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Rian versuchte, sich Alberich als Kämpfer auf dem Schlachtfeld vorzustellen. Ein Bild von ihm in dunklem Wams und elfischem Kettenhemd entstand vor ihrem inneren Auge, mit schützenden Schienen an Armen und Beinen, einem Schwert in der einen und einem Dolch in der anderen Hand. Auf seinem Kopf saß ein schlichter Helm, unter dem seine schwarzen Locken hervorquollen. Hinter ihm loderten Flammen in den Himmel.
Je länger Rian es sich vorstellte, um so realer wirkte es, als sei es mehr eine Erinnerung als eine Vorstellung. Sie musste kurz den Kopf schütteln, um das Bild wieder zu vertreiben und in die Gegenwart zurückzukehren. Das erste, was sie sah, waren Alberichs Obsidianaugen. Funken tanzten darin, die sie auszulachen schienen.
»Wir kämpften mehr als zwei Jahrhunderte in beiden Welten, und wir kämpften gut«, fuhr der Elf fort, als wäre nichts geschehen. Er lehnte sich zurück, und sein Blick bekam etwas Abwesendes, fast Sehnsuchtvolles. »Als Lohn für unsere Dienste verlangten wir Gold, Juwelen und Gegenstände, die uns gefielen oder nützlich erschienen. Einiges magisches Spielzeug bekamen wir auch, besonders, wenn wir drüben kämpften.
Hier wie dort ging es uns gut, und wir verbrachten manchmal lange Zeiten bei den Menschen, da diese leichter zu beeindrucken waren und man einfacher an Macht und Reichtum gelangen konnte.«
Alberich strich mit dem Zeigefinger entlang des Stieles seines Weinglases nach oben.
»In einer weinseligen Nacht erzählte unser Vater einigen von ihnen von seiner Heimat, und sie nannten uns von da an Niflungen, nach ihrem mythischen Ort Niflheim, der wohl in etwa Zyma entsprach. Daher das Wort Nibelungen.
Vater erzählte den Menschen auch ein wenig von unseren Abenteuern und ließ durchblicken, wie lange wir bereits unserem Handwerk nachgingen. Sie glaubten von da an, unsere Truhen müssten vor Gold bersten, aber das war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wahr, denn wir lebten nicht gerade sparsam. Nun ja, für die meisten Menschen jener Zeit war das, was wir im Alltag verprassten, wohl schon ein Vermögen, aber unser Wohlstand war nicht mit dem einiger Fürsten der Menschen zu vergleichen.
Den großen Gewinn in Sachen Gold und Edelsteinen machten wir erst, als wir die Aesir, die Asen, in einer ihrer unzähligen Streitereien mit den Riesen unterstützten, und der Unfall geschah. Keiner von uns wäre jemals im offenen Kampf gefallen, doch einer der Asen brachte versehentlich unseren jüngsten Bruder um, als der in Tiergestalt in einem Fluss badete. Die Asen entrichteten einen hohen Blutpreis als Wiedergutmachung, denn sie konnten und wollten zu diesem Zeitpunkt nicht riskieren, dass wir die Seiten wechselten.«
Alberich lachte auf. »Hätten wir damals geahnt, wie hoch der Preis am Ende für uns selbst sein würde, wir hätten vermutlich die Finger davon gelassen und weiter gemacht wie zuvor. Aber wir nahmen den Schatz an, und bald juckte es jeden von uns, ihn allein zu besitzen.« Er schüttelte den Kopf.
»Manchmal denke ich, einer der Asen hat den Schatz damals mit einem Fluch belegt, als Rache für unsere hohe Forderung. Aber vielleicht lag es in unserer Natur, dass wir zwar Weniges teilen konnten, aber bei etwas so Großem wie diesem Schatz unsere niedrigsten Triebe zum Vorschein kamen. Wie auch immer … ah, das Essen.«
Der Kellner erschien mit mehreren Tellern, die er vor den Elfen abstellte.
