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Es war also nur eine Frage der Zeit, bis das System fester Wechselkurse, das auf Gold beruhte, zusammenbrechen würde. Es war klar, dass Gold gegenüber dem Dollar zu billig war. Und da der Dollar und alle anderen Währungen fest aneinander gekoppelt waren, war Gold in allen Währungen zu billig. Eine Abwertung des britischen Pfunds im Jahr 1967 um 14,3 Prozent hatte aller Welt verdeutlicht, dass feste Wechselkurse nicht auf alle Ewigkeit fest sein würden. Briten, die rechtzeitig Gold gekauft hatten, konnten dadurch einen Verlust ihrer Ersparnisse um 14,3 Prozent verhindern. Wer konnte, sparte von nun an in Gold statt Geld.
Die Abwertung des Pfunds von 1967 war bei weitem nicht die erste Abwertung im System der doch eigentlich festen Wechselkurse. In den Jahren vorher hatten bereits viele andere Staaten abgewertet und Deutschland aufgewertet. Die Höhe der Abwertung durch ein so großes Land wie Großbritannien war jedoch ein Schock. Sie hatte Signalwirkung und zeigte, dass die Tage weltweit fester Wechselkurse gezählt waren.
Auch in Deutschland führten feste Wechselkurse zu wirtschaftlichen Spannungen, die heute längst vergessen sind und deshalb ignoriert werden. Deutsche Exportüberschüsse und niedrigere Inflation als im Rest der Welt sorgten für Aufwertungen der D-Mark in den Jahren 1961 (5 Prozent) und 1969 (9,3 Prozent).
Beide Aufwertungen geschahen nicht in einem Vakuum, sondern waren lange erwartet. Die Politik zögerte jedes Mal, denn jede Aufund Abwertung hat Gewinner und Verlierer. In Erwartung der Aufwertungen erlebte Deutschland starke Kapitalzuflüsse in den Monaten vor den Aufwertungen. Die damaligen Regierungen ergriffen die gleichen Maßnahmen, die auch heute noch von Staaten angewandt werden, die verzweifelt Währungen auf unrealistischem Niveau zu halten versuchen. Die Devisenmärkte wurden für mehrere Tage geschlossen, Diskontsätze und Mindestreserven erhöht oder gesenkt. Dazu kamen Durchhalteparolen der Politik. Regierungssprecher Conrad Ahlers erklärte 1969 zum Gelächter der anwesenden Journalisten, die D-Mark würde endgültig, eindeutig und ewig nicht aufgewertet. Am Tag nach der Wahl endete diese Ewigkeit und Deutschland gab zeitweise die Wechselkurse frei.6
Trotz der eigentlich festgesetzten Wechselkurse konnte nun der Markt den Wert der D-Mark ermitteln. Als sich der Wert um 3,70 Mark pro Dollar stabilisierte, entschied die Bundesregierung, zu festen Wechselkursen bei 3,66 Mark pro Dollar zurückzukehren. Dies entsprach einer Aufwertung um 9,3 Prozent. Bemerkenswert ist, dass der neue feste Wechselkurs also vom freien Markt bestimmt worden war. Wenn man also den Devisenmarkt braucht, um das jeweilige Niveau der Wechselkurse zu bestimmen, auf dem sie dann festgesetzt werden, dann können Devisenmärkte genauso gut kontinuierlich das Niveau festlegen. So lassen sich die Folgen einer plötzlichen krassen Abwertung mindern.
Am 5. August 1971 war es dann endgültig soweit. Präsident Nixon erklärte, dass der Dollar nicht mehr in Gold gewechselt werden könne. In seiner Rede machte er für diese Entscheidung natürlich nicht das unhaltbare System fester Wechselkurse und Goldkonvertibilität verantwortlich. Er fand andere Schuldige:
In den letzten Wochen haben Spekulanten einen Krieg mit allen Mitteln gegen den Dollar geführt.
