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Als Einige von ihnen vor der verlassenen Farm angekommen waren, blieben sie einen Augenblick stehen; sie ließen sich sogar auf die Thürschwelle nieder. Sie unterhielten sich mit lauter Stimme, wobei sie eine auffallende Lebhaftigkeit zeigten, trotzdem sie nur von Dingen sprachen, die sich auf ihren Beruf bezogen.
Die in einer Ecke kauernden Flüchtlinge lauschten aufmerksam. Vielleicht hatten diese Leute schon Kenntniß von ihrem Ausbruche und würden von ihm sprechen. Vielleicht ließen sie einige Worte fallen, aus denen Graf Sandorf erkennen konnte, in welchem Theile Istriens er und sein Freund sich befanden.
Doch vernahmen sie nichts Derartiges. Man besprach sich nur über die gewöhnlichsten Dinge.
»Da die Landleute noch nichts von unserer Flucht erwähnen, bemerkte Mathias Sandorf, kann man daraus folgern, daß sie noch nicht bis zu ihrer Kenntniß gelangt ist.
– Es würde das beweisen, gab Stephan Bathory zur Antwort, daß wir uns schon weit ab von der Festung befinden müssen. Das überrascht auch nicht, zieht man die Schnelligkeit in Betracht, mit der die Strömung uns länger als sechs Stunden unter der Erdoberfläche fortgerissen hat.
– Anders kann das nicht sein,« sagte Graf Sandorf.
Zwei Stunden später jedoch hörten sie vorübergehende Salzarbeiter, die sich vor der Farm nicht aufhielten, von einer Abtheilung Gensdarmen sprechen, die sie vor dem Thore der Stadt angetroffen hatten.
Welcher Stadt? Jene nannten sie nicht.
Das Gehörte trug nicht dazu bei, die Flüchtlinge zu beruhigen. Wenn Gensdarmen das Land durchstreiften, so waren diese sehr wahrscheinlich zu ihrer Verfolgung ausgeschickt.
»Trotzdem, meinte Stephan Bathory, wir unter Umständen geflohen sind, die eher auf unseren Tod schließen lassen, als zu unserer Verfolgung aufmuntern müssen.
– Man wird uns nicht eher für todt halten, bis unsere Leichname gefunden sind,« erwiderte Mathias Sandorf.
Es war jedenfalls zweifellos, daß die Polizei sich rührte und den Flüchtigen nachspürte. Sie beschlossen also, sich bis zum Anbruche der Dunkelheit in der Farm versteckt zu halten. Der Hunger quälte sie, doch wagten sie nicht, ihren Zufluchtsort zu verlassen, und sie thaten gut daran.
Gegen fünf Uhr Nachmittags ertönte Hufschlag auf der Landstraße; eine Reiterschaar näherte sich der Farm.
Graf Sandorf, der bis zum Thore des Gehöftes auf allen Vieren vorgekrochen war, kehrte schleunigst zu seinem Gefährten zurück und zog ihn bis in die dunkelste Ecke des Gewölbes. Dort verkrochen sie sich unter einem Haufen Laub und verhielten sich vollständig ruhig.
Ein halbes Dutzend Gensdarmen, von einem Wachtmeister geführt, kamen auf der Landstraße in der Richtung nach Osten einher. Graf Sandorf fragte sich nicht ohne ein ängstliches Gefühl, ob sie wohl an der Farm halten würden? Wenn die Gensdarmen das in Trümmern liegende Haus durchsuchten, so wurden die sich darin verborgen Haltenden gewiß entdeckt.
Der Wachtmeister ließ seine Leute wirklich Halt machen. Er selbst und zwei Gensdarmen stiegen von den Pferden, während die Uebrigen im Sattel blieben.
Die Letzteren erhielten den Befehl, das Land in der Umgebung des Canals von Leme abzureiten und sich dann zur Farm zurückzubegeben, wo man bis sieben Uhr auf sie warten wollte.
Die vier Gensdarmen ritten sogleich weiter. Der Wachtmeister und die beiden Anderen hatten ihre Pferde an die Spitzen eines halb zerstörten Gitters gebunden, welches den Ort umgab. Dann hatten sie sich draußen niedergesetzt und begannen, sich zu unterhalten Die Flüchtlinge konnten von ihrem Verstecke aus Alles hören, was gesprochen wurde.
