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Dass Schwarz auf Seite 17 Conovers Begegnung mit Norma Jeane fälschlich auf "early 1945" datiert, sei nur nebenbei erwähnt.
Stars and Stripes hat, wenn man Rollysons Angabe in ´Marilyn Monroe Day by Day´ Glauben schenken kann, immerhin eines der Bilder verwendet und angeblich ebenfalls am 2. August 1945 auf dem Cover platziert. Allerdings findet sich im Internet weder ein textlicher noch ein bildlicher Beleg für eine solche Publikation. Dass Conover Norma Jeane am 26. Juni 1945 für Yank fotografiert, wird leider auch von Rollyson kolportiert.
Wieso Yank sich quergestellt hat, ist unklar. Möglicherweise lag es an den obengenannten technischen Unstimmigkeiten auf Conovers Fotos (Propeller falsch herum gehalten, Schraubenzieher an sinnloser Stelle angesetzt).
Falsch ist überdies, aus schon mehrfach genannten Gründen, Conovers Datierung der ersten Begegnung auf den 26. Juni 1945 (in ´Finding Marilyn´), seinen 26. Geburtstag. Die seltsame Übereinstimmung von Geburtstag und falschdatierter erster Begegnung kann kaum ein Zufall sein, ist in der Marilyn-Literatur bisher aber nicht bemerkt worden, vielleicht aus Unkenntnis von Conovers Geburtstag. Dass er diese Koinzidenz in täuschender Absicht produziert hat, ist zwar kaum vorstellbar; andererseits muss ihm bei der Niederschrift aber bewusst gewesen sein, dass dieser Tag auf seinen Geburtstag fällt, was ihm wiederum erst recht an dem Tag selbst hätte bewusst gewesen sein müssen.
Wie dem auch sei — er begegnet Norma Jeane bereits sechs oder sieben Monate vorher, nämlich im Herbst 1944.
Von den Mängeln in Conovers Darstellung unberührt ist natürlich sein Verdienst um die individuelle Entdeckung und Förderung von Norma Jeane. Mit hoher Wahrscheinkeit wäre früher oder später ein anderer Fotograf auf sie aufmerksam geworden, aber das ist Spekulation. Als 1946 der Pinup-Fotograf Bruno Bernard, um ein Beispiel zu nennen, in der Nähe seines Fotostudios auf dem Sunset Strip auf sie aufmerksam wird und sie anspricht, ist sie bereits ein geschultes Model mit entsprechendem Styling und Auftreten, was indirekt Conover zu verdanken ist, der ihr mit Rat und Tat diese Richtung weist. "Meine eigene Zukunft mit Norma Jeane war in Gefahr", sagt Dougherty später, "als dieser Armeefotograf seinen Auslöser betätigte." Conover hat ihr Talent mit sicherem Auge erkannt und ihr geraten, zugunsten einer Modelkarriere den schlecht bezahlten Fabrikjob aufzugeben, um bei ihm und anderen Fotografen als Model zu arbeiten. Er bietet ihr 5 Dollar pro Stunde, was eine deutliche Verbesserung ist gegenüber den 20 Dollar pro Woche bei Radioplane.
Die Fotos am Montageband hat Conover in Schwarzweiß und mit einer 4x5 Rollfilm Kamera gemacht, sie werden nachträglich koloriert und sind heute in dieser Version bekannt. Für die Außenaufnahmen verwendet er eine 35mm Kamera mit einem Kodachrome Film. Er ist begeistert von Norma Jeanes Girl-next-door-Charme und ihrer natürlichen Begabung für das Posieren, während sie es genießt, im Fokus einer Kameralinse und der Aufmerksamkeit eines Fotografen zu stehen. Nach dem Shooting äußert er den Wunsch, sie in ihrer Freizeit gegen Bezahlung noch öfters zu fotografieren, falls die Bilder so gut ankämen, wie er vermutet. Also gibt sie ihm ihre Telefonnummer.
