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Ein Schimmer von Röte flog über des jungen Mannes Antlitz und nach einem kurzen Schweigen erwiderte er: »Ich will Euch sagen, Grover, wie es zugegangen ist. Ihr habt recht, wenn Ihr meint, ich sei so etwas wie ein Lord. Mein Geschlecht gehört zu den ältesten und begütertsten Schlesiens und führt seit Jahrhunderten den Grafentitel. Zwei Kinder wurden meinem Vater geschenkt, meine Schwester Luise, die Erstgeborene, und ich, der nach langem Harren erschienene Erbe des Namens und der Besitzungen. Mein Vater hatte einen Verwalter Namens Walther in seinem Dienste. Ich entsinne mich seiner als eines schönen jungen Mannes von Bildung und guten Manieren. Meine Schwester und er faßten eine leidenschaftliche Zuneigung zu einander, doch war kein Gedanke, daß mein Vater jemals in eine Verbindung seiner Töchter mit dem Verwalter gewilligt haben würde. Als er von der Neigung meiner Schwester erfuhr, entbrannte er in wildem Zorne. Walther wurde sofort entfernt und harte Maßregeln gegen meine Schwester ergriffen. Ich war zehn Jahre alt, als sich dies begab. Liebe und Leidenschaft besiegten alle Hindernisse, meine Schwester entfloh, ließ sich dem Manne ihres Herzens in England antrauen und das Paar begab sich nach Amerika, um dort eine neue Heimat zu gründen. Walther hatte einiges Vermögen und wollte sich in den nördlichen Staaten ankaufen.
»Von jenem Tage an durfte der Name meiner Schwester, an der ich mit aller Zärtlichkeit hing, vor den Ohren meines Vaters nicht mehr genannt werden.
»Auf verschiedenen Wegen gelangten von Zeit zu Zeit Mitteilungen zu uns. Walther hatte sich in Ohio angesiedelt und bewirtschaftete eine größere Farm. Die Nachrichten wurden spärlicher, immer spärlicher, und seit fünf Jahren ist keine Kunde mehr zu uns gekommen. Es kam der Krieg gegen Frankreich, ich wurde schwer verwundet, war dem Tode nahe, meine Mutter war schon längst von uns geschieden, und da wachte endlich in meinem greisen Vater, dem mit meinem Hinscheiden ein einsamer, gramvoller Lebensabend drohte, die alte Zärtlichkeit gegen meine Schwester wieder auf, und während ich noch auf meinem Schmerzenslager ruhte, sagte der halbgebrochene alte Mann eines Tages leise zu mir: >Wo nur Luise sein mag?< und langsam rannen ihm die Tränen über die Wangen.
»>Gott segne diese Stunde,< erwiderte ich ihm freudig erregt, als ich die starre Rinde, welche sein Herz umlagerte, endlich gebrochen sah, >das macht mich wieder gesund, Vater,< und von der Zeit an begann ich von der schweren Wunde wirklich rasch zu genesen. Sofort wurden nun alle Mittel in Bewegung gesetzt, Kunde von den für uns Verschollenen zu erlangen. Ihr Aufenthalt in Ohio wurde festgestellt, aber von dort hatte Walther sich hinweg begeben, nachdem er seine Farm verkauft hatte, und es war trotz aller angewandten Mittel nicht zu erfahren, wohin. Als ich vollständig genesen war, machte ich mich auf, die Schwester zu suchen. In Ohio erfuhr ich endlich, daß Walther nach harten pekuniären Verlusten sich nach Michigan gewandt habe. Ich folgte hierher, forschte in Lansing, in Detroit vergeblich nach Walther, man wußte nichts von ihm, auch in den Grundbüchern war er nicht verzeichnet. So bin ich, fortwährend suchend, hierher an den Muskegon gelangt. Und nun helft mir, Grover, die Schwester zu finden. Die Liebe zu ihr ist im Vater mit voller Stärke erwacht und er kann nicht ruhig sterben, ehe er sein verstoßenes Kind wieder hat.«
Aufmerksam hatte Grover zugehört, als der junge Graf so sprach, und bedächtig entgegnete er: »Will Euch helfen, Mann, soweit ich kann. Steckt Eure Schwester im alten Mich, wollen wir sie finden, ist nicht aus der Welt hier. Wollen jetzt zu Baring reiten, wollen hören, was der meint. Ist's Euch recht?«
»Tag und Nacht bin ich bereit, Grover.« Dieser gab seinem Jungen Befehl, die Pferde zu rüsten, und nach kurzer Frist saßen der Wirt, Graf Edgar und Heinrich im Sattel, die Büchsen vor sich, denn Grover hatte es nicht für rätlich erachtet, unbewaffnet zu reisen, und trabten unter seiner Führung in den Wald hinein.
