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Miß Schuyler lachte, und die andern stimmten bei der mit so großem Ernste gemachten Bemerkung des Sekretärs mit ein.
Die heitere Stimmung war wieder hergestellt. Man begab sich nun in den schönen und großen Garten des Gouvernementsgebäudes, damit die Herren eine Cigarre rauchen konnten.
Sie wandelten durch die schattigen Laubengänge, der Oberst und Edgar gingen zusammen.
»Haben die Befestigungen, welche Sie unter Ihr Kommando nehmen, strategische Wichtigkeit, Herr Oberst?«
»Die älteren Befestigungen sind heutzutage bei der starken Bevölkerung dieser Staaten und den so vervollkommneten Verkehrsmitteln nicht mehr von wesentlicher Bedeutung, ob sie gleich im Unabhängigkeitskampfe sehr wichtig waren. Dennoch dürfen sie nicht vernachlässigt werden, sie bilden den ersten Schutz gegen einen Angriff von Kanada her; die jüngeren Festungsanlagen im Lande gelten fast nur den Indianern.«
»Ich wünsche Ihnen eine Garnison, in welcher Sie mehr geistige und gesellschaftliche Anregung haben, als in manch vereinsamten deutschen Posten zu finden ist.«
»Diese Forts, Herr Graf, sind die eintönigsten und traurigsten Orte der Welt für den, der nicht im stande ist, sich an sich selbst genügen zu lassen. Die Offiziere in ihrer großen Mehrzahl gehen höchst ungern in die Grenzforts, und ich gebe zu, daß für junge, lebenslustige Männer eine solch vereinsamte Friedensgarnison nicht angenehm ist. Die passionierten Jäger söhnen sich mit der Einsamkeit der Wälder noch am ehesten aus. Mir ist es gleichgültig, wo mich der Dienst hinführt, ich fühle mich in strenger Pflichterfüllung überall wohl. Gewöhnlich wird die Besatzung dieser Plätze alle zwei Jahre gewechselt, aus mir unbekannten Gründen hat das Kriegsdepartement kürzlich befohlen, daß die Ablösung sofort erfolgen soll, das heißt noch vor Ablauf der gewöhnlichen Frist, so daß ich vierhundert Mann Truppen mit mir führe.«
»Wollen Sie den Weg zu Lande zurücklegen?«
»Nein. Ich schiffe mich mit meinen Truppen in Grand Haven ein, lande mit einem kleinen Teil derselben in Traverse City, während die andern nach Duncan weiterdampfen, inspiziere die Forts Jefferson und Jackson und begebe mich dann selbst nach Duncan. Von Traverse City aus muß ich natürlich marschieren.«
»So müßte ich also auch einen Teil des Weges zur See zurücklegen?«
»Ei ganz natürlich, was wollen Sie sich unnötigerweise den Strapazen einer Landreise aussetzen. Sie bekommen dort oben noch genug daran. Für Sie wird es das richtigste sein, sich wie ich in Grand Haven einzuschiffen und dann am Manistee an Land zu gehen. Dort treffen Sie unsre Agentur und können dann mit einem des Landes kundigen Führer Ihren Weg durch die Wälder suchen. Sie ziehen nach Nordost, ich nach Südwest. Der nächste Militärposten ist für Sie Fort Jackson, das eigens dazu angelegt ist, die Ottawas zu überwachen.«
»Machen Ihnen die Indianer noch immer zu schaffen?«
»Die Macht des Chippewayvolkes, zu ihm gehören die Ottawas, Pottawatomies, Saulteux und Missinsig, ist längst gebrochen, mit ihnen, einigen Huronen und Senecas, mag die Zahl der Indianer auf den beiden Halbinseln von Michigan nicht ganz achtzehntausend betragen.
»Vor drei Jahren haben die Schurkereien unsrer Indianeragenten, welche die Leute verhungern ließen, einen Ausbruch der Ottawas veranlaßt, der dann freilich die ganze indianische Wildheit entfesselte, aber es war nur ein Akt der Verzweiflung. Sie sind blutig gezüchtigt worden und halten seitdem Ruhe. Diebereien kommen freilich oft genug vor und machen den kommandierenden Offizieren dieser Forts häufig Unannehmlichkeiten, da sie dann zwischen den sehr zur Selbsthilfe geneigten, im Hinterwald ansässigen Farmern und den indianischen Spitzbuben zu entscheiden haben, was selten ohne Verdrießlichkeiten abgeht. Das ist aber auch alles, ich glaube nicht, daß die Indianer im Norden noch einmal zu den Waffen greifen werden.«
»Sie treten bald Ihren Marsch an?«
»Ich bin nur hier, um mich beim Gouverneur zu verabschieden und den alten Freund Myers wiederzusehen, ich reise morgen mit meiner Tochter nach Grand Haven, wo wir uns einschiffen.«
»Ihr Fräulein Tochter begleitet Sie, Herr Oberst?« fragte erstaunt der junge Mann.
