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Bemerkenswert ist, dass damals ausgerechnet der Staat schlecht dokumentierte Hypotheken verkaufte. In der aktuellen Finanzkrise taten dies einige Banken auch. Sogenannte No-Doc-Hypotheken gelten vielen Kritikern heute allerdings als ein Symbol für die Sorglosigkeit und Gier von Bankern.
Die Bedeutung der RTC für die Entwicklungsgeschichte der Verbriefung ist nicht zu unterschätzen. Zum einen war es das große Volumen, das einen völlig neuen Markt schuf und Investoren für Verbriefungen gewann, die sich ansonsten nie für diese Finanzprodukte interessiert hätten. Zum anderen muss erwähnt werden, dass es ausgerechnet der Staat war, der diesem Markt einen Anschub gab.
Die Vergrößerung des Markts für Verbriefungen war zwar nicht bewusst geplant im Sinne einer bewussten Entscheidung einer wirtschaftlichen Planungsbehörde. Aber als klar wurde, dass dies geschah, war sie auch nicht unerwünscht. Schließlich wollte die Bankenaufsicht die Hypotheken einfach nur loswerden. Es waren also keine raffgierigen Bankiers, die Verbriefungen zu einem großen Geschäft machten, sondern Bankenaufseher mit dem Ziel, den Schaden für den Steuerzahler aus einer Immobilienkrise zu begrenzen.
Die Lehre, die alle Experten aus der lateinamerikanischen Schuldenkrise und der amerikanischen Immobilienkrise der 80er Jahre zogen, war nach diesen Erfahrungen einleuchtend: es ist keine gute Idee, Kreditrisiken in Banken zu lassen. Die Technokraten der Banken sind keinesfalls besser in der Bewertung von Kreditrisiken als Investoren, die Anleihen in Finanzmärkten erwerben. Bleiben Kreditrisiken im Bankensystem, können sich Probleme bei der Rückzahlung schnell zu einer Bankenkrise aufschaukeln.
Für die Stabilität des Bankensystems ist es also besser, die Risiken an eine Vielzahl von Investoren abzutreten. Seit Anfang der 90er Jahre setzte sich diese Einsicht durch. Verbriefungen wurden zur ersten Wahl, um Hypotheken, Kredite und andere Forderungen aus den Bilanzen der Banken herauszulösen und bei Investoren zu platzieren.
Seit der Finanzkrise werden Verbriefungen nun verteufelt, weil Hypotheken verbrieft worden waren, bei denen es in bisher ungeahntem Masse zu Verlusten kam. Die öffentliche Debatte wird nun angeheizt von Nobelpreisträgern und anderen Ökonomen, die behaupten, Verbriefungen dienten nur gierigen Bankiers, die hohe Gebühren kassieren und Verluste auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Der Staat soll jetzt einschreiten und dafür sorgen, dass die Risiken bei den Banken bleiben. Dann könne es in der Zukunft keine Krisen mehr geben.
Diese Sicht ignoriert die Erfahrungen der 80er Jahre, als Bankenkrisen eben gerade dadurch entstanden, dass die Risiken in den Banken verblieben waren. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie die aktuelle Finanzkrise abgelaufen wäre, wenn nicht wenigstens ein Teil der Kreditrisiken an Anleger abgetreten worden wären. Man kann bestenfalls kritisieren, dass Verbriefungen nicht konsequent genug durchgezogen wurden. Verbriefte Hypothekenanleihen hätten nicht bei Banken bleiben dürfen, und andere Banken hätten nicht in solche Verbriefungen investieren dürfen.
Ausgerechnet deutsche Landesbanken, also Banken im Eigentum des Staats, waren am aktivsten daran beteiligt, durch Käufe Verbriefungen in das Bankensystem zurück zu bringen und dadurch die positiven Aspekte der Verbriefungen zunichte zu machen. Trotzdem: An Verbriefungen führt in Zukunft kein Weg vorbei.
