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»Da liegt nun das Stückchen Land vor Euch, meine Freunde, begann er, das Land, auf welches die Hand des Allmächtigen uns geworfen hat. Hier werden wir also, und vielleicht lange Zeit, unser Leben hinbringen. Vielleicht erlöst uns auch eine unerwartete Hilfe, wenn ein Schiff durch Zufall ... ich sage, durch Zufall, denn diese Insel ist von zu geringer Ausdehnung; sie bietet den Fahrzeugen kaum einen schützenden Hafen, und die Befürchtung, daß sie außerhalb der befahrenen Straßen liege, d.h. zu südlich für die Schiffe, wel che die Inselgruppen des Stillen Weltmeeres besuchen, und zu nördlich für diejenigen, welche nach Umsegelung des Cap Horn nach Australien steuern, hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Es kann mir nicht beikommen, Euch unsere Lage zu verhehlen ...
– Und Sie thun recht daran, fiel ihm der Reporter in's Wort. Sie sprechen zu Männern, welche Vertrauen zu Ihnen haben, und auf die Sie zählen können. – Nicht wahr, meine Freunde?
– Ich werde Ihnen stets gehorchen, Mr. Cyrus, erklärte Harbert und ergriff die Hand des Ingenieurs.
– Sie sind mein Herr, immer und überall! rief Nab.
– Was mich betrifft, sagte der Seemann, so will ich nicht mehr Pencroff heißen, wenn ich nicht zu jeder Arbeit willig bin, und wenn es Ihnen beliebt, Mr. Smith, so machen wir aus dieser Insel ein kleines Amerika! Wir bauen Städte und Eisenbahnen, richten Telegraphen ein, und eines schönen Tags, wenn die Insel völlig umgewandelt, eingerichtet und cultivirt ist, bieten wir sie der Unionsregierung an. Nur Eines verlange ich dabei ...
– Und das wäre? fragte der Reporter.
– Daß wir uns nicht mehr als Schiffbrüchige betrachten, sondern als Ansiedler, welche hierher gekommen sind, eine Colonie anzulegen!«
Cyrus Smith konnte sich zwar des Lachens kaum enthalten, doch wurde des Seemanns Vorschlag einstimmig angenommen. Dann sprach er seinen Dank für das ihm bewiesene Vertrauen aus und fügte hinzu, daß er auf die Energie seiner Gefährten ebenso, wie auf die Hilfe der Vorsehung rechne.
»Nun denn, vorwärts nach den Kaminen! rief Pencroff.
– Noch einen Augenblick, meine Freunde, sagte da der Ingenieur; es erscheint mir zweckmäßig, der Insel, den Caps und Vorgebirgen, sowie dem Flüßchen, das wir vor uns sehen, bestimmte Namen zu geben'
– Sehr gut, bemerkte der Reporter. Das vereinfacht in der Zukunft wesentlich alle Instructionen, die wir zu geben oder zu befolgen haben.
– Wirklich, bestätigte der Seemann, das ist schon Etwas, sagen zu können, wohin man geht oder woher man kommt, es erweckt den Begriff einer Heimat, der man angehört.
– Die Kamine zum Beispiel, warf Harbert ein.
– Richtig! erwiderte Pencroff. Schon dieser Name machte den Aufenthalt wohnlicher, und auf den bin ich ganz allein gekommen. Werden wir den Namen ›Kamine‹ beibehalten, Mr. Cyrus?
– Da Sie unsere erste Wohnung so getauft haben, ja!
– Schön! Was die anderen Namen betrifft, so werden wir mit ihrer Auswahl leicht fertig werden, fuhr der Seemann fort, der nun einmal im Zuge war. Wir verfahren wie die Robinsons, deren Geschichte mir Harbert früher vorgelesen hat, und taufen z.B. die ›Bai der Vorsehung‹, die ›Pottfischspitze‹, das ›Cap der getäuschten Hoffnung‹! ...
– Oder wir verwenden vielmehr die Namen der Mr. Smith, Spilett, Nab's ...
– Meinen Namen! rief Nab und zeigte seine glänzend weiße Zahnreihe.