»Ja, Herr, Frances Schuyler verläßt ihren Vater nicht.«
Sie schritten weiter, bis sie auf die Damen trafen, welche Mister Myers in guter Laune zu erhalten wußte, wenigstens herrschte sehr muntere Stimmung, als sie zu ihnen gelangten.
»Was erregt die Heiterkeit der Damen?« fragte der Oberst.
»Papa erzählt wieder seine drolligen Geschichten.«
»Pst! Mary, Pst!« lachte er. »Es ging wieder über den Adel her, Schuyler, und da Ihr von altem holländischem Geschlecht seid und der Herr Graf sogar ein deutscher Lord ist, so könnte ich mit meiner Geschichte gut ankommen.«
»Nur immer zu, Myers,« sagte Oberst Schuyler.
»Ich werde sie mit dem Stoizismus eines Indianers ertragen,« fügte Graf Edgar hinzu.
»Machen uns gar manchmal lustig, Herr Graf, über Adel, Orden und so weiter, wahrscheinlich, weil wir beides nicht haben können, aber ist harmlos. Haben da eine Familie hier, Courtland, behauptet vom ältesten normannischen Adel abzustammen und mit Wilhelm dem Eroberer in England eingezogen zu sein, ist sehr stolz darauf, sehr exklusiv in gesellschaftlicher Beziehung und behandelt uns Staubgeborene ohne sechsunddreißig Ahnen etwas von oben herunter. Der witzigste Kopf Lansings, der Advokat Hoboken, erzählte nun kürzlich einem besonders hochmütigen Angehörigen dieser Familie folgende Geschichte:
»>Kennen Sie,< fragte er den Normannensprößling, >die Geschichte von der Namengebung an Adam?<
»Alles ringsum, es war in großer Gesellschaft, horcht auf, denn Hobokens scharfer Witz ist so allgemein bekannt, wie die Schwäche der Courtlands.
»>Nein,< sagt der Gefragte harmlos.
»>Als Gott Adam geschaffen hatte,< so ließ sich unter tiefem Schweigen der Anwesenden der Advokat vernehmen, >forderte er ihn auf, sich einen Namen zu wählen.<
»Nach einigem Nachsinnen sagte Adam: >Nun, wenn ich wählen darf, so möchte ich wohl Courtland heißen.<
»>Nun sieh mal einer,< sagte lächelnd der liebe Gott, >diesen Burschen an, sich gleich solchen alten vornehmen Namen auszusuchen.<
»Das Gelächter war unauslöschlich, welches hierauf ausbrach.«
Der Graf und Schuyler lachten auch.
»Mister Myers hat immer seine Schnurren im Kopf,« sagte Mistreß Myers. »Gott bewahre ihm seinen Humor.«
Indem sie sich anschickten, weiterzugehen, traf es sich, daß Edgar neben Miß Schuyler einherschritt.
»Ihr Vortrag der Orpheusarie hat mich sehr ergriffen, Miß Schuyler, Sie sind eine Künstlerin.«
»Nein, aber ich singe mit dem Herzen, Herr Graf, und da ist bei einem solchen Tonstück die Wirkung unwiderstehlich auf fühlende Menschen,« sagte sie einfach.
»Wenn Ihnen bekannt ist, was mich in dieses Land geführt hat, können Sie erst recht ermessen, wie des Orpheus' Klage mich berührt.«
»Ich habe von dem traurigen Schicksal Ihrer Schwester, wie von Ihrer Mission gehört, und hoffe zu Gott, daß auch treue Bruderliebe im stande ist, der Unterwelt ein Opfer zu entreißen.«
Sie gingen schweigend eine Weile nebeneinander.
»Sie begleiten Ihren Vater in seine einsame Garnison, Miß?«
»Ja. Mein Vater hat nichts auf der Welt als mich, und ich nichts Teureres auf Erden als ihn, den besten der Väter, den vollendetsten Gentleman, den tapfersten Krieger.«
Ihr Auge leuchtete, als sie sprach, und Edgar sah mit aufrichtiger Bewunderung in dieses schöne, von edlen Gefühlen belebte Antlitz.
