- -
- 100%
- +
Geduldig streckte er sich auf sein Lager im Sande. Harbert, Nab und Pencroff folgten ihm nach, während Top zu Flißen seines Herrn schlief.
Als der Ingenieur am Morgen des 28. März erwachte, sah er seine Gefährten neben sich, die seinen Schlaf bewachten, und so wie Tags vorher waren seine ersten Worte:
»Insel oder Festland?«
Man erkannte, daß das zur fixen Idee bei ihm geworden war.
»Schön, schön, antwortete Pencroff, wir wissen darüber nur leider noch Nichts, Mr. Smith.
– Das wißt Ihr noch nicht?
– Werden es aber sofort erfahren, fügte Pencroff hinzu, wenn wir Sie als Lootsen durch dieses Land haben werden.
– Ich glaube im Stande zu sein, das unternehmen zu können, erwiderte der Ingenieur, erhob sich ohne große Anstrengung und blieb auch stehen.
– Das ist ja prächtig! rief der Seemann.
– Doch komme ich bald vor Erschöpfung um, sagte Cyrus Smith, gebt mir etwas zu essen, meine Freunde, dann wird's vorüber sein. Ihr habt doch Feuer, nicht wahr?«
Auf diese Frage folgte keine sofortige Antwort, doch sagte Pencroff nach einigen Augenblicken:
»Ach nein, wir haben kein Feuer, Mr. Cyrus, oder vielmehr, wir haben keines mehr!«
Der Seemann erzählte, was sich am Tage vorher zugetragen hatte, und erheiterte den Ingenieur weidlich durch seinen drastischen Bericht über das einzige Zündhölzchen und seinen vergeblichen Versuch, nach Art der Wilden Feuer zu machen.
»Das werden wir uns gut überlegen müssen, antwortete der Ingenieur, und im Falle wir keine Substanz, etwa wie Schwamm, entdecken ...
– Nun dann? fragte der Seemann.
– Nun, dann machen wir uns Streichhölzchen
– Chemische?
– Chemische!
– Da ist das Eine nicht schwerer als das Andere«, bemerkte der Reporter, und schlug dem Seemann auf die Schulter.
Dieser fand die Sache gar nicht so einfach, widersprach aber nicht. Alle gingen hinaus, da das Wetter recht freundlich geworden war. Hell glänzte die Sonne über dem Meere und vergoldete die Vorsprünge der Felsenmauer mit blitzenden Lichtern.
Nachdem er einmal schnell umhergeblickt hatte, setzte sich der Ingenieur auf einen Felsblock. Harbert bot ihm eine Handvoll Miesmuscheln und Seetang an.
»Das ist Alles, was wir besitzen, Mr. Cyrus, sagte er.
– Ich danke, mein Sohn, antwortete Cyrus Smith, für diesen Morgen genügt es ja.«
Mit Vergnügen verzehrte er diese magere Nahrung, die er mit etwas frischem, in einer großen Muschel aus dem Flusse geschöpftem Wasser benetzte.
Schweigend umstanden ihn seine Gefährten. Nachdem sich Cyrus Smith, so gut es eben anging, gestärkt hatte, kreuzte er die Arme und sagte:
»Meine lieben Freunde, Ihr wißt also noch nicht, ob das Schicksal uns nach einer Insel oder einem Festlande geworfen hat?
– Nein, Mr. Cyrus, antwortete der junge Mann.
– Morgen werden wir uns darüber klar werden, fuhr der Ingenieur fort; bis dahin ist Nichts zu machen.
– Doch, versetzte Pencroff.
– Was denn?
– Feuer, sagte der Seemann, der auch seinerseits von einer fixen Idee geplagt wurde.
– Darum sorgen Sie sich nicht, Pencroff, erwiderte Cyrus Smith. – Als Ihr mich hierher trugt, glaubte ich im Westen einen höheren, die ganze Umgebung beherrschenden Berg zu sehen?
– Gewiß, bestätigte Gedeon Spilett, einen Berg von sehr beträchtlicher Höhe ...
– Gut, unterbrach ihn der Ingenieur, morgen besteigen wir dessen Gipfel und halten Umschau. Bis dahin, wiederhole ich, ist Nichts zu thun.
