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1.1.3.4 Satzungen
Die öffentlich-rechtliche Satzung ist ungeachtet desselben Begriffes und ähnlicher Funktionen von den privatrechtlichen Organisationsvorschriften rechtsfähiger Vereine nach § 25 BGB zu unterscheiden (vgl. hierzu II-1.1). Satzungen des öffentlichen Rechts sind Rechtsvorschriften, die alle Personen im Wirkungskreis einer Selbstverwaltungseinheit berechtigen und verpflichten oder organisatorische Regelungen für den Bereich der Selbstverwaltung enthalten können. Sie sind damit Rechtsnormen (Gesetze im materiellen Sinn), denn es handelt sich um verbindliche Regelungen für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, die sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen richten. Die Befugnis zur Rechtssetzung durch Satzungen ist bestimmten juristischen Personen des öffentlichen Rechts (nur) zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten verliehen. Von besonderer Bedeutung ist der Erlass von Satzungen für die Gebietskörperschaften (Gemeinden, Landkreise, Bezirke) oder die Sozialversicherungsträger. Den Kommunen ist diese Autonomie ausdrücklich in Art. 28 Abs. 3 GG zugesichert. Allerdings ist diese Regelungsbefugnis auf die Verwaltung der eigenen Angelegenheiten begrenzt. Zu weitergehenden Eingriffen in die Rechtssphäre des Bürgers bedarf es einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung.

Die Gemeinden können z. B. die Benutzung von Wasserversorgungsanlagen, Entwässerungsanlagen, Schwimmbädern, Büchereien, Friedhöfen und Eisstadien durch Satzungen regeln. Gemeindeverbände können durch Satzungen u. a. die Benutzung von Mülldeponien regeln. Üblicherweise beschließt der Rat einer kreisfreien Stadt aufgrund der in den landesrechtlichen Kommunalordnungen und Gemeindeverfassungsgesetzen enthaltenen allgemeinen Ermächtigung eine sog. Hauptsatzung (Grundorganisation) und z. B. eine Satzung über die Benutzungsordnung in den städtischen Notunterkünften. Durch die Satzung kann der Rat die Zusammensetzung und Zuständigkeiten des Jugendhilfeausschusses als Teil der Verwaltungseinheit Jugendamt bestimmen (z. B. für Entscheidungen über Widersprüche gegen VA des JA, s. 5.2.2). In der Haushaltssatzung setzt der Rat der Stadt A. z. B. einen Betrag von 200.000 € zur allgemeinen Förderung der freien Verbände der Jugendhilfe an.
Über die durch Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG garantierte Satzungsautonomie im Hinblick auf die Regelung eigener Selbstverwaltungsangelegenheiten hinaus, kann den Kommunen auch durch Gesetz das Satzungsrecht übertragen werden, z. B. können nach § 22a Abs. 2 SGB II die Länder die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz ermächtigen oder verpflichten, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind.
Die Sozialversicherungsträger, also die Träger der Renten- und Unfallversicherung oder die gesetzlichen Krankenkassen (siehe unten 4.1.2.1), regeln in ihren Satzungen z. B. die Aufgaben ihrer Organe, den Kreis der Versicherten und die Art und Weise der Willensbildung (vgl. § 34 SGB IV; § 194 SGB V, § 138 Abs. 4 SGB VI, § 118 SGB VII; entsprechendes gilt für die Bundesagentur für Arbeit, s. § 372 SGB III). Sie können u. a. eine Beitragssatzung über die Kostenregelung bei Rehabilitationsmaßnahmen erlassen.
Die Studien- und Prüfungsordnungen der Universitäten und Fachhochschulen sind in aller Regel landesrechtlich autorisierte Satzungen der Hochschulen zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten.
