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■ als Angehörige der öffentlichen Verwaltung oder durch diese „Beliehene“ unmittelbar aus Art. 1 Abs. 3 GG;
■ in allen anderen Fällen aus deren „mittelbarer Drittwirkung“, wie sie z. B. aus einfachgesetzlicher Konkretisierung oder der grundrechtskonformen Rechtsauslegung durch die Gerichte entsteht, sowie
■ aus allgemeiner Rechtsanschauung und Rechtsanwendungspraxis, denen die Anerkennung der Grundsätze der Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit innewohnend sind.
In welchem konkreten Arbeitsfeld daher ein Sozialarbeiter auch immer tätig ist und unabhängig davon, woher sich eine entsprechende rechtliche Begründung im Einzelnen herleiten mag – stets ist der Respekt vor den elementaren Grundrechten ein substanzieller Bestandteil seines professionellen Interagierens mit dem Klienten. Die Grundrechte formulieren damit zugleich normativ anerkannte ethische Mindestanforderungen für die Soziale Arbeit.
2.2.5 Schutz der Menschenwürde und der Freiheit der Person
Menschenwürde
Auf das Spannungsverhältnis, in dem Grundrechte zur sozialen Realität stehen, wurde bereits aufmerksam gemacht. So wird es, um noch einmal an das Brückengleichnis von Anatole France zu erinnern (vgl. 2.1.2.4), dem Obdachlosen wenig Trost sein, dass auch seine Wohnung durch Art. 13 GG unverletzlich wäre, wenn er denn eine hätte. Derartige Spannungen sind auch im Schutzbereich der Menschenwürde zu erwarten, zumal es sich hierbei um einen Terminus handelt, der kein juristischer Fachbegriff ist und der auch nicht besonders oft in unserer Alltagssprache Verwendung findet. Schon allein durch diese terminologische Unbestimmtheit sind Schwierigkeiten bei der Festlegung seines Inhaltes indiziert, die auch von Anfang an genügend Raum für Skepsis lassen. Sie ist bereits bei Friedrich Schiller (1796, 331) in Worte gefasst, der zur „Würde des Menschen“ eher ernüchternd anmerkte: „Nichts mehr davon, ich bitt’ euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen. Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.“
Gleichwohl lässt sich die herausragende Bedeutung des Rechts auf Schutz der Menschenwürde nicht nur an seiner Stellung an der Spitze des Grundrechtskatalogs ablesen, sondern auch daran, dass eine Änderung von Art. 1 GG durch Art. 79 Abs. 3 GG, die sog. Ewigkeitsklausel, für unzulässig erklärt wird.
Aus sozialarbeiterischer Sicht mag man vermuten, dass Art. 1. Abs. 1 GG vor allem auch im Rahmen des Sozialstaatsgebotes praktische Relevanz erlangt. In der Tat hat das BVerwG diesen Zusammenhang schon in einer frühen, oben (I-2) bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1954 hergestellt.
