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»Die arme Frau, die verdammt war, mit diesem Kerl zu leben«, warf Sophie Dorothea ein. »Was weiß man eigentlich über die gnädige Madame von Meysenburg?«
»Herzlich wenig. Es heißt, dass sie bei der Geburt ihrer jüngsten Tochter Maria im Kindbett gestorben ist.«
Sophie Dorothea schmunzelte. »Entschuldige, dass ich lächle. Aber wenn das stimmt, was du sagst, dann hatte dieses Luder ja schon ein Menschenleben auf dem Gewissen, bevor es selbst die Sonne gesehen hat.«
»Gnädigste Durchlaucht«, entgegnete Eleonore mit gespielter Entrüstung. »Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass Ihr zu derartiger Bosheit fähig seid.«
»Da will ich gar nicht widersprechen, ich bin ungerecht. Dabei sollte ich der Dame dankbar sein. Wer sollte sich sonst meines Gemahls annehmen, wenn nicht die liebe Maria.«
Eleonore kicherte. Sophie Dorotheas Lächeln wirkte gequält. »Eigentlich waren die Schwestern Meysenburg doch höchst bemitleidenswerte Geschöpfe, wenn sie ohne Mutter aufwachsen mussten«, fuhr sie fort.
»Wie man’s nimmt. Sie haben auf jeden Fall viel gesehen von der Welt. Sowie sie aus dem Gröbsten heraus waren, soll sie ihr alter Herr schon mitgeschleppt haben. Und wie der Vater waren sie bei diesen Reisen stets auf der Suche nach einem gut gepolsterten Nest.«
»Am Ende haben sie damit ja auch Erfolg gehabt.«
»Wohl wahr. Aber es hat lange gedauert. Wenn es stimmt, was mir die Zofe der Gräfin Platen zugeflüstert hat, dann hatten sie manche Pleite hinzunehmen auf ihrem Weg nach oben.«
»Du machst mich neugierig.«
»Na ja, es scheint, sie wollten einfach zu hoch hinaus. Sogar beim Sonnenkönig in Versailles haben sie es versucht, sogar Ludwig XIV. haben sie umgarnt. Aber eine seiner Hofdamen hat rechtzeitig spitzgekriegt, worauf ihr Gegurre hinauslaufen sollte. Die Madame soll die deutschen Fräuleins mitsamt ihrem noblen Vater eines Tages vor die Tür gesetzt haben. Rausgeworfen, und mit nicht sehr freundlichen Worten, wie erzählt wird.«
»Die Ärmsten!«
»Ach was! Glaub nicht, dass sie damit kuriert waren. Sie sind einfach zum nächsten Königshof weitergezogen. Auch beim englischen König sollen die Meysenburgs es versucht haben, auch Karl II. haben sie umgarnt. Aber auch am englischen Hof gab es eine aufmerksame Mätresse, die das Spiel der deutschen Fräuleins durchschaut hat.«
»Und sind sie danach, wie soll ich sagen, bescheidener geworden?«
»Es hat den Anschein. Irgendwann haben sie bei ihrer Weltreise jedenfalls auch Station in Osnabrück gemacht, wo, wie Ihr wisst, vor gar nicht so langer Zeit noch ein gewisser Herzog Ernst August als Fürstbischof residierte. In diesem kleinen, aber feinen Hofstaat soll es so viele Kavaliere gegeben haben, dass die Meysenburg-Schwestern leichte Beute hatten. Und die Gelegenheit war günstig. Denn während ihres Besuchs in Osnabrück waren die beiden ältesten Söhne des Fürstbischofs gerade aus dem Ausland heimgekehrt: Georg Ludwig und Friedrich August, begleitet von ihren Erziehern, Ihr kennt sie: Albrecht Philipp von dem Bussche und Franz Ernst von Platen.«
»Wie haben sie sich denn an die Herrschaften herangepirscht?«
»Oh, nichts einfacher als das. Es war ihnen ein Leichtes, eine Einladung zu dem Festessen zu erhalten, das zum Empfang der Heimkehrer gegeben wurde. Und Katharina Maria und Klara Elisabeth haben dieses Souper durch eine künstlerische Darbietung bereichert, wenn man das so nennen darf. Sie haben ein Schäferspiel aufgeführt. Ihr könnt Euch vorstellen, in welchen Rollen! Sie sollen ihre weiblichen Reize voll ausgespielt haben – mit schlüpfrigen Darbietungen und aufreizenden Dekolletés. Und sie hatten Erfolg. Es ist den schönen Schäferinnen spielend gelungen, zwei Schafsböcke an sich zu binden.«
»Georg Ludwig und Friedrich August?«
»So schnell waren sie auch wieder nicht. Erst einmal haben sie die Erzieher der beiden bezirzt, du …«
Eleonore von dem Knesebeck unterbrach sich. Denn in diesem Moment betrat eine Zofe den Salon, von der es hieß, dass sie ihre Augen und Ohren bisweilen in den Dienst der Gräfin von Platen stellte. Vorsicht war daher in Gegenwart der höflichen, ja fast unterwürfigen Person geboten, höchste Vorsicht.