»Heute Abend kehren wir noch in die Stadt zurück, wo wir Befehle für den Nachtdienst erhalten werden, erwiderte der Wachtmeister auf eine Frage, welche einer der Gensdarmen an ihn gerichtet hatte. Der Telegraph hat vielleicht Neues aus Triest gemeldet.«

»Ich selbst habe heute Früh zwei Männer bemerkt.«
Die fragliche Stadt war also nicht Triest; Graf Sandorf merkte sich das wohl.
»Steht nicht zu befürchten, fragte der andere Gensdarm, daß, während wir hier suchen, die Flüchtigen bereits nach der Seite des Golfs von Quarnero entkommen sind?
– Es ist nicht unmöglich, antwortete der erste Gensdarm, denn sie können sich am Ende dort für sicherer halten, als hier.
– Wenn sie es gethan haben, meinte der Wachtmeister, so riskiren sie es auch dort, entdeckt zu werden, denn die ganze Küste von einem Ende der Provinz bis zum anderen wird bewacht.«
Ein zweiter Punkt, der vermerkt werden mußte: Graf Sandorf und sein Freund mußten sich demnach an der westlichen Küste Istriens befinden, das heißt also, an dem Gestade des Adriatischen Meeres, nicht an dem Ufer des entgegengesetzten Golfs, der bis nach Fiume und sehr tief in das Land hinein geht.
»Ich denke, daß man auch in den Salinen von Pirano und Capo d'Istria Nachsuchungen vornehmen lassen wird, begann der Wachtmeister von Neuem. Man kann sich dort leicht verbergen, dann sich einer Barke bemächtigen und darin die Adria auf Rimini oder Venedig zu durchfahren.
– Pah! Sie hätten besser daran gethan, ruhig in ihrer Zelle zu bleiben, sagte einer der Gensdarmen mit philosophischer Ruhe.
– Ganz gewiß, der andere, denn früher oder später werden sie doch gefangen, wenn man sie aus dem Buco nicht wieder herausfischen sollte. In diesem Falle wäre die Sache gleich zu Ende und wir hätten es nicht erst nöthig, durch das Land zu streifen, was Einem bei dieser Hitze sauer genug wird.
– Wer will denn behaupten, ob sie nicht schon längst zu Ende ist? antwortete der Wachtmeister. Die Foïba hat vielleicht die Hinrichtung übernommen; die Gefangenen konnten sich keinen schlimmeren Weg für ihre Flucht aus dem Wartthurme von Pisino wählen, als den, welchen sie beim Steigen des Wassers genommen haben.«
Die Foïba war also der Name des Baches, der den Grafen Sandorf und Stephan Bathory getragen hatte. In die Festung Pisino waren sie also gebracht worden: also dort hatte man sie eingekerkert, verhört und verurtheilt! Dort wären sie auch erschossen worden. Aus dem Wartthurme dieser Festung waren sie soeben entkommen! Graf Sandorf kannte diese Stadt Pisino sehr wohl. Endlich hatte er den für ihn so wichtigen Anhaltspunkt gefunden und er brauchte jetzt nicht mehr aufs Gerathewohl die Halbinsel zu durchziehen, vorausgesetzt, daß die Flucht noch möglich war.
Die Unterhaltung der Gensdarmen ging über diesen Punkt nicht hinaus; aus den wenigen Worten jedoch hatten die Flüchtlinge Alles erfahren, was ihnen zu wissen nothwendig war, vielleicht mit Ausnahme des Namens der Stadt, die dem Canal Leme an der Küste des Adriatischen Meeres zunächst gelegen war.
Inzwischen hatte sich der Wachtmeister erhoben. Er ging an der Umzäunung des Pachthofes auf und ab, um zu sehen, ob seine Leute noch nicht zurückkehrten. Zwei oder dreimal betrat er das zerstörte Haus und besichtigte die Zimmer, doch mehr gewohnheitsmäßig, als weil ein Verdacht in ihm sich regte. Er trat in die Thür des Gewölbes, und die Flüchtigen wären zweifellos entdeckt worden, wenn hier nicht eine vollständige Dunkelheit geherrscht hätte. Er kam sogar in den Raum hinein und berührte den Haufen Laub flüchtig mit der Degenscheide, doch er traf glücklicherweise nicht Diejenigen, welche sich in demselben verkrochen hatten. Welche Angst Mathias Sandorf und Stephan Bathory in diesem Augenblicke fühlten, läßt sich nicht beschreiben. Sie waren aber auch fest entschlossen, ihr Leben theuer zu verkaufen, wenn sie entdeckt werden sollten. Sie waren zu Allem fähig: sich auf den Wachtmeister zu werfen, seine Bestürzung zu benützen, um ihm die Waffen zu entreißen, ihn und seine Leute anzugreifen und sie zu tödten oder sich von ihnen tödten zu lassen.