In einer Entscheidung zum Existenzminimum von Kindern betont das BVerfG 1998 darüber hinaus noch einmal in besonderer Weise dessen Quantifizierbarkeit anhand verbrauchsbezogen ermittelter und regelmäßig den veränderten Lebensverhältnissen angepasster Sozialhilfeleistungen (BVerfG 2 BvL 42 / 93 – 10.11.1998 – E 99, 246). In seinem Urteil vom 09.02.2010 schließlich kam das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Regelleistungen aus dem SGB II schon deshalb nicht dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschen würdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m.Art. 20 Abs. 1 GG entsprechen, weil ihre Bestimmung methodisch nicht nachvollziehbar ist, sondern „freihändig“ und damit intransparent erfolgte (1 BvL 1 / 09, 3 / 09, 4 / 09). Gleichwohl ist der verfassungsrechtliche Ertrag hier, wie auch beim Sozialstaatsprinzip überhaupt (vgl. hierzu 2.1.3), nicht allzu groß. Allerdings ist, nachdem schon das BVerwG entsprechend entschieden hatte, die Richtung, in der das BVerfG die Bestimmung des Inhalts der Menschenwürde vornimmt, gerade auch für Sozialarbeiter von praktisch nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die zu schützende Subjektqualität des Menschen wird nämlich in einer langen Reihe von Entscheidungen immer weiter dahingehend näher bestimmt, dass der Einzelne nicht lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns begriffen werden darf. Die folgenden Sätze aus einer Entscheidung des BVerfG hierzu sollten symbolisch an der Wand jedes Sozial- oder Jugendamtes, jeder Einrichtung, in der mit Obdachlosen, Alten, Behinderten oder psychisch Kranken gearbeitet wird, stehen; sie könnten das rechtliche und ethische Credo der Sozialarbeit schlechthin sein (BVerfGE 96, 375):
„Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Jedem Menschen ist sie eigen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status.“
In einer solchen Sichtweise ist zugleich ein Anschluss an den grundrechtlichen Schutz der Persönlichkeit hergestellt. Er ist in Art. 2 GG geregelt und umfasst dort mehrere Aspekte: einerseits das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG, Selbstbestimmung) und andererseits das Recht auf Privatsphäre (Art. 8 EMRK), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG; vgl. Art. 5 EMRK).
freie Entfaltung der Persönlichkeit
Art. 2 Abs. 1 GG fungiert zunächst und vor allem als sog. Auffanggrundrecht. Dies bedeutet, dass die Verletzung von Grundrechten in der Sozialen Arbeit, wie sie etwa geschehen kann durch unangemeldete Wohnungskontrollen im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. der Sozialhilfe, das Zurückhalten bzw. Kontrollieren von Post, durch Freiheitsentziehung oder durch körperliche Gewaltanwendung bei Hilfen zur Erziehung, in der Altenarbeit, der Arbeit mit geistig Behinderten, psychisch Kranken oder Substanzabhängigen, zwar auch jedes Mal den grundrechtlich geschützten Bereich der freien Entfaltung der Persönlichkeit berühren würde. Dennoch ist eine Prüfung, ob der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG tatsächlich verletzt wäre, aber nur dann vorzunehmen, wenn keine anderen Grundrechtsverletzungen in Betracht kommen. Dies wären vorliegend Art. 13, Art. 2 Abs. 2 bzw. Art. 10 GG, denen gegenüber sich Art. 2 Abs. 1 GG demzufolge subsidiär verhält.
Eine unmittelbare und eigenständige Bedeutung entfaltet Art. 2 Abs. 1 GG jedoch in zweierlei Hinsicht. Zum einen bezeichnet die genannte Vorschrift eine im umfassenden Sinne gemeinte allgemeine Handlungsfreiheit, die freilich unter dem Vorbehalt des zweiten Halbsatzes steht. Zum anderen wird ihr i. V. m.Art. 1 Abs. 1 GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht entnommen, das in der Rechtsprechung des BVerfG im Laufe der Jahre eine differenzierte Typisierung erfahren hat, etwa als:
■ Recht auf Schutz der Privat-, Geheim- und Intimsphäre,
■ Recht auf informationelle Selbstbestimmung,
■ Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (sog. Grundrecht auf digitale Intimsphäre),
■ Recht auf Identität,
■ Recht auf soziale Achtung,
■ Recht auf Selbstdarstellung,
■ Recht auf finanzielle Selbstbestimmung.
