wieder. Ich werde nie seinen Blick vergessen und ich werde nie das Gefühl in meinem Herzen an diesem Tag vergessen. Ich wusste sofort dass etwas nicht stimmt, es war der Klang seiner Stimme.
„Luisa…Du musst jetzt stark sein... Ben ist heute Morgen in der Hütte am See gefunden worden.“ Matt stockt, seine Stimme klingt wie abgeschnürt, er kann kaum sprechen. „Er ist vermutlich an einer Überdosis gestorben. Er hat sich scheinbar schon länger Heroin gespritzt.“
Wäre mein mit Schrauben durchbohrtes Bein nicht gewesen, wäre ich diesem Moment vermutlich davon gelaufen. Ich konnte vor lauter Schmerz noch nicht einmal weinen, ich fühlte mich als wäre mein ganzer Körper leer. Ich machte mir solche Vorwürfe. Warum hat er das getan? Ich hätte es verhindern können, ich hätte nicht wegfahren dürfen, vielleicht wäre er jetzt noch am Leben. Es gab nur eine Person die ich noch mehr hasste als mich selbst, Nicky. Der Gedanke an sie lässt noch heute das Blut in meinen Adern stocken. Zum Glück sah auch Matt das damals wie ich und trennte sich von ihr. Warum habe ich nicht gemerkt was mit ihm los war? Er hätte nicht sterben dürfen. Ich habe mit fünfzehn schon alles erlebt, was andere ihr ganzes Leben nicht erleben wollen, ich hasse mich für diese Zeit und ich wünschte alles wäre anders gekommen. Mein Vater entschied sich für ein Mädcheninternat in der Schweiz. Tausende Kilometer von meiner Familie und meinen Freunden entfernt. Es war keine Strafe mehr für mich weg zu müssen, ich war einfach nur froh alles hinter mir lassen zu können, manchmal wünschte ich mir einzuschlafen und nicht wieder aufwachen zu müssen, ich hatte mein Leben aufgegeben. Ich war so voller Schmerz, Wut und Traurigkeit ich hatte alle verloren die ich liebte und die mich lieben habe ich enttäuscht und verletzt. Trotzdem lebte ich mich dort langsam ein und meine Ausbildung zur Hebamme hat mir so viel Freude bereitet, dass ich wieder zurück ins Leben fand. So verbrachte ich viele Jahre in der Schweiz. Erst mehr als zwölf Jahre später war ich nach einer gescheiterten Beziehung mit einem Arzt, der mir erfolgreich verschwieg dass er verheiratet ist, bereit wieder zurück zu kehren. Angekommen bin ich aber noch immer nicht, immer wieder das Gefühl etwas fehlt in meinem Leben.
Nach dem Essen brauche ich ein bisschen frische Luft und spaziere die Siedlungsstraße entlang, mein Vater ließ sich nicht abwimmeln mich zu begleiten. Wir gehen wortlos die Straße hinunter. Im Novemberwind fallen die letzten Blätter von den Ahornbäumen die die Straße säumen.
„Willst du dir vielleicht nicht doch überlegen das Studium für Pränatalmedizin anzufangen? Ich glaube das wäre wirklich etwas für dich.“
„Du wirst deine Hoffnungen dass ich in deine Fußstapfen als Ärztin trete leider über Bord werfen müssen.“
Ich schüttle vehement den Kopf. Er schnauft tief durch, wohlwissend das ich mir nicht viel einreden lasse und ändert das Thema.
„Ich freue mich schon auf Weihnachten. Es wird bestimmt wieder schön wenn wir alle gemeinsam die Feiertage verbringen.“
Daran hab ich gar nicht mehr gedacht. Wir fahren schon seit vielen Jahren gemeinsam mit Lizzy, Matt und deren Eltern gemeinsam in den Weihnachtsurlaub, das ist ein Fixpunkt im Terminkalender, mittlerweile ist natürlich auch Andy mit dabei. Ich finde das eigentlich immer ganz schön. Landhausidylle an einem romantischen See, es fühlt sich immer so altmodisch an, aber gemütlich.