1.1.3.5 Tarifverträge
Der Tarifvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag (hierzu II-1.2) zwischen tariffähigen Parteien(Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände). Er regelt zum einen in seinem schuldrechtlichen Teil die Rechte und Pflichten der Tarifparteien, enthält aber darüber hinaus in seinem normativen Teil nach außen wirkende Bestimmungen, durch die die Arbeitsverhältnisse unmittelbar erfasst werden. So enthält der Tarifvertrag Rechtsnormen über Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen, z. B. über Lohn, Arbeitszeit, Urlaub oder Kündigungsvoraussetzungen (sog. materielle Arbeitsbedingungen). Insoweit handelt es sich bei Tarifverträgen auch um Rechtsnormen. Näheres hierzu im Kapitel zum Arbeitsrecht (V-3.3.1).
1.1.3.6 Notwendige Abgrenzungen
Verwaltungsvorschriften
Verwaltungsvorschriften (VV) sind keine Rechtsnormen, sondern nur verwaltungsinterne Anweisungen, insb. übergeordneter an nachgeordnete Behörden oder des Dienstvorgesetzten an unterstellte Bedienstete. Für VV werden mitunter ganz unterschiedliche Begriffe verwendet, z. B. Dienstanordnungen, Dienstanweisungen, Richtlinien, (Rund-)Erlasse, Rundverfügungen, Allgemeinverfügungen, Durchführungsbestimmungen, Ausführungsvorschriften, Verwaltungsverordnungen, Hausordnung usw. VV lassen sich im Wesentlichen in drei Kategorien unterscheiden:
■ organisatorische VV zur Regelung des internen Dienstbetriebes: Dienstanweisung über die Unterschriftsbefugnis, Benutzung von Dienstfahrzeugen, Aktenführung;
■ norminterpretierende VV zur Auslegung von Rechtsvorschriften (hierzu 3.3.2), z. B.VV zum BAföG, zum BKGG, zum Wohngeldgesetz;
■ Ermessensrichtlinien zur Ausfüllung eines Ermessensspielraums (vgl. hierzu 3.4.2), z. B. über die Höhe einer Gebühr für den Besuch einer städtischen Kindertagesstätte.
Grds. sind Verwaltungsvorschriften keine Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegenüber dem Bürger, weil sie keinen Rechtsnormcharakter haben (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Gegenüber dem Bürger werden daher durch sie weder Rechte noch Pflichten begründet. VV sind jedoch von den Mitarbeitern des Trägers der Verwaltung zu beachten, der sie erlassen hat (vgl. § 145 Abs. 2 BBG).
Obwohl Verwaltungsvorschriften nur verwaltungsintern verbindlich sind, können sie über Art. 3 GG bzw. den Grundsatz des Vertrauensschutzes mittelbar aufgrund einer dauernden Anwendungspraxis für Bürger und Gerichte verbindlich werden (Selbstbindung) und damit faktisch Außenwirkung entfalten, ja sogar anspruchsbegründende Wirkung haben. Eine Abweichung von der gleichmäßigen Anwendungspraxis der VV ist zwar zulässig, Voraussetzung ist aber stets, dass eine wesentliche Abweichung des Einzelfalles dies rechtfertigt (BVerwGE 19, 30). Andererseits müssen VV zur Ausfüllung des Ermessensspielraumes eine Abweichung zulassen, soweit wesentliche Besonderheiten im konkreten Fall vorliegen (BVerwG NJW 1980, 75).

