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Im Zuge der Modularisierung von Studiengängen und der damit zunehmenden Anzahl von Kompetenzüberprüfungen erhalten solche Spannungen eine ganz neue Dimension.
Schliesslich ist zu beachten, dass sich Lernbegleitungs- und Beratungsformen im institutionellen (Bildungs-)Kontext erheblich von frei gewählter Beratung unterscheiden. Das verunmöglicht sie nicht, heisst jedoch, dass die Beratenden ihre Rolle in der Institution und gegenüber den Lernenden klären und die Grenzen und Möglichkeiten solcher Rollenkombinationen erkennen müssen.
Dies bedingt eine Klärung der Rahmenbedingungen (Kontraktierung) und eine immer wiederkehrende Rollentransparenz («ich argumentiere jetzt aus der Sicht der Beurteilungsperson»).
Was irritiert immer wieder an der Rollenkombination «Beraten – Beurteilen»?






Offensichtlich schafft Beraten Nähe und Beurteilen Distanz.
Und doch existiert Gemeinsames: Jede Wahrnehmung enthält Urteilsprozesse. Was wir sehen, filtern und interpretieren wir bzw. setzen wir in einen Sinnzusammenhang. «Diagnose» machen wir Dozierende bei Beurteilungen, aber auch in Beratungen.
Von Beraterinnen und Beratern wird zu Recht erwartet, dass sie eine hohe Orientierungskompetenz und Problemlösefähigkeit besitzen sowie über diagnostische Fähigkeiten verfügen. Sie müssen zudem in der Lage sein, den Beratungsprozess zu steuern und den Entwicklungsprozess der Beratenen anzuregen. Dazu ist ein hohes Mass an Urteilsfähigkeit gefordert.
Handlungsmöglichkeiten im Dilemma «Beraten – Beurteilen»
In vielen Organisationen wird – wie weiter oben erwähnt – darauf geachtet, dass diese Funktionen personell getrennt werden. Wo dies nicht möglich ist, kann darauf geachtet werden, dass Beurteilungssituationen klar als solche definiert sind und sich vom übrigen Lerngeschehen möglichst unterscheiden.
Weitere Möglichkeiten:









Im folgenden Abschnitt finden Sie verschiedene Begriffspaare im Umkreis der Thematik «Beraten – Beurteilen».
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sind – davon gehe ich aus – in einer Berufsrolle tätig, in der Sie sich für Ihren eigenen Weg im handelnden Umgang mit den Dilemmata zwischen Beurteilen und Beraten entscheiden müssen.
Reflexionsfragen Dilemmata zwischen «Beraten und Beurteilen»
Wählen Sie aus der folgenden Tabelle drei Begriffspaare aus, die Sie im Alltag in der Lehre als Widerspruch erfahren.