„Ja, das wird bestimmt wieder lustig und ich hoffe es schneit uns in diesem Jahr nicht wieder so ein, da,s wir eine Zwangsverlängerung wie im letzten Jahr einlegen müssen.“
Da muss sogar mein Vater schmunzeln. Als wir zurückkommen hat Alice bereits Kaffee gemacht und es gibt frische Kekse. Sie ist wirklich eine gute Köchin, ich bin mir zwar nicht sicher, ob sie das alles nur macht um mir zu imponieren und meine Zuneigung zu gewinnen, oder ob sie es wirklich gern macht. Irgendwie kann ich meinen Vater verstehen, Alice ist eine wunderschöne, gebildete Frau. Es scheint sie hat immer alles im Griff. Ihre roten Haare sitzen stets perfekt, egal um welche Uhrzeit. Ihre Kleidung ist immer makellos und elegant, ich glaube sie schläft sogar perfekt gestylt, sie ist so stilvoll. Auch wenn es die Etikette vermutlich nicht erlaubt, kann ich es mir nicht verkneifen auf mein Handy zu schauen, aber das verhält sich ruhig, keine Anrufe.
„Sehen wir uns nächste Woche?“, fragt mich mein Vater als ich in meinen Mantel schlüpfe.
„Ich weiß noch nicht Dad, wir sehen uns ohnedies im Krankenhaus. Ich gebe dir Bescheid.“
Wir verabschieden uns und gerade als ich ins Auto steigen will höre ich mein Handy piepsen.
Max: Ich bin gut gelandet, aber leider herrscht hier das totale Chaos. Da ich nicht einschätzen kann wie die Gespräche verlaufen, wollte ich mich noch bei dir melden. Ich rufe dich an sobald es möglich ist. Ich hoffe es dauert nicht mehr lange bis ich dich sehe. Max.
Ich schreibe gleich zurück.
Du machst das schon. Melde dich einfach wenn du Zeit hast. Bis dann. Luisa
Max: Melde mich so schnell ich kann .Kuss Max.
Als ich zu Hause ankomme ist es draußen schon fast dunkel. Neben meinem Schrank am Boden stehen meine schwarzen High Heels. Ich glaube wir werden doch noch gute Freunde, meine Heels und ich, zumindest scheinen sie einen guten Eindruck hinterlassen zu haben, ich werde sie jetzt wohl öfter tragen.
Kapitel 5
Montag. Heute war ein richtiger Montag. Es war von Dienstbeginn bis Dienstschluss nichts so wie es sein soll. Zuerst habe ich fast verschlafen, dann gab es aus unerklärlichen Gründen kein Warmwasser und ich musste kalt duschen. Auch im Krankenhaus lief nichts so wie es sollte. Außerdem habe ich bis jetzt noch nichts von Max gehört. Ich hoffe das ist kein schlechtes Zeichen. Jetzt bin ich zu Hause und packe meine Tasche zum Schwimmtraining. Darauf hab ich zwar auch keinen Bock, aber es muss ein, die Bewegung wird mir gut tun. Ich schwimme lustlos meine Längen und habe das Gefühl nicht von der Stelle zu kommen, jedes Tempi kostet mich Kraft. Montags trainiere ich immer im Team. Ich absolviere zwar keine Wettkämpfe zum Leidwesen meines Trainers, aber dazu habe ich keine Lust, ich will mich nicht mehr mit anderen messen. Meine Mutter war in ihren jungen Jahren eine sehr begabte Leistungsschwimmerin und hat mich bereits früh mit dem Sport vertraut gemacht, mit dem Erfolg, dass ich mit zwölf Jahren Jugendmeisterin in meiner Klasse wurde. Hätte eine gute Sportlerin aus mir werden können, aber nach dem Tod meiner Mutter hat mir das nichts mehr bedeutet. Jetzt mache ich es nur mehr für mich und vielleicht ein bisschen für meine Mum.