»Darf ich den beiden Damen noch eine heiße Schokolade bringen?«
Sophie Dorothea schüttelte den Kopf und ließ Eleonore antworten. »Nein, danke vielmals, Elisabeth. Wir haben genug genascht. Wir freuen uns auf den Wein, aber damit wollen wir noch warten.«
Mit einem Knicks und aufgesetztem Lächeln verabschiedete sich die Zofe.
»Gut, dass die Türen hier so dick sind«, sagte Eleonore. »Sonst müsste man fürchten, dass das Täubchen dahinter steht. Es könnte sich für sie lohnen.«
Sophie Dorothea seufzte. »Ja, es ist furchtbar. In diesem Schloss haben auch die Wände Ohren.«
»Und das hat vor allem mit den beiden Damen zu tun, über die wir gerade gesprochen haben.« Gedankenverloren strich Eleonore ihr Haar zurück. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Beim Schäferspiel.«
»Richtig. Bei diesem Schäferspiel also haben die Meysenburg-Schwestern die Erzieher von Georg Ludwig und Friedrich August eingefangen. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis Klara Elisabeth den ehrwürdigen Herrn Franz Ernst von Platen zum Traualtar geführt hat. Bei ihrer Schwester war es komplizierter. Die ist bei dem Bruder des Prinzenerziehers hängen geblieben. Maria hat sich, wie Ihr wisst, mit Johann von dem Bussche vermählt. Aber diese Eheschließung war für die beiden Damen eben nur der Ausgangspunkt neuer Affären. Sie verstanden es trefflich, den Familienanschluss zu nutzen. Und als die Herzogsfamilie in ihre neue Residenz nach Hannover übersiedelte, schlossen sich die holden Schwestern dem Umzug selbstredend an.«
Sophie Dorothea trank den letzten Schluck ihrer Schokolade.
»Mir scheint, dass Klara Elisabeth ihrer Schwester Maria bei alldem an Raffinesse und Durchtriebenheit weit überlegen ist.«
Eleonore nickte. »Wohl wahr. Die hat Haare auf den Zähnen. Sie hat nie ihr Hessisch abgelegt, und ihre Bildung soll sich auch in Grenzen halten. Aber sie ist gerissen wie keine Zweite. Was sie sich in den Kopf setzt, erreicht sie. Und natürlich konnte sie sich nicht mit dem kleinen Oberhofmeister von Platen begnügen. Sie hat es von Anbeginn an darauf angelegt, das Herz des Fürsten zu gewinnen. Und wie wir wissen, waren ihre Bemühungen erfolgreich.«
Sophie Dorothea strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie ihren Gedanken eine andere Richtung geben. »Schon traurig, dass unser Fürst sich von einer solchen Dame einwickeln lässt. Er scheint ihr ja wirklich jeden Wunsch von den Augen abzulesen.«
»Manche sagen darum ja auch, dass sie eine Hexe ist«, erwidert Eleonore. »Und das ist sicher nicht ganz falsch: Die Platen hat Ernst August verhext. Bestimmt wäre ihr Mann sonst nicht so schnell beim Fürsten aufgestiegen – vom Prinzenerzieher zum Geheimen Rat und Ersten Minister. Ich möchte nicht wissen, welchen Rang dieses Männchen ohne seine Gemahlin bekleiden würde.«
»Und sie hat ja nicht nur für ihren Gemahl gesorgt, sondern auch für sich selbst. Mir scheint, einer ihrer erfolgreichsten Schachzüge war es, sich als Ehrendame in den Hofstaat unserer Fürstin einzuschleichen. Das muss man sich mal vorstellen: Sie hat ein Verhältnis mit dem Ehemann, und plaudert mit der betrogenen Gattin, als wäre sie ihre allerbeste Freundin.«