»Dann wünsche ich allerseits einen guten Appetit«, sagte Alberich und wickelte sein Besteck aus der Serviette. »Ich würde vorschlagen, dass wir die Fortsetzung dieser Erzählung auf später verschieben, wenn wir unter uns sind, in meinem Haus.«
Eine Stunde später verließen sie das Lokal und gingen durch die deutlich abgekühlte Luft der Novembernacht die Uferpromenade entlang zum Auto. Wieder ruhte Rians Hand dabei auf Alberichs Unterarm.
»Legen deine Schiffe auch hier an?«, fragte Rian, als sie an einem der Bootsstege vorbeikamen.
»Gelegentlich. Ich miete dann eine Anlegestelle von einer der größeren Gesellschaften. Unser Schwerpunkt liegt auf dem Warentransport von und nach Holland und Belgien, wir legen nördlich von hier, im eigentlichen Hafen an. Nebenbei bieten wir Bergungsarbeiten im Rhein. Der touristische Personenverkehr ist erst vor ein paar Jahren dazugekommen, ich habe nur zwei Schiffe laufen. Ich muss allerdings sagen, er gibt der Sache eine neue Nuance, die mir zusehends besser gefällt.«
»Ist dein Unternehmen groß?«
Alberich grinste. »Groß genug, um angenehm leben zu können, insbesondere, da ich einige einträgliche Handelsnischen gefunden und fest besetzt habe. Aber es ist nicht so groß, um aufzufallen. Ein Familienunternehmen, seit Hunderten von Jahren fest in der Hand der Albrechts.«
Rian lachte auf. »Ich nehme an, das heißt, in deiner Hand?«
»Natürlich, unter wechselnden Personae. Das war früher sehr einfach. Niemand hat damals so genau hingeschaut, solange nur die Abgaben weiter flossen. Jetzt muss ich mich schon ein wenig mehr mit der Technik befassen, um alles lückenlos hinzubekommen, aber es ist noch immer möglich, es fortzusetzen. Doch ich hoffe, dieses Spiel bald nicht mehr nötig zu haben.«
Rian hob die Augenbrauen. »So? Willst du eine erfolgreiche Firma aufgeben?«
Alberich sah zum Rhein hinüber. »Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hiergeblieben. Ein Problem hielt mich fest, das ich nicht lösen konnte. Es haben sich aber in den letzten Monaten Perspektiven ergeben, die dieses Problem nun lösbar erscheinen lassen.«
»Ah? Wodurch?«
Alberich sah zurück zu Rian, lächelte sie funkelnd an und strich ihr leicht über die Hand. »Die Technik entwickelt sich in dieser Welt unaufhörlich weiter, schöne Prinzessin. Und manchmal haben die Menschen wirklich gute Ideen, die auch für unsereins nützlich sind. Ich werde euch später mehr davon erzählen.«
Sie hatten das Auto erreicht und stiegen ein. Langsam fuhr Alberich wieder zurück zur Hauptverkehrsstraße und bog dann Richtung Norden ab. Sie fuhren durch das östliche Worms hindurch, am Hafen und den anschließenden Gewerbegebieten vorbei. Danach kamen sie in immer spärlicher besiedeltes Gebiet. Alberich bog mehrfach ab, bis Rian die Orientierung verloren hatte. Als er schließlich in einen Ort hineinfuhr, ließ der Name auf dem Ortsschild Rian jedoch stutzen.
Neuhausen, stand dort. War das nicht der Ort, in dem das Gemälde gefunden worden war? Sie sah sich um, konnte einen Kirchturm hinter den Häusern an der Straße erkennen, doch mehr war nicht zu sehen – keine Hinweisschilder auf eine Ausgrabung oder die historische Vergangenheit des Orts.
Zu Rians Bedauern fuhr Alberich nur hindurch. Er durchquerte zwei weitere Dörfer und wurde erst ein ganzes Stück hinter dem letzten Ortsausgang langsamer. Schließlich bog er in einen kleinen Weg ein, der als »Privat« gekennzeichnet war. Der Weg führte durch ein schmiedeeisernes Tor, an das sich kein für menschliche Augen sichtbarer Zaun, wohl aber ein für Rian erkennbares magisches Geflecht anschloss. Danach verlief er weiter unter einigen Baumwipfeln hindurch, bis er schließlich auf einem mit Kies befestigten Platz endete, um dessen Rand mehrere orange leuchtende Kugellampen standen.
