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»Es ist Zeit, wirklich Zeit, wenn wir vor Mitternacht noch ein Obdach erreichen wollen. Müssen aufbrechen, Ralph, sind überflüssig hier,« äußerte der, welcher sich beruhigend in den Streit gemischt hatte. Damit wollten die beiden, nachdem sie ihre Büchsen ergriffen, gehen. Der Wirt aber stellte sich in die Türe und sagte: »Habt's Bezahlen vergessen, Leute, macht zwei Dollar.« Dabei sah er sich nach dem dritten der Fremden um, den Blick gewahrte der zweite und bemerkte: »Mein Freund sieht nach den Pferden. Hier ist das Geld.« Damit zog er sein Taschenbuch, bezahlte, und beide gingen hinaus und nach kurzer Zeit hörte man sich entfernenden Hufschlag.
Da sagte der alte Steward: »Myers und Turnbull, nehmt doch die Büchsen und geht ein wenig hinaus. Das sind Gesellen, die eine Kugel durchs Fenster feuern zum Zeitvertreib.« Die jungen Leute gehorchten augenblicklich.
»Wer die Bursche nur waren?« äußerte fragend der Wirt.
»Ich wette meinen Hals, es waren Liebhaber von Pferdefleisch, denen es irgendwo zu heiß geworden ist gebt auf eure Pferde acht, Männer.«
»Halt!« schrie plötzlich Jones auf »ich hab's, 's war Bill Tyron.«
»Wer?« schrieen alle.
»Der Kerl, der dort in der Ecke saß. Ich wußte nicht, wo ich die Galgenphysiognomie hinbringen sollte jetzt hab' ich's 's war der Tyron.«
»Der Spießgeselle von Battle?«
»Der Tyron?« schrieen die Farmer.
»Ihm nach,« riefen einige, »wollen ein Wörtchen mit ihm reden,« und sprangen auf.
»Seid närrisch, Männer,« sagte der immer gleichmütige Wirt. »Sucht eine Stecknadel im Heuschober oder die Bursche bei Nacht im Walde. Laßt's bis morgen früh. Und jetzt einen Rundtrunk.«
»Hast recht, Grover, ist vergeblich. Schade, daß der Kerl entkommen ist. Wundert mich, daß der sich hier sehen läßt, hat der Sheriff ein großes Verlangen, ihn zu sprechen.«
Der Wirt reichte gastfrei den Trunk herum und kam auch an die beiden Fremden mit dem Becher.
»Denke, Männer, werdet nicht verschmähen, mitzuhalten, ist so Sitte hier.«
»Gern,« sagte der junge Mann und nahm den Becher.
»Seid ein Deutscher, wie ich an der Sprache höre.«
»Ist so, Wirt.«
»Seid ein mutiger Mann war keine Kleinigkeit, mit dem langen Raufbold anzubinden habt 's Herz auf dem rechten Fleck. Lieben solche Leute hier. Ist's Euch gefällig setzt Euch zu uns. Rückt ein wenig zusammen, Gentlemen, laßt den Fremden zwischen uns sitzen.«
»Nehme es dankbar an.«
Die Farmer, welche das mutige Auftreten wie die Kraft des jungen Mannes bewundert hatten, machten ihm bereitwillig Platz.
»Meinen Begleiter, Wirt, laßt nur an seinem Platze, er spricht nicht englisch.«
Er trat zwischen die Landleute und sagte: »Danke euch, Gentlemen,« und nahm Platz auf einem ihm vom Wirt dargebotenen Schemel.
Nach einigem Schweigen sagte der alte Steward, der mit Wohlgefallen das Aeußere des jungen Mannes überflogen hatte: »Kalkuliere, Fremder, seid jenseits des großen Wassers zu Hause.«
»Habt recht, Herr,« erwiderte der Angeredete, welcher fließend englisch sprach und sich die eigenartige Ausdrucksweise der Leute hier zu Lande bereits zu eigen gemacht hatte, »ich bin ein Deutscher.«
»Haben viele von Euren Leuten im Staate.«
»So ist mir gesagt worden.«
»Sucht ein paar Acker Land, Fremder?«
»Ich bin nicht Landwirt, ich diene in der Armee meines Vaterlandes als Offizier.«
»Seid ein Preuße? Wie?«
»Ist so, Mann, gehöre zu den Königsgrenadieren.«
Als der Redende sich als preußischer Offizier zu erkennen gab, horchten die Hinterwäldler hoch auf, denn noch nicht ein Jahr war seit dem furchtbaren Kampfe zwischen Deutschland und Frankreich verflossen, und aller Blicke hafteten an ihm.