Eine weitverbreitete Forderung lautet, Banken sollten in Zukunft einen Teil der Verbriefungen behalten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass eventuelle Verluste auch bei den Banken anfallen. Anleger in Verbriefungen und Banken hätten dadurch gleichermaßen Interesse an der Rückzahlung der Verbindlichkeiten. Diese Sicht der Dinge ignoriert aber den historischen Kontext, in dem Verbriefungen entstanden sind. Kredite wurden eben gerade verbrieft, um zu verhindern, dass bei den unweigerlich auftretenden Kreditausfällen das ganze Bankensystem ins Wanken gerät. Würde diese Forderung umgesetzt, müssten Banken auch in Zukunft bei jeder Kreditkrise große Verluste hinnehmen. Auch dann käme man nicht um staatliche Rettungsaktionen herum.
Die beste Lösung des Problems ist also, dass alle Kredite komplett verbrieft und so wenig wie nur möglich in den Bilanzen der Banken gehalten werden. Auch hier zeigt sich wieder, wie voreilige Kritiker gedankenlos Forderungen voneinander abschreiben, ohne auch nur den blassesten Schimmer von den Zusammenhängen zu haben.
Übrigens ist das Abtreten von Krediten keine angelsächsische Erfindung, wie in der deutschen Debatte immer wieder vorgegaukelt wird, wenn vom Kaufen und Verkaufen von Krediten wie in der Verbriefung die Rede ist. Auch in deutschen Banken und in der Bilanzierung nach dem Handelsgesetzbuch gibt es seit Jahrzehnten das Konzept des durchlaufenden Kredits und Treuhandkredits. Dies sind Kredite, die zwar von der jeweiligen Bank verwaltet werden, sich aber im Eigentum anderer Investoren befinden. Wenn zwar auch die Handhabung etwas anders ist als im angelsächsischen Raum, so ist doch die dahinterstehende Idee die gleiche wie bei Verbriefungen.
13 Englisch securitization.
14 Derartige Anleihen, die durch Leasingverträge von Flugzeugen besichert sind, firmieren unter der Bezeichnung Enhanced Equipment Trust Certificate (EETC).
15 Abkürzung für Programme for Mittelstand-loan Securitization
16 Englisch sun belt.
17 León T. Kendall, Michael J. Fishman, A Primer on Securitization. Massachusetts Institute of Technology, Boston, Massachusetts, 1996.
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Wozu braucht man Rating-Agenturen?
Die Antwort ist überraschend einfach: eigentlich nicht. Wie in an-deren Bereichen auch verlässt man sich meistens dann auf den Fachmann, wenn es darauf ankommt. Davon leben auch die Rating-Agenturen. Wer seine Ersparnisse in eine Anleihe oder einen Rentenfonds investieren will, kann natürlich selbst das Kreditrisiko des Fonds analysieren. Meistens ist es dann aber doch einfacher, wenn man weiß, dass die Anleihen in dem Fonds ein bestimmtes Mindest-Rating haben, so dass der Fonds nur Anleihen von einer bestimmten Qualität hält.
Hier kommen die Rating-Agenturen ins Spiel: Sie bieten unabhängige Analysen mit einer standardisierten Skala, die von allen Beteiligten leicht zu verstehen ist und Vergleiche völlig verschiedener Anleihen ermöglicht. Beispielsweise kann man anhand eines Ratings von A-/A2 (S&P) sofort sehen, dass die in Britischen Pfund notierte 6,125-prozentige Anleihe von Siemens, fällig im Jahr 2066, von der gleichen Bonität ist wie die 4,75-prozentige Anleihe des amerikanischen Lebensmittelkonzerns Campbell Soup, deren Laufzeit nur bis zum Jahr 2021 reicht und die in Dollar notiert.18
Es ist also durchaus sinnvoll, Ratings als Entscheidungsgrundlage zu nutzen. So kann ein Aufsichtsgremium einer Lebensversicherung oder Rentenkasse, oder sogar ein Politiker im Aufsichtsrat einer Landesbank, leicht Mindestanforderungen an die Qualität der Anlagen der ihnen anvertrauten Gelder festlegen, ohne jede einzelne Anlage selbst prüfen zu müssen. Bei tausenden Anlagen wäre dies kaum möglich, und das Aufsichtsgremium müsste sich völlig auf die Einschätzung der angestellten Analysten verlassen. Eine Kontrolle würde nicht stattfinden, zumindest keine effektive.