– Warum nicht? erwiderte Pencroff, der ›Nabs-Hafen‹ und das ›Gedeons-Cap‹ müßten sich recht gut ausnehmen.
– Ich würde Bezeichnungen aus unserer Heimat vorziehen, meinte der Reporter, die uns immer an Amerika erinnern.
– Ja wohl, stimmte ihm Cyrus Smith bei, wenigstens für die Hauptsachen, wie für die Baien und Meerestheile. Laßt uns jener großen Bai im Osten den Namen der ›Unions-Bai‹, und dieser im Westen den der ›Washington-Bai‹ geben. Der Berg, auf dem wir stehen, heiße der ›Franklin-Berg‹ und der See da unten ›Grants-See‹. Wißt Ihr etwas Besseres? Immer werden uns diese Namen an unser Vaterland und die großen Bürger desselben, die es zieren, erinnern. Für die Flüsse, Golfe, Caps und Vorgebirge aber, welche wir von hier aus überblicken, wählen wir Bezeichnungen, wie sie ihre Gestaltung uns an die Hand giebt. Diese werden sich uns leichter einprägen und gleich zeitig praktischer sein. Die Form der ganzen Insel würde uns die Aufsuchung eines geeigneten Namens wohl sehr erschweren; den uns noch unbekannten Wasserlauf aber, die verschiedenen Theile des Waldes, den wir später durchforschen werden, die kleinen Einschnitte am Ufer, die sich uns zeigen mögen, taufen wir nach ihrem äußeren Ansehen. Was meint Ihr, meine Freunde?«
Der Vorschlag des Ingenieurs fand eine einstimmige Billigung. Vor ihnen lag die Insel wie eine aufgerollte Karte, und es sollte nun jedem ein- und ausspringenden Winkel, jeder namhafteren Bodenerhöhung auf derselben eine Bezeichnung gegeben werden. Gleichzeitig wollte Gedeon Spilett diese Namen auf seinen Plan einschreiben, um die geographische Nomenclatur der Insel endgiltig festzustellen.
Zunächst taufte man also mit dem Namen der Union, Washingtons und Franklin's die beiden Baien und den Hauptberg, entsprechend dem Vorschlage des Ingenieurs.
»Die Halbinsel, welche vom Südwesten der Insel ausläuft, sagte der Reporter, würde ich die ›Schlangen-Halbinsel‹ nennen, und den umgebogenen Schwanz an ihrem Ende das ›Reptil-End‹, welche Bezeichnung mir seine Gestalt zu treffen scheint.
– Angenommen, erklärte der Ingenieur.
– Das andere Ende der Insel nun, sagte Harbert, den Golf, der einem geöffneten Rachen so auffallend ähnelt, nennen wir ›Haifisch-Golf‹.
– Gut erfunden! rief Pencroff. Dann vervollständigen wir das Bild und nennen das Cap daran das ›Kiefer-Cap‹.
– Deren giebt es aber zwei, warf der Reporter ein.
– Das ist sehr einfach, erklärte Pencroff, so nennen wir das eine ›Oberkiefer-‹, das andere ›Unterkiefer-Cap‹.
– Sie sind eingetragen, meldete der Reporter.
– Nun wäre noch die äußerste Spitze im Südosten der Insel zu taufen, sagte Pencroff.
– Das heißt, den Ausläufer der Unions-Bai? fragte Harbert.
– ›Krallen-Cap‹«, rief Nab, der doch auch Pathenstelle bei einem Stückchen ihres Gebietes vertreten wollte.
In der That hatte Nab damit eine ganz treffende Bezeichnung gefunden, denn jenes Cap ähnelte sehr auffallend der ungeheuren Tatze eines phantastischen Thieres, welches die ganze Insel vorstellte.
Pencroff war entzückt darüber, wie glatt sich das ganze Tausgeschäft abwickelte, und bald einigte man sich auch über die weiteren Benennungen.
Den Fluß, welcher den Colonisten Trinkwasser lieferte und in dessen Nachbarschaft die Ballonruine sie geworfen hatte, nannte man die »Mercy«, aus Dank gegen die Vorsehung; das Eiland, auf welchem die Schiffbrüchigen zuerst Fuß faßten, die »Insel des Heils«.