Richard M. Nixon, 15. August 1971
Von Defiziten, Inflation, den Tricksereien der französischen Zentralbank oder den grundsätzlichen Problemen fester Wechselkurse sprach er dabei natürlich nicht. Dass die sogenannten Spekulanten letztlich europäische Zentralbanken waren, war Nixon dann doch zu heiß. Trotzdem wussten alle, wovon er sprach.
Nixons Entscheidung wird von Kritikern als der Anfang einer langen Phase von Deregulierung in den angelsächsischen Ländern gesehen, sogar von der Grundwertekommission der SPD. Doch hatte Bretton Woods keineswegs ein Finanzparadies von dauerhafter Stabilität geschaffen, wie es manch einer mit Scheuklappen im Rückblick zu sehen glaubt. Spannungen im System waren vorprogrammiert und wurden durch Abwertungen oder Aufwertungen bereinigt, sobald der Status Quo nicht mehr zu verteidigen war.
Die Rolle der Kosten des Vietnamkriegs beim Zusammenbruch des Systems wird manchmal übertrieben; trotz der hohen Kriegskosten konnten die USA ihren Schuldenstand7 bis 1973 auf ein Rekordtief senken. Weder Deregulierungswut noch Kriegskosten sind also letztlich für das Scheitern des Bretton Woods-Systems verantwortlich. Vielmehr waren es die Spannungen, die sich aus den festen Kursen ergaben und auf die gesamte Wirtschaft auswirken.
Es wird auch gerne vergessen, dass Nixon eigentlich nur ein Nachzügler war. Deutschland und die Niederlande hatte bereits im Mai 1971, also drei Monate vor Nixon, das System von Bretton Woods verlassen und die Mark beziehungsweise Gulden zum freien Handel freigegeben. Also müssten Gegner freier Märkte eigentlich die von ihnen beklagten angelsächsischen Deregulierungen als Made in Germany verteufeln. Noch dazu als von der damaligen SPD-Regierung ausgelöst. Doch eignet sich der damalige Helden-Kanzler Willy Brandt (Mehr Demokratie wagen!) anscheinend nicht als Urheber einer drei Jahrzehnte dauernden neoliberalen Deregulierung – also muss Nixon (rechter Republikaner!) herhalten.
Anfang der 70er Jahre stand die Niedrigzinspolitik der Vereinigten Staaten im Widerspruch zu der von der Bundesbank betriebenen Geldpolitik, die auf Preisstabilität abzielte. Die Inflation stieg 1970 und 1971 jeweils auf knapp 8 Prozent, nicht zuletzt, weil der günstige Wechselkurs der Mark Einkäufe in Deutschland billiger machte. Damit importierte Deutschland die Inflation anderer Staaten und erhielt gleichzeitig mehr und mehr Dollar von den Exporteuren.
Eine Zinserhöhung hätte die Inflation zwar theoretisch gebremst. In der Praxis wäre Deutschland dann mit Dollar überflutet worden, die aufgrund der höheren Zinsen in Mark gewechselt worden wären. So kam dann 1973 das endgültige Ende des Systems von Bretton Woods. Die Wechselkurse wurden freigegeben.
Bei diesem kurzen Ausflug in die Geschichte der Nachkriegszeit lernt man, dass feste Wechselkurse keineswegs optimal sind und dass Wechselkurse nur zeitweise fest waren. Sobald sich genug Spannungen aufgestaut hatten, wurden die Kurse plötzlich und abrupt neu festgelegt. Wer die steigenden Spannungen nicht erkannte, erlag einer Illusion von Stabilität. Andere hingegen erkannten die Risiken plötzlicher Währungsänderungen und hatten größte Schwierigkeiten, in einem solchen Umfeld langfristig zu planen. Die Illusion von Stabilität wurde auf Kosten noch stärkerer, aber relativ seltener Krisen erkauft. Statistiker bezeichnen diesen Effekt als Reduzierung der Volatilität zugunsten häufig auftretender Extremwerte.