Für die soziale Beratungspraxis haben Verwaltungsvorschriften eine große, wenngleich gelegentlich fragwürdige Bedeutung, denn man muss immer wieder feststellen, dass einzelne Sachbearbeiter ihr Handeln nicht am Gesetz und an den Besonderheiten des Einzelfalls orientieren, sondern an den internen Anweisungen und damit am Gesetzesverständnis der hierarchisch übergeordneten Instanz. Dies ist insb. bei der (fehlerhaften) Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder der Ausfüllung von Ermessenspielräumen problematisch. Gelegentlich übersehen Sachbearbeiter mögliche Ausnahmen und berufen sich formal auf ihre internen Vorschriften, die dem betroffenen Bürger nicht immer bekannt sind. Rechtsgrundlage für das Handeln der Verwaltung ist aber stets nur das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), nicht die Verwaltungsvorschrift! Der Erlass eines Verwaltungsaktes oder die Ablehnung einer Leistung darf niemals nur mit Hinweis auf eine Verwaltungsvorschrift erfolgen. Zwar binden die VV die Behördenmitarbeiter als interne dienstliche Anweisung. Verwaltungsvorschriften dürfen aber selbstverständlich nicht Rechtsvorschriften widersprechen (sog. Gesetzesvorrang!). Die (sozialpädagogischen) Fachkräfte (vgl. § 72 SGB VIII, § 6 SGB XII) müssen immer den konkreten Einzelfall im Blick haben und im Konfliktfall auf dem Dienstweg versuchen, die Zustimmung der zuständigen Vorgesetzten zu einer gesetzeskonformen, der besonderen Problematik des Falles entsprechenden Entscheidung zu erreichen.
Zum Erlass von Verwaltungsvorschriften braucht die Behörde (innerhalb einer Verwaltungshierarchie) keine gesetzliche Ermächtigung, da sie nur für den Dienstbetrieb innerhalb der Verwaltung bestimmt sind. Die Befugnis zum Erlass ergibt sich aus der jeweiligen Organisationsgewalt. Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Länder werden i. d. R. in Ministerialblättern, Amtsblättern usw. veröffentlicht (vgl. z. B. www.bundesanzeiger.de). Von den Selbstverwaltungsträgern werden die an bestimmten Verwaltungsvorschriften interessierten Personen oft direkt informiert, z. B. die Jugendverbände über die Richtlinien zur Jugendförderung. Allerdings geschieht dies auch im Sozialleistungsbereich nicht immer, sodass manche Bürger Entscheidungen nicht immer ausreichend nachvollziehen können und sich einem „Geheimrecht“ ausgeliefert sehen. Zwar besteht nach Auffassung des BVerwG (NJW 1984, 2590) bei rein internen Verwaltungsvorschriften keine allgemeine Pflicht zur Veröffentlichung. Ein Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens hat allerdings einen Auskunftsanspruch gegenüber der Behörde hinsichtlich der für die Rechtsverfolgung nötigen Informationen über derartige Verwaltungsvorschriften. Im Hinblick auf die umfassende Informations- und Auskunftspflicht der Behörden im Sozialleistungsverfahren (vgl. §§ 13 ff. SGB I) muss die transparente Entscheidungsfindung für eine moderne Verwaltung ohnehin selbstverständlich sein.
Darüber hinaus besteht eine Veröffentlichungspflicht für solche (abstrakt-generellen) Regelungen der Exekutive, deren Zweck es ist, letztlich doch rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger zu entfalten, und die auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren (BVerwGE 94, 335 zur Regelsatzfestsetzung durch Verwaltungsvorschrift), wenn formal in Verwaltungsvorschriften getroffene Ausführungsbestimmungen nach ihrem Inhalt darauf gerichtet sind, im Außenverhältnis in derselben Weise in subjektive Rechte einzugreifen, bzw. sich als anspruchskonkretisierende Regelung erweisen (BVerwG 25.11.2004 – 5 CN 1.03 – NDV-RD 2005, 25 ff.). Das BVerwG spricht hier sogar atypisch von einer unmittelbaren Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften. Ein Beispiel hierfür wäre die unter III-7.5.2 besprochene Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV). Entfaltet eine VV eine derartige Außenwirkung, so ist es rechtsstaatlich geboten, sie so bekannt zu geben, dass die davon Betroffenen Kenntnis vom Inhalt nehmen können (vgl. BVerfGE 40, 237). Die Bekanntgabe muss dann umfassend den gesamten Inhalt der Verwaltungsvorschriften wiedergeben, eine selektive, erläuternde Wiedergabe des Inhalts von Verwaltungsvorschriften ist nicht ausreichend. Sie muss in ordnungsgemäßer Form regelmäßig in den für die Veröffentlichung von Rechtsnormen vorgeschriebenen amtlichen Medien erfolgen, die Verwendung von Merkblättern o. Ä. reicht dafür nicht aus (BVerwG 25.11.2004 – 5 CN 1.03 – NDV-RD 2005, 25 ff.).