Ratings brauchen die Zukunft nicht perfekt vorherzusagen, um nützlich zu sein. Die Agenturen mussten viel Kritik und Spott über sich ergehen lassen, weil sie Betrügereien bei Enron, Worldcom oder Parmalat nicht auf die Spur gekommen waren. Diese Kritik übersieht aber, dass Rating-Agenturen keine Wirtschaftsprüfer und schon gar keine Detektive sind, sondern lediglich eine unabhängige Risikoabwägung vornehmen. Diese Bewertungen werden in verschiedene Klassen eingeteilt, die das Risiko eines Kreditausfalls darstellen.
Dies bedeutet aber nicht, dass die Rückzahlung bei höchster Bonität garantiert, sondern nur dass die Wahrscheinlichkeit dafür sehr hoch ist. Die Wahrscheinlichkeiten für einen Zahlungsausfall bei Bewertungen durch zwei der großen Rating-Agenturen ist in Tabelle 4 zu sehen. Selbst bei der höchsten Bonitätsstufe AAA besteht demnach noch eine geringe Chance von mehr als einem halben Prozent, dass ein so hervorragend bewertetes Unternehmen in Konkurs geht.
RatingMoody‘sS&PAaa/AAA0,520,60Aa/AA0,521,50A/A1,292,91Baa/BBB4,6410,29Ba/BB19,1229,93B/B43,3453,72Caa-C/CCC-C69,1869,19Gesamt9,7012,98Tabelle 4: Ausfallwahrscheinlichkeiten für von zwei großen Rating-Agenturen bewertete Unternehmensanleihen; Quelle: U.S. Municipal Bond Fairness Act, 2008, basierend auf Daten von Moody’s und S&P
Wenig wahrscheinlich bedeutet nicht unmöglich. Wenn es eine große Zahl von Unternehmen mit AAA-Bonität gibt, wird auch hin und wieder eines davon in Konkurs gehen. Und wenn der Ernstfall dann tatsächlich eintritt, wird behauptet, die Rating-Agenturen hätten Fehler gemacht.
Wie hilfreich Ratings auch für Verbraucher sein können, zeigt der aktuelle Trend von kleinen und mittelständischen Unternehmen, sich bei Kunden direkt Geld durch sogenannte Mittelstandsanleihen zu leihen. Von Bäckereiketten bis zu Produzenten von Süßigkeiten haben zahlreiche Firmen Anleihen an meist in finanziellen Fragen wenig versierte Kleinanleger für schon 1.000 Euro mit der Aussicht auf hohe Renditen verkauft.
Wenn ein Safthersteller 7,375 Prozent für fünf Jahre zahlt, erscheint dies im Vergleich zu einem Sparkonto überaus lukrativ. Dazu kommt, dass manche Anleger stolz darauf sind, ihr Geld nicht gierigen Banken zur Verfügung gestellt zu haben. Valensina wird zwar von Creditreform für kurzfristige Laufzeiten mit BB19 bewertet, was einer Ausfallwahrscheinlichkeit von knapp über einem Prozent entspricht. Die langfristige Mittelstandsanleihe allerdings, die weit länger läuft als das Rating Aussagekraft hat, ist nicht bewertet. Valensina wirbt trotzdem mit dem BB-Rating der Creditreform. Dies verdeutlicht, dass auch Kleinanleger Wert auf eine unabhängige Einschätzung des Risikos legen.
