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»Nun... und Freund Krone? fragte sie, denn so sprach sie (franz. Ami Krone. Der Übersetzer) den fünften Vokal des griechischen Alphabetes aus.
– Der ist noch im Turmzimmer beschäftigt, antwortete Francis Gordon. Wir werden heute schon einmal ohne ihn auskommen.
– Mit Vergnügen! erklärte Mitz nicht gerade seinen Tones. Der mag in seinem Observatorium bleiben, so lange es ihm gefällt; da wird hier alles besser klappen als mit diesem Tolpatsch erster Klasse!«
Das Frühstück nahm seinen Anfang... die Munde öffneten sich aber nur, um zu essen. Mitz, die sonst, wenn sie die Gerichte brachte oder die Teller wechselte, gern ein wenig schwätzte, öffnete heute niemals das Gehege ihrer Zähne. Dieses Schweigen wurde bedrückend, der Zwang lästig. Um dem ein Ende zu machen, fragte Francis Gordon – nur um etwas zu sagen –:
»Bist du mit deinem heutigen Vormittag zufrieden, lieber Onkel?
– Nein, erwiderte Dean Forsyth. Der Zustand des Himmels war nicht günstig, und dieses Beobachtungshindernis hat mich heute besonders geärgert.
– Hattest du etwa eine astronomische Entdeckung in Aussicht?
– Ich glaube ja, Francis. Ich kann darüber aber nicht eher etwas Bestimmtes sagen, als bis eine neue Beobachtung...
– Da haben wir's ja, Herr Forsyth, unterbrach ihn Mitz trocken, was Sie nun schon acht Tage so in Bann hält, daß Sie in Ihrem Turm bald anwachsen werden, und das Sie die Nacht aus den Federn jagt. Jawohl, die letzte Nacht dreimal, ich hab' es ganz gut gehört, ich habe, Gott sei Dank, keinen Wattepfropfen in den Ohren! setzte sie als Antwort auf eine Geste ihres Herrn hinzu, um zu verstehen zu geben, daß sie keineswegs taub wäre.
– Ja ja, so ist es, meine brave Mitz,« stimmte ihr Dean Forsyth versöhnlichen Tones bei.
Vergebliche Liebesmüh.
»Eine ›astrokomische‹ Entdeckung! rief die würdige Dienerin voller Entrüstung. Und wenn Sie nun dabei tüchtig heruntergekommen sind, wenn Sie sich von dem Sitzen vor Ihren »Schläuchen« einen Buckel und vielleicht eine gehörige Kurzatmigkeit zugezogen haben, die... ja, da werden Sie eine hübsche Figur spielen! Oder kommen dann etwa Ihre Sterne herunter, Ihnen zu helfen, und verordnet Ihnen der Doktor vielleicht, sie als Pillen zu verschlucken?«
Schon aus dem Ton der ersten Worte dieser Standrede erkannte Dean Forsyth, daß es besser sei, nicht darauf zu antworten. Er aß also schweigend weiter, aber so zerstreut, daß er manchmal sein Glas für seinen Teller hielt und umgekehrt.
Francis Gordon gab sich alle erdenkliche Mühe, ein Gespräch im Gange zu erhalten, es war jedoch, als ob er nur der Wüste etwas vorpredigte. Sein Onkel saß finster da und schien ihn überhaupt nicht zu hören. So ergriff er den Ausweg, vom Wetter zu reden. Wenn man nichts Gescheites mehr zu sagen weiß, so spricht man eben vom Wetter, wie es gewesen ist, wie es eben ist und wie es sich gestalten wird. Das ist ja ein unerschöpfliches Thema, bei dem auch der Beschränkteste mitreden kann. Hier kam noch dazu, daß sich Mr. Dean Forsyth für atmosphärische Fragen interessierte. In einem Augenblicke, wo dickere Wolken das Speisezimmer einmal noch mehr verdunkelten, hob er den Kopf in die Höhe, sah durchs Fenster und rief, während ihm die Gabel aus der Hand fiel:
»Werden sich diese verwünschten Wolken denn gar nicht einmal vom Himmel wegscheren, und wenn's auch nur um den Preis eines tüchtigen Platzregens wäre?