Die Berührungspunkte zu Feldern der Sozialen Arbeit sind bei jedem der genannten Punkte mit Händen zu greifen – ob beim Recht auf Identität in der Adoptionsvermittlung oder dem Recht auf Resozialisierung, das dem Recht auf soziale Achtung zuzuordnen ist, bei der Arbeit mit Straffälligen. In besonderer Weise verweisen wir aus gutem Grund auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfG v. 15.12.1983 – E 65, 1; zum Sozialdatenschutz ausführlich III-1.2.3). Es räumt dem Einzelnen die Befugnis ein, „grds. selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“ (BVerfG 1 BvR 209 / 83 – 15.12.1983 – E 65, 1). In diesem Zusammenhang ist zunächst gerade auch für den Schutz von Sozialdaten in der Sozialen Arbeit der Hinweis des BVerfG aus derselben Entscheidung wichtig, dass es aufgrund der technischen Möglichkeiten der Verarbeitung und Verknüpfung von Daten ein „belangloses“ Datum generell nicht geben kann. Freilich sind auch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dort Schranken in Gestalt eines Grundrechtsvorbehalts gesetzt, wo ihm ein überwiegendes Allgemeininteresse entgegensteht, wobei das BVerfG darauf hinweist, dass jeder insoweit gesetzlich zulässige Eingriff im jeweils konkreten Fall einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf (BVerfG 2 BvR 2099 / 04 – 02.03.2006; ebenso EuGH C-293 / 12 u. C-594 / 12 – 08.04.2014; im Einzelnen hierzu III-1.2.3). Umstritten ist dann allerdings immer noch, wie weit insb. ein Allgemeininteresse auf Sicherheit in die Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers eingreifen darf und welche Gestaltungsräume dem Gesetzgeber hierfür zur Verfügung stehen. Die Einlassung eines ehemaligen Bundesinnenministers (und damit Verfassungsministers!) jedenfalls, wonach „Freiheit (als) ein Grundrecht (...) vor dem Supergrundrecht auf Sicherheit zurücktreten“ müsse, wird einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten können. Denn das BVerfG stellt demgegenüber klar: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland“ (BVerfG 1 BvR 256 / 08 – 02.03.2010). Andererseits ist unstrittig, dass mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch eine Pflicht des Staates besteht, diese Verfassungsgüter zu schützen. Wie schwierig es allerdings ist, den genauen Verlauf der Grenzen zwischen (notwendigem) Schutz und (unzulässiger) Überwachung zu bestimmen, vermittelt das BVerfG in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung. Zwar hält es diese prinzipiell für verfassungskonform ausgestaltbar und damit zulässig, gleichzeitig warnt es aber insb. mit Blick auf nachrichtendienstliche Datenerhebung, -speicherung und -verarbeitung, dass sie „das Gefühl des Beobachtetwerdens in besonderer Weise“ befördere und „nachhaltige Einschüchterungseffekte auf die Freiheitswahrnehmung“ entfalte. Bei der Vorratsdatenspeicherung handele es sich um „einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt.“ Selbst dann, wenn sich die Datenspeicherung nicht auf die Kommunikationsinhalte erstrecke, erlauben Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen „in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen.“ Der Einzelne, so das Gericht weiter, wisse dann nicht, „was welche staatliche Behörde über ihn weiß, weiß aber, dass die Behörden vieles, auch Höchstpersönliches, über ihn wissen können.“ (1 BvR 256 / 08 – 02.03.2010 – E 125, 260). In einer anderen Entscheidung zur sog. Onlinedurchsuchung und -überwachung hält das BVerfG die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems nur dann ganz ausnahmsweise für zulässig, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen“ und stellt ihre Anordnung unter Richtervorbehalt. Darüber hinaus verlangt es gesetzliche Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung selbst in diesen Fällen (BVerfG 27.02.2008 – 1 BvR 370 / 07 u. 1 BvR 595 / 07). Nunmehr darf man auf die noch ausstehenden Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungskonformität des neuen Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom 10.12.2015 gespannt sein (vgl. 1.1.5.1).