Weshalb also das Theater um die Macht der Rating-Agenturen? Was der Öffentlichkeit als Problem verkauft wird, sind in Wirklichkeit Fehler der Politik. Sie reagiert empfindlich auf realistische Urteile unabhängiger Rating-Agenturen, weil die Europäische Zentralbank nur Sicherheiten höchster Bonität akzeptieren darf. Dies sollte die Glaubwürdigkeit der Zentralbank und damit auch des Euro festigen. Wer traut schon einer Währung, deren Zentralbank auch Schrott als Sicherheit akzeptiert? Noch dazu Schrottanleihen, die von Wackelstaaten emittiert wurden?
Als der Euro geschaffen wurde, war hohe Bonität der Sicherheiten ein notwendiges Kriterium, denn Skeptiker prophezeiten das baldige Ende der Gemeinschaftswährung. Doch dann kam die Krise, und plötzlich gaben Rating-Agenturen Griechenland nicht mehr die höchste Bonität. Doch die Bonität dieses Landes kann man natürlich nicht per Dekret stärken. Rating-Agenturen lassen sich dagegen eher mit Verwaltungsmaßnahmen weichklopfen, positive Einschätzungen abzuliefern. Genau diesen Weg will Europa jetzt einschlagen.
Rating-Agenturen sollen für Fehleinschätzungen haften. Das klingt zunächst vernünftig, hat jedoch einen Haken: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wer eine Meinung vertritt, kann sich auch einmal verschätzen. Wenn die Meinung noch dazu in einer Wahrscheinlichkeit ausgedrückt wird, ist es unmöglich, eine Fehleinschätzung nachzuweisen. Selbst wenn ein Unternehmen mit AAA bewertet wird, besteht trotzdem die Möglichkeit, dass es Konkurs anmelden muss. Bei 200 so bewerteten Unternehmen kann man also den Konkurs eines Unternehmens erwarten. Was, wenn zwei oder drei von 200 Unternehmen pleitegehen? Welches der Unternehmen war denn falsch bewertet? Und was passiert, wenn kein Unternehmen pleitegeht? Eine Haftung der Rating-Agenturen wird dazu führen, dass sie auf Nummer sicher gehen und alle Unternehmen ein bisschen niedriger einschätzen werden, als notwendig.
Noch absurder ist die neue EU-Vorschrift, nach der die Ratings von Staaten nur noch an vorher festgelegten Freitagen revidiert werden dürfen. Damit ist der bisher herrschende Überraschungseffekt bei Rating-Änderungen passé. Investoren können nun genau vorhersagen, wann eine Abwertung kommt. Damit stellt sich ein ähnlicher Effekt wie bei festen Wechselkursen ein: Spekulationen werden einfacher. War bisher der Zeitpunkt einer zu erwartenden Auf- oder Abwertung eines Ratings eine unsichere Variable, kann man nun mit einem festen Datum rechnen und geht bei spekulativen Transaktionen weniger Risiko ein. Die Vorschrift führt also genau zum Gegenteil von dem, was beabsichtigt war.
Es ist nicht neu, dass Regierungen versuchen, die freie Meinungsausübung in Wirtschaftsfragen zu beeinträchtigen. Im Politischen ist Meinungsfreiheit ein lang etabliertes Recht. In der Wirtschaft hingegen nicht. Zwei Beispiele verdeutlichen, die Regierungen immer wieder versuchen, unangenehme Wirtschaftsprognosen zu unterdrücken.
In Argentinien forderten die Machthaber alle privaten Analysten und Forschungsinstitute im Februar 2011 auf, ihre Methoden bei der Statistikbehörde zur Überprüfung einzureichen. Seit die Regierung 2007 einen politisch verlässlichen Chef an die Spitze der Statistikbehörde INDEC setzte, hatten die offiziellen Zahlen ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Dazu kommt, dass die Regierung dem Internationalen Währungsfonds eine Prüfung der eigenen Methodik seit 2006 verweigert. Eine unabhängige Berechnung der Inflationsrate war also ein vielversprechendes Geschäftsmodell für unternehmerische Statistiker.