– Na... meiner Treu, nahm Mitz wieder das Wort, nach einer dreiwöchigen Dürre würde das doch der Erde recht wohl tun.
– Der Erde... der Erde! murmelte Mr. Dean Forsyth halblaut, aber so verächtlich vor sich hin, daß er sich folgende Antwort der alten Dienerin zuzog:
– Jawohl, der Erde, mein Herr Forsyth. Ich dächte, die wäre wenigstens ebensoviel wert wie der Himmel, von dem Sie nicht herabsteigen wollen... nicht einmal mehr zur Zeit des Frühstücks!
– Ereifern Sie sich nicht, meine ›gute Mitz‹,« sagte Francis Gordon fast bittend.
Vergeblich. Die gute Mitz war nicht in der Laune, sich so leicht umstimmen zu lassen.
»Ach was, hier gibt's gar keine ›gute Mitz‹, fuhr sie aufgeregt fort. Sie gucken sich ja nicht einmal den Mond genug an, sonst müßten Sie wissen, daß es im Frühling regnen muß. Wenn es im März nicht regnet, wann soll es denn dann regnen, frag' ich Sie?
– Lieber Onkel, lenkte der Neffe ein, es ist ja richtig, daß wir jetzt im März, am Anfange des Frühlings sind, und da muß man das Wetter ja nehmen, wie es eben ist. Bald kommt aber der Sommer, der wird dir einen reineren Himmel bescheren. Dann kannst du deine Arbeiten unter günstigeren Verhältnissen fortsetzen. Nur ein wenig Geduld, bester Onkel!
– Geduld... Geduld, Francis? entgegnete Mr. Dean Forsyth, dessen Stirn jetzt nicht weniger finster aussah, als der Himmel draußen, du sprichst von Geduld! Wenn er nun so weit fortgeht, daß man ihn nicht mehr sehen kann? Wenn er sich nun nicht wieder über dem Horizonte zeigt?
– Er? fiel hier Mitz ein. Welcher ›er‹ denn?«
Im gleichen Augenblick ließ sich aber die Stimme Omikrons vernehmen.
»Mister Forsyth!... Mister Forsyth!
– Da gibt's etwas Neues,« rief der Amateur-Astronom, stieß seinen Stuhl hastig zurück und eilte der Tür zu.
Noch hatte er diese nicht erreicht, als ein heller Strahl durchs Fenster drang und in tausend Lichtflimmern von den Gläsern und Flaschen auf dem Tische zurückstrahlte.
»Die Sonne... ah, die Sonne! jubelte Dean Forsyth, während er die Treppe hinaufstürmte.

– Herrgott im Himmel! rief Mitz, auf einen Stuhl niedersinkend. Da ist er nun weg, und wenn er erst wieder mit Krone da im Oberstübchen eingeschlossen ist, da soll ihn einmal einer rufen! Ebensogut könnte man den Wind im Sack fangen. Na, das Frühstück wird ja auch mit Hilfe des heiligen Geistes allein alle werden. Und alles das wegen der Sterne!«
Das polterte die vortreffliche Mitz in ihrer meist verdrehten Sprache hervor, obgleich ihr Herr sie nicht hören konnte. Hätte er sie hören können, so wäre übrigens ihr Redestrom auch so gut wie umsonst gewesen.
Außer Atem vom schnellen Steigen betrat Mr. Dean Forsyth sein Observatorium. Es war jetzt ein südwestlicher Wind aufgesprungen, der die Wolken mehr nach Osten hin trieb. Eine große aufgeklärte Stelle ließ schon bis zum Zenith den ganzen Teil des Himmels übersehen, wo das Meteor wahrgenommen worden war. Das Zimmer war jetzt von den Sonnenstrahlen hell erleuchtet.
»Nun, fragte Mr. Dean Forsyth, was gibt es?
– O, die Sonne ist da, antwortete Omikron, doch nicht für lange Zeit, denn von Westen ziehen schon wieder neue Wolken heran.
– Da ist keine Minute zu verlieren!« rief Dean Forsyth, der schon sein Fernrohr einstellte, während der Diener dasselbe mit dem Teleskop tat.