Nach kaum zweistündigem scharfem Ritte erreichten sie Barings Farm, ein ausgedehntes Besitztum, welches sich ebenfalls den Muskegon entlang erstreckte.
Als sie sich dem Hause näherten, welches nach Landesart aus rohen Holzblöcken aufgeführt war, aber doch schon die Spuren von verschönerndem Luxus zeigte, trat ihnen der Besitzer, ein schon weißhaariger, aber kräftig ausschauender Mann entgegen. Kaum erkannte er Grover, als er ins Haus hinein schrie: »Holla, Mary, deck den Tisch, Bill Grover kommt, laß tafeln, Mary, kenne den Mann, laß tafeln!« und dann herzhaft lachte.
»Kennst den Bill Grover, alter Joe,« lachte dieser auch; »bringt immer einen Wolfshunger mit.« Damit sprang er vom Pferde und schüttelte Baring kräftig die Hand. »Habe dich lange nicht gesehen, Bill,« sagte Baring, »ist eine Freude für mich, in dein ehrliches Gesicht zu blicken. Deine Lady und deine Mädchen wohl, he?«
»Alles beim Rechten, Joe. Habe hier Fremde sind meine Gäste, Leute von jenseits des Wassers.«
»Seid willkommen natürlich. Seid willkommen, Männer, bei Joe Baring, wen Bill Grover mit sich führt, ist bei Joe Baring willkommen.« Und er schüttelte den bereits Abgestiegenen die Hände, wobei er den Grafen nicht ohne einige Ueberraschung betrachtete. Die Pferde wurden befestigt und auf des Besitzers Einladung betraten sie das Haus, welches, umfangreicher als das Grovers, mehrere Gemächer im Erdgeschoß aufwies und noch in einem Oberstock einige Wohnräume enthielt.
In dem Zimmer, in welches sie geführt wurden, war man bereits emsig beschäftigt, einen Tisch zu decken.
»Meine Lady ist mit den Mädchen auf Besuch bei Nachbar Tennyson, Bill, kann euch also nicht willkommen heißen, müßt mit dem alten Joe fürlieb nehmen. Doch nun setzt euch und langt zu, Männer, wird gern gegeben.«
Nach dem zum Erstaunen Barings von seiten seiner Gäste ungewöhnlich rasch beendeten Mahle sagte Grover: »Sind herüber gekommen, Joe, wollen deinen Rat haben.«
»Sollt ihn haben, Leute, so gut ich ihn geben kann, doch erst steckt euch Pfeifen an und nehmt einen Schluck Cherry ist zu trinken, Bill.«
»Weiß schon, trinkst nichts Schlechtes.« Pfeifen wurden gebracht und die Gläser mit Wein gefüllt.
»Nun laß hören, Bill, womit kann ich euch dienen?«
»Siehst hier den Fremden, Joe, ist von jenseits des Wassers gekommen, eine Schwester hier zu suchen, sollst helfen, sie zu finden. Ist ein Deutscher, wirst es schon wahrgenommen haben; kennst fast alle Deutschen im Land, wirst hier helfen können.«
»Bin begierig, was da herauskommt. Sprich weiter,« sagte der Alte, den Grafen anschauend.
»Ist dir ein Farmer, ein Deutscher von Geburt, mit Namen Walther vorgekommen, Joe?«
Mit der Faust schlug dieser auf den Tisch: »Gott segne meine Augen, jetzt weiß ich, was mich so bekannt anmutete, jetzt weiß ich's, 's sind Lady Walthers Züge.«
»Ihr kanntet sie, Herr?« rief Edgar in hoher Aufregung.