»Ach, ich glaube, Ihre Durchlaucht Sophie sieht das alles mit großer Gelassenheit, solange ihr der gebührende Respekt erwiesen wird.«
»Mit philosophischer Gelassenheit«, ergänzte Sophie Dorothea. »Sie hält sich an diesen Leibniz und amüsiert sich mit geistvollen Plaudereien über Gott und die Welt. Das Wichtigste für sie ist die Karriere ihrer Kinder. In ihren ersten Ehejahren soll sie ja mit ihrem Mann noch zusammen Musik gemacht haben, die Laute und Pandurine sollen sie gezupft haben, ganz allerliebst, wie erzählt wird. So schön harmoniert es vermutlich schon lange nicht mehr zwischen den beiden. Aber wen stört es? Da lässt sich Ernst August eben nicht mehr von seiner Sophie streicheln, sondern von Klara Elisabeth.«
»Und die tut’s gern, denn es lohnt sich für sie. Mir ist zu Ohren gekommen, dass der Fürst dabei ist, ihr Schlösschen in Linden zu einem wahren Palast zu machen. Dabei ist der Schuldenberg jetzt schon so hoch, dass die Minister aus dem Jammern nicht mehr herauskommen. Aber vielleicht verleiht unser Herzog ja wieder ein paar Tausend Landeskinder. Der Bedarf an Soldaten ist groß, ob in Wien oder Venedig. Und es lohnt sich, wie man hört.«
Sophie Dorothea gähnte. »Das ist Politik, liebe Eleonore. Davon verstehen wir nichts. Und es fehlt mir auch der Ehrgeiz, mehr darüber zu wissen. Das Leben ist so schon schwer genug. Aber fest steht: Wer beim Herzog etwas erreichen will, hält sich an Klara Elisabeth von Platen.«
Und die begnügte sich nicht mit dem Einfluss auf den Fürsten, sie bezog auch dessen ältesten Sohn Georg Ludwig in ihre Ränke ein. So war ihr das Kunststück gelungen, den verschlossenen jungen Mann mit ihrer jüngeren Schwester Katharina Maria zu verkuppeln.
Dennoch war die Macht der Platen nicht unbegrenzt. Wenn sie auch auf die Prinzessin aus Celle herabblickte, so hatte sie doch allen Grund, die junge Dame im Leineschloss ernst zu nehmen. Denn mit dem Einzug Sophie Dorotheas kündigte sich für die Mätresse etwas an, das zu einer ernsthaften Gefahr werden konnte. Die demütigende Behandlung, die bereits ihrer Schwester Maria widerfuhr, war ein Alarmsignal. Es wehte ganz offenkundig ein neuer Wind. Sophie, die bisher so abgeklärt und gnädig die Augen vor dem Schattenreich ihrer Nebenbuhlerin verschlossen hatte, schien aufgewacht zu sein – aufgeweckt von Eleonore d’Olbreuse, die im Interesse ihrer Tochter Anstoß an den Zuständen in Hannover nahm. Und Klara Elisabeth von Platen konnte sich neuerdings nicht einmal mehr ihres Geliebten sicher sein. Mit Argwohn beobachtete sie, dass Ernst August von seiner schönen Schwiegertochter schwärmte und dieser Sophie Dorothea allerlei Aufmerksamkeiten zuteil werden ließ. In solchen Momenten spürte sie schmerzlich, dass sie älter wurde. Ihre Schönheit war nur noch durch zeitaufwändige Schminkkünste aufrecht zu erhalten.
Ihr gesamtes Renommee war bedroht. Emsig spielte sie daher die Rolle der »Wohltäterin«. Dabei gab sie es als »Wohltätigkeit« aus, die Milch, in der sie zuvor ihre Schönheitsbäder genommen hatte, an die Armen zu verschenken. Doch es war unübersehbar: Vieles war im Wandel begriffen. Knisternde Nervosität breitete sich aus in den Luxusgemächern von »Monplaisir«.