Abb. 6 Nach Thomann 2013, S. 199
Schlussgedanken
Für die Kompetenzentwicklung von Dozierenden erachte ich folgende Punkte als wesentlich: Das alltägliche Rollenmanagement, das Aushalten von Widersprüchlichkeiten zwischen differierenden Rollenvorgaben und deren Austarieren, das Transparentmachen von Rollenwechseln, das Steuern des eigenen Verhaltens in Dimensionen und die Reflexion durch immer wieder notwendige Standortbestimmungen.
Die Spannungen im weiter oben beschriebenen Rollenstrauss zeugen von Lebendigkeit und Dynamik, von Auseinandersetzungen zugunsten der Lernprozesse der Studierenden wie auch der Lehrenden. Wobei es zugegebenermassen eine anspruchsvolle Aufgabe ist, die Balance zwischen Lern- und Lehraktivität immer wieder neu herzustellen und die sich laufend verändernden Lerngewohnheiten der Lernenden dabei zu berücksichtigen.
Ich erachte eine solche Aufgabe als sehr attraktiv und durchaus auch als ein wenig waghalsig.
Attraktiv daran ist gerade die Möglichkeit, als Dozent/in auch beratend tätig zu sein, sich gemeinsam mit einer Studentin/einem Studenten (oder einer Gruppe von Studierenden) «auf den Weg» zu machen, gemeinsam Mustererkennung zu betreiben.
Beraten innerhalb der Lehrfunktion ist möglich, notwendig, wirksam und bereichernd. Aber nicht immer, nicht überall und nicht irgendwie. Wenn beraten wird, soll dies zu bestimmten Zeitpunkten und in einer professionellen Art und Weise geschehen. Dazu soll Ihnen dieser Text und die mit ihm in Zusammenhang stehenden «Instrumente», wie auch die weiteren Beiträge in diesem Buch, Anregung bieten. Ein waghalsiges Unternehmen ist dies allemal, weil Lernprozesse nie linear verlaufen und gelegentlich für Überraschungen sorgen.
Literatur
Arnold, R. (2007). Ich lerne, also bin ich – eine systematische konstruktivistische Didaktik. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.
Fatzer, G. (Hrsg.) (2005). Supervision und Beratung. Köln: Edition Humanistische Psychologie.
Fröhlich Luini, E. & Thomann, G. (2004). Supervision und Organisationsberatung im Bildungsbereich. Bern: hep verlag.
Kaiser, A. (Hrsg.) (2003). Selbstlernkompetenz – Metakognitive Grundlagen selbstregulierten Lernens und ihre Umsetzung. München: Luchterhand.
Landwehr, N. & Müller, E. (2008). Begleitetes Selbststudium. Bern: hep verlag.
Lippitt, G. & Lippitt, R. (1995). Beratung als Prozess. Leonberg: Rosenberger Fachverlag.
Mandl, Ch. Aspekte didaktischen Handelns von Lehrenden in der Weiterbildung. Referat «35 Jahre AEB» vom 22. 3. 2006 in Luzern. Unveröffentlichtes Manuskript.
Schein, E. H. (2000). Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Köln: Edition Humanistische Psychologie.
Siebert (2008). Konstruktivistisch lehren und lernen. Augsburg: ZIEL-Verlag.
Thomann, G. (2013). Ausbildung der Ausbildenden (4. Aufl.). Bern: hep verlag.
Thomann, G. & Pawelleck, A. (2013). Studierende beraten. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich UTB.
1Der Kontrakt ist eine auf freiwilliger Basis ausgehandelte Vereinbarung zum gewünschten Beratungsziel, zu Pflichten und Rechten beider «Parteien», zur Arbeitsweise und zu Rahmenbedingungen. Der Kontrakt ist sozusagen der verbindliche Abschluss der Auftragserteilung.
2Absichtlich wird hier aus Gründen der höheren Trennschärfe zu anderen Rollen «Beratung» als Überbegriff verwendet, nicht etwa «Coaching»; Coaching zeichnet sich u. a. durch hohe Zielorientierung sowie durch mögliche integrierte Instruktionsanlässe aus (vgl. Fröhlich Luini/Thomann 2004).
Geri Thomann
Instrument 1: Fünf Phasen der Beratung – ein Grundgerüst
(in Anlehnung an: Fröhlich Luini, E./Thomann, G. (2004). Supervision und Organisationsberatung im Bildungsbereich. Bern: hep verlag, S. 116–119)
Beratung ist ein prozesshaftes Geschehen. Die meisten Darstellungen des Verlaufs von Beratungsprozessen orientieren sich am Problemlöseverfahren. Im Folgenden ist ein Modell dargestellt, das die einzelnen Phasen beschreibt. Solche Phasen können innerhalb einer einzigen Beratungssitzung relevant sein oder aber in einem längeren Beratungsprozess über mehrere Sitzungen.
Ebenso kann ein solcher Phasenplan eine Beratung innerhalb eines «Meta-Phasenplanes» strukturieren (zum Beispiel innerhalb eines Projektes, das auch andere Handlungsfelder wie Anleitung und Controlling beinhaltet); das Contracting ist in diesem Falle wahrscheinlich schon im «Meta-Phasenplan» vorgesehen.
Phasenpläne sind lineare Grundorientierungen, die nicht rigide gehandhabt werden müssen. Beispielsweise machte es einen Unterschied, ob der Klient oder die Klientin schon mit klaren Zielsetzungen in die Beratung kommt oder eben nicht.
Zu jeder skizzierten Phase werden einige zentrale Aspekte als Voraussetzungen aus beiden Perspektiven (Klientin oder Klient und Beraterin oder Berater) genannt.
Für eine differenziertere Anwendung des Phasenplanes bei einer Beratung im Hochschulalltag wird auf Instrument 2 (S. 50) verwiesen.
1.Einstiegs- und Kontaktphase/Klärung der Indikation
Die Klientin/der Klient kommt mit ihrem bzw. seinem Anliegen direkt auf die Beratungsperson zu, wird «vermittelt», oder es ergibt sich über ein Zusammentreffen der beiden das Beratungsthema. Darauf folgt ein Einstiegsgespräch oder «Kontaktgespräch». Nach dieser Phase kann – vor allem bei gegebener Freiwilligkeit – grundsätzlich von beiden Seiten entschieden werden, ob ein definitiver Beratungseinstieg überhaupt gewünscht wird oder nicht. Zugunsten der Erhöhung der Verbindlichkeit, einem gegenseitigen Commitment und der Gewährleistung von Wirksamkeit der Beratung ist dies jedoch auch bei unfreiwilligen Beratungssituationen zu empfehlen.
Die wichtigen Aspekte für die Klientin oder den Klienten sind:




Für die Beratungsperson ist in dieser Phase wichtig:




2.Vereinbarungs- und Kontraktphase
(siehe auch Instrument 3, S. 62)
Wenn die Klientin oder der Klient nach der oben beschriebenen Orientierung konkret in die Beratung einsteigen will und die Beratungsperson sich in der Lage sieht, Unterstützung zu bieten, folgt entweder in einem weiteren vereinbarten Gespräch oder gleich im Anschluss an die Kontaktphase die Kontraktierung der Beratung.
In dieser Phase ist für die Klientin oder den Klienten bedeutsam:




Aus der Sicht der Beratungsperson ist wichtig:





Wenn im Verlaufe des Kontraktgespräches deutlich wird, dass das Problem nicht durch eine Beratung oder durch die Beratungsperson bearbeitbar ist, kann der Prozess hier abgebrochen werden.
3.Diagnose: Exposition, Situationsanalyse und Problemdefinierung
(siehe auch Instrument 4, S. 101)
Mit der Ausgangssituation beginnend, erzählt der Klient/die Klientin «die Geschichte». Im Gespräch wird gemeinsam eine genauere Analyse der Situation durchgeführt – bis die Problemdefinierung (Fokussierung) klar ist. Die «Diagnose» ist ein immer wieder vorhandenes Prozesselement. Sie wird in diesem Gespräch nicht endgültig abgeschlossen. Später werden weitere vertiefende Fragen dazukommen. Schritt für Schritt werden Mustererkennung und Durchblick für die Klientin oder den Klienten möglich. Erste Erkenntnisse werden gezogen, sogar Handlungen können erfolgen. In dieser Phase steht der Erkenntnisprozess im Mittelpunkt, das kann eine «breitere» Sichtweise (Perspektivenerweiterung) oder eine «tiefere» Sichtweise (Fokussierung) beinhalten.
Für die Klientin oder den Klienten hat hier Bedeutung:





Wichtig für die Beratungsperson ist dabei:





4.Arbeit an der Problemlösung/Entscheid für ein Vorgehen
Aufgrund der gemeinsam verstandenen Situation und der Definierung des Problems/der Fragestellung werden Lösungswege gesucht und ausgewählt. Es folgen Vereinbarungen für die nächsten Schritte und deren Überprüfung.
Für die Klientin oder den Klienten ist dabei bedeutsam:



Wichtig für die Beratungsperson ist dabei:



5.Abschlussphase
Steht der Beratungsprozess kurz vor dem Abschluss, ist es für beide Beteiligten wichtig, zurückzublicken, die Ziele in der Vereinbarung zu überprüfen und Abschied zu nehmen. Es geht aber auch darum, nach vorne zu blicken und die neue Perspektive wenn möglich zu «sichern». Die Evaluation des Prozesses soll vor dem definitiven Schlussgespräch erfolgen (z. B. in der vierten von fünf Sitzungen) – sodass offene Fragen in der letzten Sitzung geklärt werden können.
Wichtig für die Klientin oder den Klienten:



Wichtig für die Beratungsperson:



Es empfiehlt sich, schon im Abschlussgespräch einen Zeitpunkt zu vereinbaren, an dem beide Beteiligten kurz im Sinne eines «Nach-Checks» über die Nachhaltigkeit der Beratung sprechen. Das kann auch im Rahmen eines Telefongespräches geschehen.
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