– Und doch, wir müssen Feuer machen, wiederholte auch nochmals der Seemann.
– Das soll und wird ja geschehen! erwiderte Gedeon Spilett. Nur etwas Geduld, Pencroff!«
Der Seemann maß Gedeon Spilett mit einem eigenthümlichen Blicke, so als wollte er sagen: »Wenn's nur auf den ankäme, würden wir noch lange auf ein Stück Braten zu warten haben!« Doch er schwieg.
Cyrus Smith hatte bei diesem Zwiegespräch kein Wort fallen lassen. Die Frage wegen des Feuers schien ihn nur wenig zu bekümmern. Einige Augenblicke blieb er in Gedanken versenkt, dann begann er:
»Meine Freunde, wir befinden uns zwar in einer recht bedauerlichen Lage, doch ist diese sehr einfach. Entweder beherbergt uns jetzt ein Festland, dann werden wir um den Preis größerer oder geringerer Anstrengung irgend einen bewohnten Punkt zu erreichen suchen; oder aber, wir sind auf einer Insel. Im letzteren Falle ist zweierlei möglich: entweder hat sie Bewohner, dann werden wir uns mit denselben so gut als möglich abfinden müssen, oder sie ist wüst, dann gilt es, uns mit eigenen Kräften zu helfen.
– Gewiß liegt das auf der Hand, meinte Pencroff.
– Doch, ob Festland oder Insel, fragte Gedeon Spilett, wohin meinen Sie überhaupt, Mr. Cyrus, daß uns dieser Orkan verschlagen habe?
– Ganz genau kann ich das natürlich nicht wissen, entgegnete der Ingenieur, doch sprechen alle Annahmen für ein Land des Pacifischen Oceans. Als wir Richmond verließen, wehte der Wind aus Nordosten, und seine Stärke macht es wahrscheinlich, daß er diese Richtung auch beibehalten hat. Darnach wären wir über die Staaten Nord-Carolina, Süd-Carolina und Georgia, über den Mexicanischen Golf und Mexico selbst, und endlich über einen Theil des Stillen Oceans geflogen. Die vom Ballon zurückgelegte Entfernung schätze ich nicht unter 6 bis 7000 Meilen; im Fall die Richtung des Windes aber sich etwas geändert hat, so müßte er uns entweder nach dem Mendana-Archipel oder nach den Pomotu-Inseln, hätte er aber eine noch größere Geschwindigkeit besessen, als ich annehme, vielleicht nach Neu-Seeland geführt haben. Sollte sich letztere Annahme bestätigen, so würden wir leicht nach Hause zurückkehren können. Ob Engländer oder Maoris, wir träfen auf jeden Fall Menschen. Gehört diese Küste im Gegentheil aber zu einer wüsten Insel eines mikronesischen Archipels, was von dem Berggipfel im Innern aus vielleicht zu erkennen ist, so werden wir uns hier, so als sollten wir nimmer fortkommen, möglichst gut einzurichten suchen.
– Nimmer! rief der Reporter, Sie sagen: Nimmer! Lieber Cyrus?
– Besser ist, entgegnete der Ingenieur, zuerst den schlimmsten Fall in's Auge zu fassen, dann kann jeder Zufall unsere Lage nur noch verbessern.
– Sehr wahr, bemerkte der Seemann. Zudem steht zu hoffen, daß diese Insel, wenn es überhaupt eine solche ist, nicht ganz und gar außerhalb der gewöhnlichen Schiffsstraßen liegt. Das hieße sonst wahrlich unglücklich spielen.
– Woran wir sind, können wir vor Besteigung jenes Berges zunächst nicht wissen, antwortete der Ingenieur.
– Doch, Mr. Cyrus, fragte Harbert, werden Sie morgen schon im Stande sein, sich der Strapaze einer Besteigung auszusetzen?
– Das hoffe ich, mein junger Freund, erwiderte der Ingenieur, in der Voraussetzung freilich, daß Meister Pencroff und Du Euch als geschickte Jäger erweist.