Den Schwarzweißfilm kann Conover in seinem eigenen Studio entwickeln, den farbigen Kodakfilm überlässt er für diesen Zweck einem Labor von Eastman Kodak. Der für die Entwicklung und technische Prüfung des Films zuständige Inspektor fragt Conover überrascht nach dem ungewöhnlichen Model aus, denn sie wirkt so vital und glücklich, als wäre die Kameralinse ihr Liebhaber. Conover freut sich, dass ein Fotoprofi seine Einschätzung von Norma Jeanes Potential bestätigt. Sie wiederum ist hocherfreut, als Conover in die Fabrik zurückkehrt und ihr mitteilt, wie gut die Aufnahmen ankommen.
Natürlich demonstriert Norma Jeane nicht erst auf Conovers Bildern ihre exzellente Fotogenität. Auch frühere Aufnahmen durch Freunde und Familienangehörige lassen ahnen, was aus ihr einmal werden wird, ganz besonders zwei fast gleiche Fotos von 1941, von denen eines sie im Stil einer Schönheitsheitskönigin zeigt. Ihre Fotogenität muss ihr schon längst klar gewesen sein, als Conover sie in den Fokus nimmt. Mailer schreibt:
"Norma Jean (sic) hat den ersten Brennpunkt ihres Lebens gefunden ausgerechnet in der Linse einer Kamera. Sie muss noch viel lernen, was das Posieren vor einer Kamera betrifft; das Posieren selbst braucht sie freilich nicht erst zu lernen. Sie hat bereits erfahren, was hundert kleine Bewegungen ihres Körpers bei Arbeitern, Soldaten, Matrosen, Fernfahrern und Männern von der Kriegsmarine auslösen."
Conovers Bericht über ein angebliches Liebesverhältnis zu Norma Jeane, das sich aus ihrem weiteren Kontakt ergeben haben soll, ist allerdings zweifelhaft. Sie selbst hat es zu keiner Zeit bestätigt. Unglaubwürdig wirkt seine Schilderung der angeblichen Beziehung vor allem wegen des kitschigen Gehalts mancher Dialoge, die Marilyn übertrieben lüstern präsentieren. Eine Kostprobe bietet diese Szene eines Wiedersehens in einer Hotelbar in New York, 1962:
(Marilyn) "Glaub mir, ich versuche nicht jeden Mann zu verführen, dem ich begegne. Ich möchte nur Sex mit Männern, an denen mir etwas liegt. Das hat mehr Bedeutung und ist nicht nur animalisch. Man will den andern dann wirklich befriedigen. Abgesehen davon ist es für mich die schönste Art, Schlaf zu finden. Meinst du nicht?"
(Conover) Zögerlich stimmte ich zu.
"Dann komm", sagte sie vergnügt und sprang auf ihre Füße. "Gehen wir in meine Wohnung und haben Spaß."
"Warte", sagte ich. "Setz dich. Ich habe noch nicht ausgetrunken."
Vor dem Hintergrund von Conovers Behauptung, schon 1945 mit Norma Jeane an einem Strand Sex gehabt zu haben, macht der Dialog gar keinen Sinn. Erstens wäre die Aussage, dass sie "nicht jeden Mann verführt, dem sie begegnet", siebzehn Jahre nach der ersten Begegnung (Herbst 1944) und dem angeblichem Sex im folgenden Jahr völlig deplatziert. Zweitens hat Marilyn im Laufe ihres Lebens mit so manchem Mann Sex gehabt, an dem ihr persönlich nicht viel lag. Warum sollte sie Conover, mit dem sie ihm zufolge bereits intim war, also den Bären aufbinden, dass sie Sex nur unter dieser Bedingung mag? Und warum sollte sie einen früheren Liebhaber überhaupt davon überzeugen wollen, warum sie auf Sex mit ihm erpicht ist?
Erste Schritte als Model
Im Januar 1945 kehrt Jim aus Südostasien zurück. Aus einem undatierten Brief von Norma Jeane an Cathy Staub geht hervor, dass Jims Rückkehr mit dem Abbruch ihrer Tätigkeit bei Radioplane zusammenfällt (beides liegt zum Zeitpunkt der Abfassung "about three weeks" zurück). Deswegen ist seine Ankunft in den Januar datieren, in dem sie laut Brief an Grace vom Juni 1945 ihre Tätigkeit bei Radioplane beendet hat. Das Paar macht für eine Woche Urlaub in Big Bear Lake, einer kleinen Stadt in Südkalifornien, wo sie schon im Winter 1942 einen Skiurlaub verbrachten und jetzt laut Brief an Staub eine "großartige Zeit" miteinander haben. Frei von Spannungen ist die Idylle aber nicht. Jim missfällt, dass Norma Jeane mit dem Alkoholtrinken begonnen hat. Sie zeigt sich eifersüchtig, wenn er mit anderen Frauen Blackjack spielt. Über die Dringlichkeit des Kindermachens sind sie geteilter Meinung, denn damit hat es Norma Jeane nicht eilig. Ein Gespräch über ihre Modelkarriere endet für sie unbefriedigend: Jim toleriert ihre Sessions, da sie besser bezahlt sind als die Fabrikarbeit, stellt aber die Bedingung, dass damit Schluss ist und seine Frau sich ausschließlich dem Familienleben zu widmen hat, sobald der Krieg vorüber ist.