Währungsspekulationen rentieren sich gerade bei festen Wechselkursen, denn durch die kurzfristige Kursstabilität ist das Risiko bei einer Spekulation viel geringer, als wenn kurzfristige Schwankungen an der Tagesordnung sind. Bei frei schwankenden Währungen geht ein Spekulant ein höheres Risiko ein. Beispielsweise kann er bei einer Spekulation auf eine Abwertung aufgrund von kurzfristigen Kursschwankungen einen Verlust erleiden, wenn die Währung zeitweise aufwertet. Bei festen Wechselkursen gibt es derartige Schwankungen nicht, und Spekulationen sind deshalb weniger riskant.
Trotzdem behaupten Kritiker immer wieder, Währungskrisen und -spekulation wären erst durch den erweiterten Devisenhandel mit dem Ende von Bretton Woods entstanden. Diesem Trugschluss liegen zwei Irrtümer zugrunde. Die Annahme, es hätte in der Zeit von Bretton Woods keinen Devisenhandel gegeben, ist falsch. Wie ich gezeigt habe ist es auch falsch, zu behaupten, dass es damals keine Währungsspekulationen gab.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Währungskrisen nach Meinung der Kritiker ein Merkmal des Finanzkapitalismus sind. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Fehleinschätzung liegt in der Wahrnehmung der Kapitalismuskritiker. In der Zeit von Bretton Woods und bis in die 80er Jahre hinein beschäftigten sie sich hauptsächlich mit Theorien über Neokolonialismus. Währungskrisen spielen in dieser Gedankenwelt bestenfalls eine Nebenrolle.
Theorien über den Finanzkapitalismus entstanden erst in den 90er Jahren, also zeitgleich mit den in der Presse ausführlich berichteten Krisen in den Jahren 1992, als das Pfund das Europäische Währungssystem verließ, und 1998, als zahlreiche asiatische Währungen abgewertet wurden. Die Krisen der 60er Jahre waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Erinnerung vieler Zeitgenossen. Und die Theoretiker des Finanzkapitalismus hatten kein Interesse daran, die Erinnerung zu wecken, denn das hätte die Schlüssigkeit ihres gesamten Gedankengerüsts erschüttert.
Könnte eine Rückkehr zu stabilen Wechselkursen heute Devisenspekulationen ein für allemal beenden? Im Gegenteil. Solange Wechselkurse stabil sind, geht ein Spekulant bei einer Wette gegen eine Währung kein Kursrisiko ein. Er verkauft die Währung an die Zentralbank, deren Währungsreserven daraufhin sinken. Wenn dann die Abwertung kommt, kauft der Spekulant die Währung zum billigeren Kurs zurück. Die Zentralbank verbucht einen Verlust. Feste Wechselkurse sind ideal zur Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten.
3 Darin unterscheidet sich das System von Bretton Woods vom klassischen Goldstandard, der bis zum Ersten Weltkrieg herrschte.
4 Benannt nach dem belgisch-amerikanischen Ökonomen Robert Triffin, der es zuerst formulierte.
5 Insbesondere durch Arbeiten von Paul Samuelson und Robert Solow, später von James Tobin.
6 Auslöser der Aufwertung war übrigens die französische Lohnpolitik, die nach den Unruhen von 1968 Lohnerhöhungen von 25 Prozent durchsetzte. Die dadurch in Frankreich entstandene Inflation wurde durch den festen Kurs des Franc zur Mark nach Deutschland exportiert – dies ist noch ein unangenehmer Nebeneffekt fester Wechselkurse. Die Bundesbank war aufgrund ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik zur Aufwertung der D-Mark gezwungen.
7 Ausgedrückt in Prozent des Bruttosozialprodukts.
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Wurde die Asienkrise durch Währungsspekulanten ausgelöst?