„So Mädels, Schluss für heute. Luisa, alles ok bei dir? Heute nicht deine Bestform…“
Mein Trainer ist grundsätzlich nie zufrieden, aber heute muss ich ihm beipflichten, nicht meine beste Leistung, ich fühle mich nicht fit. Nach einer langen heißen Dusche ist mir noch immer kalt und ich liege schon früh im Bett. Lizzy hat Nachtdienst und Andy ist wieder unterwegs im Dienste der Telekommunikation. Immer noch keine Nachricht von Max. Ich bin eigentlich nicht der Typ der so darauf wartet, aber diesmal scheint alles anders zu sein. Ich werfe noch einmal einen Blick aufs Handy, bevor ich meine Nachtischlampe ausknipse. Nichts. Hoffentlich habe ich mich nicht komplett in ihm getäuscht und er hat inzwischen gemerkt, dass ich nicht zu ihm passe. Mist, genau das wollte ich nicht, mir ständig Gedanken machen müssen. Ich darf mich da nicht so hineinsteigern. Auch wenn ich erschöpft bin dauert es lange bis ich einschlafen kann. Ich wälze mich hin und her, aber irgendwann besiegt mich die Müdigkeit, als mich plötzlich das Läuten meines Handys aus einem Albtraum reißt. Ich bin im Traum ins Wasser gefallen und bekomme keine Luft, ich kann nicht atmen, ich habe das Gefühl gleich zu ersticken. Ich brauche ein paar Sekunden, bevor ich abheben kann.
„Ja…“
Ich kann kaum sprechen, mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich bin schweißgebadet.
„Luisa?“
„Ja.“
Ich atme hörbar tief durch, langsam bekomme ich wieder Luft.
Alles in Ordnung bei dir?“
„Ja… ich glaube schon.“
Meine Stimme ist leise und zittrig.
„Du klingst aber nicht als ob es dir gut geht?“
Er hört sich sehr besorgt an, daher versuche ich ihn zu beruhigen.
„Es geht schon wieder, ich hatte gerade einen schlimmen Traum, aber du hast mich jetzt zum Glück geweckt.“
„Entschuldige ich wollte dich nicht wecken, aber in dem Fall war es wohl gut. Ich hatte Probleme mit dem Handy, sonst hätte ich mich schon früher gemeldet, ich dachte du bist bestimmt noch wach.“
Ich blicke auf meinen Wecker, es ist erst kurz nach 22 Uhr.
„Für gewöhnlich bin ich das auch, aber ich war einfach so müde.“
Ich fühle mich so erschöpft, als hätte mich ein Panzer im Schlaf überrollt.
„Ist wirklich alles in Ordnung Luisa? Du klingst gar nicht gut. Was hast du denn geträumt?“
„Mach dir bitte keine Sorgen, es geht mir gut, es war einfach nur ein wirrer Traum.“
Er lässt sich nur schwer davon überzeugen, dass es mir gut geht, aber dann erzählt er mir dass er immer noch in Shanghai ist. Wie es aussieht kommt er frühestens Ende der Woche zurück. Es fällt mir nicht leicht mich zu verabschieden, ich möchte einfach nicht allein sein, auch wenn es nur seine Stimme am Telefon ist. Ich liege noch lange wach bis ich endlich einschlafe. Der Rest der Woche verläuft durchwachsen, ich werde das Gefühl nicht los das ich irgendetwas ausbrüte. Doch ich habe jetzt keine Zeit krank zu sein, denn Max hat seine Rückkehr für Freitag angekündigt und allen Anfangsschwierigkeiten zum Trotz, freue ich mich auf ihn. Ja ich freue mich sogar außerordentlich.
Dienstag: Tagdienst. Mittwoch: Tagdienst. Donnerstag: Nachdienst. 14 Geburten, keine Frühgeburten. Ich habe diese Woche meine freien Tage geopfert, da eine Kollegin krank ist. Endlich Freitag und das Wochenende habe ich frei. Ich brunche gegen Mittag gemütlich mit Lizzy in einem kleinen Café in unserer Straße, das haben wir schon so lange nicht mehr gemacht. Wir plaudern über die bevorstehende Hochzeit. Da ich ihre Trauzeugin sein werde, gibt es eine Menge Vorbereitungen. Die Hochzeit ist im Mai. Das Kleid und die Location sind bereits ausgesucht, trotzdem gibt es noch so viel zu tun. Max hat mich gerade vorhin angerufen, er ist seit den frühen Morgenstunden wieder in NY. Wir werden heute einfach nur Essen gehen. Kein großes Programm, darüber bin ich froh weil ich immer noch schlapp bin, obwohl es mir eigentlich egal ist was am Programm steht. Ich freue mich schon ihn zu sehen. Kaum zu glauben wie schnell man einen Menschen vermissen kann, den man erst so kurz kennt. Ich deute dass einmal als gutes Zeichen, hätte ich mir vor etwas mehr als einer Woche noch nicht vorstellen können.