Das Plateau, welches die hohe Granitmauer über den Kaminen krönte, erhielt den Namen der »Freien Umschau«; die undurchdringlichen Wälder endlich, welche die Schlangenhalbinsel bedeckten, den der »Wälder des fernen Westens«.
Hiermit erschien die Namengebung der sichtbaren und bekannten Punkte der Insel beendigt und sollte erst bei Gelegenheit weiterer Erfahrungen und Entdeckungen vervollständigt werden.
Die Lage der Insel bezüglich der Himmelsrichtungen hatte der Ingenieur durch die Stellung der Sonne annähernd bestimmt, wonach die Unions-Bai und die freie Umschau die Ostseite einnahmen. Am nächsten Tage erst beobachtete er die Zeit des Sonnenauf- und -Unterganges genauer und bestimmte darnach, als er die Richtung der Mittagslinie feststellte, den Nordpunkt der Insel, denn man wolle nicht vergessen, daß die Sonne über der südlichen Halbkugel der Erde zur Zeit ihrer Culmination genau im Norden steht, während auf der nördlichen Halbkugel bekanntlich das Gegentheil der Fall ist.
Alles war also abgemacht und die Colonisten hatten nur nöthig, den Franklin-Berg hinabzusteigen und nach den Kaminen zurückzukehren, als Pencroff aus rief:
»O, wir sind doch recht auf den Kopf gefallen!
– Und warum? fragte Gedeon Spilett, der schon das Notizbuch geschlossen und sich zum Aufbruch fertig gemacht hatte.
– Nun, unsere Insel selbst erhält wohl gar keinen Namen?«
Harbert schlug vor, ihr den des Ingenieurs zu geben, was unzweifelhaft den Beifall der Uebrigen gefunden hätte, als Cyrus Smith im Voraus ablehnend sagte:
»Nein, taufen wir sie nach einem unserer großen Mitbürger, meine Freunde, auf den Namen desjenigen, der jetzt für die Untheilbarkeit der Freistaaten Amerikas kämpft, – nennen wir sie die ›Insel Lincoln‹!«
Drei Hurrahs antworteten dem Vorschlage des Ingenieurs.
Wie plauderten die neuen Colonisten an diesem Abend von ihrem entfernten Vaterlande; sie sprachen von dem schrecklichen Kriege, der die heimische Erde mit Blute düngte; sie bezweifelten auch keinen Augenblick, daß der Süden unterliegen, daß die Sache des Nordens, die Fahne der Gerechtigkeit, Dank Grant und Lincoln, bald siegen müsse!
Es war das am 30. März 1865. – Jene ahnten es nicht, daß sechzehn Tage nachher in Washington ein grauenvolles Verbrechen begangen werden, daß am Charfreitag Abraham Lincoln dem tödtlichen Blei eines Fanatikers erliegen sollte!
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Zwölftes Capitel
Regulirung der Uhren. – Pencroff ist befriedigt. – Ein verdächtiger Rauch. – Der Lauf des Rothen Flusses. – Die Flora der Insel Lincoln. – Die Fauna. – Die Bergfasane. – Verfolgung von Kängurus. – Die Agutis. – Grants-See. – Rückkehr nach den Kaminen.
Noch einmal ließen die Colonisten der Insel Lincoln die Blicke umherschweifen, schritten einmal rings um die Krateröffnung und waren eine halbe Stunde später auf dem ersten Absatze an ihrer Lagerstätte zurück.
Pencroff meinte, daß es Zeit sei, zu frühstücken, und bei dieser Gelegenheit kam auch die Regulirung der Uhren Cyrus Smith's und des Reporters zur Sprache.
Bekanntlich war diejenige Gedeon Spilett's vom Meere verschont geblieben, da der Reporter außerhalb des Bereichs der Wellen auf den Sand geworfen wurde. Niemals hatte derselbe übrigens das ausgezeichnete Werk, einen wirklichen Taschenchronometer, sorgsam aufzuziehen vergessen.
Cyrus Smith's Uhr mußte offenbar während der Zeit, die er in den Dünen liegend zubrachte, stehen geblieben sein.