2.2.6 Grundrechte aus Art. 6 GG: Ehe und Familie
Schutz von Ehe und Familie
Abwehr- und Teilhaberecht
In exemplarischer Weise soll die Grundrechtsproblematik noch einmal an Art. 6 GG betrachtet werden, denn diese Vorschrift ist für die Soziale Arbeit in mehrerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Zunächst wirkt Art. 6 Abs. 1 GG in den Worten des BVerfG als „verbindliche Wertentscheidung“ (E 7, 198, 205). Nun soll es dahingestellt bleiben, ob sich mündige Bürgerinnen und Bürger tatsächlich in ihren Bestimmungsgründen dazu, in welcher Form, weshalb und in welcher Intensität sie Partnerbeziehungen eingehen und zu welchem Zeitpunkt sie diese ggf. auch wieder beenden, an Grundgesetzkommentaren und Verfassungsgerichtsentscheidungen orientieren. Deshalb ist wohl auch nur schwer zu definieren, worin der Inhalt einer solchen Wertentscheidung im Einzelnen bestehen mag (i. E. Ipsen 2009, 434 ff.). Jedenfalls liegt der Kern des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes von Ehe und Familie darin, dass es sich hierbei um jeweils „einen geschlossenen, gegen den Staat abgeschirmten und die Vielfalt rechtsstaatlicher Freiheit schützenden Autonomie- und Lebensbereich“ (BVerwGE 91, 130, 134) handelt. Hieraus leitet sich aber wiederum nicht nur ein reines Abwehrrecht, sondern zugleich auch eine Verpflichtung des Staates ab, Ehe und Familie in besonderer Weise zu fördern (BVerfGE 82, 60 ff.).An diese Verpflichtung sind der Gesetzgeber, die Rechtsprechung sowie die (Sozial-)Verwaltung in gleichem Maße unmittelbar gebunden. So nennt das SGB VIII im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels die Förderung der Erziehung in der Familie bereits in der Überschrift und thematisiert, verfassungsrechtlich betrachtet, auch im dritten und vierten Abschnitt dieses Kapitels den Schutz und die Förderung der Familie. Jedoch auch außerhalb des Kinder- und Jugendhilferechts stößt die Sozialarbeit allenthalben auf entsprechende rechtliche Umsetzungsinstrumentarien: vom Steuerrecht (Ehegattensplitting, steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen, Kinderfreibetrag, Kindergeld) über das Sozialrecht (z. B. Elterngeld, Leistungen der Sozialversicherungen nach SGB V bis VII, SGB XI sowie Sozialleistungen nach SGB II oder SGB XII) bis zum Erbrecht (gesetzliche Erbfolge) und Arbeitsrecht (Diskriminierungsverbot für Verheiratete etwa bei der Aufstellung von Sozialplänen wegen betriebsbedingter Kündigungen, Anrechnung der Elternzeit auf die Beschäftigungsdauer bei Abfindungen, Freistellungsanspruch und Kündigungsschutz bei Eltern- und Pflegezeit, Beschäftigungsverbote zum Schutz von Schwangeren und stillenden Müttern sowie Kündigungsschutz bei Schwangerschaft und während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs).
Grundrechtsschutz der Ehe
Das unmittelbar grundrechtlich geschützte Verhalten der Beteiligten besteht nun, soweit es zunächst in einem engeren Sinne die Ehe betrifft, u. a. darin, dass sie frei darüber entscheiden können
■ mit wem und wann bzw. ob sie überhaupt eine Ehe eingehen wollen (Verbot der sog. Zwangsehe, § 237 StGB),
■ ob sie einen gemeinsamen Ehe-/Familiennamen führen wollen und, falls ja, welchen ihrer Namen sie zum Ehenamen bestimmen wollen (vgl. § 1355 BGB),
■ wie sie die eheliche Güterverteilung regeln wollen (vgl. § 1408 BGB),
■ wie sie Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung organisieren möchten (vgl. § 1356 BGB),
■ ob sie an einem gemeinsamen Wohnort oder mit getrennten Lebensmittelpunkten leben wollen sowie
■ ob sie ggf. die Ehe wieder scheiden lassen wollen (im Einzelnen: Jarass / Pieroth 2016, Art. 6 Rz. 4 ff.; Manssen 2017, 130 f. m. w. N.).
