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5. Die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche: Was Kirche ist
Von Andreas Unfried
Neben der pastoraltheologischen Sicht auf Kirche und Gemeinde gibt es von alters her jenes Verständnis von Kirche, wie es sich im Glaubensbekenntnis ausdrückt: Ich glaube die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Auch aus diesem Verständnis können für den Aufbau von „Pfarreien neuen Typs“ wertvolle Einsichten gewonnen werden. Darum soll hier wenigstens kurz diese Perspektive eingebracht werden.
Die Kirche ist die „eine“ – und damit jede Form von Kirchenspaltung eine offene Wunde am Leib der Kirche. Sie ist als die eine aber auch nicht verstehbar als das Projekt einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Schicht. Als die eine Kirche darf sie sich nicht zufriedengeben mit einer Verengung auf bestimmte gesellschaftliche Milieus. Der gegenwärtige Trend zur „Verkernung“ unserer Gemeinden bedroht die Kirche darum ganz unmittelbar in ihrem theologischen Wesenskern. Will man dem begegnen und Kirche wieder öffnen auf verlorengegangene Milieus hin, dann wird man gut daran tun, die Grenzen der Pfarrei immerhin so groß zu ziehen, dass es eine realistische Chance dafür gibt, dass sich in einer solchen Pfarrei verschiedene gesellschaftliche Milieus nebeneinander entwickeln können. Natürlich muss es für verschiedene gesellschaftliche Milieus auch unterschiedliche Orte und Ansprechpartner, Angebote und Entwicklungsmöglichkeiten geben, was für eine je individuelle Profilierung von Gemeinden und Kirchorten spricht. Nicht überall muss es blühende Jugendarbeit geben, aber wo man auf Jugendarbeit setzt, sollen Jugendliche sich auch in den Räumen (auch in den Kirchenräumen) zu Hause fühlen. Nicht jede Gemeinde braucht einen guten Kirchenchor. Aber wo man auf die geistliche Prägekraft der Kirchenmusik setzt, da sollten Kulturliebende und Kulturschaffende ein Klima vorfinden, wo sie sich gerne beheimaten. Im Gesamt dieser teilweise sehr unterschiedlichen Kulturen mag dann ein Bild davon entstehen, was mit der Einheit der Kirche (und der Einheit der Pfarrei) gemeint ist: nämlich keine Uniformität, sondern ein pluriformes Zueinander unterschiedlicher Glaubens- und Lebensstile, die sich finden im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens.
Die Kirche ist die „heilige Kirche“, weil sie vom Wesenskern her nicht Zusammenschluss von Gleichgesinnten, sondern vom Herrn Jesus zusammengerufene Gemeinschaft ist (vgl. Hochgebet: „Wir danken Dir, dass Du uns gerufen hast, vor Dir zu stehen …“). Ihre Mitte findet sie darum in Jesus Christus und lebt aus seinem Wort.
Für die „Pfarrei neuen Typs“ bedeutet das, dass sie nur eine Form von Zentralisierung kennen darf: die um das Wort Gottes und die sakramentale Gegenwart des Herrn in der Eucharistie. Alle Pastoralkonzepte, alle pastoralen Programme haben sich daran zu messen, inwiefern es mit ihrer Hilfe gelingt, diese entscheidende Wahrheit glaubwürdig gegenwärtig zu setzen. Kirchliche Strukturen, die zu viel Aufmerksamkeit für sich selbst beanspruchen, müssen von daher kritisiert und reformiert werden. Natürlich braucht es transparente und effiziente Kommunikations- und Entscheidungswege. Aber die Freude am Wort Gottes, an der Begegnung mit Gott in der Liturgie und im Dienst für den Nächsten darf darüber nicht in den Hintergrund treten.