»Tragt ihre Züge, Mann, jetzt weiß ich's.«
»Um Gottes willen, quält mich nicht lange! Ich bin der Bruder. Wo ist sie, wo?«
Der alte Farmer strich sich mit der Hand über die Augen, dann legte er sie auf Edgars Arm und sagte: »Seid ruhig, Mann faßt Euch. Seid ruhig, sollt alles erfahren, was ich weiß. Bin ganz erschüttert, wo mich Euer Gesicht an Lady Walther erinnert.«
»Lebt sie denn noch lebt sie?«
»Das weiß nur Gott, Fremder ich nicht,« sagte Baring sehr ernst.
Graf Edgar sank erbleichend in den Stuhl zurück.
»Seid der Bruder seh's: Müßt's tragen wie ein Mann.«
»So laßt mich's hören,« sagte Edgar in einem Tone, der bittere Seelenqual verriet. Grover rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, während Heinrich, der, ob er gleich nicht verstand, was gesprochen wurde, wohl wußte, wovon die Rede war und aus dem Benehmen des Grafen leicht schloß, daß die Nachrichten des alten Farmers nicht günstig lauteten, ebenfalls in nicht geringer Aufregung war.
»Ist ein Glück, daß mein Weib nicht hier ist, stürzen ihr die hellen Tränen aus den Augen, wenn von Lady Walther gesprochen wird. Hatte sie sehr ins Herz geschlossen, die Alte.« Er bemerkte die sich steigernde Erregung des jungen Mannes und fuhr fort: »Will's kurz machen sollt's rasch haben, Mann. Kam da vor vier Jahren der Walther ins Land mit Frau und einem kleinen Knaben, kam damals in meiner Nachbarschaft an. Wohne erst seit zwei Jahren hier, war dies hier meines Bruders Farm, die ich erbte, als er starb, lebte früher am Miamis. Kam der Walther von Ohio, kaufte Bill Spurings Farm, zehn Meilen von mir und begann zu wirtschaften. Ist ein eigen Ding mit der Landwirtschaft hier, muß anders betrieben werden als im alten Europa. War ein rechter Mann, der Walther, ein Gentleman, wollt's aber auf seine Weise betreiben, glaubte, er verstünde es besser hatte immer Pläne und Projekte, die kosteten Geld und brachten nichts ein. Hatte eine Frau mitgebracht, hieß nur Lady Walther, bei Mann und Weib, paßte in den Wald wie eine Rose in einen Tannenstrauch, war schön und gut und fleißig. Liebten sie alle, die sie kannten, aber war keine Frau für den Hinterwald, war eine Lady, eine zarte Blume.«
Mit tiefer Spannung und Rührung horchte Edgar auf des Alten Worte.
»Hatten uns befreundet, der Walther und ich, na, und mein altes Weib und die Mädchen liebten und verehrten die Lady, als wenn sie so vom Himmel heruntergekommen wäre. Haben geholfen mit Rat und Tat, aber Walther kam zurück, immer mehr und mußte schließlich verkaufen. Da gab die Regierung Land am Manistee River. Bin mit Walther hingeritten, haben Land wohlfeil erworben, habe geholfen, alle haben geholfen, ihn wieder auf die Beine zu bringen, fing schon an vorwärts zu kommen, da na « dem alten Manne stiegen die Tränen in die Augen.
»Und da ?« fragte der Graf mit zitternder Stimme.
»Da« sagte Baring fast rauh, um die ihn beschleichende Rührung zu verbergen »da kam der Wilde von Norden, war gereizt von den schuftigen Agenten der Regierung und begann am Manistee zu brennen und zu morden.«
»Und und ?« schrie Edgar.
»Eures Schwagers Farm ward zerstört, er erschlagen «
»Großer Gott und meine Schwester?«
»Waren dort am zweiten Tage, hatten eine blutige Frolic mit den Ottawas, suchten nach Walthers Farm fanden sie, Walthers Leiche auch aber von Frau und Kind keine Spur waren verschwunden.«
»Ihr fandet ihre Leichen nicht?«
»Nichts so viel wir suchten. Haben geforscht, ob die Roten sie fortgeführt hätten, haben die Regierungsmänner geforscht, haben einen hohen Preis ausgesetzt, um Gewißheit über das Schicksal von Lady Walther zu erhalten nichts alles nichts konnten nichts erfahren; ob sie noch lebt wo und wie sie ihr Ende fand ich weiß es nicht.«
»Mein Gott, mein Gott meine arme, arme Schwester « stöhnte der Graf und senkte den Kopf auf den Tisch. Alle schwiegen, den Schmerz des Bruders achtend.