Zum Einstiegsfall „Berger“: Nach § 19 Abs. 1 SGB II besteht für Herrn Berger (als erwerbsfähigem Leistungsberechtigten) ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw. für seine mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden nicht erwerbsfähigen Kinder ein Anspruch auf Sozialgeld (im Einzelnen hierzu III-4.1.6). Die Leistungen umfassen nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Anspruch auf laufende Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II somit zunächst den sog. Regelbedarf, insb. Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat (im SGB XII heißen die pauschalierten Leistungsbestandteile – anders als im SGB II – „Regelsatz“). Für den Fall entscheidend ist nun die Frage, ob die Jacke und der Schulausflug vom Regelbedarf umfasst sind oder zusätzlich geleistet werden können. Sog. Mehrbedarfe als laufende Leistungen (§ 21 SGB II) und sog. einmalige Bedarfe (§ 24 Abs. 3 SGB II: „Abweichende Erbringung von Leistungen“) werden nur unter den entsprechenden Voraussetzungen gewährt. Nach § 20 Abs. 1 S. 3 SGB II wird der Regelbedarf als monatlicher Pauschalbetrag geleistet, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden, wobei sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen haben.
Bis auf die in §§ 21 ff. SGB II genannten Ausnahmen sind die Kosten für Anschaffungen, Unternehmungen etc. in den Regelbedarfen enthalten. Nicht nur Hausrat und Kleidung, sondern auch Ausgaben für besondere Anlässe sind grds. vom Regelbedarf (bzw. im SGB XII vom Regelsatz) umfasst. Sinn und Zweck der Regelung (teleologische Auslegung, hierzu 3.3.2) ist es einerseits, die Leistungserbringung mit möglichst wenig Verwaltungsaufwand zu gestalten, und andererseits, die Selbstverantwortung des Leistungsempfängers zu fördern, einen Teil der monatlichen Leistungen anzusparen, um bei entstehendem Bedarf auch größere Anschaffungen zu tätigen. Als „einmalige“ Bedarfe (§ 24 Abs. 3 SGB II) werden nur bestimmte Leistungen, die nicht beständig bezogen werden müssen, gesondert erbracht. Auch die durch das sog. Bildungspaket 2011 eingeführten „Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ (s. III-4.1.6.2) werden nach § 28 SGB II bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben dem Regelbedarf gesondert berücksichtigt.
Zwischenergebnis: Rechtsnormen, hier das SGB II, legen den Inhalt der den Regelbedarf deckenden Regelsätze für die laufenden Leistungen der Grundsicherung fest. Die Bekleidung ist demnach grds. vom laufenden Bedarf umfasst. Eine Ausnahme (Erstausstattung; Schwangerschaftskleidung) nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II liegt bei der von der Tochter von Herrn Berger gewünschten Jeansjacke nicht vor. Diese wird Herr Berger bzw. seine Tochter entweder von erspartem Geld kaufen müssen oder er muss mit seiner Tochter das notwendige, unter Umständen bei pubertierenden Jugendlichen nicht einfache Gespräch suchen, weshalb diese meint, ohne eine solche Jacke nicht am Schulleben teilnehmen zu können. An die Rechtsberatung könnte sich insoweit also ggf. eine (informelle) Erziehungsberatung des JA (§ 16 Abs. 2 S. 2, § 28 SGB VIII; hierzu III-3.3) anschließen.