Um Punkt 19.00 Uhr läutet es an meiner Tür. Meine High Heels und ich warten schon, also ich in meinen High Heels. Ich habe mich heute für das kleine Schwarze entschieden und meine Haare zu einem strengen Knoten aufgesteckt, ich fühle mich ein bisschen wie Evita Peron, aber dunkelhaarig. Unten wartet bereits der Wagen. Heute ist Max bereits ausgestiegen und erwartet mich mit einem sichtlich zufriedenen Lächeln auf den Lippen.
Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er kommt auf mich zu und grinst mich an.
„Guten Abend Mrs. Miller.“
Er zwinkert mir verschmitzt zu und reicht mir seine Hand.
„Guten Abend. Heute so förmlich Mr. Deveraux?“, antworte ich, während ich meine Hand in seine lege die er sofort fest umschließt.
„Ja ich dachte mir die Abholszene ist zuletzt nicht besonders gut gelungen und verlangt nach einer neuen Version.“
Er zieht mich an sich und mein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von seinem entfernt. „Besser so?“
„Ausbaufähig“, entgegne ich, auch wenn ich am liebsten sofort meine Lippen auf seine pressen würde.
Sanft streicht er über meine Wange, bevor er mich fest an sich drückt und dann sanft küsst. Ich will ihn gar nicht los lassen und Ja es fühlt sich noch immer gut an. Sogar sehr gut, nein sogar außerirdisch gut.
Ich lächle zufrieden, was er erwidert.
„Ich habe dich wirklich vermisst.“
„Überraschender Weise ich dich auch“, necke ich ihn am Weg zum Wagen.
„Du versuchst mich aber nicht herauszufordern meine Liebe, oder?“
„Nein wie kommst du darauf?“
Er öffnet mir die Autotür.
„Komm, steig ein, es ist eiskalt, du erkältest dich noch in deinen Hauch von nichts an Strümpfen.“
Ich gebe ihm einen zarten Kuss, bevor ich einsteige und er kopfschüttelnd, aber immer noch mit einem Zahnpastawerbungslächeln die Tür hinter mir schließt.
„Guten Abend Miss Miller“, begrüßt mich Toni freundlich, was ich höflich erwidere.
„Sag mal fährst du eigentlich nie selbst, oder hast du keinen Führerschein?“, frage ich ihn als er sich neben mich setzt. Er reibt sich seine Hände, draußen ist es wirklich eiskalt.
„Ich bin es einfach gewohnt chauffiert zu werden, ich nutze die Zeit im Auto um Telefonate zu erledigen, oder Termine vorzubereiten. Toni fährt einfach viel besser als ich. Stimmt´s Toni?“
Toni blickt im Rückspiegel zurück zu uns.
„Mr. Deveraux fährt lieber die schnellen sportlichen Autos.“ Er lächelt mir zu.
„Schnelle, sportliche Autos? Wie ein richtiger Aufreißer eben.“
Ich muss grinsen und den Kopf schütteln.