Im Korsett der Etikette
Große Schneeflocken schwebten hinterm Schlossfenster zur Erde herab. Es schneite ohne Unterlass. Die Laute, die von außen in das Gemach der Prinzessin drangen, klangen gedämpft: das Gebell der Hunde, die Rufe der Wachen, das Rollen der Kutschen. Nur die Kirchglocken durchbrachen machtvoll die weiße Stille.
Sophie Dorothea war es, als käme das Läuten aus einer anderen Welt. Das Kerzenlicht der Kandelaber verbreitete ein schummriges Licht in ihrem Schlafgemach. Es hätte die passende Stimmung zum Träumen sein können, aber die Prinzessin langweilte sich nur, weit entfernt, sich von dem Schneien verzaubern zu lassen. Sie wusste, dass die großen, schweren Flocken bald tauten und Schlamm und Schmutz hinterließen. Schlamm und Schmutz.
Es ging bereits auf elf Uhr zu. Sophie Dorothea lag immer noch auf ihrem Bett. Sie gähnte, unschlüssig, was sie mit diesem Februartag anfangen sollte. Eleonore hatte ihr vor einer halben Stunde den neuesten Gesellschaftsklatsch aus dem »Mercure galant« vorgelesen. Das war amüsant, aber nichts, was sie wirklich interessierte.
Anfangs hatte sie sich noch die Freiheit genommen, mit ihrem Edelfräulein durch die Stadt zu flanieren. Aber das sah die Fürstin nicht gern. Die Etikette, die sich am Wiener Vorbild orientierte, gestattete nur Ausfahrten in der vergoldeten, von sechs Pferden gezogenen Staatskarosse. Und solche Kutschfahrten ermüdeten sie. Leer und niedergeschlagen kehrte sie daraufhin immer ins Schloss zurück. So verzichtete sie lieber ganz darauf.
Ein lähmendes Gefühl der Sinnlosigkeit beschlich sie. Wozu aufstehen? Irgendwann würde sie sich ankleiden, pudern und parfümieren lassen, durch die endlosen Gänge schlendern, vorbei an den Porträts der glotzäugigen Vorfahren. Vielleicht einen Brief an ihre Mutter schreiben und sich dann auf das abendliche Essen vorbereiten, das sich mit viel Wein und Bier und schweren Speisen allabendlich stundenlang hinzog und mit langweiligem Kartenspiel ausklang. Sollte das ihr Leben sein? Sie kam sich vor wie eine Mastgans in einem goldenen Käfig.
Bei aller Langeweile war sie immerhin froh, dass sie derzeit in der Nacht von ihrem Mann verschont blieb. Georg Ludwig war ja im Krieg, befehligte die hannoverschen Truppen im Kampf um Wien. Hin und wieder traf sie mit den jüngeren Brüdern ihres Mannes zusammen, die gern mit ihr schäkerten und manchmal auch ein wenig zudringlich wurden. Aber egal. Sie brachten wenigstens ein wenig Frohsinn in diese Welt der strengen Sitten. Am liebsten hatte sie Karl Philipp, der drei Jahre jünger war als sie und sich stets galant verhielt.
Georg Ludwig hatte fünf Brüder und eine Schwester namens Sophie Charlotte. Die pummelige Prinzessin bewunderte ihre zwei Jahre ältere Schwägerin, und Sophie Dorothea genoss die Verehrung.
Auch mit ihrem Schwiegervater verstand sie sich gut. »Warte nur ab, mein Töchterlein«, pflegte der sie zu trösten, wenn er ihren trübsinnigen Gesichtsausdruck bemerkte. »Die grauen Wintertage sind bald vorüber. Dann werden wir einen wunderbaren Sommer in Herrenhausen verbringen und in den Gärten Verstecken spielen. Und wenn du magst, dann kommst du mit mir nach Venedig.«
Venedig – dieses Wort war Sophie Dorothea schon am Celler Hof wie eine Zauberformel für Glück und erfülltes Leben erschienen.