»Habt den Krieg mitgemacht unter eurem glorreichen alten Wilhelm, Mann, gegen die Frenchers?«
»Von Anfang bis zu Ende.«
»Haben alles gelesen hier. Muß eine blutige Frolic gewesen sein da in Frankreich.«
»Es war ein furchtbarer Krieg, der, Gott sei gedankt, zum Heile meines Vaterlandes ausgeschlagen ist.«
»Habt den alten Wilhelm gesehen, Mann, und den Bismarck, den Moltke und auch den Napoleon?« fragte eifrig der Alte.
»Ja,« sagte der junge Krieger, der angenehm berührt von der unverkennbaren Teilnahme dieser einfachen Leute an den großen Männern seines Volkes war, »ich habe sie alle gesehen, auch den ehemaligen Beherrscher Frankreichs nach seiner Gefangennahme.«
»Muß ein glorreiches Fechten gewesen sein für euch Deutsche. Haben eure Landsleute hier zu Lande gejubelt wie besessen, haben geweint, gelacht, gesungen, getrunken bei jeder Siegesnachricht. Kurioses Volk diese Dutchmen aber mag sie leiden.«
»Es leben viel Deutsche hier zwischen euch, nicht wahr?«
»Ziemlich viel haben wir im alten Mich, in den Städten mehr als in den Wäldern.«
»Es freut mich zu hören, daß meine Landsleute bei euch geachtet sind.«
»Sind nicht gegen sie,« sagte der Alte und fuhr fort: »Habt nicht die Absicht, Euch zwischen uns niederzulassen, Mann?«
»Nein, Herr, ich verfüge über genügend Land in meiner Heimat und will ihr nicht untreu werden. Mich führen andre Beweggründe hierher.«
Die Farmer schwiegen, nicht einer zeigte unpassende Neugierde. Nach einer Weile fuhr der junge Offizier fort: »Da mich der Zufall mit einer solchen Zahl von Landwirten in dieser dünn besiedelten Gegend zusammenführte, gestattet mir, ihr Herren, eine Frage an euch zu richten.«
Alle horchten aufmerksam.
»Ich bin von der Heimat herüber gekommen, einen verschollenen Verwandten aufzusuchen, der sich in eurem Staate niedergelassen haben soll, und ich würde euch dankbar sein, Gentlemen, wenn ihr mir auf seine Spur helfen könntet. Ist euch ein Deutscher Namens Walther bekannt, der hier in diesem oder einem benachbarten Distrikte eine Farm besitzt?«
Die Männer sannen einen Augenblick nach, erklärten aber dann, daß ihnen kein Deutscher des Namens vorgekommen sei.
Der Offizier, der mit Spannung die Antwort erwartet hatte, senkte den Kopf.
»Seid nicht traurig, Mann,« sagte der Wirt, »wollen morgen zu Joe Barina reiten, der kennt alle deutschen Farmer weit und breit, wird Euch schon auf die Spur helfen. Ist im alten Mich schon aufzufinden, wenn er noch lebt.«
»Gott möge es geben,« sagte der Offizier. »Und, ihr Herren, wenn ihr euch den Namen Walther merken und, sobald ihr etwas über sein Verbleiben in Erfahrung bringt, es hierher an unsern Wirt gelangen lassen wolltet, so würdet ihr einem greisen Vater die letzte und größte Freude seines Lebens bereiten. Mein Name ist Graf Bender, Premierleutnant in preußischen Diensten.«
»Soll geschehen, Mann,« entgegnete Steward, »wollen die Nachbarn nach dem Manne Walther befragen, und soll Grover wissen, wenn wir etwas von ihm hören, ist dann Eure Sache, es aus ihm herauszupumpen. Doch jetzt, Männer, ist es Zeit, in den Sattel zu steigen, denke ich.« Die Scene mit dem langen Raufbold hatte die Farmer, welche von einer Countyversammlung in Brook, der Hauptstadt der Grafschaft, kommend, hier, wo sich ihre Wege trennten, kurze Rast gehalten hatten, wesentlich ernüchtert, so daß sie fähig und bereit waren, heimzureiten; sie schickten sich alsbald zum Aufbruch an.