In den Wochen vor und nach Jims erstem Heimaturlaub wird Norma Jeane so häufig abgelichtet, dass sie sich von dem Honorar am 10. Februar 1945 den Rückkauf des Pianos ihrer Mutter von Ana Lower leisten kann. Begeistert von seinem neuen Model hat Conover Bilder von ihr seinem Freund Potter Hueth gezeigt, einem Zivilisten, der am Pico Boulevard ein Studio betreibt. Der junge Fotograf ist noch nicht lange im Geschäft und scheut das Risiko, die Kosten für das Model zusätzlich zu denen für die Filme, das Entwickeln, die Abzüge und die Versandkosten aufzubringen, ohne dass ein Abnehmer feststeht, also die einschlägigen Magazine in New York, Chicago und Toronto. Normalerweise erstatten angehende Models dem Fotografen die anfallenden Kosten, wovon beide profitieren: Sie erhalten ein Portfolio, mit dem sie für sich werben können, und der Fotograf Bilder, die er den Magazinen anbieten kann, wobei das Model, wenn es clever ist, sich am Erlös beteiligen lässt.
Hueth ist von Norma Jeanes optischer Verkäuflichkeit aber so überzeugt, dass er ihr anbietet, mit ihm ´on spec´ zu arbeiten und sich mit dem Honorar zu gedulden, bis Verkäufe getätigt sind. Bei einer seiner Sessions mit Norma Jeane fotografiert er sie mit einem Dalmatiner an ihrer Seite und gekleidet in ihren roten Pulli, den sie schon auf dem Fabrikgelände für Conover trug und nachher für andere Fotografen tragen wird. Weitere Bilder zeigen sie auf einem Bauernhof in Jeans und an der pazifischen Küste in einem Bikini. Das Dalmatiner-Foto hat wegen eines Zwischenfalls zu einer Verstimmung bei Jim geführt, der zu diesem Zeitpunkt zuhause ist. Norma Jean sitzt für den Shot auf einem Heuballen und wird gebeten, ihren Ehering für den Rest der Session abzunehmen, weil er sich auf Bildern, die jeden Mann ansprechen sollen, unpassend ausnimmt. So legt sie ihn einfach auf das Heu, kann ihn nach der Session aber nicht wiederfinden. Eine erste Suche verläuft erfolglos, erst am nächsten Morgen, nach einer erneuten Anstrengung, entdeckt sie ihn.
Laut Hueth zeigt Norma Jeane sich auffallend interessiert an der Wirkung, die sie auf den Bildern erzielt, und zwar auf allen und nicht nur denen, die Hueth als gelungen bewertet. Sie möchte herausfinden, was den weniger gelungenen Bildern fehlt, gleich ob es um die Pose geht oder die Art und Weise, wie das Licht ihre Gesichtszüge und Haare zur Geltung bringt. Sie will auch lernen, wie das Licht einzusetzen ist, um bestimmte physische Mängel zu kaschieren. Diese leidenschaftliche Drang zur Selbstverbesserung im Verein mit dem festen Willen, die Beste zu sein, wird Norma Jeane später auch in der Modelagentur von Emmeline Snively auszeichnen. Ein perfektes Model muss wissen, wie es sich optimal vor der Kamera präsentiert. Dazu gehört angeborenes Talent, aber auch selbstkritische Analyse und Lernfähigkeit. Im Barris-Interview hat sich Marilyn dazu geäußert. Die Fotografen, von denen darin die Rede ist, sind Potter Hueth und sein Freund Bob Farr, der an einigen Sessions teilnimmt, weshalb später nicht immer feststellbar ist, wer von beiden welches Foto geschossen hat:
"Ich war fest entschlossen und traute mir zu, als Model Erfolg zu haben. Niemals versäumte ich meinen Unterricht in der Modelschule. Immer tat ich mein Bestes. Ich hätte mich nicht damit zufrieden gegeben, die Zweitbeste zu sein. Ich hatte so viel Selbstvertrauen, dass ich einfach wusste, dass ich es schaffen könnte. Ich nahm immer Fotos von mir mit nach Hause und analysierte mein Aussehen und probierte stundenlang vor einem Spiegel, wie ich meine Posen noch verbessern könnte. Am nächsten Tag sah ich den Fotografen, der die Aufnahmen gemacht hatte, und fragte ihn, ´Was habe ich auf diesem Foto falsch gemacht?´ oder ´Warum kommt dieses Foto nicht besser rüber?´. Wenn sie es mir sagten, habe ich diesen Fehler nie mehr wiederholt."