Die Kirche ist „apostolisch“, weil sie nicht nur die Gemeinschaft der vom Herrn Gesammelten, sondern auch der von ihm Ausgesandten ist. Kirche hat den spezifischen Auftrag, das Wort Gottes der Welt zu verkünden. Eine Gemeinde, die sich nicht gesandt weiß, im guten Sinne missionarisch tätig zu werden, verliert auf Dauer ihre Daseinsberechtigung. Lange Zeit hat man diese missionarische Dimension von Kirche praktisch nurmehr in der Glaubensweitergabe an die nächste Generation gesehen bzw. in Gebet und Spende für die Missionsarbeit in der sogenannten Dritten Welt. Längst ist uns aber deutlich geworden, dass wir keineswegs mehr in einer christentümlichen Gesellschaft leben. Je weniger aber christliches Gedankengut als bekannt vorausgesetzt werden kann, umso wichtiger wird es für die Christen, sich und ihre Botschaft wieder verständlich zu machen in einer Sprache, die auch in der heutigen Gesellschaft verstanden wird. Das setzt für die Entwicklung der Pastoral in einer Pfarrei voraus, dass es gegenüber der Gesellschaft sprachfähige Gesprächspartner gibt und auch die entsprechenden Kommunikationsmittel, um sich verständlich zu machen. Wieder wird man sagen müssen, dass Aufbau und Pflege zum Beispiel einer Homepage im Internet, aber auch nur das klassische Medium eines in die Haushalte verteilten Pfarrbriefs einer gewissen Professionalisierung bedürfen, die in einer größer gedachten Einheit zumindest leichter erreicht werden kann als in einer kleinen.
Schließlich ist die Kirche „katholisch“ („das Ganze umfassend“ – durchaus im nichtkonfessionellen Sinne), insofern sie sich nicht auf die vorfindliche Gemeinde (oder Pfarrei) beschränken lassen darf, sondern in lebendigem Miteinander mit der gesamten Christenheit steht. Der Weg in die sektenhafte Vereinzelung steht der Kirche nicht offen. Die Gründung der „Pfarrei neuen Typs“ auf und in den zu ihr gehörenden Gemeinden wehrt dem Missverständnis, man hätte als Christ an seiner eigenen Gemeinde genug. Stattdessen übt die neue Struktur ein, dass man zwar einiges, aber nicht alles für das christliche Leben Notwendige im Umfeld des eigenen Kirchturms finden kann. Für anderes muss man sich bewegen und in der Bewegung erfahren, dass es geradezu einen Reichtum bedeuten kann, zu erfahren, was Katholizität an Weite und Vielfalt bedeuten kann. Nicht verschwiegen sei, dass umgekehrt die Katholizität einer „Pfarrei neuen Typs“ auch der kirchlichen Verwaltung einiges abverlangen wird. Sie wird toleranter mit einer größeren Vielfalt der Glaubensstile rechnen und aushalten lernen müssen, dass die Möglichkeiten zum „Durchgreifen von oben“ in der großen Pfarrei eher geringer sein werden als heute.
6. In persona Christi capitis: Priesterliches Dienstamt
Von Andreas Unfried
Es kann hier in diesem Zusammenhang nicht um eine umfassende Theologie des priesterlichen Amtes gehen. Doch ist es andererseits augenfällig, dass eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Umbruchphase der kirchlichen Sozialgestalt in unserem Land nicht an diesem Aspekt vorbeigehen kann. Schließlich ist der grassierende Priestermangel mindestens eine (viele würden sogar sagen: die entscheidende) treibende Kraft hinter allen Umbrüchen und Abbrüchen. Vom Priestermangel redet man in der deutschen Kirche schon solange ich denken kann. In meiner Jugend meinte man damit allerdings Situationen, in denen in einer Gemeinde kein Kaplan mehr eingesetzt werden konnte oder wo ein Pfarrer sich genötigt sah, die Nachbargemeinde in Personalunion mit zu übernehmen. An Situationen, als Pfarrer die Leitung von acht oder sogar mehr Gemeinden übernehmen zu sollen, hätten selbst wir kritische Studenten während unseres Studiums noch nicht geglaubt, gaben uns stattdessen der Erwartung hin, dass die organisatorischen Sachzwänge über kurz oder lang ein theologisches Umdenken erzwingen würden, was die Zugangswege zum Weihesakrament bzw. die Aufgaben und Vollmachten der Laientheologen betrifft. Stattdessen haben wir in den vergangenen 20 Jahren erlebt, wie ein immer größerer Pragmatismus in der Ausgestaltung der praktischen Seelsorge einherging mit einer deutlich restaurativen Tendenz in der offiziellen Theologie. Auf die Veränderungen, die das Berufsbild der Laientheologen dadurch erfuhr, wird im nächsten Kapitel einzugehen sein. Hier soll zunächst das Augenmerk auf den Priesterberuf gelenkt werden.