Immer hatte Ernst August ein freundliches Wort für Sophie Dorothea, stets bedachte er sie mit kleinen Geschenken. Ja, der Herzog schätzte die ungezwungene Art seiner schönen Schwiegertochter – ganz im Gegensatz zu seiner Frau.
Sophie verwandte unterdessen große Mühe darauf, die richtigen Ehepartner für ihre Kinder zu finden. Und »richtig« bedeutete »Erfolg versprechend«. Jetzt ging es um Sophie Charlotte, die sie im Einvernehmen mit ihrem Gemahl ganz bewusst konfessionslos erzogen hatte. So war zumindest die »falsche« Konfession einer interessanten Verbindung nicht hinderlich. In etlichen Briefen hatte Sophie ihre Tochter bereits als Braut des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel ins Spiel gebracht. Aber dann hatte sich der Kaiser in Wien eingeschaltet und die Pläne platzen lassen.
Neue Hoffnungen leiteten sich im Sommer des Jahres 1683 aus zwei spektakulären Todesfällen ab. Am 7. Juli verstarb Elisabeth Henriette, Kurfürstin von Brandenburg, im Alter von 21 Jahren an den Pocken. Sie hinterließ eine dreijährige Tochter und einen tief betrübten Ehemann: Friedrich von Brandenburg, Sohn und Erbe des Großen Kurfürsten.
Und nur wenige Tage später starb völlig unerwartet in Versailles Maria Theresia, die Frau des französischen Königs Ludwig XIV.
Sophie war entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Am liebsten hätte sie ihre fünfzehnjährige Tochter mit dem 49 Jahre alten König von Frankreich vermählt, dem mächtigsten Monarchen des Abendlandes. Doch ihre Nichte Liselotte, die bereits mit einem Bruder Ludwigs XIV. verheiratet war, machte ihr keine großen Hoffnungen. Mit Anspielung auf die mollige Figur Charlottes schrieb sie der Tante, es habe den Anschein, »westfälischer Schinken sei nicht das geeignete Fleisch für Leckermäuler«.
So konzentrierte Sophie ihre Bemühungen auf den Witwer in Brandenburg. Schon in ihrem Kondolenzschreiben lud sie Friedrich nach Hannover ein und deutete an, dass er »hier etwas finden könnte, um sich damit zu trösten«.
Doch mehr als ein Jahr ging ins Land, bis alle Bedenken ausgeräumt waren. Am 8. Oktober 1684 schließlich fand die prunkvolle Hochzeit in Herrenhausen statt – wenig später bereitete der Große Kurfürst seiner Schwiegertochter einen triumphalen Empfang in Berlin.
Große Sorgen dagegen machte der Herzogin Sophie ein familiärer Konflikt um das Erbrecht. Herzog Ernst August nämlich hatte seinen erstgeborenen Sohn Georg Ludwig als Universalerben für das gesamte Herzogtum eingesetzt, und der zweitälteste Sohn Friedrich August sah sich um seine Rechte betrogen. »Gustchen«, wie seine Mutter ihn nannte, rebellierte gegen den Vater. Der seinerseits reagierte mit Strenge. Der Herzog, der als jüngerer Bruder einst selbst nur durch den Verzicht Georg Wilhelms nach oben gelangt war, verwies den ungehorsamen Knaben des Landes und forderte ihn auf, künftig allein für seinen Unterhalt zu sorgen. Friedrich August trat daraufhin in die Dienste der kaiserlichen Armee.
Sophie war tief bekümmert. Sie liebte Friedrich August mehr als den Erstgeborenen und litt unter der Unnachgiebigkeit ihres Mannes. Einem Vertrauten schrieb sie: »Arm Gustchen wird ganz verstoßen. Sein Vater will ihm gar keinen Unterhalt mehr geben. Wenn ich tagsüber auch lache, so muss ich in den Nächten doch viel weinen. Denn ein Kind ist mir ebenso lieb als das andere; ich habe sie alle unter meinem Herzen getragen, und die unglücklich sind, jammern einen am meisten.«
Doch Sophie, Nachfahrin Maria Stuarts, hatte gelernt, dass es sinnlos war, gegen das Unvermeidliche aufzubegehren. Sie wusste, dass wahre Größe darin bestand, auch die Unannehmlichkeiten des Lebens mit Fassung zu tragen, insbesondere, wenn es um die machtpolitischen Interessen des Fürstenhauses ging.