Etwa vierzig Minuten saßen sie eifrigst beschäftigt vor ihren Instrumenten. Geduldig und doch mit fieberhafter Hast drehten sie deren Stellschrauben, um sie immer in der gewünschten Richtung zu halten.
Und mit welch peinlicher Aufmerksamkeit durchsuchten sie alle Ecken und Winkel des eben sichtbaren Teiles des Himmelsgewölbes! Unter so und soviel gerader Aufsteigung und so und soviel seitlicher Abweichung war ihnen die Feuerkugel – offenbar auf geradestem Wege nach dem Zenith von Whaston – zuerst erschienen.
Jetzt war davon nichts, nichts zu entdecken! Nur die ganze wolkenfreie Fläche des Himmels, die doch für Meteore einen so prächtigen Promenadenplatz bildete! Kein leuchtendes Pünktchen in dieser Richtung! Keine Spur von einem Asteroiden!
»Nichts... gar nichts! sagte Mr. Dean Forsyth, während er sich über die Augen wischte, die von dem angestrengten Sehen mit Blut überfüllt waren.
– Nichts!« stammelte auch Omikron wie ein mitleidiges Echo.
Zu weiteren Beobachtungen war es jetzt schon zu spät. Heranziehende Wolken hatten den Himmel aufs neue bedeckt. Eine nochmalige Aufklärung war für heute wohl nicht zu erwarten. Sehr bald bildeten die Dunstballen nur noch eine einzige schmutziggraue Masse und sandten nachher einen feinen Regen herab. Da blieb nun, zum großen Kummer des Herrn und des Dieners, nichts weiter übrig, als auf jede Beobachtung zu verzichten.
»Und doch, sagte Omikron, sind wir dessen ganz sicher, daß wir ihn gesehen haben!
– Und ob wir dessen sicher sind!« rief Mr. Dean Forsyth, die Arme drohend zum Himmel erhebend.
Und in einem Tone, worin sich Unruhe und Eifersucht mischten, setzte er hinzu:
»Wir sind wohl unsrer Sacke ganz sicher; andre können ihn aber ebensogut wie wir bemerkt haben... wenn wir nicht doch nur die einzigen gewesen sind. Es fehlte nur noch, daß er ihn ebenfalls entdeckt hätte... er... dieser Sydney Hudelson!«
Drittes Kapitel
Worin von dem Doktor Sydney Hudelson, seiner Gattin Mrs. Flora Hudelson, sowie von Miß Jenny und Miß Loo, den beiden Töchtern der Genannten, die Rede ist.
»Wenn ihn der Intrigant, der Forsyth, nur nicht auch bemerkt hat! Nur der nicht?« So drückte sich am Morgen des 21. März der Doktor Sydney Hudelson in einem Selbstgespräch in der Einsamkeit seiner Arbeitsstube aus.
Der Mann war eigentlich Arzt; und wenn er in Whaston kaum als solcher tätig war, lag das daran, daß er es vorzog, seine Zeit und seine Intelligenz den weitschichtigsten und schwierigsten Problemen zu widmen. Ein Busenfreund Dean Forsyths, war er doch gleichzeitig dessen Rival. Von der gleichen Leidenschaft erfüllt, hatte er, wie jener, für nichts andres Sinn als für die Unendlichkeit des Himmels, ganz wie sein Freund scheute er keine Mühe, die astronomischen Rätsel des Universums zu entziffern.
Der Doktor Hudelson besaß ein hübsches Vermögen, das zum Teil von ihm selbst, zum Teil von Mrs. Hudelson, einer gebornen Flora Clarish, herrührte. Verständig verwaltet, genügte es, die Zukunft der Ehegatten und ihrer beiden Töchter Jenny und Loo, die jetzt die eine achtzehn, die andre vierzehn Jahre alt waren, voraussichtlich zu sichern. Was den Doktor selbst betrifft, würde man bezüglich seines Alters schöngeistig ausgedrückt zu sagen haben, daß bereits der Schnee von siebenundvierzig Wintern auf seinem Haupte schimmerte. Dieses schöne Bild wäre nur hier unpassend, weil der Doktor Hudelson so kahl war, daß er mit keinem Messer, keiner Schere eines Figaro etwas zu schaffen hatte.