Alberich fuhr in einem Bogen vor dem Gebäude am Ende des Platzes vor und stellte den Motor ab.
»Willkommen in meiner bescheidenen Zuflucht«, sagte er und wies durch Rians Seitenfenster.
Rian sah von ihrem Sitz aus zu einem zweistöckigen Haus auf, das nicht auffallend groß war. Es erinnerte in der Form an eine kleine Burg, mit einem runden Turm an einer Seite und zinnenartigem Mauerabschluss an der Giebelfassade auf der anderen Seite. Dazwischen war es mit einem Rotziegeldach abgedeckt.
Die Höhe der in einem hellen Erdton gestrichenen Wände darunter hätte normalerweise auf zwei Stockwerke unterhalb des Dachgeschosses hingewiesen. Die völlig unregelmäßig über die Wände verteilten Fenster ließen Rian allerdings vermuten, dass es keine feste Geschosseinteilung im Inneren gab.
Ebenso unregelmäßig wie ihre Lage war die Form der Fenster. Es gab Panoramafenster, große Rosetten, schmale Bogenfenster in Zweier- und Dreiergruppen sowie ein paar Öffnungen, die eher an Schießscharten erinnerten. Der Teil des Turms, der über das restliche Haus hinausragte, zeigte zudem statt dem Verputz ein verspieltes Fachwerkmuster. Dazwischen saßen in sich unterteilte Fenster, wie Butzenfenster ohne gebogenes Glas.
»Das ist dein Haus?«, fragte Rian, ohne den Blick von dem Gebäude zu lösen, als Alberich ihr die Tür öffnete.
»Ich konnte mich nicht recht für einen Stil entscheiden, also ließ ich einfach alles irgendwie mit hineinspielen. Ich denke aber, die Komposition ist in ihrer Gesamtwirkung gelungen, oder?«
»Mir gefällt es«, antwortete die Elfe, während sie mit seiner Unterstützung ausstieg. Er verbeugte sich leicht.
»Aus dem Munde einer Frau, welche die Standards eines Schlosses gewohnt ist, nehme ich das als Kompliment. Und du, David? Was meinst du dazu?«
David, der gegen das Auto gelehnt das Gebäude betrachtete, kniff die Augen etwas zusammen und rieb sich mit der Hand über das Kinn. »Es erinnert mich in manchen Punkten an das Baumschloss, auch wenn der Stein und die vielen Ecken mir eher unsympathisch sind. Aber daran habe ich mich im Verlauf der letzten Monate ohnehin gewöhnen müssen. Das endgültige Urteil behalte ich mir für später vor, nachdem wir das Innere gesehen haben.«
»Das Innere.« Alberich hob eine Hand und schnippte. »Ja, da wartet noch die eine oder andere Überraschung auf euch, die gerade dir gefallen könnte, David.«
Er sprang die drei Stufen zur breiten zweiflügligen Eingangstür hoch und stieß sie auf, um sich dann mit ausgebreiteten Armen umzuwenden. »Kommt hoch, Kinder Fanmórs! Herein herein, und seid heute Abend meine geehrten Gäste – und wenn es euch gefällt, auch noch die ganze Nacht hindurch!« Er zwinkerte Rian kurz zu, drehte sich dann wieder um und verschwand im dunklen Hausinneren.
Rian sah mit gemischten Gefühlen erneut an der Fassade des so eigenwillig gebauten Hauses hoch. Ein wachsender innerer Zwiespalt machte sich bei ihr bemerkbar. Einerseits elektrisierte sie Alberichs Nähe, und sie wünschte sich, Zeit gemeinsam mit ihm verbringen zu können. Andererseits flüsterte tief in ihr eine Stimme voller Misstrauen, dass sie sich vorsehen und am Besten von ihm fernhalten sollte.