Im Hinblick auf die Kosten für die Klassenfahrt beruft sich das Jobcenter der Stadt G. auf die Verwaltungsvorschriften VV-Grund. Der in § 20 Abs. 1 S. 2 SGB II genannte Begriff „Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben“ ist unbestimmt und bedarf der Auslegung (hierzu 3.3.2), weshalb die Verwaltungen häufig Verwaltungsvorschriften zur einheitlichen Ausübung erlassen (hier s. o. § 5 Abs. 2 der VV-Grund). Nach der Auffassung des Jobcenters sind Schulaktivitäten grds. vom Regelbedarf umfasst und daher nicht gesondert zu erstatten. Allerdings sind Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich nicht vom Regelbedarf umfasst, sondern als einmaliger Bedarf anerkannt (§ 28 Abs. 2 SGB II). Eine „mehrtägige“ Klassenfahrt beginnt nicht erst ab einer Woche, sondern – ungeachtet des vielleicht mehrdeutigen Wortlauts im Hinblick auf die Gegenüberstellung mit (eintägigen) Schulausflügen – bereits ab zwei Tagen. Die in der VV-Grund vorgenommene Definition widerspricht damit dem Gesetz und darf der Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegt werden, auch wenn diese „an sich“ für die Mitarbeiter intern verbindlich ist. Auch die Pauschalierung des Zuschusses nach § 5 Abs. 4 VV-Grund steht im Widerspruch zu § 28 Abs. 2 SGB II, wonach bei mehrtägigen Klassenfahrten die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen sind, anders als bei den einmaligen Bedarfen, die nach § 24 Abs. 3 S. 4 SGB II auch als Pauschalbeträge erbracht werden können.
Empfehlungen
In zahlreichen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit erarbeiten Verbände und Fachvereinigungen, Arbeitskreise und Arbeitsgemeinschaften „Empfehlungen“, „Richtlinien“ oder sonstige Arbeitshilfen. Die öffentlichen Leistungsträger werden durch diese Empfehlungen nicht gebunden. Allerdings können vorgesetzte Behörden bzw. Dienstvorgesetzte, z. B. die Bürgermeister und Landräte als Leiter der kommunalen Verwaltung, in Ausübung ihrer Weisungsbefugnis anordnen, dass alle Mitarbeiter bei der Ausführung ihrer Aufgaben derartige „Empfehlungen“ als Weisung zu beachten haben.
Gerichtsentscheidungen
Gerichtsurteile sind grds. keine Rechtsnormen. Gerichtsentscheidungen binden unmittelbar nur die an einem einzelnen Gerichtsverfahren beteiligten Personen (Parteien), nicht aber – anders als die höchstrichterlichen Entscheidungen im Bereich des angelsächsischen Common Law – die Gerichte selbst. Grund hierfür ist die Dreiteilung der Staatsgewalt (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Würden Gerichtsurteile jedermann binden, so hätten sie die Wirkung von Gesetzen, deren Erlass jedoch grds. den Parlamenten vorbehalten ist. Eine Ausnahme besteht nur bei bestimmten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die alle Verfassungsorgane und Behörden des Bundes und der Länder binden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Teilweise haben die Entscheidungen des BVerfG, insb. aufgrund eines sog. Normenkontrollverfahrens, durch das Vorschriften als verfassungswidrig erkannt werden, über den Einzelfall hinaus verbindliche Wirkung und damit ausdrücklich Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG).
Trotz der beschränkten Wirkung von Gerichtsentscheidungen hat insb. die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Praxis der Rechtsanwendung eine herausragende Bedeutung. Es empfiehlt sich, insb. die Entscheidungen der obersten Gerichte zu beachten, weil sie wertvolle Hinweise für die sachkundige Auslegung (hierzu 3.3.2) von Rechtsvorschriften liefern. Zudem orientieren sich unterinstanzliche Gerichte an den Entscheidungen der Obergerichte.