Allerdings hatten sie ihre Rechnung ohne die Skrupellosigkeit ihrer Regierung gemacht. Diejenigen, die der Forderung nachkamen und ihre Berechnungsmethoden der Statistikbehörde mitteilten, bekamen eine Geldbuße von je rund 100.000 Euro wegen angeblicher Fehler. Gegen ein privates und unabhängiges Forschungsinstitut, MyS Consultores, wurde sogar ein Strafverfahren eingeleitet.
Der wesentliche Unterschied zwischen den offiziellen und privaten Berechnungen lag im Erhebungsbereich der Daten. Die Privaten berechneten die Inflationsrate des Landes aufgrund von Daten, die sie selbst im ganzen Land erhoben. Die offizielle Inflationsrate hingegen wird nur aufgrund von Daten aus der Provinz Buenos Aires berechnet. Es verwundert kaum, dass die von privaten Agenturen errechneten Inflationsraten wesentlich höher liegen als die offizielle: rund 25 Prozent statt offiziell 9,7 Prozent. Der Leser kann selbst entscheiden, welche Methode glaubwürdiger ist. Politisch erwünscht ist natürlich immer die Methode, bei der die kleinere Zahl herauskommt.
Man muss jedoch nicht bis nach Südamerika schauen, um Eingriffe in die Redefreiheit und Druck auf Wirtschaftler zu finden. Auch in Europa gibt es bereits erschreckende Beispiele. Ausgerechnet in Lettland, immerhin ein Mitglied der Europäischen Union, wurde Ende 2008 der Wirtschaftswissenschaftler Dmitrijs Smirnovs in ein Gefängnis der Geheimpolizei gesperrt, weil er bei einer Online-Debatte die Abwertung des Lat gegenüber dem Euro vorhersagte. Er riet Sparern, ihr Geld lieber in anderen Währungen investieren, um der drohenden Abwertung zu entgehen. Nach seiner Freilassung zeigte sich Smirnovs, je nach Sichtweise entweder einsichtig oder eingeschüchtert: Er kündigte an, bei seinen Prognosen in Zukunft vorsichtiger zu sein.
Etwas weniger dramatisch als Smirnovs‘ Verhaftung war im Jahr davor der Fall von Alf Vanags, Direktor eines Forschungsinstituts in Riga. Nachdem Vanags bei einer Pressekonferenz vor dem steigenden Leistungsbilanzdefizit des Landes warnte, bekam er innerhalb einer Stunde einen Anruf von der Geheimpolizei. Sogar der Musiker Valters Frindbergs bekam Ärger mit der Polizei, weil er bei einem Konzert scherzte, die Besucher sollten bis zum Ende des Konzerts warten, bevor sie ihre Konten bei den Banken leeren. Wie gesagt, Lettland ist Mitglied der Europäischen Union.
Die Drohgebärden der Politik gegenüber Rating-Agenturen lassen also nichts Gutes erahnen, was die Zukunft objektiver Wirtschaftsanalysen im Euroraum angeht.
18 Ratings aktuell per August 2012. Es handelt sich streng genommen um die von der niederländischen Siemenstochter Siemens Financieringsmaatschappij N.V. begebene Anleihe mit ISIN XS0266840486. Die Campbell Soup Company-Anleihe hat die ISIN US134429AW93.
19 Zum 18. 3. 2011.
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Was bringt eine europäische Rating-Agentur?
Noch eine Rating-Agentur? Das ist etwa so, als würde die Stiftung Warentest in mehrfacher Ausführung immer noch nicht reichen. Ein wichtiger Kritikpunkt an Rating-Agenturen ist, dass es nicht genug davon gibt und somit kein ausreichender Wettbewerb stattfindet. Ein Vergleich mit der Stiftung Warentest zeigt, dass auch bei der Prüfung von Konsumgütern nicht viel Wettbewerb herrscht. Und das, obwohl es sich dabei doch um einen wesentlich größeren Markt handelt. Während die Rede immer nur von den drei großen Agenturen Moody‘s, Standard & Poor‘s und Fitch ist, gibt es noch eine Reihe kleinerer Rating-Agenturen, deren Existenz weitgehend totgeschwiegen wird.