»Er ist seltsam unberechenbar«, flüsterte sie David zu, während sie nebeneinander die Stufen hochstiegen. »Etwas so Verspieltes wie dieses Haus hätte ich nicht von ihm erwartet. Außerdem fällt es mir bei ihm ungewohnt schwer, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Alles scheint eng ineinander verwoben, und ich habe den Eindruck, dass er manchmal Wahrheiten bewusst einsetzt, um Lügen zu kaschieren, nicht nur anders herum. So wie er die Goldperle als Elfenwein hat einlagern lassen.«
David sah Rian mit einem schrägen Lächeln von der Seite an. »Du hast dich zu sehr an die Menschen gewöhnt, Schwester«, sagte er. »Er ist durch und durch ein Elf, wie wir sie zu Hunderten am Hofe unseres Vaters haben, ohne dass wir uns jemals viele Gedanken gemacht hätten. Er hat sich nicht so von der Welt der Sterblichen verändern lassen wie Talamand. Talamand hat all seinen elfischen Biss verloren. Alberich hat ihn sich bewahrt, vielleicht sogar noch ein wenig feiner geschliffen. Ich vermute, er benutzt die Menschen für seine Zwecke, aber er hat sich niemals mit ihnen eingelassen, und das macht ihn mir sympathisch.«
»Und wer sagt uns, dass er nicht auch uns für seine Zwecke benutzt?«
»Wahrscheinlich will er das sogar, sonst würde er nicht so viel Aufwand mit uns treiben. Aber das ist gut, denn es heißt, dass wir ihm etwas bieten können, und somit die Basis für einen Handel gegeben ist.«
Rian nickte, aber die Zweifel in ihr blieben.
Am Ende des dunklen Gangs betraten sie einen großzügig ausgelegten und über drei Ebenen verteilten Raum, der an der gegenüberliegenden Seite komplett verglast war. Die Panoramascheiben boten Ausblick auf eine nächtliche Parklandschaft in englischem Stil, die von den gleichen Lampen beleuchtet wurde wie der Vorplatz. Große Schiebetüren gaben Zutritt zu diesem Park, waren im Moment jedoch geschlossen. Der Raum selbst wurde von unzähligen Leuchtpunkten in der hellen Holzdecke und den Wänden in ein warmes, diffuses Licht getaucht. Selbst in den Parkettboden waren an einigen Stellen glimmende Leuchtdioden eingebaut. Die Möbel aus Glas und hellem Holz, die cremefarbene, ausladende Couchgarnitur, sogar der hohe Kerzenständer aus geschwärztem Metall und der riesige Fernseher an einer der Seitenwände warfen nicht mehr als schwache, diffuse Schatten. Als Rian das bewusstwurde, wanderte ihr Blick unwillkürlich zu ihrem eigenen künstlichen Schatten. Er hatte sich unsicher unter ihr verkrochen und waberte hin und her. Sie lächelte.
Alberich stand inmitten des Raums und sah ihnen mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck entgegen. Kaum dass Rian seinem Blick begegnete, spürte sie auch schon wieder dieses leise Prickeln, das seine Gegenwart in ihr auslöste, und die Bedenken von zuvor rückten in den Hintergrund.
»Nun, was sagen Fanmórs Kinder hierzu?«, fragte er mit einer ausladenden Geste.
»Schön, schön«, antwortete David und sah sich um. Sein Blick blieb an der Bar hängen, die vor der dem Fernseher gegenüberliegenden Seitenwand stand. Die Regale dahinter wirkten gut bestückt, und Rian erkannte einige Flaschen, deren Inhalt vermutlich nicht aus der Menschenwelt stammte. Die Augen ihres Bruders leuchteten auf. »Darf ich?«
»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete Alberich und machte eine einladende Geste. David ging ohne zu zögern die vier Stufen hinauf, welche die mittlere Ebene des Raumes von der Seite mit der Bar trennten, und trat hinter die Theke. In diesem Moment klang das Klackern von Pumps auf glattem Boden auf, und alle drehten sich zu einem Durchgang um, der neben dem Fernseher in ein angrenzendes Zimmer führte.