»Es ist, wie mir Oberst Schuyler sagt, nicht unwahrscheinlich, daß wir uns in den Urwäldern des Nordens wieder begegnen.«
»Es soll mich freuen, Sie dort zu sehen und gute Nachrichten von Ihnen zu hören.«
»Sie fürchten also dieses einsame Leben in jenen so entfernten Garnisonen nicht?«
»Nein, Herr Graf, nachdem ich einige Zeit in Washington zugebracht, wo mein Vater im Kriegsdepartement tätig war, sehne ich mich sogar danach. Es sollen Unordnungen dort oben in den Garnisonen herrschen, deshalb sendet man einen Offizier vom Range meines Vaters dorthin; er wollte den Auftrag meinethalben schon ablehnen, ich selbst habe ihn dazu bestimmt, ihn anzunehmen, ich bin der Bälle, der Soireen, des Klatsches herzlich überdrüssig, und wenn ich,« setzte sie lächelnd hinzu, »Aussicht habe, wie meine liebe Mary meint, Königin der Ottawas zu werden, so ist das schon eines Aufenthaltes in einem einsamen Fort wert.«
Der Graf dachte in seinem Sinn: selten wie das Aeußere dieses Mädchens ist auch sein Denken und Fühlen. Etwas wie ein Kompliment schwebte ihm auf den Lippen, was er in andrer Gesellschaft mit Eleganz vorgebracht haben würde, doch diesem Mädchen gegenüber, die ausgestattet mit solch hohen Vorzügen der Seele wie des Körpers, sich dennoch so schlicht und einfach gab, und einen öden Aufenthalt an der Seite des bejahrten Vaters dem in den Salons der Hauptstadt des Landes vorzog, wollte es nicht über die Lippen, er sagte nur: »Wohl dem Vater, der sich einer solch liebevollen Tochter erfreut.«
Sie traten wieder zu den andern, und Graf Edgar schickte sich an, sich zu verabschieden. Er dankte den Damen des Hauses und vor allem Mister Myers, der ihn mit so warmer Freundlichkeit aufgenommen hatte.
»Den Brief an den Peschewa haben Sie morgen früh, Herr Graf, ebenso den an den Agenten am Manistee, außerdem sind Sie mir, so lange Sie in Lansing weilen, jederzeit willkommen. Die Dinnerstunde kennen Sie nun.«
Oberst Schuyler sagte: »Ich rechne auf ein Wiedersehen im Norden. Sollten Sie mich im Fort Jackson nicht persönlich antreffen, so werden Sie den zeitigen Kommandanten angewiesen finden, Ihnen allen möglichen Beistand zu leisten. Ich wünsche Ihnen besten Erfolg.«
Als er sich von Miß Schuyler verabschiedete, reichte sie ihm die schmale weiße Hand mit den Worten: »Ein guter Stern leite Sie auf Ihrer Fahrt und zu ersehntem Ziele.«
Der junge Mann war bewegt von der so herzlichen Freundlichkeit, mit welcher ihn diese guten und hochgebildeten Menschen aufgenommen hatten, als er Myers' gastliches Heim verließ, und immer klang noch des Orpheus' Klage von solch sympathischer Stimme vorgetragen ihm im Ohr. »Ein seltenes Mädchen,« sagte er leise vor sich hin.
Vor dem Gouvernementsgebäude erwartete ihn Heinrich und ging mit ihm zum Hotel zurück, den mit schönen Ulmen geschmückten Broadway hinunter.
Während sie so zwischen Spaziergängern, welche der schöne Abend ins Freie gelockt hatte, entlang schritten, fiel beiden das Gesicht eines Mannes auf, der an ihnen vorbeikam.
»Hast du dir diese Visage angesehen, Heinrich?« fragte der Graf, »welche Aehnlichkeit mit einem Fuchse.« Der Mann, der ihnen begegnet war, hatte ein spitzes Gesicht, hervorragende Nase und ein Paar stechende schwarze Augen.
»Mehr noch wie ein Marder, Herr Graf.«
Bei dem Wort Marder fiel dem jungen Manne der Name »Iltis« ein, den die Farmer am Muskegon einem der Räuber gegeben hatten.
Er blieb plötzlich stehen und sagte: »Mein Gott, wo hatte ich meine Augen, der Mann im Gouvernementsgebäude war einer von den Schurken, die bei Grover einkehrten, der Gefährte von Morris. Jetzt weiß ich's. Wie konnte ich auch vermuten, einen der Gesellen hier, und im Regierungsgebäude anzutreffen? Was nun beginnen?«
»Wenn der Herr Graf der Sache sicher sind, müßte man es doch der Polizei anzeigen.«
Nach einigem Nachdenken entschloß Edgar sich, zu Mister Myers zurückzukehren und ihm seinen Verdacht mitzuteilen.