In der Literatur wird Conovers zweiwöchiger Fototrip mit Norma Jeane in die Mojave Wüste und das Death Valley gerne in den Juli 1945 datiert. Das vereinbart sich aber nicht mit den zeitlichen Angaben des Fotografen William Carroll, die dieser im Zusammenhang mit seinem eigenen Shooting mit Norma Jeane macht (in ´Norma Jeane: Marilyn Monroe 1945´, zit. n. Morgan: ´Marilyn Monroe´):
"Zu dieser Zeit hatte sie wenig professionelle Erfahrung gesammelt außer bei einem zweiwöchigen Trip mit David (Conover, H.Tr.), dessen Aufnahmen den meinigen nur wenige Monate (´just a few months´) vorausgingen."
Laut Morgan ruft Carroll sie "about a month later" an und erfährt, dass sie mittlerweile bei der Blue Book Agency unterschrieben hat, was am 2. August 1945 geschah. Also muss Conovers Trip mit Norma Jeane, wenn man vom 2. August maximal einen Monat Abstand zu Carrolls Shooting plus "wenige Monate" (zwei bis vier?) zurückrechnet, vielleicht im März oder April stattgefunden haben, und nicht im Juli. Es sind Zweifel an der Authentizität dieser Begebenheit geäußert worden, da nur Bilder von der Reise bekannt sind, die eine spezifische Lokalität nicht erkennenlassen. Als man Conover in späteren jahren darauf anspricht, rechtfertigt er sich durch den Hinweis, dass alle anderen Fotos mit der Post verlorengegangen sind, als er sie wegen seiner kurzfristigen Abkommandierung auf die Philippinen überstürzt an Potter Hueth schickte, ohne dass dieser sie jemals erhalten hat. Diese Zweifel sind durch Carrolls obenzitierte Angabe und seine Aussage, von Conover Negative von anderen Bildern von dieser Reise zum Entwickeln erhalten zu haben, aber obsolet geworden.
Carroll führt den Ansco Color Film Processing and Printing Service in Los Angeles. Als häufiger Kunde weiß Hueth, dass Carroll ein Model sucht, das für eine Gemeinschaftswerbung für die 35mm Mercury II Kamera der Universal Camera Company und Carrolls eigene Firma posieren soll. Als er ihm von Conover geschossene Dias von Norma Jeane zeigt, hat Carroll den Eindruck, dass "diese Bilder von Conover ein Mädchen mit einem außergewöhnliches Charme zeigen. Nicht vollkommen schön, aber in einer ganz entzückenden Girl next door Manier. Das war genau der Typ, mit dem ich unseren Verkaufstisch für meinen Laborservice schmücken wollte" (zit. n. Morgan: ´Marilyn Monroe´).
Hueth gibt Carroll die Telefonnummer des Models. "Norma Jeane war sehr ruhig und klang ernst", erinnert er sich, "als sie mich fragte, wer mir ihre Nummer gegeben hat und und was ich mit Potter und David zu tun habe. An diesem Punkt machte sie sich wohl Gedanken über meinen Grad an Professionalität, um das mögliche Problem auszuschließen, mit einem Amateurfotografen zu arbeiten, der nur ein hübsches Mädchen treffen will" (zit.n. Morgan).