Der Graf richtete sich wieder auf und sagte, wenn auch mit bebender Stimme, doch in einem Tone, welcher festen Entschluß verkündigte: »Ich will Gewißheit über ihr Schicksal haben, und wenn ich die Wälder von Nord bis Süd durchforschen muß. O Mister Baring,« fuhr er dann fort, »wie danke ich Euch für die Liebe und Teilnahme, welche Ihr meiner Schwester erwiesen habt.« Er ergriff seine Hände und schüttelte sie herzlich.
»Hatten sie lieb, ist ein Fakt. Müßt's ertragen, Mann, ist Gottes Wille so gewesen dürfen nicht murren.«
»Arme, arme Schwester! Und haltet Ihr's für möglich daß sie noch lebt?«
»Will Euch sagen, Mann,« entgegnete Baring nach einer Weile »müßt Euch keine Hoffnungen machen. Möglich möglich wäre es aber wahrscheinlich ist's nicht. Ich glaube, die Indianer haben sie und das Kind fortgeschleppt, um vielleicht später Lösegeld zu erpressen, und sie ist den Anstrengungen eines indianischen Eilmarsches mit seinen Entbehrungen erlegen. Die Ottawas sitzen längst wieder friedlich auf ihren Reservationen und wir müßten etwas von Lady Walther erfahren haben, wenn sie noch lebte. Wir und später die Regierungstruppen sind streng mit den Roten ins Gericht gegangen; eine Gefangene zu verbergen, für den Fall sie noch lebte, wagen sie deshalb nicht und selbstverständlich sind sie schweigsam über das Ende derselben, ja sie leugnen überhaupt, sie entführt zu haben. Nein, Mann, macht Euch keine Hoffnungen.«
»Ich suche sie dennoch ich muß Gewißheit haben über Leben oder Tod, mein ganzes Leben wäre sonst mit Trauer überschattet.«
»Ist recht, Mann, ist natürlich, hätt's auch getan, habt meinen Segen zur Fahrt, wollte Euch nur warnen, Hoffnungen zu hegen, die Enttäuschung ist dann um so bitterer.«
»Ich hege keine Hoffnung, nur meine Pflicht will ich erfüllen und ihr Grab suchen, wenn ich sie im Leben nicht mehr finde. Und einen Knaben hatte meine Schwester?«
»Einen prächtigen Knaben, William, so ward er genannt nach Eurem Kaiser, müßte jetzt so neun oder zehn Jahre alt sein, wenn er noch lebte.«
»Und ein solches Kind sollten Eure Indianer erschlagen?«
»Kennt den Roten nicht, wißt nicht, was indianische Wut ist, die schont nicht den Säugling an der Brust.«
»Mein Gott, mein Gott. Sagt mir, wo ich suchen soll morgen mache ich mich auf den Weg.«
»Nur sachte, sachte. Habt eine lange Fahrt vor Euch. Wollen erst Rat halten; ist nicht gut, blindlings in die Wildnis zu stürzen, kennt auch indianische Schlauheit nicht.«
»Sagt mir, Herr, was ich tun soll, wie ich beginne?«
»Mary, bringe Wein und frische Pfeifen.«
Die Magd brachte beides.
»Müßt Euch in Geduld fassen, so sehr es auch da drinnen unruhig pocht, ist die erste Eigenschaft bei solcher Sache Kaltblütigkeit. Will Euch sagen, Mann, was zu tun ist. Waren es damals die Ottawas, welche am Manistee mordeten. Sind streng gestraft worden und mehrere ihrer Häuptlinge mußten, nachdem sie unterworfen waren, noch baumeln. Dieser Stamm ist nicht schwer zu finden. Aber das erste, was Ihr tun müßt, ist, Euch Empfehlungen zu verschaffen an den Landagenten und an den vornehmsten Häuptling der Ottawas, den Peschewa, die >wilde Katze<, dann dürft Ihr Geschenke an die einflußreichsten Wilden und deren Weiber nicht scheuen.«
»Ich führe Geld und Wechsel auf Chicago, Detroit und Lansing mit «
»Pst! nicht so laut, gibt Leute im Lande, die hören zu lassen, daß Ihr Geld mitführt, nicht gut ist.«
»Habt gestern abend so ein Kleeblatt bei mir gesehen,« fiel Grover ein.