– Mr. Cyrus, antwortete der Seemann, da Sie vom Jagen sprechen, wenn ich ebenso gewiß wäre, bei der Rückkehr ein Stück Wild hier braten zu können, wie ich es bin, ein solches heim zu bringen ...
– Bringen Sie nur solches, Pencroff«, fiel ihm Cyrus in's Wort.
Man kam demnach überein, daß der Reporter und der Ingenieur zum Zwecke der Untersuchung der nördlicheren Küste und ihres Oberlandes zurückbleiben, Nab, Harbert und der Seemann aber nach dem Walde gehen sollten, um sowohl den Holzvorrath wieder zu erneuern, als auch Alles nieder zu machen, was ihnen von Vögeln oder Vierfüßlern an eßbarem Wilde in die Hände fiele.
Gegen zehn Uhr Morgens brachen sie auf, Harbert voll Vertrauen, Nab sehr lustig, Pencroff die Worte murmelnd:
»Wenn ich bei meiner Rückkehr im Hause Feuer antreffe, dann hat es der Blitz in höchsteigener Person angezündet!«
Alle drei gingen längs des Ufers bis nach der Stelle, wo der Fluß den scharfen Winkel bildete. Dort blieb der Seemann stehen und sagte zu seinen Begleitern:
»Was beginnen wir zunächst, die Jagd oder das Holzsammeln?
– Die Jagd, die Jagd! drängte Harbert. Top spürt ja schon umher.
– Nun gut, versetzte der Seemann, so fassen wir hier unseren Holzvorrath später.«
Harbert, Nab und Pencroff bewaffneten sich hierauf mit abgebrochenen Tannenästen und folgten Top, der in dem hohen Grase voraus sprang.
Statt dem Flußufer weiter zu folgen, drangen die Jäger diesmal tiefer in das Innere des Waldes ein, welches überall dieselben, meist zur Familie der Fichten gehörigen Baumarten zeigte. An manchen Stellen verriethen einzelne oder in kleineren Gruppen stehende Fichten von beträchtlichem Umfange, daß dieses Land wohl unter höheren Breitegraden liegen möchte, als der Ingenieur es annahm. Einige mit gestürzten Stämmen bedeckte Waldblößen versprachen einen unerschöpflichen Vorrath von Heizmaterial. Weiterhin standen die Bäume wieder dichter, so daß man nur mit Mühe zwischen ihnen hindurchdringen konnte.
Da es schwierig erschien, sich in diesem Baumlabyrinthe zurecht zu finden, bezeichnete der Seemann den eingeschlagenen Weg durch halb abgebrochene Aeste. Vielleicht hatten die Jäger aber Unrecht gethan, nicht dem Wasserlaufe nachzugehen, so wie Harbert und Pencroff bei ihrem ersten Ausfluge, denn schon war eine Stunde verlaufen, ohne daß ihnen irgend ein Stück Wild zu Gesicht kam. Wenn Top unter den niedrig hängenden Zweigen hinlief, scheuchte er nur Vögel auf, die man nicht erlangen konnte. Selbst Kurukus blieben vollkommen unsichtbar, und es erschien dem Seemanne nicht unwahrscheinlich, sich zur Rückkehr nach jener sumpfigen Stelle genöthigt zu sehen, an der er mit der Tetra-Angelei so entschiedenes Glück gehabt hatte.
»Nun, Pencroff, sagte Nab mit leicht spöttelndem Tone, wenn das das ganze Wild ist, das Sie meinem Herrn nach Hause zu bringen versprachen, dann wird es kein großes Feuer zum Braten nöthig haben.
– Nur Geduld, Nab, erwiderte der Seemann, an Jagdbeute soll es uns bei der Rückkehr nicht fehlen.
– Sie haben also kein Zutrauen zu Mr. Smith?
– O doch!
– Sie glauben aber nicht daran, daß er uns Feuer verschaffen wird?
– Das glaube ich erst, wenn ich es auf dem Herde flackern sehe.
– Mein Herr hat's aber gesagt, es wird also der Fall sein.