Eine hochgewachsene blonde Frau in einem langen roten Kleid, dessen Ausschnitt mehr zeigte als er verbarg, trat in den Wohnraum. Sie trug ein Tablett mit verschiedenen Schälchen voller süßer und salziger Naschereien. Als ihr Blick auf die Zwillinge fiel, blieb sie stehen, schüttelte mit einer knappen Kopfbewegung ihr welliges langes Haar zurück und lächelte, wobei sich ihre in zum Kleid passendem Rot geschminkten Lippen ein wenig öffneten, als sie David ansah.
»Das ist Angelina, meine Assistentin«, stellte Alberich die Frau vor. »Engelchen, das sind David und Rian Bonet, die beiden, mit denen du gestern telefoniert hast.«
»Erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte sie und neigte etwas den Kopf. Ihre Stimme klang in natura noch angenehmer als am Telefon, und auch ihr Aussehen war durchaus angetan, das Interesse jedes Elfen zu erwecken.
Während Angelina die drei Stufen zum mittleren Teil des Raums hinunterstieg, sah Rian zu David, der sich mit beiden Unterarmen auf die Bar aufgestützt hatte und jede Bewegung der Frau genau beobachtete. Dann schweifte ihr Blick wieder zurück zu Alberich. Die Aufmerksamkeit des Nibelungen ruhte auf ihr. Rian straffte sich unbewusst etwas, als ihre Augen seinen begegneten, und drückte die Schultern zurück. Ihre Bewegung brachte ihr von Alberichs Seite ein leichtes Heben der Augenbrauen und einen anerkennenden Blick über ihren Körper ein. Sie spürte ein angenehmes Kribbeln ihre Wirbelsäule hinaufwandern und lächelte.
Angelina stellte die Schälchen auf dem Tisch ab und wandte sich dann David zu. »Darf ich Ihnen an der Bar helfen, Monsieur Bonet? Ich kann Ihnen zeigen, was wo steht.«
»Gern.« David stieß sich von der Bar ab, trat einen Schritt zurück und lächelte sie an. »Aber nennen Sie mich doch einfach David.«
»Und Sie mich Angelina, oder Engelchen, wie Sie mögen.«
Die Art, wie Angelina Davids Lächeln erwiderte, hatte etwas Laszives. Rian fiel auf, dass sie David mit voller Absicht mit ihren Brüsten streifte, als sie sich an ihm vorbei hinter die Bar schob. Das würde ihrem Bruder sicher guttun und ihn aus seiner Niedergeschlagenheit reißen.
Als sie sich abwenden wollte, um zu Alberich zu gehen, stellte sie fest, dass er bereits hinter ihr stand. Er berührte einen ihrer langen Strassohrringe und ließ die Fingerspitzen dabei ihren Hals streifen, ehe er die Hand in einer auffordernden Geste vor ihr verharren ließ.
»Wollen wir uns nicht setzen?«
Sie neigte etwas den Kopf und legte ihre Hand in seine. »Warum nicht.«
Während er sie zur Couch führte, spürte sie noch immer die kurze Berührung seiner Finger auf ihrer Haut, als habe er dort eine Spur aus kleinen Flämmchen gezogen. Die Weichen des Abends waren gestellt.
Mit halbgeschlossenen Augen ließ Alberich sich etwas tiefer in die Polster der Couch zurücksinken und schwenkte in der einen Hand das Cocktailglas, das David ihm gegeben hatte, als er und Angelina von der Bar zur Couch gekommen waren. Sein anderer Arm ruhte auf dem Rückenpolster, gegen das Rian sich lehnte, und die Hand glitt mit den Fingerspitzen Rians Halsbeuge entlang und wanderte von dort aus langsam tiefer.
Rian nahm einen tiefen Schluck von ihrem Cocktail, rutschte mit einem zufriedenen Seufzer etwas zur Seite und lehnte den Kopf an Alberichs Schulter. Sie war gespannt darauf, was nun kommen würde.