»Was ist im Winde, Bill?« fragte rasch der Alte.
»Tyron war gestern in meinen vier Wänden.«
»Bei Jove, Mann! Und Ihr nahmt den Schurken nicht fest?« schrie Baring.
»Kannte ihn niemand; erst Jones fiel es ein, nachdem die drei davongeritten waren, daß der eine von ihnen, der sich fortwährend im Schatten gehalten, der Tyron gewesen sei.«
»Der Schurke hier am Muskegon? Nun, so sei uns Gott gnädig, das wird Pferdefleisch kosten. Weiß man's im Lande, Grover?«
»Waren zehn Männer bei mir, wird man heute weit und breit wissen.«
»Er traut sich wieder zwischen uns? Nun, soll Michiganmänner auf seiner Fährte sehen, diesmal soll er dem Strick nicht entgehen.«
»Denke so, bin dabei.«
»Doch,« fuhr Baring bedächtig fort, »erst das eine, dann das andre. Also das müßt Ihr tun, Mann, was ich vorhin sagte. Will Euch einen Brief geben an Tom Myers in Lansing, ist bei der Landvermessung, könnt ihn im Regierungsgebäude finden, ist ein alter Freund, der wird Euch helfen. Aber,« setzte er dann nachdenklich hinzu, »Ihr könnt die Fahrt doch nicht allein machen. Ihr kennt den Wald nicht, nicht indianischen Brauch. Ihr sprecht zwar gut englisch, aber findet nicht viel Indianer, mit denen Ihr Euch damit verständigen könnt. Hm, müßt einen erfahrenen Waldmann mithaben, einen von der Grenze. Muß er nicht, Grover?«
»Kalkuliere, hast recht, Joe. Kann die Fahrt allein nicht machen, findet auf viele Tage dort keine Menschenspur. Muß einen Waldmann mitnehmen, der seinen Weg bei Nacht findet. Aber wen?«
Der Alte stieß große Dampfwolken aus und fuhr dann fort: »Will dir etwas sagen, Bill, wenn der Kerl nicht so versoffen wäre, dein Indianer, der Athoree, wie er sich nennt, wäre vielleicht der rechte Mann.«
»Hm, der Bursche wäre gut genug und im Walde sollte er das Trinken wohl lassen. Ist ein fleißiger Jäger und liegt oft wochenlang draußen, ohne Rum zu riechen. Kommt er aber dann mit Beute zurück, so säuft er acht Tage ununterbrochen.«
»Wie lange ist der rote Mann bei dir?«
»Wird an drei Jahre sein. Habe nicht über ihn zu klagen. Geht zur Jagd, bringt mir seine Beute und vertrinkt sie bei mir. Werde nicht recht klug aus dem Burschen. Erschien so vor drei Jahren, kaum daß ich mich dort niedergelassen hatte, und brachte Biberfelle, und das wiederholte er, bis er sich ganz bei mir heimisch gemacht hatte. Ist so ein Hausfaktotum geworden. Kennen ihn alle in der Gegend und hat noch kürzlich bei der wilden Jagd auf Battle gute Dienste getan.«
»Und meinst du nicht, daß man ihm die Fremden anvertrauen könnte?«
»Es ist ein eigenes Ding um den schweigsamen roten Burschen. Habe ihn oft gefragt, warum er nicht zu den Leuten seines Volkes geht, aber die Antwort bleibt er schuldig. Kalkuliere, hat etwas auf dem Kerbholz, was ihm den Aufenthalt unter den Männern seiner Farbe verleidet, ja, man weiß nicht einmal, welchem Stamme er angehört. Genaue Kenner der roten Rasse wollen behaupten, er sei ein Hurone von jenseits der Seen, andre meinen, er sei ein Seneka oder Miamis. Als ich ihn einmal nach seinem Stamme ausforschen wollte, entgegnete er: >Warum fragst du? Du bist ein weißer Mann, ich ein roter. Frage ich dich, ob du ein Ohioman oder Michiganman bist? Ich gebe Felle, du gibst Rum, Pulver und Blei, damit gut.< Es war nichts aus ihm herauszubekommen.«
»Aber da er schon drei Jahre bei dir ist, mußt du ihn doch einigermaßen kennen gelernt haben?«