Steward, der älteste der Gesellschaft, trat auf den Grafen zu, streckte ihm die schwielige Hand hin und sagte: »Wollt Ihr bei Tom Steward einkehren, seid Ihr willkommen, Mann. Habt das Herz auf dem rechten Fleck, habt mir gefallen, Mann.« Damit schüttelte er ihm die Hand und ging hinaus. Gleiche Einladungen erließen noch mehrere der Farmer und alle schüttelten ihm die Hand. Draußen bestiegen die Männer die Pferde beim Schein eines lodernden Feuerbrandes und trabten in verschiedenen Richtungen in die Nacht hinaus, sich der Sicherheit ihrer für solche nächtlichen Ritte wohlgeschulten Pferde überlassend.
Grover, der Wirt, kam wieder hervor.
»Wollt Ihr schlafen, Fremder, will ich Euch hier das Lager machen kann nicht mehr geben. Oben schlafen mein altes Weib und die Kinder, müßt fürlieb nehmen.«
»Bin in Frankreich nicht verwöhnt worden bereitet uns das Lager, so gut Ihr vermögt.«
Der Wirt ging hinaus.
Der Indianer hatte seit dem Augenblick, wo er sich vom Boden aufgerafft hatte, ruhig und unbeachtet an der Wand gestanden.
Jetzt schritt er wankend auf den Offizier zu und schaute ihm mit auffälliger Aufmerksamkeit ins Gesicht.
Der Wirt kam indes in Begleitung seines Burschen wieder herein, Maisstroh und einige Felle mit sich bringend.
Den Indianer bemerkend, sagte er: »Ja, sieh dir den Herrn an, John, der hat dich heute abend vor einem argen Loch in deinem roten Fell gerettet.«
Der Indianer murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und schritt schwerfällig hinaus.
»Schade um den Burschen,« sagte der Wirt, »er ist brauchbar genug für uns hier in den Wäldern, aber der Rum bringt ihn um.« Während er so sprach, war in einer Ecke des Raumes das einfache, aber weiche und warme Lager für die beiden Reisenden bereitet worden, der Wirt wünschte Gute Nacht und entfernte sich.
»Heinrich,« sagte der Offizier jetzt in deutscher Sprache zu seinem Begleiter, »meine Hoffnung, sie zu finden, schwindet mehr und mehr. Keiner von diesen Leuten, die hier aus dem Lande stammen, kennt auch nur Walthers Namen. In diesem Teile Michigans müssen sie also nicht gewohnt haben, trotzdem die Nachrichten dahin lauteten. Wir werden noch lange im Lande umherstreifen können, ehe wir ihre Spur finden.«
»Wir suchen so lange, Herr Graf, bis wir sie gefunden haben,« sagte der Angeredete einfach.
»Ja, wir wollen suchen bis wir sie gefunden haben,« sagte mit einem Seufzer der Graf. Damit streckte er sich auf dem Lager aus. Sein Begleiter tat das Gleiche und bald verkündeten die ruhigen Atemzüge, daß sie fest schliefen. Das Feuer im Kamin brannte nieder und ringsum herrschte schweigende Nacht.
ZWEITES KAPITEL.
Auf der Fährte.