Kapitalismuskritiker schieben die Krise der asiatischen Tigerstaaten der Jahre 1997 bis 1998 gerne Währungsspekulanten in die Schuhe. Rückendeckung für diese Theorie bekommen sie von Politikern der betroffenen Länder wie dem damaligen malaysischen Premier Mahatir. Der wetterte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gegen ausländische Spekulanten, die angeblich nichts Besseres zu tun hatten, als Währungen und ganze Volkswirtschaften zu zerstören. Mahatirs Ausfälle überraschen nicht, insbesondere nicht, dass er die Schuld bei Ausländern sucht. Denn der Politiker attackiert immer wieder Ausländer und Minderheiten, beispielsweise als er 2001 ankündigte, homosexuelle ausländische Diplomaten oder Minister auf der Stelle auszuweisen.
Erstaunlich ist hingegen, wie erfolgreich er den Ton der kapitalismuskritischen Debatte zur Asienkrise vorgab. Bis heute sind viele Menschen davon überzeugt, dass Spekulanten die Währungen der asiatischen Tigerstaaten zerstörten. Mahatir brachte immer wieder George Soros in die Debatte und behauptete, Beweise für dessen Aktivitäten zu haben. Soros selbst war allerdings von den plötzlichen Abwertungen überrascht worden. Die angeblichen Beweise hat Mahatir bis heute nicht vorgelegt.
Die Hintergründe der Asienkrise sind weit komplexer, als Gegner freier Märkte wahrhaben wollen. Die Krise war von einheimischen Akteuren und leichtfertigen politischen Entscheidungen ausgelöst worden und nicht durch ausländische Spekulanten. In den 80er und 90er Jahren hatten sich die sogenannten asiatischen Tigerstaaten (Thailand, Singapur, Hong Kong, Malaysia, Taiwan und Indonesien) rapide entwickelt und dadurch ihren Beitrag zum Ende der Theorien des Neokolonialismus geleistet. Das hohe Wirtschaftswachstum führte zu relativ hohen Zinsen in den heimischen Währungen.
Doch anstatt die Währungen freizugeben und die Wechselkurse von den Märkten bestimmen zu lassen machten die Regierungen der Tigerstaaten den Fehler, ihre Währungen fest an den Dollar zu koppeln. Höhere Zinsen in den Tigerstaaten als im Dollar hätten eigentlich zu einer Aufwertung dieser Währungen führen müssen. Doch die Regierungen hielten die Währungen niedrig, um ihre Exportwirtschaft zu fördern.
Hohes Wachstum trotz hoher Zinsen hatte zunächst positive Auswirkungen. Der Lebensstandard in den Tigerstaaten stieg unablässig. Regierungen nahmen umfangreiche Infrastrukturprojekte in Angriff, bei denen es erheblichen Nachholbedarf gab. Zur Finanzierung des Wachstums konnten diese Länder angesichts hoher Zinsen und stabiler Wechselkurse ausländische Investitionen anziehen. Deren Kapitalbedarf war zu groß, um trotz hoher Sparquoten allein durch einheimisches Kapital gedeckt werden zu können. Nur durch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland konnte der Bedarf gedeckt werden.
Investoren sahen hohe Wachstumsraten, gut ausgebildete Arbeitskräfte und Märkte mit noch viel Wachstumspotential. Anfang der 90er Jahre gehörten die Tigerstaaten zu den beliebtesten Zielen für Kapitalanlagen. Nicht nur wohlhabende Menschen investierten – auch die Masse europäischer und amerikanischer Kleinanleger konnte ihre Ersparnisse durch Investmentfonds in diesen Nationen investieren. Antoine van Agtmael hatte schon in den 80er Jahren den Begriff Emerging Markets für solche Schwellenländer geprägt, deren Einkommen rapide stiegen und im internationalen Vergleich im Mittelfeld lagen.