Die unausgesprochen bestehende astronomische Rivalität zwischen Sydney Hudelson und Dean Forsyth störte auch einigermaßen das gegenseitige Verhältnis ihrer beiden, sonst so freundschaftlich verbundenen Familien. Die beiden Männer stritten übrigens nicht um den oder jenen Planeten oder Fixstern, denn die Gestirne des Himmels, deren erste Entdecker meist unbekannt sind, sind ja sozusagen Gemeingut der ganzen Welt, es kam aber nicht so selten vor, daß ihre meteorologischen oder astronomischen Beobachtungen zum Gegenstand eines lebhaften Meinungsaustausches wurden, der zuweilen sogar fast in Streitigkeiten ausartete.
Was solche Zwistigkeiten noch hätte verschlimmern, sogar selbst hervorrufen und zu beklagenswerten Auftritten führen können, wäre eine Frau Forsyth gewesen. Zum Glücke existierte eine solche Dame aber nicht, da der, der sie hätte geehelicht haben müssen, Junggeselle geblieben und überhaupt niemals auf den Gedanken gekommen war, sich zu verheiraten. Es gab also keine Frau Dean Forsyth, die unter dem Vorwand der Versöhnung die Sachen hätte verschlimmern können, und folglich war alle Aussicht vorhanden, daß kleine Zerwürfnisse zwischen den beiden Astronomen bald eine friedliche Beilegung finden könnten.
Freilich gab es anderseits eine Mrs. Flora Hudelson. Das war aber eine vortreffliche Frau, eine vortreffliche Mutter und ebenso eine vortreffliche Hausfrau, dazu eine höchst friedliche Natur, unfähig jeder übeln Nachrede über andre, eine Frau, die nicht unter Lästerungen frühstückte und unter Verleumdungen zu Mittag aß, wie so viele Damen der höheren Stände in den verschiedenen Gesellschaften der Alten und der Neuen Welt.
Noch mehr: Dieses Musterbild von Ehegattin bemühte sich auch ernstlich, ihren Herrn und Gemahl zu besänftigen, wenn dieser mit vor Erregung rotem Kopfe von einer Auseinandersetzung mit seinem intimen Freunde Forsyth nach Laufe kam. Außerdem fand es Mrs. Hudelson ganz natürlich, daß ihr Mann sich mit Astronomie beschäftigte und daß er in den Tiefen des Firmaments lebte, sobald er von da nur herniederstieg, wenn sie ihn darum ersuchte. Weit entfernt, es Mitz gleich zu tun, die ihren Herrn geradezu plagte, belästigte sie ihren Gatten in keiner Weise. Sie ertrug es, daß er zur Essenszeit auf sich warten ließ. Sie schmollte nicht, auch wenn er sehr spät zu Tisch kam, sondern bemühte sich vielmehr, die Speisen in bestem Zustand für ihn zu erhalten. Sie respektierte seine Zugeknöpftheit, wenn er in Gedanken war. Sie beunruhigte wohl auch sich selbst wegen seiner Arbeiten und das gute Herz diktierte ihr aufmunternde Worte, wenn der Astronom sich in unbegrenzte Fernen so weit verirrte, daß er den Rückgang nicht wieder fand.
Kurz: Das war eine Frau, wie wir sie allen Männern wünschen, vorzüglich wenn diese Astronomen sind. Leider gibt es solche Musterfrauen gewöhnlich nur in Romanen.