Das Wesen des Priesteramts in der Kirche beschreibt das Lexikon der katholischen Dogmatik in der Aufnahme der Lehraussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils („Lumen Gentium“ und „Presbyterorum ordinis“) als ein hierarchisch gegliedertes Dienstamt in der Kirche in den Dimensionen Verkündigung, Heiligung (durch die Feier der Sakramente) sowie der Leitung der Gemeinde und von Einzelnen. In diesen Bereichen wirken die Priester im Auftrag des Bischofs zum Wohle der Gemeinden. Seinen Sinn findet das priesterliche Amt im Dienen. Der Priester kann in doppelter Hinsicht als Repräsentant gesehen werden: Einerseits repräsentiert er der Gemeinde gegenüber Jesus Christus (Handeln „in persona Christi capitis“), andererseits repräsentiert er der Gesellschaft gegenüber die Kirche. Die Akzentuierung des Priestertums als Opferpriestertum wurde vom Konzil durch dessen Einbettung in das umfassender verstandene Dienstamt eher zurückgenommen (und damit in seiner kontroverstheologischen Sprengkraft entschärft). In abgeleitetem Sinne (unbeschadet der einzigen Mittlerschaft Christi) darf der Priester dennoch weiterhin als „Mittler“ gelten (Lumen Gentium 14).
Nun ist zu beobachten, dass die nachkonziliare Praxis des priesterlichen Dienstes eine zunehmende Verengung erfahren hat. Waren die Dimensionen des Priesters als Mittler und als Repräsentant von vornherein eher Nebenaspekte des vorherrschenden Priesterbilds des Gemeindeleiters, so hat sich über die Jahre auch darin noch einmal eine immer stärkere Fokussierung auf das Charisma der Leitung ergeben. Dies wäre womöglich zu verschmerzen gewesen, hätte es nicht durch die Not erzwungen auch innerhalb dieses eingeschränkten Priesterbilds zusätzlich noch einmal eine Verengung auf einen (wenngleich zentralen Aspekt) priesterlichen Handelns gegeben, nämlich auf das Charisma der Leitung hin. Der Pfarrer, der nolens volens in Gehorsam gegenüber seinem Bischof und aus Verantwortungsgefühl für die Gemeindemitglieder die Seelsorge in der zweiten und meist bald der dritten Pfarrei übernahm, tat es beinahe immer „unter Beibehaltung seiner bisherigen Aufgaben“ und (was folgenreicher war) in Beibehaltung der gleichen Vorstellung vom priesterlichen Dienst. Wer sich bisher als Seelsorger seiner Gemeinde verstanden hatte, der wollte dies nun auch für zwei oder mehr Gemeinden sein. Die zusätzlichen Termine im Kalender versuchte man mit besserem Zeitmanagement in den Griff zu bekommen bzw. dadurch, dass man sich Mühe gab, pastorale Felder zu vereinheitlichen. Statt bei einem Pfarrfest präsent zu sein, ging der Pfarrer jetzt auf drei. Vielleicht blieb er dort nicht mehr so lange wie früher, was ihm dann den Vorwurf eintrug, er habe kein rechtes Interesse mehr an seiner Gemeinde. Statt ein Mitarbeiterfest für die Ehrenamtlichen auszurichten, versuchte der Pfarrer es nun mit mehreren, bei denen man ja das Unterhaltungsprogramm angleichen konnte (mit ähnlichen Ergebnissen wie oben; der Versuch, es allen recht zu machen, lief – und läuft – so auf tragische Weise ins Leere). Verstärkt wurde und wird diese Entwicklung (die ja keineswegs abgeschlossen ist) durch die Bildung größerer Pastoraler Räume oder Seelsorgeeinheiten und den ständigen Druck der Strukturdiskussionen. Aus dem Gemeindepfarrer wurde so der priesterliche Leiter. Natürlich feiert der auch weiterhin Gottesdienste – aber bitte nicht länger als 55 Minuten. Die nächste Gemeinde wartet. Natürlich ist er weiterhin in der Verkündigung tätig – aber aus Zeitmangel muss es öfters schon mal die Predigt von vor drei Jahren tun. Natürlich steht er weiter für persönliche Seelsorgsgespräche zur Verfügung – aber man muss halt erst einmal einen Termin bei ihm ergattern respektive genug Mut aufbringen, den Pfarrer, der ja so wenig Zeit hat, mit den eigenen Anliegen zu belästigen.