– Wir werden ja sehen!«
Noch hatte die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel nicht erreicht. Man zog also weiter, wobei Harbert zunächst einen Baum mit eßbaren Früchten entdeckte. Es war das eine Pinie, welche eine ausgezeichnete, in den gemäßigten Theilen Amerikas und Europas hochgeschätzte Kernfrucht liefert. Die Früchte erwiesen sich eben als vollkommen reif, und Harbert empfahl sie seinen beiden Begleitern, welche sich daran ein Gütchen thaten.
»Nun, meinte Pencroff, Algen an Stelle des Brodes, rohe Miesmuscheln an der des Fleisches und Mandeln zum Nachtisch, so klingt die passende Speisekarte für Leute, die kein einziges Zündhölzchen mehr besitzen!
– Darüber ist auch noch nicht zu klagen, erwiderte Harbert.
– Ich beklage mich auch nicht, mein Junge, entgegnete Pencroff, ich wiederhole nur, daß das Fleisch bei dieser Diät etwas gar zu sehr mangelt.
– Das scheint Top's Ansicht nicht zu sein ...« rief Nab, der auf ein Dickicht zusprang, in welchem der Hund eben bellend verschwand, und ihm ein eigenthümliches Grunzen antwortete.
Der Seemann und Harbert folgten Nab. Wenn man ein Stück Wild erlegen konnte, so war jetzt nicht die Zeit, darüber zu streiten, ob man es werde braten können oder nicht.
Bald holten die Jäger Top ein und sahen, wie dieser ein Thier an dem einen Ohre gepackt hatte. Es war das eine Art Schwein von etwa zwei und ein halb Fuß Länge, schwarzbrauner, am Bauche hellerer Farbe, mit starren, aber nicht sehr dichten Borsten, dessen Fußzehen, welche jetzt kräftig in den Boden eingeschlagen waren, durch eine Schwimmhaut verbunden erschienen.
Harbert glaubte in diesem Thiere einen Cabiai oder sogenanntes Wasserschwein, d.h. ein Exemplar der größten Nagerfamilie, zu erkennen.
Der Cabiai vertheidigte sich nicht sonderlich gegen den Hund, und rollte nur seine, hinter dicken Fettringen halb versteckten Augen hin und her. Menschen sah er vielleicht überhaupt zum ersten Male.
Als Nab aber seinen Stock eben fester packte und dem Nager zu Leibe gehen wollte, entriß sich dieser Top's Zähnen, in welchen nur die Spitze eines Ohres zurück blieb, grunzte heftig, stürzte auf Harbert los, rannte diesen halb um und verschwand im Gebüsche.
»Ah, der Schurke!« rief Pencroff.
Alle folgten eiligst Top's Spuren, und als sie diesen eben einholten, sahen sie jenes Thier unter das Wasser eines ausgedehnten, von hundertjährigen Fichten umstandenen Sumpfes tauchen.
Verwundert blieben Nab, Harbert und Pencroff stehen. Top war in das Wasser nachgesprungen, aber der auf dem Grunde desselben versteckte Cabiai ließ sich nicht erblicken.
»Warten wir ein wenig, sagte der junge Mann, er muß bald einmal emportauchen, um Athem zu schöpfen.
– Wird er nicht ersaufen? fragte Nab.
– O nein, antwortete Harbert, er hat ja Schwimmfüße und fast die Natur einer Amphibie. Wir wollen ihm aber aufpassen.
Top schwamm noch immer im Wasser. Pencroff und seine Gefährten besetzten an geeigneten Stellen das Ufer, um dem Cabiai den Rückzug abzuschneiden.
Harbert täuschte sich nicht. Nach einigen Minuten kam das Thier wieder auf die Oberfläche. Top stürzte, so schnell er konnte, auf dasselbe zu und hinderte es, wieder unterzutauchen. Einen Augenblick nachher hatte er dasselbe zum Ufer geschleppt, wo es einem Stockschlage Nab's erlag.
»Hurrah! rief Pencroff, der gern ein Triumphgeschrei erhob. Nun blos noch eine glimmende Kohle, und der Nager soll bald selbst bis auf die Knochen abgenagt sein!«
Pencroff lud den Cabiai auf die Schulter, und da er dem Sonnenstande nach glaubte, daß es gegen zwei Uhr sei, veranlaßte er die Heimkehr.