»Lerne du einen Indianer kennen. Es ist ja richtig, daß er eine gewisse Anhänglichkeit an uns hat, auch vor allen Dingen weiß, daß ich ihn ehrlich behandle und über das, was er bringt, und das, was er braucht, redlich Buch führe. Der Kerl hat augenblicklich über hundert Dollar bei mir gut. Auch stört der Bursche niemand, selbst im Rausche ist er still und schweigsam. Hat auch eine gewisse Liebe zu den Kindern, bringt ihnen sogar manchmal kleine Geschenke mit, und für meine Frau läuft er viele Meilen weit in jedem Wetter, wenn die einmal etwas braucht. Ist noch vorigen Winter, als der Schnee fußhoch lag und niemand zum Hause hinaus konnte, auf seinen Schneeschuhen bis Brook gelaufen, um dort Brusttee zu holen, nach welchem meine Frau jammerte, weil die Kinder so arg den Husten hatten. War fast zwei Tage unterwegs.«
»Ist ein gutes Zeichen, Grover.«
»Ja, ist es aber du kennst genug von den Roten, um zu wissen, daß dem besten von ihnen nie ganz zu trauen ist, ist eine launische, unzuverlässige Rasse.«
»Ueberlegt's. Wenn er will, ist der Indianer der rechte Mann für die Fahrt, besser als der beste Grenzer, dem der rote Mann doch immer mißtrauisch gegenübersteht.«
»Wollen mit ihm reden.«
Unterdes war es Mittag geworden und den jungen Grafen verzehrte Unruhe, doch der gastfreie Baring ließ sie nicht scheiden, ohne daß noch einmal der Tisch gedeckt ward. Nach beendetem Mahle aber wurden nach des Grafen Wunsch die Pferde zum Heimritt vorgeführt. Mit echter Herzlichkeit verabschiedete sich der Farmer von ihm. »Habt einen Platz in meinem Herzen, junger Mann, Eurer Schwester wegen. Wollt Ihr mir einen Wunsch erfüllen, schickt Botschaft an Tom Myers nach Lansing, wenn Ihr etwas erfahrt, der sendet sie mir zu. Den Brief an diesen will ich gleich aufsetzen. Ist eine mühsame Arbeit für mich, Mann, aber bringe es fertig, kostet freilich Zeit. Sende Euch den Brief noch hinüber. Könnte jetzt nicht schreiben muß allein sein und ruhig. Hat mich sehr bewegt, den Bruder von Lady Walther zu sehen und so an ihr liebes Bild erinnert zu werden. Gott segne Euch, Mann, und Euer Vorhaben.«
Damit schieden sie von Joe Barings gastlicher Behausung und trabten rasch nach Grovers Landing, wie der Platz genannt wurde, zu.
Der junge Graf hatte Heinrich kurz berichtet, was ihm hier mitgeteilt war, und der ehrliche Jäger, der die junge Gräfin von Jugend auf kannte, war tief bewegt worden, als er von ihrem so grausamen Geschick vernahm.
Rasch und schweigend trabten sie durch den Wald und die Sonne hatte nur wenig den Zenith überschritten, als sie vor Grovers Heim anlangten.
»Waren nicht gute Nachrichten, die Ihr dort hörtet, Fremder,« sagte Grover, als sie die letzte Meile im Schritt zurücklegten, »aber kalkuliere, war Joe Baring der rechte Mann, Euch Kunde zu geben.«
»Ich danke Euch von Herzen, Mister Grover. Ich bin auf das tiefste gerührt von der Liebe, mit welcher man meiner armen Schwester gedenkt. Endlich habe ich doch einmal hier von ihr reden hören so furchtbar auch die Nachrichten klangen. Ich muß erfahren, wie sie geendigt hat, und wenn ich jahrelang die Wälder durchstreifen sollte.«
»Entsinne mich sehr gut, daß vor drei Jahren eine weiße Frau von den Ottawas geraubt wurde, war mir nur der Name entfallen, wenn er mir damals überhaupt zu Ohren kam.«
Als sie zum Hause einbogen, erblickten sie den Indianer vor dessen Tür sitzen und ruhig seine selbstgefertigte Pfeife rauchen. Des Mannes dunkle Augen richteten sich auf die beiden Deutschen und verweilten besonders lange auf dem Grafen.