Nimmt es wunder, dass diese Entwicklung, ganz abgesehen von der Zölibatsdiskussion, dem Priesterberuf nicht zuträglich sein kann? Welcher junge Mann, selbst wenn er die Herausforderung eines ehelosen Lebens um des Himmelreiches willen für sich annehmen möchte, sollte in der gegenwärtigen Gestalt des Priesterberufs eine attraktive Perspektive für sein Leben und einen persönlichen Weg der Nachfolge Jesu sehen? Muss man sich darum wundern, dass von den wenigen Priesterkandidaten und jungen Priestern heute immerhin eine ganze Reihe sich nicht auf die Rolle des priesterlichen Leiters festlegen lassen wollen (und womöglich auch nicht viel Talent in dieser Beziehung besitzen), was andererseits die prekäre Situation für die Bistumsleitungen noch verschärft?
Ich möchte mit diesen Überlegungen nicht dahingehend missverstanden werden, dass man sie als Argument für die Beibehaltung des Pflichtzölibats hernehmen könnte. In der Tat fehlen unserer Kirche heute Priester. Und genauso unabweislich gibt es in unserer Kirche weiterhin eine ganze Anzahl junger Menschen, die vielfältige Gnadengaben des Heiligen Geistes in sich tragen, die fruchtbar gemacht werden könnten, wenn sie auch dazu die nötige Ausbildung und den nötigen Auftrag der Kirche bekämen. Allen Versuchen zum Trotz, die Diskussion um den Pflichtzölibat und erweiterte Zugangswege zum Priestertum für beendet zu erklären, halte ich fest daran, dass eine Kirche, die so handelt, in Gefahr steht, sich dem Anruf des Heiligen Geistes zu verweigern. Allerdings liegen die Dinge längst nicht so klar und eindimensional, dass mit der Aufhebung des Pflichtzölibats auf einmal alle kirchlichen Probleme behoben wären. Für die beklagenswerte Verengung des Priesterbilds auf den leitungsstarken Organisator von Großpfarreien kommt allerdings unabhängig von der Diskussion um die Zugangswege zum Priestertum eine andere Perspektive in den Blick: Die Bildung von – dezentral organisierten – Großpfarreien setzt eine namhafte Zahl von Priestern frei für eine andere Ausprägung ihres priesterlichen Dienstes. Es wird zukünftig neben den leitenden Pfarrern eine erhebliche Zahl von „mitarbeitenden Priestern“ geben. Bisher gibt es wenig Praxis, was die Berufsrolle dieser priesterlichen Mitarbeiter anbetrifft. Im Pastoralteam der hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger werden sie Kollegen von Pastoral- oder Gemeindereferenten und -referentinnen sein. Dennoch wird die Priesterweihe ihren Dienst immer auch abheben von dem der anderen. Es bestünde so zumindest die Chance, derzeit wenig akzentuierte Dimensionen des Priestertums zurückzugewinnen, sei es in Bezug auf die Einzelseelsorge oder für die Repräsentanz von Kirche in säkularen Feldern der Gesellschaft. Nicht zuletzt könnte für die würdige und sprechende Feier der Liturgie neues Terrain gewonnen werden.
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