Carroll holt Norma Jeane von ihrer Wohnung in Ana Lowers Haus ab. Sie rät ihm, auf Aufnahmen mit einem Badeanzug zu verzichten, um die Kundschaft in seinem Laden nicht zu verprellen. Mit einer Auswahl an gebügelter und Model-untypischer Bekleidung und einem Make-up-Köfferchen bewaffnet fahren sie an die Strände von Malibu und Santa Monica. Auf den Bildern erscheint ihr Haar blonder als von Natur aus, weil die Julisonne sie zu einem Kalifornienblond gebleicht hat. Carroll betont ihren Eifer beim Bemühen, zusammen mit ihm das bestmögliche Resultat aus der Session herauszuholen, für die sie 20 Dollar erhält. Als er sie, wie schon erwähnt, etwa einen Monat später wieder anruft, erzählt sie ihm von ihrem Eintritt in die Blue Book Agency und dass die Agentur ihr Tageshonorar auf 50 Dollar festgelegt hat, "ein Betrag, der mir definitiv zu hoch war, weshalb ich nie mehr mit Norma Jeane zusammengearbeitet habe".
Erst 40 Jahre später, als er ein TIME Magazin durchblättert und ein von ihm entwickeltes Conover-Foto von Norma Jeane sieht, wird Carroll klar, dass das von ihm im Juli 1945 fotografierte Mädchen mit der weltberühmten Marilyn Monroe identisch ist.
"Ich glaube ernsthaft", so Carroll, "dass meine Bilder eine andere Frau zeigen als die, die man kennt. Ich hatte keine Ahnung, wer Monroe (wirklich, H.Tr.) war, bis ich 40 Jahre später dieses Time Magazin las. Ich hatte keine Ahnung, dass ich die gleiche Frau fotografiert hatte."
Zu Spannungen mit Jim kommt es einmal mehr, als der Fotograf Leo Bush von den Schwarz Studios sie im Mai 1945 im Bikini ablichtet, wogegen sich Jim zuvor grundsätzlich ausgesprochen hat. Norma Jeane gibt als Grund an, dass sie das Geld für die Reparatur ihres Autos benötigt. Jim lässt das durchgehen, betont aber wieder, bald mit ihr eine Familie gründen zu wollen. Wegen ihrer Karrierepläne ist das für sie natürlich nach wie vor kein Thema.
Irgendwann in diesen Monaten marschiert Norma Jeane in einem pinkfarbenen Pulli in das Büro des Fotografen Paul Parry. Dem Reporter Jim Henaghan erzählt Parry später:
"Eines Tages hing ich in meinem Büro mit ein paar Leuten herum, als dieses Mädchen hereinkam und fragte, ob ich glaube, dass sie ein Model sein könnte. Ich werde das nie vergessen, weil sie einen rosafarbenen Pulli trug — und die beiden anderen Typen fielen fast von ihren Stühlen. Natürlich konnte sie!"
Parrys für ein Fashion Layout geschossene Bilder von Norma Jeane sind allerdings nicht zu vermarkten, denn die Redakteure wenden ein, dass ihr Look "zu natürlich" sei und aus ihr nie ein Fashion Model werden würde. Ein einziges Foto kommt erst Jahre später, 1952, für eine Orangensaft-Reklame zum Einsatz, als Norma Jeane als Marilyn Monroe schon ein Filmstar ist.
Im Juli sendet Hueth ein paar seiner Norma-Jeane-Fotos an Emmeline Snively von der Blue Book Modelling Agency. Snively ist davon so angetan, dass sie eine Broschüre der Agentur an Norma Jeane schickt, die sich daraufhin mit Snively zu einem Vorstellungsgespräch verabredet. Im Barris-Interview erzählt Marilyn:
"Meine Karriere als Model begann, als Potter Hueth seine Aufnahmen von mir Miss Snively zeigte, die damals die größte Modelagentur in Los Angeles leitete. Ich war ganz aufgeregt, als sie sich bereit zeigte, mich kennenzulernen. Ein Termin wurde vereinbart, und in der Nacht davor fand ich keinen Schlaf. Wenn sie mich nicht mochte, wäre das das Ende meiner Modelkarriere — bevor sie begonnen hätte. Ich meldete mich in meiner Arbeit krank und nahm mir den Tag frei, um Miss Snively zu besuchen. Ich war damals neunzehn, meine Ehe war belastet, und ich dachte an Scheidung."