Top's Instinct kam den Jägern trefflich zu statten, die, von jenem geführt, leicht ihren Weg wieder fanden. Eine halbe Stunde nachher erreichten sie schon die Biegung des Flusses.
Ebenso wie das erste Mal machte Pencroff eine Holzladung zurecht, eine Arbeit, die ihm trotz des noch mangelnden Feuers geboten erschien, und so gelangte man, das Floß auf dem Wasser hinleitend, nach den Kaminen zurück.
Noch fünfzig Schritte davor blieb der Seemann stehen, und mit erneutem Triumphgeschrei wies er nach der Ecke, an der sich ihre Wohnung befand.
»Harbert! Nab! Da seht einmal!« rief er.
Ein lustig wirbelnder Rauch stieg über die Felsen empor!

Zehntes Capitel
Eine Erfindung des Ingenieurs. – Was Cyrus Smith vor Allem beschäftigt. – Aufbruch nach dem Berge. – Der Wald. – Vulkanischer Boden. – Die Tragopans. – Die wilden Schafe. – Die erste Hochebene. – Das Nachtlager. – Der Gipfel des Kegels.
Einige Minuten nachher standen die drei Jäger vor einem prasselnden Feuer. Cyrus Smith und der Reporter waren anwesend. Seinen Cabiai in der Hand sah Pencroff Einen nach dem Anderen staunend an.
»Nun ja, mein wackerer Freund, sagte endlich der Reporter, das ist Feuer, wirkliches, leibhaftiges Feuer, über dem das schöne Stück Wild da zu unserer Erquickung bald genug braten soll.
– Wer in aller Welt hat das angezündet? fragte Pencroff.
– Ei nun, die Sonne!«
Gedeon Spilett's Antwort war vollkommen richtig. Die Sonne hatte die Hitze geliefert, über welche Pencroff sich so sehr verwunderte. Der Seemann wollte kaum seinen Augen trauen, und kam vor Erstaunen gar nicht dazu, den Ingenieur darüber zu befragen.
»Sie besaßen also eine Brennlinse, Mr. Smith? fragte Harbert.
– Nein, mein Sohn, erwiderte dieser, ich habe mir aber eine gemacht.«
Dabei wies er den Apparat vor, der ihm als Linse gedient hatte.
Er bestand einfach aus zwei Gläsern, die er seiner Uhr und der des Reporters entnommen hatte. Nach Anfüllung derselben mit Wasser und Verdichtung ihrer Ränder mittels Thonerde erhielt er eine vollständige Linse, welche durch Concentration der Sonnenstrahlen trockenes Moos zu entzünden im Stande war.
Der Seemann betrachtete erst den Apparat und sah dann den Ingenieur sprachlos, aber mit vielsagendem Blicke an. Wenn Cyrus Smith für ihn nicht geradezu ein Gott war, so erschien er ihm doch sicher mehr als ein gewöhnlicher Mensch. Endlich löste sich seine Zunge und rief er:
»Schreiben Sie das auf, Mr. Spilett; bringen Sie es zu Papier!
– Ist schon notirt«, erwiderte der Reporter.
Mit Nab's Hilfe machte der Seemann hierauf den Bratspieß zurecht, und bald röstete der ausgeweidete Cabiai wie ein gewöhnliches Milchschwein über dem hellen, prasselnden Feuer.
Inzwischen waren auch die Kamine wieder wohnlicher geworden, nicht allein weil die Innenräume sich behaglicher durchwärmten, sondern weil man auch die Lücken durch Sand und Steine auf's Neue verschlossen hatte.
Der Ingenieur und sein Genosse mußten ihre Zeit gut ausgenutzt haben. Cyrus Smith hatte seine Kräfte fast vollkommen wieder erlangt, und versuchte sie durch eine Besteigung der Hochebene. Lange verweilte sein an die Abschätzung von Höhen und Entfernungen gewöhntes Auge auf dem Kegelberge, der am folgenden Tage erstiegen werden sollte. Der etwa sechs Meilen im Nordwesten liegende Berg schien ihm gegen 3500 Fuß über das Meer empor zu ragen, folglich hätte sich einem auf seiner Spitze befindlichen Beobachter ein Gesichtskreis von mindestens fünfzig Meilen geboten. Ein solches Sehfeld versprach aber die Lösung der Frage, »ob Insel oder Festland«, der Cyrus Smith nun einmal die hervorragendste Wichtigkeit beimaß.