Der Wachtmeister wurde, ehe es dazu kam, nach draußen gerufen und er verließ das Gewölbe, ohne etwas Verdächtiges bemerkt zu haben. Die vier auf Kundschaft gesandten Gensdarmen waren zur Farm zurückgekehrt. Trotz ihrer Aufmerksamkeit hatten sie keine Spur von den Flüchtlingen in dem zwischen der Landstraße, dem Canal und der Küste gelegenen Landstriche entdecken können. Doch kamen sie nicht allein zurück. Ein Mann begleitete sie.
Es war ein Spanier, der in den Salinen der Umgebung zu arbeiten pflegte. Er kehrte gerade in die Stadt zurück, als ihm die Gensdarmen begegneten. Als er ihnen erzählte, daß er durch das zwischen der Stadt und den Salinen gelegene Land gekommen wäre, beschlossen sie, ihn vor den Wachtmeister zu bringen, damit dieser ihn auskundschaften könnte. Der Mann hatte sich dessen nicht geweigert.
Der Wachtmeister fragte ihn, ob die Arbeiter in den Salinen nicht die Anwesenheit zweier Fremden bemerkt hätten?
»Nein, Herr Wachtmeister, antwortete der Spanier; aber ich selbst habe heute Früh, ungefähr eine Stunde, nachdem ich die Stadt verlassen hatte, zwei Männer bemerkt, die an der Spitze des Kanals von Leme an das Land kamen.
– Zwei Männer, sagst Du? fragte der Wachtmeister.
– Ja. Da man aber hier bei uns annahm, daß die Hinrichtung heute Früh in Pisino stattgefunden hätte und weil die Nachricht von der Flucht der Verurtheilten bei uns noch nicht bekannt geworden war, so schenkte ich den Beiden keine besondere Aufmerksamkeit. Jetzt weiß ich allerdings, was ich zu thun gehabt hätte. Mich soll es nicht wundern, wenn jene die beiden Flüchtlinge waren.«
Graf Sandorf und Stephan Bathory verstanden in ihrem Verstecke jedes Wort von der Unterhaltung, die von so großer Bedeutung für sie war. Sie waren also doch in dem Augenblicke, als sie an dem Ufer des Canals von Leme landeten, bemerkt worden.
»Wie heißt Du? fragte der Wachtmeister.
– Carpena; ich bin Salzarbeiter in den hiesigen Salinen.
– Würdest Du die beiden Männer wieder erkennen, welche Du heute Früh an jener Stelle gesehen hast?
– Ja... vielleicht.
– Gut, so gehe sofort zur Stadt; Du wirst dort Deine Beobachtungen protokolliren lassen und Dich der Polizei zur Verfügung stellen
– Zu Befehl.
– Weißt Du, daß fünftausend Gulden als Preis für die Entdeckung der Flüchtlinge ausgesetzt sind?
– Fünftausend Gulden!
– Und das Zuchthaus ist dem sicher, der sie bei sich aufnimmt
– Ich höre es jetzt von Ihnen.
– Geh'!« rief der Wachmeister.
Die Aussage des Spaniers hatte zunächst das Gute, daß sich die Gensdarmen entfernten. Der Wachtmeister befahl seinen Leuten, aufzusatteln, und obwohl die Nacht schon herabsank, schickte er sich mit seinen Leuten noch an, die Ufer des Canals von Leme genau abzusuchen. Carpena dagegen setzte den Weg zur Stadt weiter fort; er sagte sich, daß die Ergreifung der Gefangenen, wenn er ein wenig Glück hätte, ihm eine ansehnliche Prämie eintragen würde; die Güter des Grafen Sandorf konnten ja solche Kleinigkeiten noch bestreiten!
Mathias Sandorf und Stephan Bathory hielten sich noch ziemlich lange verborgen und verließen dann erst den dunklen Raum, der ihnen ein so vortrefflicher Zufluchtsort gewesen war. Sie wußten nun, daß ihnen die Gensdarmerie auf den Fersen saß, daß sie gesehen worden waren und vielleicht wieder erkannt wurden, und daß die istrischen Provinzen ihnen keine. Sicherheit mehr boten. Sie mußten also das Land so eilig als möglich verlassen und versuchen, nach Italien, also auf die andere Küste des Adriatischen Meeres, oder durch Dalmatien und über die Militärgrenze aus österreichischem Gebiete zu entkommen.