Zunächst die Agentur Egan-Jones, 1995 von Sean Egan gegründet. Diese Agentur vergibt Ratings, für die Nutzer der Ratings zahlen. Damit unterscheidet sich die Agentur wesentlich von den drei Großen, bei denen die Emittenten der Wertpapiere Auftraggeber sind und die Kosten übernehmen. Wenn der Emittent zahlt entsteht potentiell ein Interessenkonflikt. Wenn jedoch die Nutzer zahlen und nicht die Emittenten, gibt es weniger Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Ergebnis.
Dieser Kritikpunkt wird gerne gegen die bekannteren Rating-Agenturen hervorgebracht. Doch warum verlässt die EZB sich dann auf Ratings dieser Agenturen und ignoriert die – zumindest theoretisch – besseren Ratings von Egan-Jones? Offenbar ist nicht nur die Methodik wichtig, sondern auch der Ruf und die Glaubwürdigkeit einer Agentur. Egan-Jones ist ein relativ junges Unternehmen, das sich seinen guten Namen gerade langsam und mühsam erarbeitet. Während die amerikanische Wertpapieraufsicht Egan-Jones Ratings für vollwertig anerkennt, zögert die EZB noch. Vielleicht ist dieses Zögern aber auch politisch gewollt. Denn solange man behaupten kann, dass es nur drei Rating-Agenturen gibt, kann man auch die Gründung einer europäischen Agentur fordern.
Damit würde man dann China nacheifern. Die Mandarine der Volksrepublik ärgerten sich in der 90er Jahren wie europäische Politiker heute, dass die großen Rating-Agenturen alle in den USA beheimatet sind. Also gründete man 1994 schnell Dagong Global Credit Rating als eigene chinesische Rating-Agentur. Natürlich unabhängig. Ihr kommt innerhalb Chinas eine wichtige Rolle zu, da viele der dortigen Unternehmen und Gebietskörperschaften nach der Öffnung Chinas nur langsam internationale Kredite aufnahmen und deshalb von den westlichen Rating-Agenturen nur selten bewertet werden.
Dagong bewertet aber auch Staaten. Und diese Bewertungen lassen ahnen, wie eine zukünftige europäische Rating-Agentur verfahren wird. Die beste Bewertung vergibt Dagong ausschließlich an – der Leser ahnt es schon – die Volksrepublik China. Deutschland und viele andere europäische Staaten liegen knapp darunter. Griechenland wird genauso schlecht bewertet wie durch die amerikanischen Rating-Agenturen.
Man kann also erwarten, dass eine genauso unabhängige europäische Rating-Agentur ähnlich verfahren wird: Europäische Staaten bekommen die Bestnote, alle anderen Staaten liegen knapp darunter. Es wird dieser neu gegründeten Rating-Agentur schwerfallen, bald einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit zu erreichen. Und wenn die Gründungsgeschichte auf Ärger über die schlechten Bewertungen durch die etablierten Agenturen zurückgeht, dann steht es von Anfang an schlecht um Glaubwürdigkeit.
Per Dekret lässt sich Vertrauen in eine Rating-Agentur genauso wenig herstellen wie in den Euro als Gemeinschaftswährung. Der Vergleich der chinesischen Gegen-Rating-Agentur zu ihrem europäischen Pendant ist so naheliegend, dass die europäische Nummer mit einem Vertrauensdefizit starten wird, dass erst in vielen Jahren, wenn überhaupt je, überwunden sein wird.
Am Rande seien der Vollständigkeit halber noch ein paar andere Rating-Agenturen erwähnt: A.M. Best ist spezialisiert auf Versicherungen, Dominion Bond Rating Services konzentriert sich auf kommunale Schuldner in den USA, Weiss Ratings bewertet Finanzunternehmen sowie Staaten und Japan Credit Rating Agency bewertet Unternehmen und Staaten. Es gibt auch in zahlreichen anderen Ländern Rating-Agenturen, die meist regional ausgerichtet sind und zur Unterstützung des Außenhandels andere Staaten bewerten, auch europäische.