»Als sie den Schatz brachten, eingenäht in die Haut meines toten Bruders«, sagte Alberich, »war das der Anfang vom Ende für die Nibelungen.«
Seine Finger erreichten den Ausschnitt von Rians hautengem Oberteil und fuhren spielerisch daran entlang. Er sprach elfisch, und Rian nahm an, dass Angelina ihn nicht verstehen konnte. Das schien die Frau jedoch nicht allzu sehr zu stören. Sie war zufrieden damit, über die andere Couch hingebreitet zu liegen, den Kopf auf Davids Schoß, und ihm alle Einblicke zu bieten, die er sich wünschen konnte. Der Prinz nutzte das Angebot gern und ließ seine Hände seinen Blicken in der Erkundung ihrer Körperformen folgen.
»Wir stritten uns Tag und Nacht«, fuhr Alberich fort. »Vater wollte, dass wir mit dem Schatz so umgingen wie mit allem anderen – ihn aufbewahrten und dann nutzten, wenn wir ihn brauchten. Mein Bruder Fafnir und ich hingegen forderten die Aufteilung. Wir waren es leid, stets von ihm gegängelt zu werden, wollten unsere eigenen Entscheidungen treffen, vielleicht eigene Söldnertruppen gründen. Doch er blieb hart, und eines Abends beendete er den Streit kurzerhand, indem er den Schatz in einer mehrfach gesicherten Truhe verschloss und den Schlüssel verschluckte.« Alberichs Mundwinkel verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln, während sein Zeigefinger auf dem Seidenstoff von Rians Bluse eine Wanderung um ihre Brust herum aufnahm.
»Es war nicht die Beste seiner Ideen. Fafnir und ich waren uns einig, dass wir uns für Vaters Betrug rächen und uns den Zugang zum Schatz verschaffen mussten. Also brachte ich ihm einen Schlaftrunk, und Fafnir ging in der Nacht in sein Zimmer und schlitzte ihn auf, um den Schlüssel herauszufischen. Gemeinsam öffneten wir dann die Truhe und konnten uns kaum am Inhalt sattsehen. Wir beschlossen, den Schatz gleich am Morgen zu teilen. Dann wollte jeder von uns seiner Wege gehen, während Vaters ausgeweideter Leichnam in seinem Bett erkaltete.«
Alberichs Zeigefinger hatte sich in einer enger werdenden Spirale Rians Brustwarze angenähert und umkreiste sie nun. Die Gänsehaut, welche die Berührung bei ihr hervorrief, mischte sich mit dem Schauder über seine Erzählung.
»Doch – welche Überraschung! – am nächsten Morgen waren weder Fafnir noch der Schatz in unserem Haus zu finden. Zurückgeblieben waren Vaters Leiche in ihrem Blut, ich in meiner Wut, und der Junge, in all seiner Unschuld und Ahnungslosigkeit.«
Rian drehte leicht den Kopf. »Ein Junge?«
Alberich nickte. »Ein wahres Goldstück, ein Schatz für sich. Ich hatte ihn aus einem von uns niedergebrannten Dorf in Xanthen mitgenommen, in dem ansonsten nichts und niemand überlebt hatte. Dieser kleine Junge, der da plötzlich verwirrt und rußbeschmiert die Dorfstraße entlang stolperte, seine blonden Locken, seine hellen klaren Augen, und dieser Blick voller Unschuld – kein Elf hätte diesem Schmuckstück widerstehen können. Und ich am Allerwenigsten, denn ich hatte meinen Wünschen und Gelüsten niemals Beschränkungen auferlegt. Was ich nicht mit schönen Worten gewann, nahm ich mir damals mit dem Schwert.«
Er lächelte leicht auf Rian hinunter, und sie zog die Augenbrauen hoch. »Heutzutage haben sich meine Manieren in dieser Hinsicht deutlich gebessert, möchte ich versichern.«
Wieder schwang dieser Hauch von Gelächter in seiner Stimme mit, doch Rian achtete nicht darauf.
»Sigurd hieß der Knirps, der damals vielleicht zwei oder drei Jahre alt war. Du kennst ihn wohl besser unter dem Namen Siegfried. Er erinnerte sich später nicht mehr daran, wie wir ihn gefunden hatten, nur das Bild des Feuers begleitete ihn gelegentlich in seine Träume. Ich erklärte ihm, das sei die Waberlohe, innerhalb derer er gezeugt worden sei, und machte ihn glauben, seine Mutter sei ein hohes Wesen aus unserer Welt gewesen, und sein Vater ein berühmter Held. Das ließ ihn sich nicht so fremd fühlen.