Noch nicht lange war die Sonne über dem Horizonte erschienen, und sandte vom unbewölkten Himmel ihre wärmenden Strahlen zur Erde nieder, als die Türe des Blockhauses sich öffnete und Graf Edgar aus ihr ins Freie trat. Der junge Mann ließ sein Auge umherschweifen und erblickte nun klar im Tagesscheine, was nur verworren und kaum erkennbar sich gezeigt hatte, als er in später Abendstunde gestern hier anlangte. Dort lag die rauhe Straße, die er hergekommen war, hinter ihm das aus roh behauenen Blöcken aufgeführte und mit Schindeln bedeckte Blockhaus, welches ihn beherbergt hatte. Weiterhin zeigten sich Schuppen und Ställe, aus denen Laute drangen, welche die Anwesenheit von Schweinen und Kühen verrieten. Eine gute Strecke beackerten Landes zog sich um die Gebäude her, auf dessen Fläche noch vereinzelte dürre Bäume standen, welche umzuhauen und fortzuschaffen zu viel Arbeit gekostet haben würde. Diese verdorrten Bäume innerhalb der umgepflügten Felder sind eine charakteristische Eigentümlichkeit der jungen Ansiedlungen in den Wäldern Amerikas und geben diesen ein ganz absonderliches Gepräge. Statt sie zu fällen, »ringelt« man sie, wie der technische Ausdruck lautet, das ist, man schält an einer Stelle ringsum die Rinde ab, wodurch die Bäume absterben und endlich, freilich oft erst nach vielen Jahren, morsch zusammenfallen. Korn und Mais sproßten lustig im frischen Grün des jungen Jahres zwischen diesen abgestorbenen Baumriesen empor. Der schweigende Wald, aus dem dann und wann der Ruf der Spottdrossel drang, grenzte das Bild überall ein. Des Grafen umschauender Blick bemerkte, daß sich hier zwei Straßen kreuzten, was wohl Veranlassung gewesen sein mochte, daß sein, wie es schien, Ackerbau und Handel treibender Wirt sich hier niedergelassen hatte.
Langsam schlenderte er dann durch die Felder, zwischen den dürren Bäumen hindurch, deren Aeste nackt und kahl schier unheimlich in die Lüfte ragten. Nicht weit war er gegangen, als er, eine kleine Erdanschwellung ersteigend, einen ziemlich breiten Fluß vor sich erblickte, der seine bräunlichen Fluten langsam zwischen bewaldeten Ufern hintrieb.
Zwei Boote lagen dort am Ufer befestigt, das eine nach europäischer Art gebaut, während das andre, aus Rinde gefertigt, wohl indianischen Ursprungs war, wie er dergleichen bereits am Ohio gesehen hatte.
Der schweigende Wald, der Fluß im Morgensonnenschein, der weit herab sichtbar war, die feierliche Stille ringsum verfehlten ihren Eindruck auf das Gemüt des jungen Mannes nicht, denn dieses Schweigen der Natur spricht beredter zu fühlendem Herzen als der wüste Lärm im Tagestreiben der Städte.
In Gedanken versunken blieb er stehen. Die ferne Heimat stieg vor ihm auf, er sah seinen greisen Vater traurig im Lehnstuhl sitzen und es klang fernher tönend an sein Ohr: »Hast du sie noch nicht gefunden? Bring sie zurück, Edgar, daß ich sie noch segne, ehe ich zu meinen Vätern gehe und mein Haupt nicht kummervoll zu Grabe sinke.«
Ernst blickte der junge Mann vor sich hin. Aus seinem Sinnen erweckte ihn die Stimme seines Wirtes, der, auf hohem Ufer stehend, ihm zurief: »Ist ein glorioser Fluß, der alte Muskegon, Fremder, meint Ihr nicht?«
»Der Fluß ist schön mit seinen schweigenden Waldufern, ja, Wirt.«
»Ist ein mächtig schöner Fluß, keiner wasser und fischreicher im alten Mich. Seid früh auf den Beinen, Fremder, kalkuliere, hat Euch das Lager nicht gefallen? Müßt vorlieb nehmen, Mann, seid nicht in Lansing oder Detroit, seid in der Wildnis.«
»Ich ruhte gut genug aber ich liebe den Morgen und die Frühsonne lockte mich hinaus.«
»Ist ein schönes Ding um klaren Sonnenschein und frischen Morgenwind, habt recht, erfrischt das Herz und den Sinn, liebe ihn auch, den Morgen. Aber ich bin Euch nachgegangen, Euch zum Frühstück zu holen, meine alte Lady wartet mit dem Kaffee auf Euch.«
»Nun, ich bin bereit,« entgegnete der Graf freundlich, »die Morgenluft stärkt den Appetit.«
Sie schritten durch die Felder zurück und Grover erklärte seinem Gast nicht ohne Stolz, was er unter harter Arbeit seit einigen Jahren dem wilden Walde abgerungen habe, und wies auf die urbar gemachten Felder.