»Nun, John,« redete ihn Grover freundlich an, John war der Name, den man ihm in der Familie gab, da die indianische Benennung dieser nicht zusagte, »rauchst du die Friedenspfeife?«
Der Indianer antwortete nicht.
Edgar betrachtete ihn jetzt im Tageslichte. Es war ein echter Sohn der roten Rasse, der da vor ihm saß.
Ein schlanker und doch kräftiger Mann, aus dessen, von langem, straffem, tiefschwarzem Haar eingerahmtem braunen Gesicht zwei funkelnde Augen blitzten. Aermlich und schmutzig war die Kleidung des Indianers. Ein altes, vom Wetter arg mitgenommenes Jagdhemd aus Baumwollenstoff deckte seine Gestalt bis zu den Knieen. Die Beine steckten in hirschledernen Gamaschen und seine Fußbekleidung war aus gleichem Stoff gefertigt. Das Gesicht trug den ernsten, fast melancholischen Ausdruck, der den Leuten roter Farbe so eigentümlich ist.
Ein anmutiges Bild bot der rote Mann nicht.
»John hat keine Lust zu reden,« fuhr Grover unbeirrt fort, denn er kannte die Art der roten Leute, »will er ein Glas Rum trinken.«
»Er will nicht trinken,« entgegnete der Indianer ruhig.
Darüber erstaunte Grover und sah den Indianer fragend an.
»Willst du zur Jagd gehen?«
»Vielleicht. Die weißen Leute sollten nach ihren Pferden sehen.«
»Wie?« fuhr Grover empor, »weißt du etwas, John?«
Der Indianer deutete ruhig auf den Boden und sagte: »Gestern waren die drei größten Pferdediebe Michigans hier.«
»Bei Jove!« fuhr Grover empor, »du hast recht, hast du sie erkannt?«
»Gestern war mein Auge trübe, aber heute ist es klar, ich sah ihre Spuren auf dem Boden. Wirst bald von ihnen hören.«
»Es ist gut, daß das Land bereits ziemlich von der Anwesenheit der Schurken unterrichtet ist.«
»Werden bald hören,« wiederholte der Indianer, »Tyron war darunter und die rote Hand.«
»Die Schärfe der Sinne dieser Leute ist wunderbar, Sir,« sagte Grover zu dem Grafen, »sie lesen da, wo unser Auge nichts erblickt, die Zeichen des Bodens wie in einem offenen Buche. Du kennst die Schurken also, John?«
»Ich kenne sie, sah oftmals ihre Spur in den Wäldern.«
»Ist der, welchen du die >rote Hand< nennst, ein großer, breitschultriger Mann mit rauher Stimme?«
In dem Auge des Indianers blitzte ewas Unheimliches auf, als er sagte: »Das ist die >rote Hand<.«
»Weißt du, wie ihn die Weißen nennen?«
»Sie nennen ihn bald Brooker, bald Morris.«
»Der? der war's, den man in ganz Michigan schon seit drei Jahren sucht, der Mörder vom Kalamazoo, der war's? Dann, barmherziger Gott, schütze einsam liegende Farmen. Der Kerl,« wandte er sich an den Grafen, »hat vor drei Jahren in einem einsamen Farmhause, während die Männer auswärts waren, Weib und Kinder erschlagen, um unerkannt zu rauben, dennoch wurde seine Person mit Sicherheit festgestellt. Seitdem hat ihm ganz Michigan Rache geschworen, aber obgleich hie und da gesehen, ist er bis jetzt allen Verfolgungen entgangen. Den gebe Gott jetzt in die Hand des Richters. Mich schaudert, wenn ich daran denke, daß der Mörder hier erschienen sein könnte, während ich fern weilte. Hoffentlich sind unsre Boys schon auf der Fährte der Gesellen.«