Hier zeigt sich einmal mehr eine Ungenauigkeit in Marilyns Erinnerung, denn zu jener Zeit, Anfang August 1945, hat sie längst nicht mehr bei der Radioplane Company gearbeitet.
Als Hueth am 2. August mit Norma Jeane im Büro von Snively erscheint, hat diese zunächst nicht den Eindruck, es mit einem ungewöhnlichen Mädchen zu tun zu haben, sondern mit einem "Mädchen von nebenan" (Interview vom August 1962). In einer Aktennotiz heißt es:
"Norma Jeane wurde vom Fotografen Potter Hueth zum Hotel gebracht. Sie trug ein einfaches weißes Kleid und war mit ihrem Modelportfolio bewaffnet, das nur ein paar ausgewählte Schnappschüsse bot (...) Bei einem Modeljob würde man nicht unbedingt ein weißes Kleid tragen, und es war so sauber und weiß und gebügelt und leuchtend wie sie selbst."
Während Snively die von Hueth auf ihrem Schreibtisch ausgebreiteten Fotos inspiziert, starrt Norma Jeane auf die Magazincovers und Publicityfotos an den Wänden des Büros und sagt:
"Das sind die hübschesten Mädchen, die ich jemals gesehen habe."
Dann, zu Snively gewandt: "Glauben Sie, dass ein Bild von mir jemals auf einem Magazincover erscheinen könnte?"
"Natürlich", antwortet Snively. "Du bist ein Naturtalent."
Später notiert sie die Körpermaße von Norma Jeane und Details ihrer Erscheinung: Kleidergröße 34/36 ("size 12"), Körpergröße 167 cm, Busen 91, Taille 61, Hüfte 86, blaue Augen, perfekte Zähne und blonde lockige Haare.
Norma Jeanes strahlend weiße Zähne mögen für die an ein Fotomodel gestellten Ansprüche perfekt gewesen sein, der leichte Überbiss der Schneidezähne wird aber drei Jahre später, 1948, auf Anregung von Fred Karger korrigiert, der in dieser Zeit bei der Columbia Pictures ihr Gesangscoach ist. Snivelys Angabe von "size 12" hat später zu der falschen Vorstellung geführt, dass Marilyn pummelig gewesen sei, weil die heutige "size 12" der Größe 40 entspricht. Wie die von Snively angegebenen Körpermaße zeigen, liegt der Brustumfang aber im Bereich des heutigen Medium und der Rest im Small-Bereich. In den 1980ern waren in den USA die Kleidergrößen geändert worden, so dass eine heutige "size 12" ungefähr den Maßen 38-30-40 (inches) entspricht und keineswegs den Maßen 36-24-34 (inches), wie Snively sie notiert hat. Diese fallen vielmehr unter die Kleidergrößen 4-6, also Small bis Medium.
Norma Jeanes Haare sind, so die Blue-Book-Chefin, "eigentlich dunkelblond. Kalifornienblond, was heißt, dass sie im Winter dunkel und im Sommer hell sind. Ich erinnere mich daran, dass sie sehr nahe am Kopf gekringelt und ganz widerspenstig waren. Ich wusste sofort, dass sie gebleicht und bearbeitet werden müssten".
Auf Snivelys Frage, ob sie singen könne, antwortet Norma Jeane: "Nur ein bisschen." Auch tanzen könne sie nur "ein bisschen", und einen Ehrgeiz, Schauspielerin zu werden, habe sie "überhaupt nicht". Diese Angabe ist überaus seltsam, da Norma Jeane bis zu diesem Zeitpunkt ihren Traum von einer Filmkarriere öfters zum Ausdruck gebracht hat. Nach ihrem Alter gefragt sagt sie "20", obwohl sie gerade erst 19 geworden ist. Astrid Franse vermutet, Norma Jeane habe vielleicht befürchtet, als Teenager keine Anstellung zu bekommen. Allerdings, so Franse, wären solche Bedenken unnötig gewesen, da die Blue Book Agentur oft Kinder und Jugendliche ausgebildet und als Models beschäftigt hat.