»Ist ein guter Boden hier, Fremder, hab's gut getroffen, mächtig guter Boden. Und der gesegnete Muskegon ist der Fluß, Mais und Korn hinabzuschaffen bis nach dem See und darüber hinaus bis Chicago. Ist ein guter Platz hier für Ackerbau und Handel, kreuzen sich die Straßen. Hat noch eine Zukunft, der Platz hier, kommen immer mehr Leute und bauen sich ein Haus in der Nähe, habe schon zehn Meilen von hier einen Nachbar.«
Während der Wirt so plauderte, langten sie am Hause an, in dessen Tür eine einfach, doch sauber gekleidete Frau stand.
»Ist meine alte Lady, Fremder, eine Frau, wie man sie suchen kann weit und breit. Hat manche Fährlichkeit an meiner Seite ertragen im wilden Wald, ist mein Stolz, Fremder, das alte Weib.«
Das alte Weib war eine ganz stattlich aussehende Frau, der man trotz des rauhen Lebens, welches sie im Walde führen mußte, ihre vierzig Jahre nicht ansah.
Er stellte ihr jetzt seinen Gast vor.
»Ist der Fremde, Nelly, von jenseits des großen Wassers, von welchem ich dir gestern abend sagte.«
Die Frau reichte dem Grafen die Hand und überflog nicht ohne Wohlgefallen dessen hübsches, freundliches Gesicht und seine schlanke Gestalt, welche die knappe Tracht vorteilhaft hervorhob.
»Ihr seid willkommen, Herr,« sagte sie einfach.
»Ist ein Lord oder so etwas, Nelly, wenn ich gestern abend richtig verstand. Kennen das bei uns nicht, Fremder, stammt noch aus dem alten Lande. Aber schadet nichts, nehmen's hier nicht so genau, seht ehrlich aus und habt Euch benommen wie ein Mann.«
Ein Lächeln trat in des jungen Edelmannes Angesicht, als ihm der Wirt so treuherzig versicherte, daß ihm seine vornehme Abkunft hier nichts schaden solle. Dann sagte er: »Wenn ich durch mein spätes Erscheinen Mistreß Grover in ihrer Nachtruhe gestört habe, so bitte ich nachträglich um Entschuldigung.«
»Sind's gewohnt, Sir, werden oft genug in der Nacht herausgepocht.«
Indem kam Heinrich von den Ställen her, wo er bereits nach den Pferden gesehen hatte. In seiner kräftigen Gestalt, dem gebräunten narbigen Antlitz, aus dem zwei scharfblickende graue Augen blitzten, dem Ausdruck von Energie auf seinen Zügen, lag etwas SelbstbewußtKühnes, wie es gewöhnlich dem Weidmann eigen ist.
»Sind die Pferde ausgeruht, Heinrich?«
»Zu Befehl, Herr Graf, sind frisch und munter.«
»Kommt herein, Fremde,« ließ sich die Frau vernehmen, »und laßt's euch schmecken.«
Sie ging voran und die andern folgten.
Auf einem großen, mit rauhem, aber sauberem Linnen bedeckten Tische war nach Landesart ein reichliches Frühstück hergerichtet. Aus einer umfangreichen Blechkanne stieg der Duft eines guten Kaffees empor und daneben zeigten sich frische Maiskuchen, Butter, Honig, Eier, Schinken und die reichliche Hälfte eines Truthahns.
Am Tische standen zwei junge Mädchen, einfach in selbstgewebtes Zeug wie die Mutter gekleidet, frische, gesunde Kinder, und blickten halb schüchtern, halb mit verstohlener Neugierde nach den Fremden hin.