Der war nicht wenig erstaunt über die zuversichtliche Behauptung des Grafen und sagte, auf das Abendblatt der Staatszeitung deutend: »Dann haben wir auch bereits einen Beweis von der unheilvollen Tätigkeit der Verbrecher.«
Des Grafen Auge fiel, als er das Blatt in die Hand nahm, auf einen auffällig gedruckten Artikel, in welchem über einen vor einigen Tagen verübten Mord berichtet wurde, der erst gestern entdeckt worden war. Man hatte die gänzlich entkleidete und verstümmelte Leiche eines alten Mannes gefunden, deren Identität bis jetzt noch nicht festgestellt werden konnte.
»Da wollen wir,« sagte Myers, »doch sofort die Polizei avertieren, ob ich mich gleich vergeblich frage, was der Kerl hier in Lansing und bei mir wollte? Irren Sie sich auch nicht?«
»Ich irre mich nicht.«
»Dann muß er auch Sie erkannt haben und leichter, als Sie ihn.«
»Das ist möglich.«
Er teilte weiter seine Begegnung mit dem Manne auf der Straße mit, dessen Gesicht sowohl ihm als Heinrich aufgefallen war.
»Das wäre, wenn auch der Iltis hier weilte.«
Unverzüglich begaben sie sich nach dem Polizeibureau, welches sich ebenfalls im Regierungsgebäude befand, und trafen den Polizeichef noch an.
Nachdem dieser Myers und den Grafen angehört hatte, ließ er sich den Farmer von Muskegon schildern und verglich die Schilderung mit einem Signalement in einem seiner Bücher. »Es ist kein Zweifel, das war der berüchtigte Wilfers,« sagte er dann, »aber auch ich frage mich vergeblich, was der Mann hier gewollt hat? Den andern, dem Sie auf der Straße begegneten, habe ich hier nicht verzeichnet, der hat sich seine Berühmtheit nur an der Grenze erworben, und wir haben kein Signalement von ihm.«
Alsbald wurden Beamte nach allen Hotels und nach dem Bahnhof abgeordnet, und der Telegraph spielte nach allen Richtungen.
»Ist das Wilfers gewesen, dann hat er auch den Mann am Cedercreek ermordet und die Leiche ganz unkenntlich gemacht, um nicht zu früh die Entdeckung herbeizuführen.«
Während sie noch über den Fall sprachen, ließ sich ein Bankier der Stadt in dringender Angelegenheit melden.
Vorgelassen, berichtete er, daß heute morgen ein Mann, seiner Schilderung nach Wilfers, ihm den Check eines langjährigen Geschäftsfreundes, des wohlhabenden Landmannes eines benachbarten Countys, präsentiert habe, der sich selbst als Farmer und Nachbar des Ausstellers vorgestellt habe. Da der Check gut war und der Mann nichts Verdächtiges an sich trug, habe er den Check, auf tausend Dollar lautend, anstandslos eingelöst. Als er die Abendnummer der Staatszeitung gelesen habe und von dem Raubmord am Cedercreek erfahren, sei ihm unwillkürlich der Gedanke gekommen, der Ermordete, dessen Ankunft schon seit einiger Zeit avisiert sei, sei sein Geschäftsfreund Lewis von Bathfield, und der, der den Check präsentiert habe, sein Mörder oder wenigstens ein an dem Morde Beteiligter.
»Nun wissen wir,« sagte der Polizeichef, »was der Schurke in Lansing wollte. Der Ermordete kam von Bathfield die Landstraße von Norden und ebenso der Mörder vom Muskegon denselben. Weg her.«
Er bedankte sich bei dem Bankier und verabschiedete ihn.
»Doch das erklärt noch nicht, was er bei Ihnen wollte, Myers?« Dahinter muß noch etwas Besonderes stecken. Nun, wir werden ja sehen.«
Zudem traf auch schon die Meldung ein, daß ein Farmer, der sich Wharton nannte und von Muskegon kam, im Unionhotel gewohnt habe, heute morgen aber ganz plötzlich abgereist sei und zwar zu Pferde und nach Süden zu.
Am zweiten Tage nach diesen Ereignissen verließ Graf Edgar das gastfreundliche Lansing, nachdem er Athoree zu sich gerufen hatte, nahm einen kurzen Aufenthalt in dem am Michigansee gelegenen Grand Haven, wo er Oberst Schuyler in voller Tätigkeit antraf, die Ausrüstung seiner Truppen zu vervollständigen und deren Ueberführung nach Norden zu bewerkstelligen, und schiffte sich dann mit seinen Begleitern auf einem Dampfer ein, um vom Manistee River aus seinen Zug in die Wälder zu beginnen.
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