Im Übrigen bedeutet der Schutz der Ehe, der zugleich als verfassungsrechtliche Institutsgarantie wirkt, nicht, dass ihr andere Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens nicht gleichgestellt werden dürften (Manssen 2017, 122). Dies hat das BVerfG für die eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nach BVerfGE 105, 313 in einer neueren Entscheidung noch einmal klargestellt (1 BvR 170 / 06 – 11.06.2010). Inzwischen liegt eine weitere Entscheidung des BVerfG vor, nach der im Gegenteil eine Ungleichbehandlung (hier: beim Ehegattensplitting) von eingetragenen Lebenspartnern gegenüber Verheirateten sogar als Verstoß gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 GG zu bewerten wäre (BVerfG 7.5.2013 – 2 BvR 909 / 06 u. a.).
Grundrechtsschutz der Familie
Ähnlich reicht auch nach BVerfG (1 BvR 1644 / 00 – 19.04.2005 – E 112, 332) der Schutz der Familie „von der Familiengründung bis in alle Bereiche des familiären Zusammenlebens“ (Jarass / Pieroth 2016, Art. 6 Rz. 11). Art. 6 Abs. 1 GG „berechtigt die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten“ (BVerfGE 80, 81, 92). In auch für die soziale Praxis besonders relevanter Weise tritt uns der Schutz der Familie vor allem als Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG entgegen (ausführlich zur elterlichen Verantwortung II-2.4.3). Dies ergibt sich schon aus der verfassungsrechtlichen Definition von Familie als „umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern“ (BVerfGE 10, 59, 66). Sie umfasst also Kinder und deren Eltern, seien diese nun miteinander verheiratet oder nicht, ebenso Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder (zu letzteren BVerfGE 68, 176, 187). Genauso fallen gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern unter den Familienbegriff. Eine Familie bilden auch alleinerziehende Elternteile mit ihrem Kind, und zwar unabhängig davon, ob der alleinerziehende Elternteil mit dem anderen verheiratet ist bzw. war oder nicht (Peukert 2012, 163 f.). Darüber hinaus ist mit Hinblick auf das Recht der Existenzsicherung von Bedeutung, dass auch in Beistandsgemeinschaft lebende Verwandte mit dem verfassungsrechtlichen Familienbegriff erfasst sind (Jarass / Pieroth 2016, Art. 6 Rz. 10). Jedoch ist das Elterngrundrecht nicht schematisch an ein bereits bestehendes Zusammenleben der Eltern bzw. des Elternteils mit dem Kind in der familiären Gemeinschaft gebunden. So folgt nach einer Entscheidung des EGMR (Görgülü vs. Germany No. 74969 / 01 – 26.02.2004) aus Art. 8 EMRK die Pflicht des Staates, es zu ermöglichen, dass sich zwischen einem leiblichen nicht sorgeberechtigten Elternteil und seinem Kind tatsächliche familiäre Bande entwickeln können. In seinem Beschluss vom 14.10.2004 hat das BVerfG hierzu festgestellt, dass Art. 6 Abs. 2 GG entsprechend auszulegen sei (2 BvR 1481 / 04). Für nicht verfassungsgemäß hielt das BVerfG in seiner Entscheidung vom 21.07.2010 (1 BvR 420 / 09) wiederum im Anschluss an eine EGMR-Entscheidung (Zaunegger vs. Germany – 22028 / 04 – 03.12.2009) auch den generellen Ausschluss des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der gemeinsamen elterlichen Sorge bei verweigerter Zustimmung der Mutter. § 1626a Abs. 2 BGB sieht deshalb nunmehr die Möglichkeit der Übertragung der elterlichen Sorge durch das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils vor, sofern dies nicht dem Kindeswohl widerspricht. Schließlich ist selbst die Beziehung des biologischen (nicht rechtlichen) Vaters zu seinem Kind in gewissem Umfang und unter bestimmten Voraussetzungen durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützt (BVerfGE 108, 82, 112; vgl. deshalb jetzt § 1686a BGB – i. E.: II-2.3).