Die erstgenannte Richtung hatte entschieden mehr für sich, vorausgesetzt, daß es den Flüchtigen gelang, einer Schiffsgelegenheit habhaft zu werden oder einen Küstenfischer zu überreden, sie auf das italienische Ufer hinüber zu bringen. Man gab ihr deshalb auch den Vorzug.
Um acht ein halb Uhr, als die Dunkelheit groß genug geworden war, verließen die Beiden die in Trümmern liegende Farm und wandten sich nach Westen, um die Küste der Adria zu erreichen. Sie sahen sich gezwungen, auf der Landstraße zu bleiben, um nicht in die Sümpfe der Leme zu gerathen.
Diese ihnen unbekannte Straße verfolgen, hieß aber, an jene Stadt gelangen, welche den Verkehr mit dem Herzen Istriens vermittelte, sich in die größte Gefahr begeben. Gewiß, es gab aber keinen anderen Ausweg.
Nach einem einstündigen Marsche hoben sich in der Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile die unbestimmten Umrisse einer Stadt von dem dunklen Hintergrunde ab. Es wäre schwer gewesen, etwas Genaueres zu erkennen.
Man sah nur eine Anhäufung von Häusern, die schwerfällig auf einem ungeheuren, massigen Felsen sich erhoben; dieser Felsen beherrschte das Meer; unter ihm dehnte sich der Hafen aus, der durch ein Zurücktreten der Küste gebildet wird.
Mathias Sandorf war entschlossen, die Stadt nicht zu betreten, in der die Anwesenheit zweier Fremden schnell genug bekannt geworden wäre. Es handelte sich also darum, die Mauern zu umgehen, um wo möglich eine Stelle des Ufers selbst zu erreichen.
Die Flüchtlinge vollführten diese Absicht, sie wurden indessen schon seit Beginn ohne ihr Wissen von jenem Manne in einiger Entfernung verfolgt, der sie bereits am Ufer des Canals von Leme gesehen hatte – desselben Carpena, dessen Aussage vor dem Gensdarmen-Wachtmeister sie vernommen hatten. Verlockt durch die ausgesetzte Belohnung, hatte sich der Spanier auf dem Wege zu seiner Wohnung verborgen, um besser die Landstraße übersehen zu können, und der ihm günstige, jenen feindliche Zufall brachte ihn soeben wieder auf die Spur der Flüchtlinge.
Fast gleichzeitig drohte eine aus einem der Thore der Stadt kommende Schaar Polizisten ihnen den Weg abzuschneiden. Sie hatten gerade noch Zeit, sich seitwärts zu schlagen; dann stürmten sie die Hafenmauer entlang dem Meere zu.
Dort stand eine bescheidene Fischerhütte; ihre Fenster waren erleuchtet, die Thür weit offen. Wenn Mathias Sandorf und Stephan Bathory hier kein Unterkommen fanden, wenn man sich weigerte, sie aufzunehmen, so waren sie verloren. Hier Zuflucht suchen, das hieß zwar, Alles aufs Spiel setzen, doch durfte nicht länger gezögert werden.
Graf Sandorf und sein Genosse eilten auf die Thüre des Hauses zu und blieben an der Schwelle stehen.
Ein Mann war im Innern beim Scheine einer Schiffslampe damit beschäftigt, Netze auszubessern.
»Wollt Ihr mir sagen, mein Freund, wie diese Stadt sich nennt?
– Rovigno.
– Bei wem befinden wir uns hier?
– Bei dem Fischer Andrea Ferrato.
– Wäre der Fischer Andrea Ferrato geneigt, uns für diese Nacht bei sich aufzunehmen?«
Andrea Ferrato blickte die Angekommenen an; er trat an die Thür und bemerkte die Schaar der Polizisten, die gerade um die Ecke der Hafenmauer bog; er ahnte zweifellos, wer die Fremden waren, die ihn um Gastfreundschaft baten, und begriff, daß sie verloren waren, wenn er zögerte.
»Treten Sie ein!« sagte er
Die Flüchtigen aber beeilten sich nicht, über die Schwelle zu treten.
»Freund, sagte Graf Sandorf, es sind fünftausend Gulden Belohnung ausgesetzt für Denjenigen, welcher die Verurtheilten ausliefert, die aus dem Thurme von Pisino ausgebrochen sind.
– Ich weiß es.
– Und das Zuchthaus für Denjenigen, der sie bei sich aufnehmen sollte.
– Ich weiß es.
– Ihr könnt uns ausliefern...
– Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen eintreten,« erwiderte der Fischer.
Und Andrea Ferrato schloß die Thür in dem Augenblicke, als bereits die Polizisten am Hause vorübergingen.
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