1.1.3.7 Rangordnung der Rechtsvorschriften
Rechtsvorschriften stehen in einem wertigen Stufenverhältnis, einer Rangordnung zueinander (vgl. Übersicht 4). Der Vorrang höherrangigen Rechts verpflichtet die Rechtsanwender dazu, rangniedere Rechtsvorschriften stets (verfassungs-)konform auszulegen (hierzu 3.3.2). Im Kollisionsfall geht das höherrangige Recht dem rangniedrigeren Recht vor, d. h. die rangniedrigere Norm ist nichtig, wenn sie gegen höherrangiges Recht verstößt. Zu beachten ist hier zunächst der unmittelbare Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts (s. 1.1.5). Im Hinblick auf den vielfach verkürzt-pauschal dargestellten Grundsatz des Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht“) muss beachtet werden, dass diese Regelung nur dann relevant wird, wenn dem Bund für die entsprechende Frage nach dem Grundgesetz tatsächlich die Regelungskompetenz zusteht. Betrifft eine Materie allein die Regelungskompetenz der Länder (ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 GG z. B. im Bereich von Kultus-/Schulrecht, Strafvollzug, Heimrecht), so wäre eine entsprechende Bundesnorm nicht höherrangig, sondern verfassungswidrig (z. B. im Bereich des Schulwesens als traditionelle Länderkompetenz). Nur im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 Abs. 1, Art. 74, 99 GG) geht ein rechtmäßiges Bundesgesetz oder eine Rechtsverordnung den Länderrechtsnormen vor. Ländergesetze, die entgegen der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung erlassen werden, sind ebenso verfassungswidrig (z. B. nachträgliche Sicherungsverwahrung; vgl. BVerfGE 2 BvR 834 / 02 – 10.02.2004; vgl. auch IV-4.2). Bei Kollisionen gleichrangiger Vorschriften verdrängt das neuere Gesetz das ältere und die speziellere die allgemeine Norm.
Übersicht 4: Normenpyramide am Beispiel des Jugendhilferechts

Anm: Die abgeleiteten Rechtsnormen (RVO und Satzung) sind kursiv gedruckt.
1.1.4 Überblick über die Gebiete der deutschen Rechtsordnung
Konflikte sind normal und können in allen Lebensbereichen entstehen: Streitigkeiten innerhalb der Familie, im alltäglichen Handeln im Arbeitsleben, der Streit um die Mieterhöhung, der Unfall im Straßenverkehr usw. Die aus dem Konflikt resultierende rechtliche Fragestellung bestimmt, welches Rechtsgebiet innerhalb einer Rechtsordnung Anwendung findet.

Zur Verdeutlichung ein kleiner konstruierter Fall: Adam ist gemeinsam mit seiner Freundin Eva im Pkw auf dem Nachhauseweg. Beide sind verliebt, schauen sich oft in die Augen und unterhalten sich angeregt. Da sich Adam beim Fahren nicht voll auf den Verkehr konzentriert, verursacht er an einer Ampelkreuzung einen Auffahrunfall, bei dem Herr B. verletzt wird. Dieser kleine Fall wirft mehrere Fragen auf:
Wenn A. aus Unachtsamkeit einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem B. verletzt wird, so beantwortet das Zivilrecht (s. Teil II) die Frage, ob A. dem B. Schadensersatz und Schmerzensgeld zu leisten hat und ggf. in welcher Weise und Höhe (§§ 823, 253 Abs. 2 BGB, § 7 StVG). Sinn und Zweck ist hierbei der Ausgleich des (materiellen und ideellen) Schadens. Das Verwaltungsrecht (s. Teil III) bezweckt die Gefahrenkontrolle und befasst sich deshalb mit der Frage, ob sich A. durch sein Verhalten als ungeeignet zum Fahren von Kfz erwiesen hat und ob ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen ist (§ 4 StVG). Das Strafrecht (s. Teil IV) klärt, ob A. sich anlässlich des Verkehrsunfalls strafbar gemacht hat und wie er ggf. zu sanktionieren ist.
Im deutschen Recht findet sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Regelungsmaterien. Der Tradition des römischen Rechts folgend wird die deutsche Rechtsordnung unterteilt – siehe dazu auch Übersicht 5 – in das:
■ Privatrecht (ius privatum): regelt die Beziehungen der einzelnen Bürger und anderer nichthoheitlich handelnder Rechtssubjekte (juristische Personen, z. B. Verein, GmbH; hierzu II-1.1) zueinander auf der Basis der Gleichordnung und Selbstbestimmung (hierzu II). Das BGB ist als „bürgerliches“ Zivilrecht nur ein Teil des Privatrechts, andere privatrechtliche Rechtsnormen finden sich z. B. im Handels- und Wirtschaftsrecht (z. B. HGB, GmbHG, Gewerbe-, Wettbewerbs-, Urheberrecht) sowie im Arbeitsrecht.