Jetzt zog sie der Ingenieur erst wieder auf und stellte sie auf die neunte Stunde. Die Zeit selbst hatte er nach der Sonnenhöhe annähernd abgeschätzt.
Gedeon Spilett wollte seine Uhr eben mit der des Ingenieurs in Uebereinstimmung bringen, als Letzerer ihn daran mit den Worten verhinderte:
»Warten Sie, lieber Spilett! Ihr Chronometer zeigt Richmonder Zeit, nicht so?
– Ja, Cyrus.
– Demnach ist er nach dem Meridiane jenes Ortes regulirt, der mit dem von Washington ziemlich zusammenfällt?
– Ohne Zweifel.
– Nun gut, so lassen Sie jenen ebenso weiter gehen. Ziehen Sie ihn sorgfältig auf, aber verändern Sie die Zeigerstellung nicht. Das dürfte uns noch von Nutzen sein.
– Inwiefern?« dachte der Seemann.
Man frühstückte nun und zwar so reichlich, daß der ganze Vorrath an Wild und Pinienfrüchten aufgezehrt wurde. Pencroff beunruhigte sich darüber nicht im Mindesten, da er auf Ersatz während des Rückwegs rechnete. Top, welcher seinen hinlänglichen Antheil erhalten hatte, würde im Gehölz schon wieder irgend ein Stück Wild aufjagen. Außerdem dachte der Seemann daran, den Ingenieur einfach um Herstellung von etwas Pulver und einiger Jagdgewehre anzusprechen, was ihm bei seinem grenzenlosen Vertrauen zu Jenem nur eine leichte Mühe erschien.
Beim Verlassen des Plateaus schlug Cyrus Smith seinen Gefährten vor, zur Rückkehr einen anderen Weg zu wählen. Er wünschte den Grants-See, der sich in seinem grünen Rahmen so prächtig ausnahm, näher kennen zu lernen. Man folgte demnach dem Kamme eines der Vorberge, zwischen welchen der Creek, der jenen ernährte, wahrscheinlich entsprang. Im Gespräch wandten die Colonisten schon ausnahmslos die eben gewählten Eigennamen an, wodurch der gegenseitige Gedankenaustausch wesentlich erleichtert wurde. Harbert und Pencroff, – der Eine ein junger Mensch, der Andere ein halbes Kind, – waren ganz entzückt und plauderten unterwegs.
»Nun, Harbert, das macht sich prächtig! Verlaufen können wir uns auf keinen Fall, ob wir auf den Grants-See zugehen oder die Mercy quer durch die Wälder des fernen Westens wieder zu erreichen suchen; jedenfalls gelangen wir zum Plateau der Freien Umschau und folglich nach der Unions-Bai!«
Ohne gerade zusammengedrängt zu gehen, war man doch überein gekommen, sich nicht allzu weit von einander zu entfernen. Sicher bewohnten auch einige wilde Thiere dieses Waldesdickicht, und empfahl es sich, einigermaßen vorsichtig zu sein. Gewöhnlich marschirten Pencroff, Harbert und Nab voran, denen Top, jedes Gebüsch durchstöbernd, voraussprang, der Ingenieur und Gedeon Spilett gingen zusammen, der Letztere immer bereit, alles Bemerkenswerthe zu verzeichnen; der Ingenieur, meist schweigend, wich nur dann von seiner Richtung ab, wenn er den oder jenen Gegenstand, mineralischer oder vegetabilischer Natur, aufhob und, ohne sich vorläufig darüber zu äußern, in seinen Taschen unterbrachte.
»Was Teufel, hebt er nur immer auf? murmelte der Seemann; ich kann aufpassen, so viel ich will, und finde doch Nichts, was sich der Mühe des Bückens lohnte!«
Gegen zehn Uhr zog die kleine Gesellschaft über die letzten Ausläufer des Franklin-Berges herab. Nur stellenweise bedeckten Gebüsche und vereinzelte Bäume das Erdreich. Man überschritt einen gelblichen, calcinirten Boden, der sich etwa in der Ausdehnung einer Meile vor dem Waldessaume hin erstreckte Ungeheure Basaltblöcke, welche nach Bischof 350 Millionen Jahre gebraucht haben, um zu erkalten, lagen da und dort umher. Nirgends bemerkte man aber Spuren von Lava, welche immer nur an der Nordseite des Vulkans abgeflossen zu sein schien.