Jenny, ihre älteste Tochter, versprach in die Fußstapfen der Mutter zu treten und denselben Lebensweg wie diese einzuhalten. Offenbar war Francis Gordon, der zukünftige Gatte Jenny Hudelsons, bestimmt, einer der glücklichsten Ehemänner zu werden. Ohne die amerikanischen Damen herabsetzen zu wollen, muß man doch sagen, daß es Mühe kosten würde, in ganz Amerika ein reizenderes, anziehenderes, mehr mit allen guten menschlichen Eigenschaften ausgestattetes junges Mädchen als Jenny Hudelson zu finden. Sie war eine liebenswürdige Blondine mit blauen Augen, frischem Teint, hübschen Händen, niedlichen Füßchen und von schlanker Gestalt, und von Natur mit ebensoviel Grazie wie Bescheidenheit, mit ebensoviel Güte wie Verstand beschenkt. Francis Gordon schätzte sie auch nicht weniger, als sie diesen. Mr. Dean Forsyths Neffe erfreute sich überdies der Hochachtung der Familie Hudelson, einer gegenseitigen Wertschätzung, die bald in Gestalt eines – gern angenommenen – Heiratsantrages zutage trat. Die beiden jungen Leute paßten ja so gut zueinander. Jenny würde mit ihren vortrefflichen Eigenschaften das Glück in den neuen Hausstand mitbringen. Francis Gordon würde von dem ihm einst zufallenden Vermögen des Onkels schon jetzt reichlich bedacht werden. Doch ziehen wir einen Schleier über diese Zukunftsbilder. Vorläufig haben wir es mit der Gegenwart zu tun, die ja alle Vorbedingungen wolkenlosen Glücks erfüllt.
Francis Gordon war also der Verlobte Jenny Hudelsons, Jenny Hudelson die Verlobte Francis Gordons, und die Trauung, die man nicht so lange hinauszuschieben gedachte, sollte in der Kirche Saint-Andrew, der Hauptkirche der glücklichen Stadt Whaston, vom Reverend O'Garth vollzogen werden.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Feierlichkeit eine große Zahl Teilnehmer zuströmen werden, denn die beiden Familien genießen wegen ihrer Ehrenhaftigkeit überall eine unbegrenzte Hochachtung; ebenso sicher ist es, daß die Lustigste, Lebhafteste an diesem Tage die niedliche Loo sein wird, die bei ihrer geliebten Schwester als Ehrenjungfrau dienen wird. Sie zählt noch nicht ganz fünfzehn Sommer, hat also ein Recht darauf, jung zu sein. Und davon wird sie Gebrauch machen, das bedarf kaum der Versicherung. Sie ist immer und ewig, leiblich und geistig, in Bewegung, ein Schalk, der sich nicht geniert, über »des Papas Planeten« zu scherzen. Man vergibt dem Wildfang aber alles. Der Doktor Hudelson ist der erste, der über sein Töchterlein lacht und ihr als einzige Strafe... einen Kuß auf die frischen Wangen drückt.
Mr. Hudelson war im Grunde ein kreuzbraver Mann, nur etwas starrsinnig und ziemlich empfindlich. Außer Loo, deren unschuldige Späße er übersah, respektierte jeder seine Liebhabereien und seine Gewohnheiten. Sehr ergeben seinen astronomischen und meteorologischen Studien, recht klar in seinen Demonstrationen und eifersüchtig auf jede Entdeckung, die er machte oder gemacht zu haben glaubte, blieb er doch bei seiner aufrichtigen Neigung für Dean Forsyth der Freund eines so furchtbaren Rivalen. Zwei Jäger auf demselben Felde, die einander ein seltenes Stück Wild streitig machen. Vielmals war daraus eine gewisse Erkältung entstanden, die sich zu wirklichen Streitigkeiten zu verschlimmern drohte, wenn nicht die besänftigende Vermittlung der Mrs. Hudelson gewesen wäre, die übrigens bei ihrem Versöhnungswerke von ihren beiden Töchtern und Francis Gordon wacker unterstützt wurde. Das friedliche Quartett setzte seine beste Hoffnung zur Ausschaltung aller Scharmützel auf die geplante Vereinigung der Verlobten. Wenn die Verheiratung Francis Gordons und Jennys die beiden Familien noch enger miteinander verbunden haben würde, würden ja auch jene vorübergehenden Gewitter noch seltener und weniger schlimm werden. Wer weiß sogar, ob die zu herzlicher Zusammenarbeit vereinigten Liebhaber-Astronomen dann ihre astronomische Forschung nicht vielleicht gar vereinigt betrieben. Dann konnten sie sich ja gleichmäßig in das auf dem weiten Felde des Himmels entdeckte, wenn auch nicht erlegte Wild teilen.