„Du hältst mich also für einen Aufreißer Typen? Die vorgefertigte Meinung der Luisa Miller.“ Er schmunzelt amüsiert. „ Das wäre ein toller Buchtitel. Wie werde ich dir das nur abgewöhnen?“
„Ich würde sagen, du beweist mir das Gegenteil, ganz einfach.“
„Ich befürchte es wird nicht ganz so einfach werden dir etwas zu beweisen, aber glaub mir ich werde dich schon überzeugen, dass du dich täuscht.“
Da ist sie wieder, seine Hand auf meiner, er drückt sanft meine Finger und das reicht schon aus das mich ein warmer Schauer durchfährt. Viel Überzeugungskraft muss er nicht aufwenden, ich sage nichts weiter dazu und erwidere den Druck seiner Hand. Wir erreichen das Restaurant am Hudson River, der Ausblick ist einfach unglaublich. Die Lichter der Nacht spiegeln sich im Fluss. Das Lokal ist gut gefüllt. Für uns ist ein gemütlicher Tisch reserviert. Während dem Essen unterhalten wir uns über die Ereignisse der vergangenen Woche, ich muss ihn dauernd ansehen und ich bewundere seine schönen Hände. Noch vor einer Woche dachte ich nie, dass ich mich so verlieben könnte, und das von einer Minute auf die andere. Doch es ist tatsächlich passiert. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich ihn regelrecht anhimmle. Dann muss ich mich selbst bremsen, ich will es ihm nicht so leicht machen, zumindest soll er nicht merken, dass er mich längst gefangen hat. Der Kellner trägt den Hauptgang ab und fragt ob wir ein Dessert möchten.
„Wollen wir?“, fragt er mich.
„Dessert geht immer“, stimme ich zu.
Wir bestellen, der Kellner gießt noch etwas Rotwein ein.
„Ich muss noch etwas loswerden.“
Max sieht mit einem Mal ernster aus und er klingt auch so, nicht gut denke ich mir.
„Unser letzter Abend ist nicht ganz so verlaufen wie ich es mir gewünscht habe. Ich möchte das es ab jetzt um uns geht, und zwar nur um uns.“
„Glaubst du wirklich du kannst das?“
„Ja, da bin ich mir sicher.“
Er rückt seine Dessertgabel akribisch an den Tischrand.
„Ich meine, du hast deine Frau verloren.“
Und ich habe Ben und meine Mutter verloren. Irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen bis jetzt noch nichts von Ben erzählt zu haben, aber das erfordert die ganze Geschichte und ich habe Angst er sieht mich dann anders. Ich schiebe den Gedanken schnell beiseite, das hat Zeit.
„Ich werde Laura nie vergessen, so wie du deine Mutter immer in Gedanken behalten wirst.“
Der Kellner bringt das Dessert.
„Ich habe sie über die Maßen geliebt und viele Jahre versucht Schmerz und Verlust zu verdrängen, aber ich habe irgendwann verstanden dass ich das nicht kann. Es musste mir einfach gelingen mein Leben weiter zu leben. Seit ein paar Tagen gelingt mir das richtig gut. Es geht um dich und um mich.“ Er macht eine kurze Pause. „Und im besten Fall um uns.“
Ich steche ein Stück von meinem Schokokuchen mit flüssigem Kern ab, die Schokolade ist noch ganz lauwarm. Er meint es also ernster als ich bisher dachte, das macht mich ganz unruhig auf meinem Stuhl, was ich nur schwer verbergen kann.
„Um uns also? Warum ich?“, frage ich vorsichtig.
Er greift über den Tisch und nimmt meine Hand. „Weil ich genau dich will.“
„Aber ich mache doch gar nichts Besonderes und was wenn ich dir schon bald auf die Nerven gehe? Wenn alles zu kompliziert ist und…“
Ich weiß nicht recht was ich sagen soll, er macht mich verlegen und dieses „weil ich dich will“ klingt äußerst bestimmt, aber so das es mir durch und durch geht und zwar im positiven Sinn.
„Luisa, ich will dich. Weil du so bist wie du bist. Genau deshalb. Punkt.“
Mein Herz klopft mir schon wieder bis zum Hals, wenn sich das nicht bald legt, bekomme ich noch einen Herzanfall. Er lächelt mich an und beißt sich auf seine Unterlippe.
„Du hast etwas Schokolade an deiner Lippe, du glaubst gar nicht was ich dafür geben würde sie dir herunter küssen zu dürfen.“
Ich merke wie ich rot werde, während ich meine Serviette nehme. Ich versuche das Thema zu wechseln.
„Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass meine beste Freundin im Mai heiraten wird? Ich werde Trauzeugin sein.“
Etwas Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen, als ob ihn das interessieren würde. Sichtlich amüsiert über den schnellen Themenwechsel legt er seine Serviette rechts neben ihm auf den Tisch und lehnt sich gemütlich zurück.
„Sehr schön, obwohl du bestimmt der Braut die Show stehlen wirst.“