Auch die Funktion des Elterngrundrechts weist mittlerweile über die bloße Abwehr staatlicher Eingriffe hinaus und umfasst eine Leistungs- und Teilhabedimension. Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang u. a. von einer sozialstaatlichen Verpflichtung, „positiv die Lebensbedingungen für ein gesundes Aufwachsen des Kindes zu schaffen“ (1 BvL 20 / 63 v. 29.07.1968). Dabei leitet sich die verfassungsrechtliche Schutzwirkung des Elterngrundrechts in ihrer Genese zunächst daraus ab, dass es sich bei ihm um eine spezifische Ausformung des grundrechtsgeschützten Gesamtraumes Familie handelt. Folglich ist das Elternrecht insofern in gleicher Weise geschützt wie die Familie insgesamt (Pieroth et al. 2015, 183 f.). Dies betrifft nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG insb. die Entscheidungen der Eltern über die Pflege (d. h. das körperliche Wohl) und die Erziehung (die seelische und geistige Entwicklung einschließlich der religiösen und weltanschaulichen Erziehung).
Den autonomen Gestaltungswillen der Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder haben BVerfG, BGH, BSG und auch das BAG in einer Reihe von Entscheidungen weiter konkretisiert. So fallen unter Art. 6 Abs. 2 GG etwa Entscheidungen der Eltern zur Bildung und Ausbildung des Kindes, dazu, wem Einfluss auf die Erziehung des Kindes zugestanden wird und in welchem Ausmaß bzw. mit welcher Intensität die Eltern sich selbst der Pflege und Erziehung widmen oder ob sie diese (teilweise) Dritten überlassen (vgl. m. w. N. Jarass / Pieroth 2016, Art. 6, Rz. 42). Umgekehrt kann keine staatliche Institution, auch nicht die (öffentliche) Jugendhilfe, für sich ein vergleichbares Erziehungsrecht reklamieren, und zwar selbst dann nicht, wenn das Kind außerfamiliär oder in einer Tageseinrichtung untergebracht ist bzw. betreut wird (Münder et al. 2013b, § 1 Rz. 14).
Schranken des Elternrechts
Eingriffe in das Elternrecht bzw. Einschränkungen können allerdings – wie bei allen anderen Grundrechten mit Ausnahme von Art. 1 GG auch – durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. So folgt bspw. aus Art. 7 Abs. 1 GG eine allgemeine Schulpflicht, die insoweit das Elternrecht einschränkt (i. E.: Behlert 2011, 66 ff.). Mit dieser Pflicht geht ein eigenständiger Erziehungsauftrag der Schule einher. Deren Erziehungsziele können zwar die Eltern in ihrem eigenen erzieherischen Verhalten nicht binden; gleichwohl stehen sie insoweit gleichberechtigt neben dem Erziehungsrecht der Eltern (BVerfGE 34, 16; 47, 46; 96, 288). Sie können damit deren Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG – etwa in Gestalt bestimmter Lehrstoffinhalte oder schulischer Erziehungsmaßnahmen – beschränken. Maßstab hierfür ist, dass dies dem Wohl des Kindes dient (Jarass / Pieroth 2016, Art. 7, Rz. 5; Epping 2017, 262). Auch im Jugendstrafrecht (s. hierzu IV-5) sieht das BVerfG Eingriffe in das Elternrecht, die im Grunde bereits mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Minderjährigen einsetzen, in einem „Verfassungsgebot des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes“ (BVerfGE 107, 104, 119) legitimiert.