Übersicht 5: Übersicht über das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland

■ Öffentliches Recht (ius publicum): regelt die Organisation des Staates und der mit Hoheitsgewalt ausgestatteten Rechtssubjekte (Körperschaften, Anstalten und öffentlich-rechtliche Stiftungen; hierzu 4.1.2), die öffentliche Verwaltung und das von ihr angewandte Verfahren; es ordnet die Rechtsverhältnisse der Hoheitsträger untereinander und zu den Bürgern (hierzu III). Hierzu gehören insb. das Grundgesetz, sonstiges Staats- und Verwaltungsrecht, insb. die einzelnen Bücher des SGB, das Schulrecht, Polizeirecht sowie das gesamte Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht auch der Zivilgerichtsbarkeit. Das häufig als eigenständiges Rechtsgebiet behandelte Strafrecht (IV) ist öffentliches Recht.
Abgrenzungstheorien
Eine Rechtsnorm ist öffentlich-rechtlicher Natur, wenn aus ihr zwingend ein Träger öffentlicher Verwaltung berechtigt oder verpflichtet ist. Privatrechtlich ist eine Norm, wenn der betreffende Rechtssatz für jedermann gilt (sog. moderne Subjektstheorie). Frühere gebräuchliche Abgrenzungskriterien (z. B. bei einem Über- und Unterordnungsverhältnis sei die Norm öffentlich-rechtlich, bei Gleichordnung privatrechtlich) sind für den modernen Rechtsstaat untauglich. Zum einen ist der Bürger kein Untertan und zum anderen sind viele Rechtsverhältnisse zwischen öffentlichen Trägern trotz ihrer Gleichordnung öffentlich-rechtlich ausgestaltet (z. B. Kostenerstattungsansprüche, öffentlich-rechtliche Verträge, z. B. über Gemeindegrenzen oder i. R. d. Daseinsvorsorge).
Verwaltungsprivatrecht
Die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht kann gelegentlich schwierig sein. So nehmen Staat und Kommunen öffentliche Aufgaben (z. B. Verkehrs- und Versorgungsleistungen, Abfallentsorgung) nicht allein in klassisch hoheitlichen, sondern auch in privatrechtlichen Formen wahr. Man spricht dann von „Verwaltungsprivatrecht“. Es finden zwar zunächst die zivilrechtlichen Regelungen Anwendung (z. B. Kaufrecht, Mietrecht) und bei Streitigkeiten ist deshalb der Zivilrechtsweg einzuschlagen. Andererseits darf der Staat – auch soweit er privatrechtlich handelt – seine hoheitliche Befugnis nicht ausnutzen, er kann sich nicht durch eine „Flucht ins Privatrecht“ von der Geltung der Grundrechte befreien (vgl. z. B. BGH 24.09.2002 – KZR 4 / 01 – NJW 2003, 752 ff.). Zuletzt hat das BVerfG betont: „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“ (1 BvR 699 / 06 – 22.02.2011). Deshalb ist die Verwaltung (auch derartiger Unternehmen) an die verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen und Verwaltungsgrundsätze (z. B. Sozialdatenschutz, Akteneinsichtsrecht, Kostendeckungsprinzip) gebunden (vgl. BGH NJW 1992, 171, 173). Aus diesem Grund steht es einem in privatrechtlichen Formen betriebenen kommunalen Versorgungsunternehmen nicht völlig frei, mit welchen Nutzern es Verträge schließt, sondern es ist verpflichtet, grds. allen Bürgern zu gleichen Bedingungen Versorgungsleistungen anzubieten (sog. Kontrahierungszwang).