Die Tigerstaaten lagen am oberen Ende der Emerging Markets und hatten sich nun auch begrifflich von der Dritten Welt und Entwicklungsländern abgesetzt. Sie wurden zu respektablen Empfängern von Kapital. Insgesamt waren die Kapitalmärkte der Tigerstaaten allerdings noch relativ unterentwickelt. Ein Großteil der Finanzierungen war deshalb in Bankkrediten konzentriert und lief nicht über Anleihen oder Aktien, die an Märkten breit gestreut werden konnten. Die Wirtschaft befand sich deshalb in einer hohen Abhängigkeit vom Bankensystem. Finanzmärkte steckten noch in Kinderschuhen, obwohl angesichts der Menge des Kapitalbedarfs eine weite Streuung der Finanzierungsquellen notwendig gewesen wäre, wie sie nur in einem flexiblen System von Kapitalmärkten erreicht werden kann, aber nicht durch staatlich gelenkte Bankkredite.
Vor lauter Euphorie übersahen alle Beteiligten kritische Spannungen, die sich in der Wirtschaft der Tigerstaaten zusammenbrauten. Es waren nicht nur Finanzhaie und Bankiers, die diesem Irrtum aufsaßen, wie manch finanzkritischer Leser denken mag. Unternehmer, Politiker, Akademiker, Journalisten – vor lauter Wachstum sah niemand die Schwächen des Systems. Zum einen führte das Wirtschaftswachstum zu einem Investitionsboom, insbesondere in Industrieanlagen und Immobilien. Steigende Immobilienpreise führten, wie zu erwarten, zu einer Immobilienblase mit den dafür typischen Bauprojekten, die in Erwartung einer stetig steigenden Nachfrage konzipiert wurden. Investitionen nahmen so stark zu, dass diese Länder aufgrund der Importe von Investitionsgütern 1995 Handelsdefizite hatten.8 Und das, obwohl die Wirtschaft dieser Länder eigentlich exportorientiert aufgebaut war, also Überschüsse hätte generieren müssen.
Zum anderen ermutigten die festen Wechselkurse Unternehmer, Darlehen in Dollar anstatt der Landeswährung aufzunehmen. Zinsen in Dollar waren deutlich niedriger. Die Zinskosten konnten sogar noch weiter gedrückt werden, wenn man kurzfristig laufende Kredite aufnahm und sie bei ihrem Auslaufen durch Aufnahme neuer Kredite zurückzahlte. Gerade in der Immobilienbranche, die aufgrund der hohen Baukosten immer und überall mit einem hohen Grad an Verschuldung arbeitet, war die kurzfristige Finanzierung in Dollar weit verbreitet. Was konnte schon schiefgehen? Die Politik garantierte die Stabilität der Wechselkurse. Es ist also kein Wunder, wenn zu Beginn der Asienkrise viele Unternehmen nur über wenig Eigenkapital verfügten und sich hauptsächlich über kurzfristige Bankkredite finanzierten.9
Das asiatische Wirtschaftsmodell von staatlich gelenkten Investitionsentscheidungen erschien vielen Beobachtern im Westen bis zur Krise als das überlegene. Technokraten können nicht irren und treffen immer optimale Entscheidungen. Doch was passiert, wenn sich die Technokraten in den mächtigen Ministerien dann doch verspekulieren? Wenn Fehlinvestitionen zentral gesteuert werden, nehmen sie ein weit größeres Ausmaß an, als wenn dezentral agierende Marktteilnehmer Fehler begehen. Es wurde nicht bedacht, dass solche staatlich gesteuerten Fehlinvestitionen weitaus katastrophalerer Folgen haben als private Spekulationsblasen.
Dieser Irrtum überrascht umso mehr, wenn man die Erfahrungen des Vorbilds der asiatischen Tigerstaaten betrachtet: Sie hatten das japanische Modell der Steuerung durch das omnipotenten Ministerium für Handel und Industrie (kurz: MITI) übernommen. Doch bereits Anfang der 90er Jahre war Japan mit seiner zentral gesteuerten Privatwirtschaft gescheitert. Wie ich in Kapitel 41 zeigen werde, leidet dieses Land noch heute unter den Auswirkungen dieses fehlgeschlagenen Experiments. Aber inmitten eines jeden Booms ist es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Grenzen des Aufschwungs zu erkennen. Natürlich gibt es immer und überall Kritiker, die vor einer unmittelbar bevorstehenden Rezession warnen. Gerade sie machen es umso schwieriger, zwischen seriösen und unseriösen Warnungen zu unterscheiden.