Kollisionen
Eine praktisch wie rechtlich gleichermaßen kompliziert zu lösende Konstellation kann immer dann vorliegen, wenn Grundrechtspositionen des Minderjährigen mit dem Elterngrundrecht in Widerstreit geraten. Sie ist vor allem dadurch in besonderer Weise geprägt, dass das Elterngrundrecht über die Singularität verfügt, dass es den Eltern auch eine bestimmte Pflicht und Verantwortung auferlegt (Höfling 2009, 483). Es wird daher gern mit Bezug auf die st. Rspr. des BVerfG seit 29.07.1968 – 1 BvL 20 / 63 als „fremdnütziges“, „dienendes“ oder auch „fiduziarisches“ (treuhänderisches) Recht beschrieben. Diese Besonderheit zeichnet auch zumindest teilweise schon Lösungswege vor. Im Kollisionsfall kann dann nämlich, wie das BVerfG in einer Reihe von Entscheidungen deutlich macht, jedenfalls nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass das Elternrecht notwendigerweise Vorrang etwa vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes hat (hierzu ausführlich Münder et al. 2013b, § 1 Rz. 20 m. w. N.). Denn Kinder emanzipieren sich im Laufe ihres individuellen Entwicklungs- und Reifeprozesses in einem Maß, das es ihnen nach und nach ermöglicht, ihre Subjektstellung zunehmend selbstverantwortlich auszufüllen. Hinzu kommt, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde in jedem Falle unverfügbar ist und auch nicht durch ein Elterngrundrecht überlagert werden kann. Kollidieren können weiterhin die Rechte leiblicher Eltern mit denen der Pflegeeltern, etwa bei der Forderung der leiblichen Eltern nach Herausgabe ihres Kindes von den Pflegeeltern (hierzu BVerfGE 68, 176). Da die Eltern je für sich Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG sind (BVerfGE 47, 46, 76), können auch ihre jeweiligen Rechte in Kollision geraten, etwa bei Streitigkeiten zur Ausübung der elterlichen Sorge, bei Beantragung der alleinigen elterlichen Sorge aufgrund von Trennung oder Scheidung oder beim Verlangen nach Beschränkungen des Umgangsrechts für den abwesenden Elternteil.
Ausgestaltung der Elternverantwortung
Keine Beschränkung, sondern lediglich eine Ausgestaltung (oder: Definition) der Elternverantwortung ist das Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen aus § 1631 Abs. 2 S. 2 BGB (Pieroth et al. 2015, 185). Auch das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG enthaltene Junktim von Elternrecht und Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes unterscheidet das Elternrecht zwar von allen anderen Grundrechten, formuliert jedoch für sich genommen noch keine das Elterngrundrecht begrenzende Schranke. Wegen dieses „dienenden“, „treuhänderischen“ Aspekts allerdings wacht die staatliche Gemeinschaft über die Betätigung dieser Pflicht (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG). Jedoch steht die Ermächtigung hierzu, wie das BVerfG klargestellt hat (E 107, 104), unter Gesetzesvorbehalt (vgl. § 1666 BGB). Weil von ihr nur zum Wohle des Kindes Gebrauch gemacht werden darf, handelt es sich bei Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG um einen sog. qualifizierten Gesetzesvorbehalt (Pieroth et al. 2015, 183 ff.). Der Vorbehalt unterliegt also seinerseits wiederum einer Beschränkung durch Art. 6 Abs. 3 GG (sog. Schranken-Schranke), der noch einmal gesondert die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Trennung des Kindes von seinen Erziehungsberechtigten benennt. Die vom GG geforderte gesetzliche Regelung hierfür findet sich in § 1666a BGB. Auch die beabsichtigte Adoption eines Kindes gegen den Willen seiner Eltern (sog. Zwangsadoption) im Wege von § 1748 BGB (hierzu II-2.4.7) unterliegt der Beschränkung durch Art. 6 Abs. 3 GG, denn bis zum Adoptionsbeschluss sind die leiblichen Eltern die Träger des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.