Manchmal frage ich mich, ob nicht ein Quäntchen Wahrheit darin steckte. Mit dem Alter entwickelte er eine solche Schönheit und ein so ausgeprägtes Geschick in allem, was ich ihn lehrte, dass ich heute noch manchmal vermute, ob er nicht ein Halbblut oder ein Wechselbalg war.«
Alberich zuckte leicht die Schultern, und die Bewegung ließ seinen Fingernagel über den Stoff kratzen, der sich über Rians Brustwarze spannte. Sie zuckte unter der Berührung zusammen und sog leicht den Atem ein, doch Alberich schien zu sehr in seinen Erinnerungen versunken, um es zu bemerken.
»Als Fafnir mich betrog, war Siegfried gerade mal alt genug, um aufrecht gehen zu können. Während ich all meine Beziehungen spielen ließ, um herauszufinden, wohin mein Bruder sich verkrochen hatte, formte ich meinen blondlockigen Jüngling zu einem Werkzeug meiner Rache. Ich lehrte ihn die Kampfkünste und das Schmieden. Ich tat alles, um ihn in Dankbarkeit und Liebe an mich zu binden.
Schließlich fand ich heraus, dass Fafnir nichts Besseres eingefallen war, als sich in eine Höhle in einem der entlegensten Gebirge zurückzuziehen. Dort hütete er seinen gestohlenen Schatz Tag und Nacht. Ich überzeugte Siegfried, dass der Tod eines Drachen durch seine Hand ein wichtiger Schritt für ihn wäre. Nach solch einer Tat würde er als ruhmreicher Held zu seinem eigenen Volk zurückkehren können und dort zu einem Herrscher unter seinesgleichen werden. Der Gedanke gefiel ihm. Er hatte keine Ahnung, dass der Drache niemand anderes als der Mann war, der ihn als Kind oft auf den Knien geschaukelt hatte.«
Rian drehte den Kopf und biss leicht in Alberichs Schulter. Der Nibelunge blinzelte kurz, als erwache er aus einem Tagtraum, dann sah er zu ihr und hauchte mit einem leichten Lächeln einen Kuss in ihr Haar. Seine Finger hatten inzwischen zurück zu Rians Ausschnitt gefunden, und dieses Mal nahmen sie von dort aus den Weg unterhalb des Stoffes.
»Siegfried erfüllte alle meine Erwartungen«, fuhr er in seiner Erzählung fort. »Mit seiner Unterstützung gelang es mir, das beste Schwert zu erschaffen, das jemals meine Schmiede verlassen hatte. Es war ein Schwert, das in jedem Aspekt – von der Wahl der Metalle über den Zeitpunkt des Schmiedens bis hin zur abschließenden Abkühlung im Blut eines noch lebenden Wesens – darauf ausgelegt war, einen Drachen zu töten. Und niemand wusste besser als ich, was dazu benötigt wurde. Alles, was ich nicht in das Schwert selbst binden konnte, lehrte ich Siegfried, und nach zwei Jahren harter Übung und Vorbereitung war es dann soweit. Siegfried zog mit dem Schwert Gram in der Hand aus, um den Drachen zu erschlagen, der mein verräterischer Bruder war.«
Alberich leerte sein Glas und starrte dann nachdenklich hinein.
»Ich erfuhr nie genau, was geschehen ist. Er erschlug Fafnir und schleppte seinen Kopf mit sich, zusätzlich zu dem Schatz, von dem er mir unter vielerlei Auflagen geschworen hatte, ihn zurückzubringen. Wir wollten das Gold teilen, und ich hätte mich ausnahmsweise daran gehalten, denn auch der halbe Schatz war ein Königreich wert. Aber es kam alles anders. Siegfried behauptete später, ein Vogel hätte ihm zugezwitschert, ich würde ihn um des Schatzes willen töten wollen. Vermutlich hat aber eher Fafnir vor seinem Tod ihm dieses Gift ins Herz geträufelt, wie man bei den Menschen so schön sagt.