Cyrus Smith hoffte also ohne Schwierigkeit den Creek zu erreichen, der sich seiner Ansicht nach unter den Bäumen an der gegenüberliegenden Grenze der freieren Ebene hinschlängeln mußte, als er Harbert plötzlich auf sich zuspringen sah, während Pencroff und Nab sich hinter Felsstücken zu verbergen schienen.
»Was giebt's, mein Sohn? fragte Gedeon Spilett.
– Einen Rauch, antwortete Harbert. Hundert Schritte vor uns haben wir ihn zwischen den Felsen aufsteigen sehen.
– Sind auch Menschen da? rief der Reporter.
– Vermeiden wir, uns sehen zu lassen, erklärte Cyrus Smith, bevor wir nicht wissen, woran wir sind. Eingeborene auf dieser Insel fürchte ich weit mehr, als ich sie herbeiwünsche.
– Top ist voraus.
– Und bellt nicht?
– Nein.
– Das ist sonderbar, doch suchen wir ihn zurück zu rufen.«
In wenigen Augenblicken hatten der Ingenieur, Gedeon Spilett und Harbert die beiden Andern eingeholt und verbargen sich ebenfalls hinter den Trümmern des Basaltes.
Sehr deutlich bemerkten sie von diesem Standpunkte aus eine aufwirbelnde, durch ihre gelbliche Farbe charakterisirte Rauchsäule.
Ein leiser Pfiff seines Herrn rief Top zurück, und mit einem Zeichen, ihn hier zu erwarten, schlich sich Jener zwischen den Steinblöcken vorwärts.
Mit ängstlicher Spannung harrten die Colonisten des Resultates dieser Untersuchung, als sie Cyrus Smith schon herbeirief. Sofort eilten sie Jenem nach, fühlten sich aber durch einen höchst widerlichen Geruch, der die ganze Atmosphäre erfüllte, sehr unangenehm berührt.

Dieser leicht erkennbare Geruch hatte dem Ingenieur schon hingereicht die Natur dieses Dampfes, der sie nicht ohne Grund beunruhigt hatte, zu erkennen.
»Dieses Feuer, sagte er, oder vielmehr diesen Rauch unterhält ganz allein die Natur. Er rührt nur von einer Schwefelquelle her, welche uns Gelegenheit geben wird, Krankheiten der Athmungsorgane sehr erfolgreich zu behandeln.
– Schön! sagte Pencroff. Aber welches Unglück, daß ich nicht gerade einen Katarrh habe!«
Die Colonisten näherten sich der Stelle, von welcher der Rauch aufstieg und fanden einen alkalischen Schwefelquell, der ziemlich wasserreich zwischen dem Gestein dahinfloß und einen durchdringenden Geruch nach Schwefelwasserstoff ausströmte.
Cyrus Smith tauchte seine Hand ein und fand das Wasser etwas ölig, und als er es kostete, von süßlichem Geschmack. Seine Temperatur schätzte er auf 37° C. Harbert fragte ihn, worauf er dieses Urtheil gründe.
»Sehr einfach darauf, mein Sohn, daß ich beim Eintauchen der Hand weder eine Empfindung von Wärme, noch von Kälte hatte. Darnach entsprach jene Temperatur der des menschlichen Körpers, welche 37° C. beträgt.«
Da die Schwefelquelle ihnen keinen augenblicklichen Nutzen bot, so wandten sich die Colonisten nach dem Saume des dichten Waldes, der sich einige hundert Schritte vor ihnen hinzog.
Dort plätscherte, wie man vorausgesehen hatte, der Fluß mit munteren, klaren Wellen zwischen hohen röthlichen Ufern, deren Farbe das Vorhandensein von Eisenoxyd verrieth, lustig dahin. Nach eben dieser auffallenden Färbung nannte man ihn sofort den »Rothen Fluß«.