»Sind meine Töchter, Fremder, Lizzy und Mary. Habe noch einen Jungen, den Erstgeborenen, siebzehn Jahre alt, aber der ist in Lansing und studiert mächtig Lesen und Schreiben und Rechnen. Kommt ihm schwer an, dem armen Burschen, läuft lieber mit der Büchse im Walde herum, aber muß sein, das Studieren, kommt nicht ohne das durchs Leben. Muß viel nachholen, hatten im wilden Walde keine Schule.«
Während er so plauderte und der Graf die jungen Mädchen mit leichter Neigung grüßte, waren sie um den Tisch getreten, Grover faltete die Hände und alle folgten dem Beispiel, die jüngste der Töchter sprach ein Gebet und dann sagte Grover, sich setzend: »Und nun langt zu, Fremde. Ist bei uns Sitte, an den lieben Gott zu denken, wenn der Tag beginnt, kalkuliere, ist eine mächtig gute Sitte. Haltet ihr's im alten Lande auch so?«
»Auch bei uns vergißt man nicht des Schöpfers zu gedenken, Mister Grover.«
Herzhaft griff man nun zu dem lecker bereiteten Mahle, welches der Vorratskammer des Hauses Ehre machte.
Als sich das Frühstück dem Ende nahte, äußerte Grover: »Spricht nicht englisch, Euer Gefährte, denk' ich, sagtet Ihr gestern abend?«
»Er spricht und versteht nur deutsch.«
»Ist Euer Diener, Fremder? Wie?«
»Nicht ganz, Sir, Heinrich steht als Jäger in Diensten meines Vaters, und ist mein Reisebegleiter. Heinrich ist ein mächtiger Schütze, Mister Grover.«
»Ist eine gute Eigenschaft für den Wald. Müssen hier alle mit der langen Rifle umzugehen verstehen, und verstehen's auch, sage Euch, Mann verstehen's hier. Freut mich, daß Euer Gefährte ein guter Schütze ist.« Heinrich war augenscheinlich in des Wirtes Achtung gestiegen. »Auch im Kampfe gegen die Frenchers gewesen?«
»Sicher, Herr, stand beim fünften Jägerbataillon, welches vor Paris wohl den heißesten Kampf auszufechten hatte, der während des ganzen Krieges stattfand. Standen da achthundert Jäger zwei Stunden lang zehntausend Franzosen gegenüber, die mit wilder Wut angriffen. Hielten diese achthundert sie hin, bis endlich Hilfe heran war und den Feind zurückwarf.«
Staunend horchte der Wirt.
»Ist ein Fakt, Mann?«
»Ja, Sir, ist ein Fakt, steht in der Kriegsgeschichte verzeichnet.«
»Segne meine Seele,« sagte Grover und warf einen bewundernden Blick auf Heinrich, der, unwissend, daß von ihm die Rede war, sich eifrig mit Schinken und Eiern beschäftigte, »segne meine Seele, sind Krieger, diese Deutschen, ja, sind, ist ein Fakt. Achthundert gegen zehntausend,« brummte er vor sich hin, »mächtig glorreiche Frolic. Bin als junger Mann einmal gegen die Roten ausgezogen, am Mackinaw droben, ging auch heiß her. Waren da ein sechzehn wohl gegen fünfzig heulende Wilde, sind arg in der Klemme gewesen, aber haben sie doch endlich gepfeffert. War auch eine glorreiche Frolic, waren einer gegen drei aber einer gegen zehn und gegen Franzosen, ist ein gewaltig Stück.«
Das Frühstück war geendet, die Mädchen räumten behende den Tisch ab und zogen sich dann mit der Mutter zurück.
Grover hatte sich erhoben und blickte nach der Ecke hin, in welcher die Waffen des Grafen und Heinrichs standen.
»Habt da eine absonderliche Büchse, Fremder,« ließ er sich vernehmen, »habe mir das Ding schon angesehen, wurde aber nicht recht klug daraus.«
Der Graf nahm die Waffe in die Hand. »Es ist ein Zündnadelgewehr, Mister Grover, wie die Preußen es seit Jahren führen, ein Zündnadelgewehr mit Büchsenlauf.«
»Hm, habe davon gehört, mögen auch solche Waffen schon im Lande sein, aber bis in die Wälder hier ist noch keine gelangt,« und neugierig untersuchte er die Büchse.
Bereitwillig öffnete Edgar den Verschluß und erklärte seinem Wirt die Konstruktion.