Wie bei jeder Krise kamen mehrere Faktoren zusammen: japanische Banken hatten in den 80er und 90er Jahren die Expansion japanischer und lokaler Unternehmen in den Tigerstaaten kapitalkräftig unterstützt. Doch nach 1995 reduzierten japanische Banken internationale Risiken, weil sie mehr als genug Probleme in ihrer Heimat hatten. Für die Unternehmen in den Tigerstaaten war dies ein Problem, denn aufgrund der unterentwickelten Kapitalmärkte waren sie von Bankkrediten abhängig. Feste Wechselkurse suggerierten allen Beteiligten immerwährende Währungsstabilität. Und angesichts des jahrelangen soliden Wachstums konnte sich niemand eine Konjunkturabschwächung vorstellen.
Die Krise ging von Thailand aus, wo die Immobilienfirma Somprasong Land eine Zinszahlung auf einen Kredit über 80 Millionen Dollar nicht leisten konnte. Mit einem Schlag wurde aller Welt klar, dass der Boom vorbei war. Auch andere Immobilienfirmen hatten sich übernommen und standen jetzt vor dem Aus. Mit den Immobilienfirmen kamen Banken und Finanzierungsgesellschaften in Schwierigkeiten. Es begann ein Wettrennen um Devisen. Es war klar, dass ausländische Kreditgeber kurzfristige Schulden in Dollar nicht verlängern würden.
Doch es gab ein Problem: die Devisenreserven der Zentralbank waren durch die Handelsdefizite in den Jahren des Investitionsbooms geschrumpft. Jetzt brauchten die Schuldner – Immobiliengesellschaften, inländische Banken und Finanzierungsgesellschaften – zusätzliche Dollar, um die bald fälligen Dollarschulden begleichen zu können. Die Devisenreserven der Zentralbank würden nicht ausreichen, um alle Dollarschulden zu begleichen. Ziemlich schnell setzte sich die Einsicht durch, dass der feste Wechselkurs nicht halten würde.
Also begann ein Wettrennen um Dollar. Die thailändische Landeswährung Baht wurden gegen Dollar verkauft. Dieses Wettrennen wird in der Presse vereinfacht als spekulative Attacke bezeichnet. Doch Spekulanten waren bestenfalls eine Randerscheinung. Der Verkaufsdruck auf den Baht kam von verzweifelten Schuldnern, denen klar geworden war, dass nicht genug Devisenreserven für Alle vorhanden waren. Bei einer Abwertung wären die Dollarschulden in der Landeswährung Baht entsprechend höher ausgefallen – für viele Unternehmen ein Todesurteil. Dies erklärt, weshalb eine große Zahl von Verkäufern auf einen Schlag Baht gegen Dollar tauschten. Auf den ersten Blick sieht dies wie eine spekulative Attacke aus, aber bei genauerer Betrachtung entpuppt es sich als die Summe einer Vielzahl von Überlebensversuchen.
Bald wurde klar, dass die anderen Tigerstaaten nach ihren jeweiligen Investitionsboom die gleichen Probleme wie Thailand hatten. Indonesien und Südkorea mussten die Kurse ihrer Währungen freigeben, was einer Abwertung gleichkam. Auch in diesen Staaten hatten Unternehmen, Finanzierungsgesellschaften und Banken kurzfristige Kredite in Dollar aufgenommen. Lediglich Malaysia konnte einer Abwertung durch scharfe Maßnahmen wie Kapitalkontrollen verhindern. Dies half zwar kurzfristig. Allerdings ist Malaysia seitdem weit hinter Thailand und Südkorea zurückgefallen, die sich seit der Krise von 1997 nicht nur vollständig erholt haben, sondern es inzwischen zu weit höherem Wohlstand als zuvor gebracht haben. Beide haben Malaysia abgehängt.