Das Haus des Doktor Hudelson war eins der hübschesten Gebäude, und eins, das besser instand gehalten gewesen wäre, hätte man in Whaston wohl vergeblich gesucht. Das reizende Wohnhaus zwischen Hof und Garten mit schönen Bäumen und grünen Rasenflächen lag fast in der Mitte der Morrißstraße. Es bestand aus einem Erdgeschoß und einem Oberstock mit sieben Fenstern Front. An der linken Seite des Daches ragte darüber eine Art viereckiger, gegen dreißig Meter hoher Wartturm empor, der mit einer Terrasse mit Geländer endigte. An dessen einer Ecke erhob sich eine Flaggenstange, an der an Sonn- und Festtagen die Flagge mit den einundfünfzig Sternen der Vereinigten Staaten von Amerika gehißt wurde.

Das oberste Zimmer dieses Turmes war für die speziellen Arbeiten des Besitzers bestimmt. Hier standen die Instrumente des Doktors, die Fernrohre und Teleskope, wenn er die transportabeln darunter in einer schönen Nacht nicht nach der Plattform darüber schaffte, von der aus er den ganzen Himmelsdom ungehindert übersehen konnte. Hier war es, wo sich der Doktor, taub für alle Warnungen der Mrs. Hudelson, oft den schönsten Schnupfen oder die vollendetste Grippe holte.
»Wenn nur der Papa, pflegte Miß Loo gern zu sagen, nicht gar seine Planeten mit einem regelrechten Schnupfen ansteckt!«
Der Doktor hörte jedoch auf nichts; er trotzte zuweilen den sieben bis acht Zentigraden unter Null in den eisigen Winternächten, wo das Firmament besonders klar war.
Von dem Observatorium des Hauses in der Morrißstraße konnte man den Turm des Hauses in der Elisabethstraße bequem sehen. Nur etwa dreiviertel Kilometer trennten beide, und zwischen ihnen erhob sich kein Bauwerk oder breitete ein größerer Baum seine Äste aus.
Ohne sich eines weittragenden Teleskops zu bedienen, erkannte man schon mit einem guten Theaterglase ganz leicht die Personen, die sich auf dem einen oder dem andern Turm aufhielten. Dean Forsyth hatte freilich anders zu tun, als nach Sydney Hudelson auszulugen, und Sydney Hudelson hätte gewiß niemals seine Zeit damit verlieren wollen, daß er sich nach Dean Forsyth umsah. Ihre Beobachtungen richteten sich höher, weit höher hinaus. Sehr natürlich war es dagegen, daß Francis Gordon oft sehen wollte, ob Jenny sich auf der Terrasse befände, und oft sprachen beider Augen in diesem Falle zärtlich miteinander. Darin ist ja wohl nichts Schlimmes zu finden.

Es wäre ja leicht gewesen, zwischen den beiden Häusern eine telegraphische oder telephonische Verbindung herzustellen. Ein vom Wartturm zum andern Turm angelegter Draht hätte dann die zärtlichsten Worte von Francis Gordon an Jenny Hudelson und von dieser an ihren Verlobten übermittelt. Vielleicht wurde diese Lücke nach der Vereinigung des Brautpaares noch ausgefüllt: nach der ehelichen auch die elektrische Verbindung, um die beiden Familien noch enger miteinander zu verknüpfen.
Am Nachmittage desselben Tages, wo die vortreffliche, aber zanksüchtige Mitz eine Probe ihrer Zungenfertigkeit abgelegt hatte, machte Francis Gordon seinen gewohnten Besuch bei Mrs. Hudelson und ihren Töchtern... »und ihrer Tochter, das bitt' ich mir aus!« berichtigte ihn Loo in komischer Entrüstung. Hier wurde er, man kann sich nicht anders ausdrücken, empfangen, als ob er der Gott des Hauses wäre. Jennys Ehemann war er zwar noch nicht – zugegeben, Loo verlangte aber, daß er ihr gegenüber schon gleich einem Bruder wäre, und was sich in diesem kleinen Gehirn festgesetzt hatte, das ließ sich daraus nicht wieder verscheuchen.