Mit dem regen Interesse des Waldmanns folgte Grover den Erklärungen des Offiziers. »Hm, ist neu hier, ganz neu. Hat sich bewährt? Wie?«
»Seit 1866 hat ganz Europa sich mit Hinterladern versehen, und 1870 besaßen die Franzosen in ihren Chassepots bereits eine bessere Waffe als wir.«
»Und trägt sicher?«
»So sicher wie jede andre gute Büchse.«
»Und worin besteht der Vorteil?«
»In der Feuergeschwindigkeit; Heinrich zum Beispiel feuert mit dieser Flinte achtbis neunmal in der Minute.«
»Segne meine Seele,« sagte staunend der Wirt, »ist eine gewaltige Sache; möchte es sehen.«
»Gerne würde ich Euch das Vergnügen machen, die volle Feuergeschwindigkeit vor Euren Augen zu erproben, nur führen wir dazu nicht Patronen genug mit. Aber Heinrich soll Euch zeigen, wie man Schnellfeuer macht, er versteht besser damit umzugehen wie ich. Ich selbst bin nur mit einer Perkussionsbüchse bewaffnet, und zwar deshalb, weil man Pulver und Blei überall auftreiben kann, doch schwerlich möchte es hier gelingen, Patronen für diese Büchse zu erwerben.«
»Habt recht, ist hier nirgends zu finden. Kalkuliere, haben bereits in der alten Dominion Hinterlader, werden auch schon in den Städten an den Seen sein, habe noch keine gesehen, wir führen hier noch unsre alte Rifle.«
Der Graf forderte nun Heinrich auf, die Waffe zu nehmen, eine Patrone abzufeuern und dann mit der Hülse ihrem Wirte die Lade und Feuergeschwindigkeit zu zeigen.
Sie begaben sich mit der Waffe ins Freie und Heinrich lud sie. Er schaute sich nach einem Ziele um und gewahrte etwa zweihundert Schritt entfernt eine Waldtaube auf dem Aste eines Baumes. Er hob die Büchse, feuerte und der Vogel fiel.
»Ist ein guter Schuß,« sprach Grover, »und ein gut gebohrter Lauf.«
Heinrich warf die Hülse heraus, zeigte sie dem aufmerksam beobachtenden Wirt und wiederholte vor dessen staunenden Blicken die Manipulation des Ladens, Zielens und Abfeuerns mit so großer Schnelligkeit, dcch nach des Grafen Uhr neunmal sich der Büchsendonner hätte hören lassen, wenn er sich gefüllter Patronen bedient hätte statt der leeren Hülse.
»Segne meine Seele, das ist eine furchtbare Waffe, wenn gegen anrückende Massen gefeuert wird, unsre Rifles erfordern Zeit, bis der Schuß fest sitzt im Laufe. Mächtig neue Erfindung, muß mir auch ein solches Ding kommen lassen von dem See her, koste es, was es wolle. Mächtig neue Erfindung.«
Heinrich trug die Waffe zurück und Grover und der Graf schlenderten langsam vor dem Hause auf und ab.
Nach einer Weile sagte Grover: »Habt da gestern nach einem Landsmann gefragt, Fremder, habe Euch versprochen, Joe Barina, darum anzugehen, der am längsten hier in den Wäldern lebt und Land und Leute den ganzen See entlang am besten kennt. Ist's Euch recht, reiten wir zum Alten hin, sind kaum zwanzig Meilen.«
»Ich halte jede Minute für verloren, die ich nicht auf Nachforschungen verbringe, Sir. Ich bin zu diesem Zwecke herübergekommen und suche schon lange vergeblich nach Walther.«
»Ist ein Verwandter von Euch, Mann?«
Nach einer Pause entgegnete der Graf mit trübem Ernst: »Er ist der Gatte meiner Schwester, und diese ist's, die ich suche.«
»Hm,« entgegnete der Amerikaner, »sucht Eure Schwester? War eine feine Lady? Wird wenig in die Wildnis gepaßt haben. Ist Euch so ganz aus den Augen gekommen? Seid doch ein Lord oder so was. Kalkuliere, ist nicht alles regelrecht zugegangen.«