Aus der Asienkrise hat man einige Lektionen gelernt: Das in den 80er und 90er Jahren gepriesene asiatische Wachstumsmodell stellte sich als Fehlschlag heraus. Beobachter lobten seinerzeit die staatlich gelenkten Wirtschaftssysteme als dem amerikanischen und europäischen überlegen. Die Krise zeigte jedoch, dass die jeweiligen Regierungen die Risiken der Schuldenberge einfach ignorierten, die sich zur Finanzierung der von ihnen geförderten Investitionsprogramme aufgetürmt hatten. Die asiatischen Staaten haben ebenfalls Lehren aus der Krise gezogen und reduzierten seitdem den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft.
Doch seit der Finanzkrise wird in Europa und den USA erneut der Übergang zu genau dieser gefährlichen Wirtschaftspolitik einer staatlichen Lenkung von Finanzen, Investitionen und Konsum gefordert. Devisenhandel und Schwankungen von Wechselkursen sind Scharlatanen schon lange ein Dorn im Auge. Sie fordern daher stabile Wechselkurse und ignorieren die Erfahrungen aus der Asienkrise. Sie machen nach wie vor Spekulanten für die Abwertungen verantwortlich. Spekulanten spielten jedoch bestenfalls eine Nebenrolle. Des Weiteren werden vor allem Pensionsfonds und deren kurzfristige internationale Investitionen für die Asienkrise verantwortlich gemacht. Die von ihnen verursachten schnellen Kapitalabflüsse hätten die Krise zumindest verstärkt. Diese These widerlegt ein Blick auf die Statistik in Tabelle 3. Sie zeigt die Zusammensetzung der Kapitalzuflüsse (negative Werte: Kapitalabflüsse) in den von der Krise betroffenen Ländern.

Tabelle 3: Kapitalflüsse in Prozent des BSP (Anmerkungen: Neben ausländischen Direkt- und Portfolioinvestitionen tragen Finanzierungen der öffentlichen Hand und Kreditaufnahme des Privatsektors zu den Kapital-zuflüssen bei. Ein negatives Vorzeichen zeigt einen Abfluss an). Quelle: IWF, World Economic Outlook: Interim Assessment, Dezember 1997
Die Gesamtzu- oder Abflüsse sind unterteilt in Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. Unter Direktinvestition versteht man beispielsweise den Bau oder Kauf einer Fabrik, Immobilie oder eines ganzen Unternehmens, also Investitionen, die illiquide sind und nicht leicht veräußert werden können. Portfolioinvestitionen sind der Erwerb von leichter zu veräußernden Anteilen wie börsennotierten Aktien. Es ist deutlich zu sehen, dass Portfolioinvestitionen nur einen geringen Teil der ausländischen Nettoinvestitionen ausmachten. In den meisten Ländern stellten Direktinvestitionen einen größeren Anteil an den Investitionen dar.
Der Rest der Investitionen, der nicht separat gezeigt wird, sind Kredite oder Anleihen von aus- und inländischen Banken. Die meisten Kapitalzuflüsse finanzierten also Schulden. Es ist klar, dass dies kein Rezept für solides Wirtschaften war. Trotzdem fokussieren Kapitalismuskritiker ihre Analyse der Ursachen auf Währungsspekulanten und angeblich kurzfristig agierende Aktieninvestoren.
8 Im Jahr 1995: Indonesien -3,5 Prozent, Malaysia -5,9 Prozent und Thailand -8,1 Prozent.
9 Die Quote von Fremd- zu Eigenkapital betrug von 1991 bis 1996 1,8 in Indonesien, 1,5 bis 1,9 in Thailand und sagenhafte 3,2 bis 3,4 in Korea. Lediglich in Malaysia besaßen Unternehmen mehr Eigen- als Fremdkapital, die Quote lag zwischen 0,6 und 0,9. Vgl. Marcus Miller, David Vines: The Asian Financial Crisis: Causes, Contagion And Consequences. Cambridge 2006.
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Verhindert „Turbokapitalismus“ nachhaltiges Wirtschaften?