Eigentlich bildete er nur einen breiten, tiefen und klaren Bach, der aus den Bergwässern genährt, halb als Sturzbach, halb als ruhiges Flüßchen hier ruhig über den Sand hinglitt, dort sich an Steingerölle brach oder in Wasserfällen herabfiel und so bei einer Länge von anderthalb Meilen und einer zwischen dreißig und vierzig Fuß wechselnden Breite nach dem See hinzog. Sein Wasser zeigte sich trinkbar, man durfte also auch annehmen, daß der See Süßwasser enthielt, ein Umstand von Gewicht für den Fall, daß man an seinen Ufern eine bequemere Wohnung, als die in den Kaminen, entdecken sollte.
Was die Bäume betrifft, welche einige hundert Schritte stromaufwärts das Ufer beschatteten, so gehörten sie zum größten Theile denjenigen Arten an, welche in den gemäßigteren Lagen Australiens oder Tasmaniens reichlich vorkommen, und nicht jenen Coniferen, welche die schon bekannten Theile der Insel bis auf einige Meilen von der Freien Umschau bedeckten.
In dieser Jahreszeit, nämlich zu Anfang April, dem Monat, der dem October unserer nördlichen Erdhälfte entspricht, d.h. also gegen Anfang des Herbstes, fehlte es ihnen noch nicht an Belaubung. Vorzüglich erkannte man Kasuarbäume und Eukalypten, deren einige im Frühlinge ein dem orientalischen ganz gleichkommendes Manna liefern mußten. In den Lichtungen erhoben sich wohl auch australische Cedern, bedeckt mit jener Moosart, die man in Neu-Holland »Tussac« nennt. Die Kokospalme dagegen, welche sich auf den Pacifischen Archipelen so reichlich vorfindet, schien der wahrscheinlich unter zu hohem Breitengrade liegenden Insel gänzlich abzugehen.
»Wie schade! rief Harbert, ein so nützlicher Baum mit so schönen Nüssen!«
Vögel gab es in den wenig dichten Zweigen der Kasuarbäume und Eukalypten, welche den Flügelschlag jener nicht behinderten, in großer Menge. Schwarze, weiße und graue Kakadus, Papageien und Sittige in allen denkbaren Farben, »Könige« in prächtiges Grün und leuchtendes Roth gekleidet, blaue Loris und »Blue-mountains« erschienen farbenschillernd, als sähe man sie durch ein Prisma, und flogen mit ohrenzerreißendem Geschwätz umher.
Plötzlich erscholl aus einem Dickicht heraus ein Lärmen von den verschiedensten Stimmen. Nacheinander unterschieden die Colonisten den Gesang von Vögeln, den Schrei eines vierfüßigen Thieres und halbarticulirte Laute, welche von einem Eingeborenen herzurühren schienen. Nab und Harbert eilten, die einfachsten Regeln der Klugheit bei Seite setzend, auf das Gebüsch zu. Glücklicher Weise barg dieses weder ein furchtbares Raubthier, noch einen gefährlichen Eingeborenen, sondern ganz einfach ein halbes Dutzend Spott- und Singvögel, welche man als »Bergfasane« erkannte. Einige geschickt geführte Stockschläge machten dem Concerte bald ein Ende und lieferten einen ausgezeichneten Braten für das Abendbrod.
Harbert richtete die Aufmerksamkeit der Wanderer auch auf eine Art prächtiger Tauben mit metallglänzenden Flügeln, unter denen die Einen einen stolzen Kamm auf dem Kopfe trugen, die Anderen von schönem, grünem Gefieder waren, so wie ihre Verwandten von Port-Maquarie. Diesen gelang es aber ebenso wenig beizukommen, wie vielen Raben und Elstern, welche in ganzen Zügen entflohen. Eine Schrotladung hätte wohl hingereicht, ganze Hekatomben zu fällen, für jetzt blieben die Jäger noch als Schußwaffen auf Steine, als Seitengewehre auf Stöcke beschränkt, eine primitive Jagdausrüstung, welche selbstverständlich viel zu wünschen übrig ließ.
Das Unzureichende ihrer Waffen trat aber noch augenscheinlicher zu Tage, als eine hüpfende, springende Gruppe Vierfüßler, die wohl bis auf dreißig Fuß Höhe emporschnellten und fliegenden Säugethieren zu vergleichen waren, über die Gebüsche weg dahinflogen und zwar so schnell und in einer solchen Höhe, daß man eher Eichhörnchen zu sehen glaubte, welche sich von einem Baume zum anderen schwangen.