Auf die Frage nach ihrer eigenen Garderobe antwortet Norma Jeane bescheiden, sie hätte ein paar Sachen, "aber nicht viele". Nach Snivelys Erinnerung besaß sie ein weißes Kleid ähnlich dem, das sie bei ihrer Vorstellung im Ambassador Hotel trug und das Snively zufolge "toll" an ihr aussah, da es vorne sehr eng anlag, die Brüste betonte und die Aufmerksamkeit auf die Figur zog. Normalerweise wären Models vor weißer Kleidung aber zurückgeschreckt. Ansonsten hätte Norma Jeane nur über einen Badeanzug und einen dunkeltürkisen Männeranzug verfügt, "der ihr nicht gut stand". Just diesen Anzug trägt sie bei ihrem ersten bezahlten Modeljob für die American Airlines. Um in den Agenturkatalog, das Blue Book, aufgenommen zu werden, bezahlt Norma Jeane 25 Dollar.
Snivelys Truppe besteht zu jedem Zeitpunkt aus etwa 20 Mädchen mit einiger Erfahrung im Modelgeschäft. Hinzu kommen Mädchen wie Norma Jeane, die viel versprechen, aber noch trainiert werden müssen, um professionellen Anforderungen zu genügen. Viele von ihnen streben nach einer Filmkarriere, weil Modeljobs in Los Angeles nicht gut bezahlt sind. Die Agentur dient den Mädchen vornehmlich als Sprungbrett ins Filmgeschäft oder nach New York, wo das Posieren vor der Kamera mehr Geld einbringt. Die von Snively und ihrer Mutter Myrtle 1936 gründete Model-Schule mit dem Namen "Village School" war im Januar 1944 von Westwood ins Ambassador Hotel am Wilshire Boulevard verlagert und der Name in "Blue Book Modeling Agency" geändert worden, um den erweiterten Geschäftsbereich anzuzeigen: Zusätzlich zu ihrem spezifischen Training werden Models nun auch an Klienten vermittelt. Dieser Wechsel liegt perfekt im Trend der Zeit, da sich die Verlagsund Werbebranchen in einem Umbruch befinden und der Bedarf an hübschen Frauen für Werbefotos, Zeitschriftencovers und Produktmessen ansteigt. Auch in der Filmindustrie wächst die Nachfrage nach ansehnlichen Nebendarstellerinnen in Kleinstrollen, deren Gage hoch genug ist, um prozentual beteiligten Agenturen ein erkleckliches Nebeneinkommen zu sichern.
Es dauert aber nicht lange, bis Los Angeles das Gerücht aufkommt, die Blue Book betreibe hauptsächlich einen Escortservice für Gäste des Hotel Ambassador, also eine verdeckte Form der Prostitution. Deshalb hat das LAPD ein Auge auf die Agentur. Snively gibt zu, dass "viele meiner Mädchen, deren Ehemänner in Übersee waren, an manchen Tagen in der Woche Dates hatten. Aber nicht Norma Jeane. Sie war nur an seriöser Arbeit interessiert". Laut William Carroll ist die Agentur, wie bei Banner nachzulesen, mit einem Callgirl Ring assoziiert. Snivelys Models ist es, ihm zufolge, freigestellt, Abstand zu halten oder sich lukrativ daran zu beteiligen. Hauptberufliche Callgirls sind im Ambassador regelmäßig anzutreffen. Bestandteil des Hotelkomplexes ist auch der Coconut Grove Nightclub, ein Glanzpunkt im Hollywooder Nachtleben.
Das ´Blaue Buch´ ist ein jährlich herausgegebener Modelkatalog, dem zufolge die Zielsetzung der Agentur lautet, "Mädchen für eine Laufbahn als Schauspielerinnen, Fotomodels und Fashionmodels auszubilden, mit individuellem Unterricht in Charme und Haltung, Erfolg und Schönheit und mit individueller Förderung". Die Agentur veranstaltet auch Schönheitswettbewerbe wie ´Miss May´ und ´Miss Summer´, an denen Norma Jeane aber nicht teilnimmt, weil sie noch mit Jim verheiratet ist. Assoziiert ist die Blue Book mit 40 Geschäften, einem Frisiersalon und dem Fotostudio von Erwin ´Steinie´ Steinmeyer, der viele Probeaufnahmen der Models macht.