Das Abendbrod wurde eingenommen, und das Cabiaisleisch für ganz vortrefflich erklärt. Seetang und Pinienzapfen vervollständigten die Mahlzeit, während der Ingenieur nur wenig sprach, da ihn sein morgendes Vorhaben beschäftigte.
Einige Male meldete sich Pencroff mit dem oder jenem Vorschlage; Cyrus Smith aber, eine viel zu streng methodische Natur, begnügte sich, den Kopf zu schütteln, und sagte:
»Morgen werden wir wissen, woran wir sind, und darnach die geeigneten Maßregeln ergreifen.«
Nach beendetem Mahle warf man noch reichliches Holz auf den Herd, und bald fielen die Bewohner der Kamine, Top mit ihnen, in tiefen Schlummer.
Nichts störte die friedliche Nacht, und am anderen Tage, dem 29. März, erwachten sie munter und frisch, bereit zu dem Ausfluge, der zunächst wenigstens ihr Schicksal entscheiden sollte.
Alles war zum Aufbruche bereit. Die Reste des Cabiai versprachen Allen noch für vierundzwanzig Stunden hinreichende Nahrung, doch rechnete man darauf, sich unterwegs noch mit neuem Vorrath zu versorgen. Da die Uhrgläser des Reporters und des Ingenieurs ihren ursprünglichen Platz wieder gefunden hatten, so sengte Pencroff auf's Neue etwas Leinen an, um als Zunder zu dienen. Feuerstein konnte ja in diesen Gegenden plutonischen Ursprungs nicht fehlen.
Es war sieben und ein halb Uhr Morgens, als die mit Stöcken bewaffneten Wanderer aus den Kaminen aufbrachen. Pencroff rieth, den schon einmal im Walde betretenen Weg einzuschlagen, wenn man etwa auch auf einem anderen zurückkehrte; jener bildete scheinbar auch den directesten Weg nach dem Berge. Man ging demnach um die südliche Felsenecke herum, folgte dem linken Ufer des Flusses und verließ diesen an der Stelle, wo er sich nach Südwest wendete. Der durch die angebrochenen Zweige erkenntliche Fußpfad wurde leicht wieder gefunden, und um neun Uhr schon erreichten Cyrus Smith und seine Begleiter die nördliche Grenze des Waldes.
Der bis hierher wenig unebene, erst sumpfige, dann trockene und sandige Boden zeigte nun eine sanfte Steigung nach dem Inneren des Landes. Unter dem Hochwalde gewahrte man einige sehr flüchtige Thiere. Top jagte diese zwar auf, doch rief man ihn sofort zurück, da jetzt keine Zeit war, jene zu verfolgen. Vielleicht später. Der Ingenieur war einmal nicht der Mann, sich von seiner einmal gefaßten Idee abwendig machen zu lassen. Ebenso würde man sich nicht getäuscht haben, wenn man sagte, daß er das Land nicht betrachte, weder bezüglich seiner Gestaltung noch seiner Erzeugnisse.
Sein einziges Ziel bildete eben jener Berg, den er zu ersteigen vorhatte, und auf den er geraden Weges zuging.
Um zehn Uhr machte man auf wenige Minuten Halt.
Beim Austritt aus dem Walde konnte man die orographische Anordnung des Landes erkennen. Der Berg setzte sich aus zwei Gipfeln zusammen. Der erste erschien etwa in der Höhe von 2500 Fuß abgeplattet und wurde von sonderbar gestalteten Vorbergen gehalten, die in ihren Verzweigungen einer fest in den Erdboden eingeschlagenen riesigen Kralle nicht unähnlich waren. Zwischen diesen verliefen enge Thäler mit zahlreichen Bäumen, deren letzte Gruppen sich bis zu der abgestuften Oberfläche des unteren Kegels erhoben. Jedenfalls erschien die Vegetation an der den Nordostwinden ausgesetzten Bergseite minder entwickelt, dafür bemerkte man an derselben viele Streifen, welche offenbar Lava-Rinnen vorstellten.