Politiker, die hoffen, bessere Bewertungen für europäische Wackelstaaten allein durch Reform der Rating-Agenturen zu bekommen, sollten die Bewertung Deutschlands durch Egan Jones betrachten: A, also fünf Stufen niedriger als durch die drei großen Rating-Agenturen.20 Wenn Politikern klar wird, dass die einzige Rating-Agentur, bei der die Nutzer der Ratings zahlen, noch schlechtere Bewertungen vergibt als die drei Großen, werden sie schnell das klassische Oligopol wieder gutheißen.
20 Stand: Januar 2014.
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Sind Rating-Agenturen am Griechenland-Debakel schuld?
Rating-Agenturen wirken wie Öl auf Feuer: Wenn es brennt verstärken sie durch negative Bewertungen die Krise nur noch. Gerade in der Griechenlandkrise haben Kritiker diesen Effekt immer wieder beklagt. Doch dabei haben sie die Ursache und Wirkung verwechselt. Die Funktion von Rating-Agenturen lässt sich am besten mit der von Verfassern von Leitartikeln oder Fernsehkommentaren vergleichen. Wenn sich jemand bei einer Bundestagswahl nach der Empfehlung eines Kommentators entscheidet, so ist das in erster Linie die Entscheidung des Wählers. Rating-Agenturen schaffen keine Tatsachen, sondern sind bestenfalls Überbringer guter oder schlechter Nachrichten. Das sieht inzwischen sogar Sigmar Gabriel so.21 Niemand käme auf die Idee, den Verfasser eines Leitartikels für falsche Wahlempfehlungen haftbar zu machen. Doch eine solche Haftung wird von der Europäischen Kommission für Rating-Agenturen gefordert.
Rating-Agenturen werden immer wieder als Brandbeschleuniger verurteilt. Sie stecken heute in einem Dilemma. Ihnen wird vorgeworfen, im Frühstadium der Finanzkrise nicht schnell genug gehandelt zu haben, um die Ratings von Finanzprodukten den geänderten Verhältnissen anzupassen. Während die Marktteilnehmer manche Hypothekenanleihen bereits zu Schrottpreisen handelten, benoteten die Rating-Agenturen diese Papiere noch mit einer hohen Bonität. In der europäischen Staatsschuldenkrise geloben und praktizieren die Rating-Agenturen nun Besserung, doch schon wieder ist das Heer der Kritiker unzufrieden. Für manche agierten sie diesmal zu schnell und sollen Staaten und Politik vor sich hergetrieben haben. Andere wiederum waren der Meinung, dass die Rating-Agenturen lediglich den Finanzmärkten hinterherlaufen. Was letztlich bedeuten würde, dass sie wieder einmal zu langsam waren.
Tatsache ist, dass die Rating-Agenturen es nicht jedem Recht machen können. Das liegt in der Natur der Sache. Rating-Agenturen vertreten eine Meinung, die sie als Wahrscheinlichkeit ausdrücken. Die einen Kritiker wünschen sich eine perfekte Vorhersage der Zukunft. Andere sehen Rating-Agenturen als Instrumente der Politik, oder zumindest als Institutionen, die politischen Willen umsetzen sollen. Die Macht der Rating-Agenturen beschneiden wurde zur Kernforderung eines jeden Politikers bis hin zur Europäischen Kommission. Von dort kam auch der Vorschlag, Herabstufungen von kriselnden Eurostaaten zu verbieten. Rating-Agenturen sollten außerdem für Fehler haften. Schließlich hätten die Rating-Agenturen in der Vergangenheit europäische Staaten falsch bewertet, insbesondere Griechenland.
Inzwischen ist die Lage in Griechenland noch schlimmer, als die pessimistischsten Vorhersagen der Rating-Agenturen prophezeit hatten. Anleger mussten bei griechischen Staatsanleihen Verluste von bis zu 80 Prozent einstecken. Die These der angeblich zu schlechten Bewertungen ist damit zwar vom Tisch, nicht jedoch die Forderung, Rating-Agenturen stärker zu überwachen.