Diese Haltung versuchte sie auch Sophie Dorothea nahe zu bringen. Während langer Spaziergänge durch die Herrenhäuser Gärten schärfte sie ihrer Schwiegertochter ein, dass man sich der Rolle zu fügen habe, die einem durch die göttliche Vorsehung bestimmt war. Dabei wurde sie nicht müde, Sophie Dorothea endlose Vorträge über die Geschichte des englischen Königshauses zu halten. Über das große Unrecht, das vor hundert Jahren ihrer Urgroßmutter Maria Stuart widerfahren war. Über die heilige Verpflichtung, diese Schmach zu sühnen.
Zwischendurch pflegte sich die Fürstin bisweilen selbst zu unterbrechen, um auf den Gesang der Nachtigall oder ein Froschkonzert hinzuweisen. Und dann konnte es geschehen, dass sie jenseits aller Vernunft ihrer Begeisterung freien Lauf ließ. »Hör nur. Ist das nicht wunderschön, mein Kind?«
»Oh gewiss.«
Die Erwiderung der jungen Begleiterin fiel nie viel wortreicher aus – auch dann nicht, wenn die kluge Schwiegermutter ihr von der geplanten Umgestaltung des Großen Gartens erzählte. Nein, Sophie Dorothea hasste diese langen wie langweiligen Spaziergänge, vorbei an den kantigen Buchsbaumhecken und gestutzten Sträuchern und Bäumen, die starr wie Gardesoldaten in Reih und Glied standen. Sie hörte gar nicht hin, wenn der bunte Kies unter ihren Füßen knirschte und die Fürstin unaufhörlich auf sie einredete. Was interessierte sie denn auch das alles? Die Geschichte. Die Gartenkunst. Die hohe Politik. Am allermeisten langweilte sie die Philosophie dieses oberschlauen Herrn Leibniz, mit dem sich ihre Schwiegermutter so gern traf. Diese Lehre von den Monaden, in denen sich angeblich das Universum spiegelte, lief doch immer nur darauf hinaus, dass jeder Einzelne stets das Große und Ganze vor Augen haben müsse, dessen Teil er sei. Nein, das alles kam ihr so unmenschlich vor. Wenn sie das Wort »Monaden« hörte, musste sie immer an Maden denken.
Sie unterhielt sich lieber mit ihrer Kammerzofe Eleonore über die alten Zeiten in Celle und über den neuesten Hofklatsch, scherzte mit ihren Schwagern und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das, was sich in ihrem Bauch tat. Ja, bald schon würde es so weit sein, bald würde sie Mutter werden – und bald schon würde der Vater ihres Kindes heimgekehrt sein aus dem Krieg. Doch ihre Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen.
Mutterglück
Am 9. November 1683 brachte Sophie Dorothea ihr erstes Kind zur Welt. Acht Stunden kämpfte sie im Kindbett mit den Wehen. Vor großem Publikum. Neben zwei Hebammen und einem Leibarzt waren ihre Schwiegermutter, zwei Minister sowie mehrere Hofdamen, darunter ihr Edelfräulein Eleonore, zugegen. Die Geburt eines Kindes war zu jener Zeit an den Höfen Europas ein öffentlicher Vorgang. Denn unter allen Umständen sollte verhindert werden, dass einer Prinzessin oder Königin das Neugeborene geraubt und das Kind einer anderen Frau untergeschoben wurde.
Unter den teils besorgten, teils kritischen Blicken der Herbeigeeilten brachte Sophie Dorothea einen kräftigen Knaben zur Welt, der kurz vor Weihnachten auf den Namen Georg August getauft wurde und so die Namen beider Großväter erhielt.
Mit der Geburt des Stammhalters vollzog sich ein fast wunderbarer Wandel im Verhältnis zu ihrem Ehemann. Georg Ludwig, soeben heimgekehrt als Kriegsheld aus der siegreichen Schlacht gegen die Türken am Kahlenberg vor Wien, schwebte auf einer Wolke des Stolzes. In dieser Stimmung sah der Erbprinz jetzt auch seine Gemahlin in einem anderen Licht. Sie war nicht mehr der verwöhnte Bastard aus Celle, nicht mehr das Püppchen, sondern die Mutter seines Sohnes, und plötzlich begriff er, warum alle so von ihr schwärmten: Sophie Dorothea war eine schöne Frau. Und er verwöhnte sie mit Geschenken und Gunstbezeugungen, die ihm niemand zugetraut hätte. Es war, als habe ihn ein geheimer Zauber aus seiner hölzernen Schale befreit und den wahren Kern freigelegt.