Was den Doktor Hudelson betrifft, saß dieser seit vier Stunden in seinem Turmzimmer wie eingemauert. Nachdem er, ganz wie Dean Forsyth, zum Frühstück zu spät erschienen war, hatte er sich eilends – wieder ganz so wie Dean Forsyth – nach der obern Plattform begeben, als die Sonne für kurze Zeit aus den Wolken hervorgetreten war. Nicht weniger beschäftigt als sein Rival, schien er keine Lust zu spüren, wieder hinunterzugehen.
Und doch war es unmöglich, ohne ihn die wichtige Frage zu entscheiden, über die heute in einem Familienrate verhandelt werden sollte.
»Heda, rief Loo, als der junge Mann kaum über die Schwelle des Zimmers gekommen war, da ist ja der Herr Francis, der unausbleibliche Herr Francis! Auf mein Wort, man sieht hier gar niemand mehr als ihn!«
Francis Gordon begnügte sich, dem Mägdlein mit der Fingerspitze zu drohen, und als sich alle gesetzt hatten, begann das Gespräch wie immer in einfachem, herzenswarmem Tone.
Es sah dabei fast aus, als wäre man seit gestern gar nicht getrennt gewesen, und in ihren Gedanken lebten ja wenigstens die beiden Verlobten immer beieinander. Miß Loo behauptete sogar, der »unausbleibliche Francis« wäre stets im Hause, denn wenn er das durch die Tür nach der Straße zu verlassen scheine, schlüpfe er durch die vom Garten her wieder herein.
Man plauderte heute von dem, wovon man immer sprach. Jenny horchte auf das, was Francis sagte, mit größtem Ernste, der ihr doch nichts von ihrem Liebreiz raubte. Mrs. Hudelson versprach, sich das Haus anzusehen, und wenn es für die spätern Bewohner geeignet erschien, sollte es baldigst gemietet werden. Selbstverständlich würde Loo ihre Mutter und ihre Schwester bei dieser Besichtigung begleiten. Sie hätte nimmermehr zugegeben, daß man dabei von ihrem Rate abgesehen hätte.
»Ja... was ich sagen wollte, rief sie plötzlich, wie steht das mit Mister Forsyth? Wird er denn heute nicht hierher kommen?
– Mein Onkel kommt erst um vier Uhr, antwortete Francis Gordon.
– Seine Anwesenheit ist aber für die heute zu entscheidende Frage unentbehrlich, bemerkte Mrs. Hudelson.
– Nun, wenn er ausbliebe, warf Loo mit einer drohenden Handbewegung ein, dann bekäme er's mit mir zu tun und da würde er nicht leichten Kaufs davonkommen!
– Wo ist aber Mister Hudelson? fragte Francis. Wir brauchen ihn hier doch ebenso nötig wie meinen Onkel.
– Der Vater sitzt oben in seinem Turme, sagte Jenny. Wenn ihn jemand riefe, würde er gewiß sofort herunterkommen.
– Das will ich auf mich nehmen, erbot sich Loo. Ich springe die sechs Stockwerke schnell hinaus.«
In der Tat war es unumgänglich, daß Mr. Forsyth und Mr. Hudelson sich hier einfanden. Handelte es sich doch darum, den Tag für die Trauung zu bestimmen. Daß die Hochzeit bald gefeiert werden sollte, darüber war man wohl einig... doch unter der Bedingung, daß das schöne Festkleid der jungen Brautjungfer – ein langes Kleid, wie es erwachsene Damen tragen und das Loo an dem denkwürdigen Tage einweihen wollte – fertig geworden wäre.
In bezug hierauf erlaubte sich Francis auch die scherzhafte Bemerkung:
»Ja, wenn sie nun aber noch nicht vollendet ist, die berühmte Robe?
– Dann, erklärte das herrische Persönchen, dann wird die Hochzeit einfach verschoben!«
Dieser Antwort folgte ein so herzliches lautes Lachen, daß es Mr. Hudelson oben in seinem Wartturme jedenfalls hören mußte.