»Das sind Kängurus! rief Harbert.
– Eßbare Geschöpfe? fragte der Seemann.
– O, gedämpft ersetzen sie den saftigsten Wildbraten!« ... belehrte ihn der Reporter.
Gedeon Spilett hatte diese verheißungsvollen Worte noch nicht beendet, als schon der Seemann, Nab und Harbert den Kängurus nacheilten. Cyrus Smith rief sie zurück, – vergeblich. Ebenso vergeblich mußte aber auch die Verfolgung dieses flüchtigen Wildes, das die Elasticität eines Gummiballs zu haben schien, ausfallen. Nach einer Hetzjagd von fünf Minuten ging den Jägern der Athem aus, während die Thiere im Gehölz verschwanden. Top's Erfolg übertraf den seiner Herren ebenso wenig.
»Mr. Cyrus, sagte Pencroff, als der Ingenieur und der Reporter sie eingeholt hatten, Sie sehen, Mr. Cyrus, daß wir uns unbedingt Gewehre verschaffen müssen. Wird das wohl möglich sein?
– Vielleicht, erwiderte der Ingenieur, zunächst werden wir uns aber Bogen und Pfeile herstellen, und ich zweifle gar nicht, daß Sie mit diesen ebenso geschickt umzugehen lernen werden, wie die Jäger Australiens.
– Pfeil und Bogen! sagte Pencroff mit einem verächtlichen Zuge um die Lippen, das ist etwas für Kinder!
– Spielen Sie nicht den Stolzen, Freund Pencroff, entgegnete der Reporter. Bogen und Pfeile haben Jahrhunderte lang hingereicht, die Erde mit Blut zu düngen. Das Pulver stammt erst von gestern; der Krieg aber ist, leider! ebenso alt, als das Geschlecht der Menschen.
– Meiner Treu, das ist wohl wahr, Mr. Spilett, antwortete der Seemann, meine Zunge ist häufig etwas zu schnell ... müssen mich entschuldigen!«
Inzwischen verbreitete sich Harbert, als Liebhaber der Naturwissenschaften, noch einmal über die Kängurus und sagte:
»Wir hatten es hierbei auch mit der am schwierigsten zu fangenden Gattung zu thun. Das waren Riesenexemplare mit langen, grauen Haaren; wenn ich mich aber nicht täusche, so giebt es auch schwarze und rothe, Felsenkängurus und Kängururatten, deren man sich mit Leichtigkeit bemächtigen kann. Man zählt wohl ein Dutzend Arten ...
– Für mich, lieber Harbert, unterbrach ihn ganz ernsthaft der Seemann, giebt es nur eine einzige Art, das ›Bratspieß-Känguru‹, und diese wird uns heute Abend fehlen.«
Alle belachten die neue Classification des Meister Pencroff. Der brave Seemann verhehlte schon sein Bedauern nicht, beim Nachtmahl nur auf die Bergfasane angewiesen zu sein, noch einmal aber sollte Fortuna sich ihm gefällig zeigen.
Top nämlich, der sich bei dieser Angelegenheit interessirt fühlen mochte, suchte mit einem durch den Hunger verdoppelten Spürsinn umher. Es stand sogar zu befürchten, daß er, im Fall ihm ein Stück Wild unter die Zähne kam, den Anderen nichts davon übrig lassen, also mehr auf eigene Rechnung jagen würde. Nab behielt ihn aber im Auge und that wirklich sehr wohl daran.
Gegen drei Uhr verschwand der Hund einmal im Gebüsch, aus welchem eigenthümliche Laute es verriethen, daß er irgend ein Thier gepackt haben möchte.
Nab lief ihm schnell nach und fand Top, wie dieser begierig ein erlegtes Thier verzehrte, das man zehn Secunden später in seinem Magen schwerlich wieder erkannt hätte. Glücklicher Weise hatte der Hund aber ein ganzes Nest überfallen und einen dreifachen Fang gethan, zwei weitere Nager – zu dieser Familie gehörten die Thiere nämlich – lagen erwürgt auf dem Boden.