Möglicherweise lag das jedoch nicht nur an der Geburt seines Sohnes. Seine Mätresse Maria, der er noch kurz zuvor ewige Treue zugesichert hatte, war nämlich mittlerweile aus seinem Gesichtskreis entfernt worden. Seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie auch »Monplaisir«, das Lustschlösschen in Linden, räumen musste.
Auch die Fürstin verhielt sich Sophie Dorothea gegenüber rücksichtsvoller. Mochte ihre Abstammung noch so zweifelhaft, ihr Geblüt noch so fragwürdig sein: Jetzt war Sophie Dorothea die Gattin des Erbprinzen und die Mutter eines Sohnes. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen.
Die Geburt des kleinen Prinzen wurde auch in Celle begeistert kommentiert. Viel häufiger als zuvor machten sich jetzt Herzog Georg Wilhelm und seine Frau Eleonore auf den Weg nach Hannover, um ihre Tochter und den kleinen Stammhalter zu besuchen.
Sophie Dorothea war selig: stolz auf ihren Sohn, erleichtert, von ihrem Mann endlich mit Wertschätzung bedacht zu werden, und glücklich, ihre Eltern wieder häufiger zu sehen.
Doch dieses Glück währte nicht lange. Ihr kleiner Sohn wurde, der Etikette entsprechend, unter der Regie der Schwiegermutter in die Obhut einer Amme gegeben. Sophie Dorothea sah ihn nur noch selten. Georg Ludwig kehrte zurück ins Feldlager und übernahm erneut Führungsaufgaben im Krieg gegen die Türken. Und auch die Besuche der Herzogin von Celle wurden bald wieder seltener. Die hohe Politik war dafür verantwortlich.
Der französische König Ludwig XIV. hatte am 18. Oktober 1685 das Edikt von Nantes aufgehoben, das seinen Untertanen bis dahin noch eine gewisse Religionsfreiheit gewährte. Unter der Parole »Ein König, ein Glaube, ein Gesetz« hatte man die Hugenotten zwar zuvor schon gedrängt, zur katholischen Kirche überzutreten. Doch nun verbot der König den Reformierten die Gottesdienste, ordnete die Zerstörung ihrer Kirchen an und untersagte die Auswanderung. Wer auf der Flucht ergriffen wurde, musste fürchten, sein Leben als Sträfling auf einer Galeere zu beschließen.
In Celle bangte Eleonore d’Olbreuse um ihren Bruder und die übrigen Familienangehörigen, die noch in Frankreich geblieben waren, um hugenottischen Flüchtlingen auf ihrem Schloss in Poitou Unterschlupf zu gewähren. Unterdessen strömten immer mehr Hugenotten, die aus Frankreich geflüchtet waren, in das gastfreundliche Herzogtum Celle. Die Schlossherrin stand im Zentrum der Hilfsaktionen und konnte sich daher nicht mehr so viel Zeit für ihre Tochter nehmen.
So fühlte sich Sophie Dorothea bisweilen einsam im Leineschloss. Die langen Spaziergänge, auf denen sie ihre Schwiegermutter in den Gärten von Herrenhausen begleiten musste, waren für sie kein Ersatz für die Plaudereien mit ihrer Mutter. Sie schämte sich für ihre Unwissenheit, wenn die Fürstin ihr Vorträge über die Lehren ihres Freundes Leibniz hielt. Dabei erschien auch ihr manches einleuchtend und klug – vor allem die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen, die Leibniz propagierte. Doch sie konnte kaum mehr dazu sagen als »Oh, gewiss«. Und im Grunde genommen wusste sie auch gar nicht, wozu sie sich anstrengen sollte. Denn die hannoversche Herzogin, so war sie überzeugt, interessierte sich sowieso nicht für ihre Meinung.