Auf diesem ersten Kegel ruhte noch ein an seiner Spitze leicht abgerundeter zweiter, der etwa einem runden, mehr auf ein Ohr gedrückten Hute glich. Letzterer bestand aus nacktem, da und dort von röthlichen Felsen durchbrochenem Erdreich.
Diesen zweiten Gipfel galt es nun zu erreichen, und bot der Kamm der Vorberge scheinbar den besten Weg, dahin zu gelangen.
»Wir befinden uns auf vulkanischem Boden«, hatte Cyrus Smith gesagt, und nach und nach erhoben sich Alle weiter auf dem Rücken eines solchen Berg-Ausläufers, der in gewundener und deshalb leichter zu ersteigender Linie an der ersten Hochebene ausmündete.
Zahlreich waren die Unebenheiten dieses Bodens, den plutonische Kräfte wirr durcheinander geworfen hatten. Häufig traf man auf erratische Blöcke, Basalttrümmer, Bimsstein und Obsidiane. In einzelnen Gruppen ragten noch jene Coniferenarten empor, die weiter unten in den engen Thälern so dichte Gehölze bildeten, daß die Sonnenstrahlen sie kaum durchdrangen.
Bei diesem Zuge über die unteren Bergkämme beobachtete Harbert mehrfache Spuren großer Thiere, welche unlängst hier vorüber gekommen schienen.
»Diese Thiere werden uns ihr Gebiet wohl nicht gutwillig überlassen, sagte Pencroff.
– Das thut Nichts, meinte der Reporter, der schon den Tiger in Indien und den Löwen in Afrika gejagt hatte, wir werden sie uns vom Leibe zu halten wissen. Immerhin empfiehlt es sich, jetzt auf der Hut zu sein.«
Inzwischen gelangte man nach und nach aufwärts, doch dehnte sich der Weg durch die vielen Krümmungen auffallend in die Länge. Manchmal fehlte auch plötzlich der Boden, und stand man vor tiefen Schluchten, die umgangen werden mußten, was natürlich ohne Zeitverlust und tüchtige Anstrengung nicht abging. Gegen Mittag, als die kleine Gesellschaft rastete, um am Fuße eines kleinen Tannengehölzes und nahe einem in plätschernden Wasserfällen hinunter stürzenden Bache zu frühstücken, befanden sie sich erst in der Mitte des Weges bis zum ersten Absatze, den man vor Einbruch der Nacht kaum zu erreichen hoffen durfte.
Von hier aus gesehen erweiterte sich der Meereshorizont schon ganz beträchtlich, doch begrenzte zur Rechten das spitzige südöstliche Vorgebirge den Ausblick, so daß nicht zu bestimmen war, ob die stark zurückweichende Küste sich einem weiteren Hinterlande anschloß oder nicht. Nach links hin schweifte der Blick zwar einige Meilen nach Norden, wurde aber im Nordwesten wiederum durch einen merkwürdig zerrissenen Berggrath, der ohne Zweifel die mächtigste Rinne des centralen Kegels darstellte, aufgehalten. Bezüglich der Frage, welche Cyrus Smith so sehr am Herzen lag, ließ sich also von hier aus noch nichts entscheiden.
Um ein Uhr setzte man die Besteigung wieder fort. Nochmals mußten sich die Wanderer nach Südwesten wenden und in dem dichten Gehölze vorzudringen suchen. Unter dem Baumdach flatterten dort einige Pärchen Hühnervögel aus der Familie der Fasanen umher. Es waren sogenannte »Tragópans«, die sich durch einen fleischigen Anhang am Halse und kleine dünne, über und hinter den Augen stehende Hörner auszeichnen. Unter diesen Pärchen von der Größe unserer Haushähne unterschied man die Weibchen leicht an ihrer gleichmäßigen braunen Farbe, während die Männchen in ihrem rothen, mit weißen Punkten besäetem Gefieder prunkten. Gedeon Spilett erlegte durch einen geschickten und kräftigen Steinwurf einen dieser Tragópans, den Pencroff, ausgehungert durch die frische Luft, nicht ohne Lüsternheit ansah.